§. 149.


Protokoll,

[239] aus Rosenthal eingegangen, wörtlich.


Actum Rosenthal, den – 17 –


Nach gehöriger Requisition erscheint vor endesunterschriebenem Justitiario der Frau Baronin von Rosenthal, geborenen –, Hochreichsfreiherrliche Gnaden, dem Justitiario von Person und als eine von Vorurtheil und Nebenabsicht hochwohl entfernte Dame bekannt. Sie ist der evangelisch-lutherischen Confession hochwohl beithan, und hat keinen Hehl, – – Jahre alt zu seyn. Exordium. Die feierlichste Versicherung, die reine Wahrheit zu sagen und nichts, was ihr vom grausen und schaudervollen Vorgange beigewohnt, aus Liebe, Haß, Freund-, Feindschaft oder Geschenks halber zu verschweigen. Noch mehr: sie will alles, was sie gehört und gesehen, getreulich anzeigen, bei allem, was heilig ist im Himmel und auf Erden. Auch soll dieser Erklärung an Eidesstatt der förmlichste körperliche Eid folgen, sobald er gefordert wird.

Eigene Worte:

Es hatte bei einer Dämmerung (oder Vorlesung), die mein unersetzlicher Gemahl mir und unserm Sohne über den Johanniterorden hielt, uns alle drei eine Begeisterung ergriffen. Ich erinnere mich ganz eigentlich, daß ich in dieser Ekstase nicht eine Göttererscheinung verlangte, dazu war ich nie kühn genug. Es genügte mir, den Wunsch zu äußern, wenn meine Mutter oder mein Vater, oder Fräulein –, die nach ihrem Ableben durch Brief und Siegel Frau – – zu werden sich nicht entbrechen konnte, mir erscheinen möchte, Licht über so manche Erdenhieroglyphen zu erhalten. Schon war ich mit Erscheinung einer dieser meiner Lieben befriedigt, die[239] ich, als sie hier wallten, oft noch ehe sie sprachen, verstand, und deren Gedanken ich von fern errieth; wir waren sehr genau verbunden. Mein Gemahl goß nicht Oel zum Feuer; er beruhigte mich mit dem Gedanken: wenn wir uns zu den Bewohnern der andern Welt erhöben, neigten sie sich zu uns. Hier fiel (mit Zuverlässigkeit betheur' ich es) schnell ein Blitz, dem ein heftiger Knall folgte, und plötzlich flog die Flügelthür des Auditoriums auf. Ob mein Gemahl mehr als ich gesehen und mehr als ich gehört, weiß ich nicht. Daß etwas Uebernatürliches vorging, bewies die ganz eigene Art von Schreck, die uns anwandelte. – Unsere Zungen, die feurig waren, erstarrten. – Nie behauptete mein Gemahl, mehr gesehen und gehört zu haben, als ich; doch schloß ich, als wir uns, wiewohl heimlich, ein einziges Mal über diesen Vorfall unterhielten, aus seiner Zurückhaltung, die sich in Schüchternheit auflöste: es sey ihm mehr als mir und meinem Sohne in die Sinne gefallen. – Jene Schüchternheit läßt sich weniger beschreiben, als fühlen. – Nie in meinem Leben hab' ich mit meinem Sohne über diesen Vorfall gesprochen. Durch diesen Hergang der Sache und verschiedene andere Vorfälle überzeugt, daß Dinge in der Welt vorgehen, die wir nicht fassen, begreifen und erklären können, überlass' ich mich Gott und seinem heiligen Willen.

Noch werden einige Leute, die zu jener Zeit im herrschaftlichen Hofe in Diensten standen, namentlich N.N.N.N.N.N.N.N.N., nach vorhergegangener Ermahnung eidlich abgehört. Alle stimmen überein, nicht das Mindeste zu wissen und zu begreifen, ob und wie dieser Vorfall ganz oder zum Theil natürlich zu erklären sey. G – – versichert, der wohlselige Herr Ritter, Freiherr von und zu Rosenthal, habe ihm heimlich aufgetragen, in der größten Stille auf eine natürliche Erklärung dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls auszugehen. Es war, setzt er hinzu, alle meine Bemühung umsonst; nie hab' ich mich unterstehen dürfen, dem wohlseligen Herrn[240] (er besaß Muth wie ein Löwe und ließ nur vor Wesen höherer Art die Segel seiner Herzhaftigkeit streichen) weiter daran zu denken. – Nachdem dieses Protokoll der Frau Deponentin wörtlich vorgelesen worden, genehmigt sie es in allen Stücken. Auch ist es mit ihres Namens Unterschrift bestärkt, begründet und außer Zweifel gesetzt.

Eine einstimmige Bekräftigung erfolgt von den abgehörten Hof- und Dorfleuten, welche dieß Protokoll ebenfalls respective unterschreiben und mit Kreuzen bezeichnen.


Namen und Kreuze der abgehörten

neun Hof- und Dorfleute.


Namen des Justitiarius.


Siegel.


Daß dieß alles getreulich vorgegangen, wird von mir corroborirt.


A. u. s.


Namen der Baronin.


Namen des Justitiarius.


Siegel.


Der Honiggeschmack, den Demokritus an Pflaumen spürte, brachte den Philosophen auf tausend gelehrte Spekulationen; selbst die Wurzel des Baums mußte sich eine Obduktion gefallen lassen. Es ist die Frage, ob er bei aller dieser Mühe nicht im Leben und Sterben zweifelhaft geblieben wäre, wenn seine Haushälterin ihm nicht das Räthsel gelöset hätte. Vom Honigtopfe stammte dieser Geschmack, in den die Philosophin, der länger Erhaltung halber, die Pflaumen gelegt hatte. – Der Ritter erhielt sein Protokoll, eben als er zu einer neuen Aufklärung in die Apostelversammlung[241] gehen wollte. Es war keine Bedenklichkeit, Michaeln dieß Protokoll mitlesen zu lassen. Dieser gerieth bei dem Lesen in so ungewöhnliche Zuckungen, daß sein Herr zu vermuthen anfing, es erscheine Michaeln wirklich etwas, oder es sey etwas auf dem Wege, ihm zu erscheinen.

Gnädiger Herr! sagte Michael bei dem Schluß des Protokolls zitternd und bebend.

Was ist dir? erwiederte der Ritter.

Werben Sie verzeihen?

Was verzeihen? den Leichtsinn am Grabes-Kapiteltage?

Das Protokoll.

Siehst du etwas?

Außer Ihnen und dem Protokoll nicht das Mindeste. – Doch verdien' ich Ew. Gnaden Unwillen.

Der Begleiterin, willst du sagen.

Den Ihrigen.

Müßte unser Ritter nicht eilen, dieß quid pro quo würde so bald nicht sein Ende erreichen. Kurz und gut, Michael gestand, auf Specialbefehl des Schulmeisters seliger, zu jener Zeit einen kleinen Puffer unter dem Fenster eben da losgeschossen zu haben, wo der wohlselige Herr ihm durch Winkelandachten ins Amt gefallen sey. Ick erfuhr, sagte Michael, schon zu jener Zeit die geheimen Nachforschungen dieses Vorganges halber, und es that mir auf der Stelle leid; Scham und Furcht banden mir aber die Zunge. – Konnte der Blitz- und Knallvorfall sich leichter aufschließen? Was das Aufspringen der Thür betrifft, so betheuerte Michael bei allen Ordenseiden, daran unschuldig zu seyn.

Der Ritter, äußerst empfindlich über diesen Pflaumentopf von Auflösung, sah deutlich ein, die Flügelthür, deren Schloß nie ganz ehrenfest war, sey von selbst aufgegangen. – Zu so ungelegener Zeit ward Demokritus von seiner Haushälterin nicht aufgekärt. – Wie[242] wird unser Ritter den Honiggeschmack seines Protokolls verschmerzen? Er stand wirklich bei sich an, was er den Aposteln dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls halber unterschieben sollte. Wahrlich, rief er aus, wir leiden durch Freunde am meisten, und durch Menschen, die uns die Liebsten und Besten sind. Was zu thun? Ich kann, dacht' er, die Apostel mit der Anzeige beruhigen, meine Mutter finde Bedenken, sich in einer Sache abhören zu lassen, die schon vor so langer Zeit geschehen sey. Und wie? wenn ich eine juristische Leiter ansetze? – – Die Herren Juristen ersteigen, trotz unsern Feuermauerkehrern, alles. – Z.B.: Es wolle sich kein Rechtsgelehrter ohne höhere Autorisation zur Aufnahme eines dergleichen Protokolls verstehen; oder: mein Vater habe meiner Mutter testamentlich zur Pflicht gemacht, über diesen Vorfall kein Wort zu verlieren. – Aber weg mit Dietrichen, die ich bei der nächsten Beichte mit Scham und Schande bekennen müßte! Ich will, dachte und sagte der Ritter, dem Protokoll den Aufschluß meines Begleiters beifügen.

Freilich der geradeste und beste Entschluß! Doch bat Michael mit Thränen, seiner zu schonen, um im Orden nichts durch diese Jugendsünde (wer ist ohne dergleichen?) einzubüßen. Ja, sagte der Ritter, hielt Wort, und hatte, wie es bei strenger Wahrheit immer der Fall ist, wenig oder gar keine Mühe, Wort zu halten. Der violette Mann erleichterte ihm seine Bürde durch die zuvorkommende Bemerkung, daß der Thürvorfall doch immer noch unerklärbar bliebe. Der Ritter verschwieg die schlechte Beschaffenheit des Schlosses nicht, und es war nicht seine Schuld, daß der Apostel sich über dergleichen Erläuterungen wegsetzte. Mit Dank ward das Protokoll, und, wie der Ritter nicht anders weiß, ohne die Erklärung vom Honiggeschmacke der Pflaumen beizufügen, ad Acta genommen, und dem Ritter betheuert: es würde ihn nie gereuen, die Apostelbahn eingeschlagen zu seyn.[243]

Nach einigen überstandenen Dämmerungen wurden dem Ritter verschiedene dergleichen gerichtliche Protokolle vorgelegt, um ihn zu überzeugen, daß nicht nur im, sondern auch außer dem Orden an unerklärlichen Dingen kein Mangel wäre. Freilich! – So brauchen die Kirchengeistlichen die natürliche Religion, und die positiven Rechtsgelehrten das Naturrecht, um etwas zu bestärken, das, ihrer eigenen Behauptung nach, keine Bestärkung nöthig hat. Körper, wenn sie gleich einer ursprünglichen Elektricität fähig sind, erhalten, wenn sie durch Mittheilung elektrisirt werden, eine größere Elektricität, sagte der violette Mann.

Mit Fleiß bin ich bei diesem unbeträchtlichen Vorfalle so weitläufig. – Nur wenig Erscheinungsvorfälle haben das Glück, wie der gegenwärtige, gerichtlich beleuchtet zu werden. Die meisten erschleichen den Zeitpunkt, wenn man sich ihrer nicht ganz bewußt und halb im Traum ist. Und doch, wenn gleich die Interessenten sich durch die öfteren Wiederholungen der Erscheinungsgeschichten zuletzt so sehr in die Unfehlbarkeit derselben hinein erzählt haben, daß sie sie zu beschwören nicht ungeneigt scheinen; wer hat nicht Vorfälle erlebt, wo der Erzähler, wenn man ihn bei dem Worte halten wollte, zu schwanken anfing? Selbst unbedenkliche Jaherren, sie mögen es aus Gemächlichkeit, oder aus Eingeschränktheit des Kopfes und Herzens seyn, fahren zusammen und nehmen Anstand ehe sie öffentlich beschwören, was sie tausendmal im gemeinen Leben betheuerten. – Protokolle haben sich in unsern letzten betrübten Zeiten zur höchsten Probe der historischen Gewißheit in Ruf geschwungen; und bleibt es nicht unrecht, daß, der vielen Registraturen ungeachtet, welche die Wunder am Grabe des Abts Paris bekundeten, der gottesvergessene Polizeilieutenant Herault den Kirchhof schließen ließ, und de par le Roi dem lieben Gott verbot, hier Wunder zu thun? Ist es schicklich, daß man den notarialischen Instrumenten über die Gaßnerschen Wunder die Exception der[244] Unglaublichkeit entgegensetzt? Wie aber? gibt es nicht noch eine leichtere Wunderprobe, ohne daß ein Protokollist sich in Schweiß des Angesichts setzen darf? – Laßt den Erzähler schriftlich abfassen, was ihm mündlich so geläufig war. Probatum est. – Der gegenwärtige Vorfall blieb übrigens nach der Entscheidung des violetten Mannes unerforschlich. – Freilich! weil die Thüre nicht zum Protokoll vernommen werden kann. Freund, sagte dieser violette Mann, die Verbindung der Menschen mit höhern Geistern ist


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 239-245.
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