§. 148.


Apostelorden,

[234] dem (sehr natürlich) die Jüngergrade, deren Zahl eigentlich siebenzig war, vorgingen. Doch wurden sie unserm Ritter schnell gegeben, und, was ihn äußerst aufmerksam machte, ohne Geld! Wahrlich viel vom Jünger- und Apostelorden.[234]

Meine Leserwelt ist schon mit so vielen Aufnahmen belästigt worden, daß ich es nicht wage, ihr mehr als den Anfang des Apostelgrades aufzudringen.

Nachdem vierzig Tage und vierzig Nächte um waren, ward unser Held zwischen eilf und zwölf in der Nacht vor dem allerkürzesten Tage durch ein mysteriöses Cartel überfallen, wodurch er am folgenden Morgen um sieben Uhr herausgefordert ward zu erscheinen, um andere Erscheinungen abzuwarten. Daß unser Held diese Nacht seinen Schlaf zwischen eilf und zwölf beschloß, versteht sich von selbst. Die Ausforderung war datirt »Heiliger Abend vor dem kürzesten Tage im Jahre.« Wahrlich diese Nacht ward ihm so entsetzlich lang, daß er schon um fünf Uhr fertig war, und sich nicht entbrechen konnte, um sechs Uhr Morgens zu erscheinen. Die Haupterscheinung, die er dagegen erwartete, war – Sophie. Es sey, daß er wirklich durch sein zu frühes Kommen sich diese Strafe zugezogen, oder daß, wenn er auch pünktlich erschienen wäre, ihn die nämliche Stimme zurückgewiesen hätte, kurz, die Assignation auf das ihm im Cartel bezeichnete Zimmer ward nicht honorirt. Er hörte eine hohle Stimme: Vorwitziger! zu früh und zu spät ist einerlei! Gehe, Oel zu laufen in deine Lampe, und dann erscheine um sieben Uhr Abends! – Unschlüssig, ob er um Verzeihung bitten, sich mit der schlechten Uhrenpolizei entschuldigen oder stockstill seyn und thun sollte, was ihm, wenn gleich aus einer hohlen Kehle geboten ward, entschloß er sich zum letzten und kam betrübt zurück wie ein Bräutigam, dessen Braut am Hochzeitstage durch Blattern heimgesucht wird. Herzlich gern hätte der Ritter Oel vom Knappen auf Kredit genommen, wenn er nicht die hohle Stimme gefürchtet hätte. Gelt! Sie sind zu früh gekommen? fing Michael an, und dieß Gelt! brachte unsern Helden in Verwirrung, woraus ihn eine seiner Lieblingsmeinungen riß, daß es einen unzuverläugnenden Umgang unter den Seelen der Menschen auch[235] schon in dieser Welt gebe. Wo Oel kaufen? fragte sich der Ritter, und bestellte ein mageres Mahl, womit Michael unzufrieden gewesen wäre, wenn er in ihm nicht Ordensvorschrift verehrt hätte. Ich darf wohl nicht bemerken, daß der kürzeste Tag im Jahr unserm Helden der längste in seinem Leben war. So wie überhaupt Furcht und Hoffnung unserm Leben eine Länge beilegen, die es wirklich nicht hat, so wußte auch unser Held nicht, was er mit der Scheidemünze von Zeit anfangen sollte. Drei Viertel auf Sieben, sagte Michael. Die heiligen Zahlen Drei und Sieben fielen dem Ritter so trostreich auf, daß es ihn dünkte, mit lichterloh brennender Lampe an Ort und Stelle zu kommen. Wer ist da? fing es an. Eben war der Ritter im Begriff zu antworten, als eine Antwortstimme sich hören ließ, die ihn der Erklärung überhob, so daß es ihm nicht viel anders als in den Gerichtsstuben erging, wo man Leute pro und contra über sich, sein Hab und Gut schalten und walten lassen muß, ohne das Recht zu haben mitzureden. Es war ihm schon etwas ähnliches begegnet, und wie war es auch möglich, daß einem so erfahrnen Ritter etwas ganz neues in den Weg kommen konnte? Es ist ein Todter, der lebendig werden will, sagte diese Antwortsstimme, und nun ward dreimal gerufen:

Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Todten! – Wohl! dachte unser Held, der seit gestern zwischen eilf und zwölf kein Auge geschlossen, vielmehr die Lampen seiner Augen, ohne einen Augenblick zu verlöschen, in Einem weg brennen lassen. – Eine Stille. Nun ließen sich beide Stimmen über unsern Helden verlauten. Die eine klagte an, die andere entschuldigte, bis plötzlich eine eiserne Thüre aufsprang und Recipiendus die Worte hörte: Es werde das erste Licht! Dieses erste Licht bestand in einem Lämpchen. Eine Stimme erscholl: Ziehe aus deine Schuhe, denn diese Stätte ist heilig! Nichts Neues,[236] dachte der Ritter, der weit öfter als Moses seine Schuhe ausgezogen hatte, und im Augenblick war er auf Strümpfeu. Die Stimme fuhr fort: Falle nieder auf dein Antlitz und rede! – Er fiel nieder und schwieg. – Die Stimmen, die im Vorhofe sich über ihn erhoben, deuten dein Gewissen an, das du nicht siehst und das deine Gedanken richtet. Kennst du diese Stimme?

Ich kenne sie.

Was hindert dich, dieser Stimme Gottes zu gehorchen?

Meine Neigungen!

Durch Vernunft wirst du vergöttlichet; Neigungen vermenschlichen! – Wenn du durch Neigungen gefallen bist, straft dich die Nachvernunft oder das Gewissen, daß du jener. Stimme Gottes, der Vorvernunft, nicht gehorsam warst. Wie viele Personen sind in dem göttlichen Wesen der Nachvernunft oder des Gewissens?

Da er schwieg, antwortete eine andere Stimme:

Drei sind, die da zeugen im Himmel: Vater, Sohn und heiliger Geist, und drei sind die da zeugen im Gewissen: Kläger, Anwalt und Richter. Der Kläger ist väterlich, der Anwalt ist Bruder, der heilige Geist des ins Herz der Menschheit geschriebenen Gesetzes ist Richter.

Kennest und ehrest du dieses rechtliche Verfahren?

Ja!

Schwöre denn bei dem heiligen Geiste deines Gewissens, schwöre bei deiner Vor- und deiner Nachvernunft: zu bekennen deine Neigungen, die dich und deinen Gott von einander scheiden, und diese Schlangen nicht zu verbergen, die dich verführten und die dich aus dem Paradiese der Zufriedenheit in Jammer und Elend stürzten, tief! tief! tief! Schwöre mit Leib und Seele, mit A und O, mit Ja und Amen, mit Kyrie eleison und Hosianna!

Eine andere Stimme: Schwöre beim heiligen Geist![237]

Eine dritte Stimme: Schwöre!

Ich schwöre (drei harmonische Stimmen sagten vor) bei dem heiligen Geist meines Gewissens, mit Leib und Seele, mit A und O, mit Ja und Amen, mit Kyrie eleison und Hosianna, meine Neigungen, die mich und meinen Gott von einander scheiden, zu beichten und nichts zu verhehlen. Ich will alle meine Sünden, die, so lange ich denken kann, mich beschwerten, gestehen und nichts verhehlen; und in dem Augenblick, da ich fest mich entschließe in einem neuen Leben zu wandeln, laß, Heiligster, in diesem seligen Wiedergeburtsaugenblick deines Wohlgefallens mich nicht unwürdig seyn! Wenn ich meine Sünden bekenne, sey mir gnädig! und behalten sollen diese Seelengreuel mir bleiben in meiner Todesnoth und vor deinem Gericht, wenn ich das mindeste verhehle. Amen!

Jetzt trat jemand zu ihm, verband ihm die Augen und führte ihn in die Höhe und in die Tiefe, bis er ihn endlich an einen Beichtstuhl brachte, wo er dem Ritter hinzuknien gebot.

Der Beichtvater hieß ihm die Augen aufbinden, und obgleich Recipiendus auch nach dieser Lösung der Bande nicht sonderlich mehr als vorher zu sehen im Stande war, vielmehr sich noch immer im Schimmerlichte befand, bemerkte er doch Beichtstuhl und Ohrloch. Beichtvater und Beichtsohn hielten eine Quarantaine von Minuten, und nun fing der Beichtvater väterlich und herablassend an, sich dem Beichtsohne noch mehr zu nähern.

Alle diese List hatte er bei einem edlen Manne nicht nöthig, dem nichts auf dem Gewissen lag und der darum nichts beichten konnte, weil er nichts zu beichten hatte. Verstandesmeinungen sind nicht sträflich, und Willensmeinungen nur dann, wenn sie nicht unterdrückt werden, im Fall sie böse sind. Weniger hatte der schlaue Frager noch von keinem Beichtenden erfahren; – und doch war nie weniger in einer Seele, die er torquirt hatte, zurückgeblieben. – Genug – von der Aufnahme! Alles, was Dogmatik[238] heißt, sey überschlagen, um nicht am Buchstaben, sondern am Geiste zu hangen. Das


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 234-239.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 2

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon