152. Nachträge

§. 152.


Nachträge

[256] werden das Nur des Ritters – heben? oder verstärken?


Erster Nachtrag.


Nur der Verstand kann, nach Plato, erkennen, die Sinneserkenntniß ist ungewiß und trüglich; und kommen Leidenschaften, die Bluts- und Gemüthsfreunde der Sinne, dazu: – so gibt es Interpolationen und Verstümmelungen, wozu endlich die Sprache kommt, die völlig jedes Faktum verdreht. Ich habe einen edlen Stammler gekannt, der, um nicht zu stammeln, geradesweges die Unwahrheit sagte. Warum? Das Wort der Wahrheit war ihm zu schwer auszusprechen.

Einer der Apostel, der außer dem Engländer an mir hing, lehrte mich, daß die Chiffern unter der Würde des Apostel-Ordens wären, obgleich die andern Orden den Kabinetten in dieser Kunst Trotz bieten. Chiffern beweisen Schwäche, fing er an; wir schreiben wie gewöhnlich, ohne daß wir wie gewöhnlich verstanden werden[256] können, wenn wir wollen. – Je offener wir scheinen, desto versteckter sind wir. – Schon ist es Klugheitsregel, mit der strengsten Interpunktion zu schreiben, wenn von gleichgültigen Dingen die Rede ist; dagegen ohne Strich und Punkt, wenn wichtige Dinge im Werke sind. Der Orden mag geben oder verlangen, alles mündlich. Nichts Schwarz auf Weiß. – Wofür halten wir geistliche und leibliche Schnellboten im Himmel und auf Erden? Dagegen sucht der Orden so viel Schwarz auf Weiß von andern zu erhalten, als möglich. Jedes beschriebene Blatt, mein Bruder, ist, je nachdem man will, ein Dokument für und gegen den Schreiber; so wie jedes Dogma theologisch geschwefelt, juristisch distinguirt, medicinisch versüßt und philosophisch versalzt werden kann.


Zweiter Nachtrag.


Was ist von zehn Recepten, um Geister zu sehen, zu halten? Im Kupferstich, in Wolken, im Ueberwurf, im Traum u.s.w.


Dritter Nachtrag.


Und von drei Recepten, um Seelen lebendiger Menschen an sich zu ziehen? Eine fürchterliche Art von Erscheinung! – Durch das Recht der Stärke, wodurch der starke Geist den schwächern an sich zieht, wie ein Planet seinen Trabanten, ist es keine Kunst!


Vierter Nachtrag.


Eine Rubrik mit einem großen NB.

Kunst des Gedächtnisses des Simonides.

Großes Himmelsjahr des Plato.

Experimente mit der Wünschelruthe und Auflösung dieses Naturräthsels.


[257] Fünfter Nachtrag.


Am leichtesten ist den Menschen anzukommen, wenn sie krank sind. Die vornehmere Klasse fängt in der Regel zu zeitig an zu leben, und das, was sie noch von Früchten zeigt, kommt aus Treibhäusern. Es sitzt den Hohen der Erde immer wo: im Kopf, im Magen, in den Nieren, im Gewissen, in den Beinen. – Auch arbeiten diese Hohen an ihren Eßtischen mehr als an ihren Sessionstischen; sie geben ihr Lebenskapital auf Leibrenten aus und ziehen beim Verlust der Fonds höhere Zinsen.


Sechster Nachtrag.


Du bebst schon zurück vor dem Worte Vergiftung? Was sagst du von X.? – Er haßte Z –, ich weiß nicht warum; er hielt ihn für seinen Feind, frage nicht nach der Ursache. Kurz, Feind Z. sollte das Weite suchen; so nannte X. den Tod. Er vergiftete Z.; und wie? Mit Wohlthaten! Wie weit gütiger und menschlicher wäre aqua tofana gewesen! X. bat Z. zu den gewürzten Mahlen, kam ihm mit Höflichkeit zuvor, und gewöhnte seine Zungenspitze zu einer Verfeinerung, die ihm entweder den Bettelstab des Vermögens oder der Gesundheit bringen mußte. Ein verwöhnter Mensch ist der unglücklichste auf Gottes Erdboden; er ist unzufrieden und mürrisch mit diesem Leben, und doch verläßt er es ungern, Z. zog sein Gift mit Wohlgefallen ein; und es dauerte nicht lange, daß er alle Ungemächlichkeiten des so wohlschmeckenden Gifts empfand, welches ihn so langsam und so ungern sterben ließ, daß X. selbst sich nicht entbrechen konnte, ihm eine Art von Mitleiden zu widmen. Wahrlich, eine süße Rache! Was denkst du von dieser Ordensvergiftung? Ist sie minder schrecklich, als jemanden bei der Sündenthat zu ermorden oder ihn zum Freigeist zu machen, damit er ewig verdammt werde? Weit natürlicher,[258] faßlicher und gewisser ist das Ordensgift, wobei die Stadt obenein X. segnete, weil er seinem Feinde so wohl that!


Siebenter Nachtrag


oder Beischrift mit rother Tinte: Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.

Ob diese Beischrift mit rother Tinte dem ganzen Apostelgrad, oder nur den Auswüchsen desselben galt, ist nicht bemerkt. Es war gewiß eine nicht kleine


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 256-259.
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