§. 151.


Wunder

[249] des Apostelgrades? .... Ist es Ernst? Hat diese Geschichte nicht schon zu viele Kreuz- und Querzüge? Zwar unterscheiden sich diese Apostelwunder durch eine äußere Einfachheit und innere Wirkung von den übrigen. Heißt dieß aber nicht mit andern Worten: diese größern Wunder lassen sich leichter auflösen, als die kleinern? So wie die kleinen Propheten gemeinhin mehr Achtung verdienen, als die großen.

Der animalische Magnetismus und die Kunst zu magnetisiren und zu desorganisiren war hier eine der niedern Stufen, indem man es für keine große Ehre halten konnte, daß ein desorganisirtes schönes Mädchen im Somnambulismus klüger war, als eine hochlöbliche[249] Manipulirgesellschaft und die höchsten Magnetisten und Desorganiseure.

Man gab überhaupt vor, von der magnetischen Kraft nähere Aufschlüsse zu besitzen. So gern ich diese Aufschlüsse besäße, so wenig weiß ich mir sie und die Materie zu erklären, die in elektrischen Erscheinungen Wunder thut an uns und allen Enden, ohne daß man den Apostelgrad der Natur zu erschleichen im Stande ist.

Die eigentliche Wunderstärke der Apostel war, alte Leute zu verjüngen, über unbekannte Kräfte zu befehlen, Todte zu erwecken und auf die Geisterwelt zu wirken.

Die geheime Geschichte einiger Apostel älterer Zeit, z.B. Apollonius von Tyana, Plotin, Origines, Jamblichius, Hypatia, Johannes Brunus, Theophrastus Paracelsus, sonst Bombast von Hohenheim, Robert Fludd, Jakob Böhme, Peter Poiret, Heinrich Morus, war stockfinster verhängt.

Bruchstücke aus einigen Dämmerungen neuerer Zeit, zu denen der Ritter nichts beigetragen hat, der überhaupt an den eigentlichsten Kern-und Sternnachrichten so unschuldig wie die Sonne am Himmel ist.

Gaßner? Nie aufgenommen, ein guter Empirikus.

St. Germain? Gehörte zum Grabesorden. – Sein Name steht nicht in unsern Büchern des Lebens. Er war nicht unächt. Gott hab' ihn selig! Seine Behauptung, auf der Hochzeit zu Cana in Galiläa eine Menuet getanzt zu haben, ist stark. Er gab vor, auf seinem Todtbette verjüngt zu werden; doch starb der arme Grabesritter wie jedermann, und wird, wie wir nach der Liebe hoffen, auch wie jedermann verjüngt werden, in einer bessern Welt – um mit dem Atheisten Price zu reden, der, seiner bekannten Atheisterei unbeschadet, sein Testament, das er vor dem Kirschlorbeertrank machte, anhob: Da ich vermuthlich bald an [250] einem bessern Orte seyn werde. – Der Stümper! Wie wenig Zusammenhang in Price's Kenntnissen war, setzen folgende Umstände außer Zweifel.

Er war ein Atheist, und verlangte Glauben.

Er versprach, des Unglaubens halber seinen angeblichen Versuch zu wiederholen. Das thut kein Meister, wohl wissend, daß sich schon Gläubige finden werden. Der Unglaube in Hinsicht des ersten Versuches thut nichts. Ist es nicht heute, so morgen; ist es nicht vor, so doch nach dem Tode!

Schröpfer? Nicht von den Unsrigen. Dieß beweist der Pistolenschuß, wodurch er sich in die Geisterwelt recipirte. Doch scheint er dem Apostelorden etwas entwendet zu haben; aber was und wie!

Swedenborg? An ihn wird in unsern heiligen Zünften und Innungen so wenig, wie im gemeinen Leben an den Tod eines Hektikus gedacht. Es war ein Ganskulot, ein Marseiller in unserer geheiligten Kunst. – Ein ächter Jünger ist kein Schriftsteller. – Das Orakel spricht kurz; – gegen den änigmatischen Styl ist der lapidarische ein Pastor Gamaliel. Leidenschaften lassen sich nicht durch Dialektik in Ordnung bringen; Grundsätze sind ihre Meister. Und wie? Muß ein Hierophant sich nicht vom Fackelträger unterscheiden? der Papst nicht vom Küster? Sokrates erwiederte dem König Archelaus, der ihn zum Hofphilosophen machen wollte: er sey nicht im Stande, Gleiches mit Gleichem zu vergelten; und sicher ist Sokrates nie in größerer Verlegenheit gewesen, außer an dem Tage, da er vom Orakel für den Allerweisesten erklärt ward. – Maître André Peruquier in Paris mag aus dem Lissaboner Erdbeben eine lustige Tragödie machen. – Ueber die andere Welt lassen sich nicht lustige Trauerspiele in Folio schreiben!

Graham? Ein College des Hans Nord, ein Schwarzkünstler[251] von Hause aus. »Nach neun Monden wirst du mehr erfahren,« heißt in unserer Ordenssprache: »nach neun Monden wirst du sterben.« Bei Graham wirst du nach neun Monden respektive in die Wochen kommen oder Vater werden. Sein himmlisches Bett ist das sinnlichste, das man kennen kann. Je mehr Sinne beim Genuß angespannt werden, desto mehr verlieren die obern Seelenkräfte. Niemand kann zweien Herren dienen, und aktiver Bürger der Sinne und der Geisterwelt seyn, Gott und dem Mammon anhangen. – Wenn das Fleisch gewinnt, verliert der Geist.

Cagliostro? – – – – – – – und neunmal neun andere seines Gelichters! Alle nicht werth, unsern Aposteln die Schuhriemen zu lösen, die viel, sehr viel durch den Glauben ausrichteten. Du bist gesund, sagten sie, und der Kranke glaubte; das heißt: er ward es. Von der moralischen zur sinnlichen Ueberzeugung ist es nur über Feld. Individuelle Beziehungen machen oft zu Witz und Rührung, was andere nicht dafür erkennen. So zeigen sich auch Richtsteige zu Seele und Leib, die man durchaus aus dem einzelnen Falle lernen muß. Nie ließen sich unsere Apostel wie – – r auf sichtbare Schäden ein, die sie, als ihnen zu klein, den Wundärzten anheim stellten: vielmehr kurirten sie innerliche Schäden durch Glauben, durch Schrecken, durch Freude, durch Ueberfall, durch Schmerzableiter, durch Richtung auf einen Punkt außerhalb der Krankheit, durch eine Art von Wortzutrauen (Logolatrie, Wortabgötterei), und wenn es hoch kam, durch Luft und Wasser. – Das Luftbad, dessen sich Benjamin Franklin bediente, war hier sehr excolirt. – Durch weisen Genuß, selbst in Krankheiten, ist unendlich mehr, als durch strenge Enthaltsamkeit ausgerichtet. Enthaltsamkeit tödtet gemeinhin; weiser Genuß begeistert – macht fast Todte lebendig. – Es ist ein heimlich wirkendes Gift, drei Tage fasten und beten und den vierten in Anfechtung der Völlerei fallen. – Wir zittern vor jedem Glück und haben[252] keine unangenehme Vorempfindung beim nahen Unglück! – Dieß und das, Abhärtungen, Ahnungen, Träume, Vorurtheile, Gebet, Gesang, Lectüre und, sollte man es denken! reine Vernunft, wohl angebracht, waren hier Arzneien, die man cum grano salis vortheilhaft benutzte. – Die Methode, den Kranken aus seiner politischen Lage zu setzen und ihn nach Umständen zu erniedrigen und zu erhöhen (in seiner Vorstellung) thut Wunder. Ich habe einen Kranken gesehen, der ohne Hoffnung lag. – Einen Kranken? Nein! es war ein Sterbender. Er genas. Und that der Menschen- Kauf- und Handelsmann nicht dasselbe, ohne Apostel zu seyn?

Daß ein kaltblütiger Mensch eher als eine geängstete Wittwe, die vom Gläubiger und vom Richter geplagt wird, eine Quittung findet, liegt in der Natur der Sache.

Es gibt schon Physiognomien, die alles herausfragen können (fast möcht' ich herausblicken sagen), was sie wollen. Ein Blick aus ihrem Auge macht, daß die Wangen des schamlosesten Bösewichts hochroth anlaufen, und den Troß und Auswurf der Menschen wissen sie, wo nicht zu erziehen, so doch von Ausschweifungen abzuhalten. Die Morgenstunde hat zur Menschenkenntniß Gold im Munde und hilft selbst die unzulänglichen Großen der Erde von Angesicht zu Angesicht, von Auge zu Auge, von Zahn zu Zahn, von Zunge zu Zunge, und fast von Seele zu Seele kennen zu lernen. Man wasche ihnen die Füße, damit man die Erlaubniß erhalte, ihnen den Kopf zu waschen. – Der Diener hat immer das erste und beste Stück aus der Schüssel; nur mit dem Unterschiede daß er es verstohlen und geschwind, der Herr dagegen langsam und sicher nimmt. Gab es nicht einen denkwürdigen Staat, wo man die feurigsten Liebeserweisungen stehlen mußte?

Wenn die Vernunft dem Genie unterliegt, wird es ein Dichter, wenn das Genie von der Vernunft bemeistert wird, wird es ein[253] Philosoph; wenn Genie und Vernunft gleich stark bleiben, ist es – man helfe mir auf einen Namen! – mehr oder weniger als Prophet? Die Zukunft scheint vor dergleichen Menschen einen Vorhang nach dem andern aufzuziehen. – Es sind die glücklichsten Seelenspieler, wenn ich so frei seyn darf. Freund Plato war erst Dichter (und wer war es nicht, der etwas Großes in der Welt vorstellte? Dichtete nicht auch Sokrates unter der Hand?), dann Philosoph und Mathematiker. Ob er von den Zahlen sein mürrisches Wesen und seine Anlage zum Neide her hatte, weiß Gott. – Die Zahlen sind böse Gesellen – wenn sie nicht pythagoreisch und geistig gerichtet sind.

Auch gibt es geborne Räthsellöser; Menschen, die aus zwei gegebenen Umständen den dritten sogleich finden. Ich lernte (heißt es in meinen Nachrichten) einen Mann kennen, der den Dieb der – – – im ersten Augenblick entdeckte. Niemand weiß, was Gott ist, als der Geist, der in ihm ist. Gott ist unerforschlich; Geister sind, je nachdem sie Gestalten anziehen, schwer oder leicht zu ergründen. Der Geist des Menschen dagegen, der die Mode seines Anzuges vom Anfang seiner Existenz bis auf den heutigen Tag nicht verändert hat, ist aufs Haar zu treffen. – Kein Gedanke ist ohne Einfluß auf den Körper, ohne äußeren Ausdruck. Siehe! und du wirst den seelenlosen Ruhigen vom Ruhigen aus Grundsätzen leicht unterscheiden. Bemerkst du nicht die Gedankenfiröme auf dem Gesichte des Denkers? Das Gesicht ist eine Seelenkarte. – Mache die Thore weit und die Thüre hoch für den, den Gott so gezeichnet hat! – Zwischen sehen und schauen – welch ein Unterschied! – Wer etwas doppelt sieht, hat schlechte Augen. – Was diesem erscheint, schwebt jenem nur vor Augen. – Kunstliebhaber sehen und urtheilen oft richtiger, als die strengen Herren Kunstverwandten.

Einst (ungern erzähl' ich die Geschichte), einst wurden unser[254] Held und sein Knappe zu einem Sterbelager geführt. Der Abscheidende sprach wie der sterbende Sokrates. – Man bat ihn, sich noch der vorgeschriebenen Ordensmittel zu bedienen. Meine Stunde ist kommen, erwiederte unser Sokrates; Ihr wißt selbst, daß Ihr Nachrichten nöthig habt, die Euch seit sechs Wochen ausgeblieben sind. Ohne Zweifel ist der selige – – degradirt, der sie Euch schuldig blieb, und es ist gut, daß ich hingehe: denn so ich nicht hinginge – Seine starrende Zunge gebot ihm Anstand. Er erholte sich. – Nicht der Tod, sagte er, ein Lichtstrom der künftigen Welt verdunkelt mein Auge. – Er schwor mit sterbenden Lippen, neun Tage nach seinem Tode zu erscheinen. Ich komme, ich komme, ich komme! – waren seine letzten Worte. Gehe in Frieden! – sagten alle, die um sein Lager standen. – Er starb, ward begraben – und erschien am neunten Tage nach seinem Begräbniß in der nämlichen Figur, die ich im Bette sah, nur verklärt. – Ob er wirklich todt gewesen, ob er selbst der Todte gewesen, den ich im Sterben besuchte, eben der, dem ich mit zum Grabe folgte (eigene Worte des Ritters), weiß ich nicht – Bei seiner Erscheinung wehte er uns Dinge zu (er sprach nicht, und ich gäbe was drum, die Art seines Ausdrucks zu bezeichnen), die mir schrecklich waren. Mir! Es waren Familiengeheimnisse von meinem Vater, die außer unserm Hause niemand so leicht wissen konnte. Der Schatten (wenn ich eine erhabene Figur, die langsam bis auf etwa neun Schritte – sich mir näherte, so nennen darf) befragte mich, ob ich meinen Vater sprechen wollte. Er ist in Eldorado, erwiederte ich. Ich werde zu ihm kommen, wenn es Zeit ist! – Das Besonderste! Der Schatten beschwor mich, meine Mutter zur zweiten Ehe zu bewegen, und gelobte mir, daß ich Sophien besitzen würde.

Kein Wunder, daß ich weniger untersuchte als vernahm! Sophiens Name, der bei dieser Erscheinung, ich weiß nicht ob wohlbedächtig oder von ungefähr, gleich in den ersten Minuten vorfiel, machte,[255] daß ich mit Leib und Seele nur hörte. Nur? Daß doch keine Erscheinung ohne ein Nur ist! – Ehe man mir die Erlaubniß ertheilte, dieser Erscheinung beizuwohnen, ward vermittelst einer den heiligen Johannes vorstellenden Figur mit unbekannten Obern korrespondirt. Die Briefe wurden unter Gesang in diese Figur hineingelegt. – Nach drei Stunden erfolgte Antwort. – Ich veranlaßte drei Fragen und drei Antworten. Die letzte, welche dieser heilige Dreifuß ertheilte, war Ja. – Während der neun Stunden, die ich, mit zwei andern Gliedern des Apostelgrades, in Gesellschaft des heiligen Johannes zubrachte, wechselten Gesang, Gebet und frommes Gespräch. – Ein Paar


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 249-256.
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