§. 153.


Selbstüberwindung

[259] und Entsinnlichung unseres Ritters, daß er den Aposteln seinen Wunsch, Sophien zu sehen, nicht zeitiger in Erinnerung brachte, besonders da einer von den Todten sie ihm verheißen hatte. Ich halte dieß für ein eben so großes Wunder, als es alle die sind, die im Apostelgrade vorkommen. Jetzt war seine Sehnsucht nicht etwa zur Leidenschaft, sondern zu einer der ausgelassensten geworden. Der Engländer hatte, von dem Augenblick der Vorbereitung an, dem Ritter so das Herz abgewonnen, daß er an ihm zu hangen schien; und eben dieser Engländer war es auch, an welchen er sich wendete, um nicht bloß den Stein der Weisen, sondern die Weisheit selbst zu finden. Mein Sohn und mein Bruder, sagte der Engländer, ich liebe dich von Herzen; und nur eine Person gibt es in der Welt, die ich mehr liebe als dich. Rathe, wer es ist! Nimmermehr wäre der Ritter auf seine Mutter gefallen. – Der Engländer hatte sie schon im Hause ihres Vaters kennen gelernt. – Ich war, sagte er, damals von wegen meines Onkels in Handlungsgeschäften in – –, wo ich sieben Jahre zubrachte. – Ost sah ich deine Mutter, und ich betheure dir bei allem, was[259] heilig ist: nie hab' ich ein weibliches Geschöpf gesehen und gekannt, das deiner Mutter auch nur in einem einzigen Zuge gleich käme. – In dir, lieber Sohn und Bruder, find' ich deine Mutter wieder. Schon lang gehe ich mit dem Gedanken um, einen wechselseitigen Vertrag mit dir aufzurichten. Kurz, du sollst Sophien sehen; hilf mir zu Sophien. – Der Ritter verstand mehr, als er verstehen wollte; indeß forschte er, um gewiß zu seyn, nach dem Sinne dieser Rede, und da war es denn, wie er dachte. Der Sohn sollte der Freiwerber des Engländers bei seiner Mutter seyn, und unter dieser Bedingung der Ritter Sophien nicht länger suchen dürfen. Umsonst wendete der Ritter ein, daß er Sohn sey, daß er seiner Mutter nicht vorschreiben könne, daß er wisse, wie zärtlich und über alles sie seinen Vater geliebt habe, daß sie von jeher zu geistig gesinnet gewesen, um bei ihrer edlen Liebe bloß auf das Sichtbare zu sehen. »Ich weiß,« setzte der Ritter hinzu, »ihr Geist hängt an dem Geiste meines Vaters. Der Schwung ihrer Seele ist nicht von gemeiner Art, und es herrschte in Rosenthal eine Liebe, die zum größten Theil platonisch war, geheiliget durch ritterliche Gesinnungen der Vorzeit. – Wahrlich! meine Mutter war in eben dem Grade Ritterin, wie mein Vater Ritter. – Du glaubst vielleicht, ich schwärme, allein du irrest; die strengste Wahrheit kann nicht treuer seyn.« Der Engländer, entfernt, das was er höre, für Schwärmerei zu halten, versicherte, bekannter in Rosenthal zu seyn, als der Ritter glaubte; und eben diese Denkart deiner Mutter, setzte er hinzu, heiliget meine Liebe zur Engelerhabenheit, zur Göttlichkeit. – Sophie ist deine Mutter; doch ist ihre Seele in der jugendlichsten Schönheit. Der Sinnenwelt müde, die mich lange genug hinterging, werde ich nicht von der Sinnenwelt gereizt. – In Wahrheit, ich weiß nicht, ob ich als Jüngling oder jetzt deine Mutter inbrünstiger liebte. – Mein Onkel verlangte von mir eine schnelle Zurückkunft nach England. – Ich kannte ihn und mußte[260] eilen, daß ich seine Gunst und die Aussicht, der Erbe seines großen Vermögens zu werden, nicht verlöre. Ich reisete nicht, ich flog nach England, um in kurzer Zeit nicht zurück zu reisen, sondern zurück zu stiegen. Schon war mein Onkel, der bei aller seiner Härte ein gütiger, menschlicher Mann war, durch mein unablässiges Bitten dahin gebracht, daß er in die Heirath mit deiner Mutter willigte; allein stehe! in dieser Zwischenzeit ward sie die Gemahlin deines Vaters, und durch ihn deine Mutter. Von dem Augenblick dieser Nachricht an hörte ich auf, der zu seyn, der ich bis dahin war. Von Stunde an fröhnte ich der Sinnlichkeit. Ich schlug eine Partie aus, die mein Onkel mir aufdrang, und er enterbte mich. Wahrlich, deine Mutter hat mich glücklich und unglücklich gemacht; sie allein lenkte die Schicksale meines Lebens, und selbst (dir sey es anvertraut) bei sinnlichen Ausschweifungen war sie das Bild, das ich anbetete; nicht den feilen Gegenstand, sondern nur sie liebte ich; ihr Andenken war es, das mich bei recht großen Anerbietungen verpflichtete, allen ehelichen Verbindungen zu entsagen, und wenn nicht meinen Körper, so doch meinen Geist ihr zu weihen. Die Verlegenheit, in die mich die Enterbung meines Onkels setzte, zwang mich, mein Vaterland zu verlassen, und in Indien Geschäfte nicht zu unternehmen, sondern zu wagen. Alles gelang, und allemal übertraf der Erfolg bei weitem das Ziel, das sich meine Erwartung gesteckt hatte. Alles, was ich versuchte, war unter dem Panier deiner Mutter; ihr Bild ging mir überall vor, ich mochte beginnen, was ich wollte. Mit Reichthümern, die für einen Privatmann ungewöhnlich sind, kam ich zurück in mein Vaterland, und zog die genauesten Nachrichten von deiner Mutter ein. Dein Vater lebte noch; doch wollt' es ein Traum, daß ich hierher käme, um wenigstens die Luft eines Landes mit deiner Mutter einzuziehen. Meine Gesundheit hatte durch meine Ausschweifungen und Arbeiten, in die mein Leben sich getheilt hatte,[261] gelitten; und ein Gesicht machte aus einem schnaubenden Saulus einen Apostel. In England ist die Maurerei ohne Kraft und Nachdruck; ich fand in ihr nicht den mindesten Reiz. Ich ward Quäker, Methodist, und alles, was excentrisch macht und dazu beitragen konnte den Geist dem Fleische zu entreißen. Du bist Mitglied vieler Orden geworden; ich zähle deren mehr. Du hast, so jung du bist, manches in diesen Verhältnissen erfahren; glaube mir, meine Erfahrungen übertreffen die deinigen! Und wenn ich gleich nur selten fand was ich suchte, so war doch meine Bemühung nicht überall vergeblich. Ich darf hoffen, in meinen Ideen, daß der Mensch sich entkörpern könne, weiter gekommen zu seyn. Nimm, mein Sohn, von mir ein Geheimniß, das eines Apostels würdig ist. Der Mann allein kann weder im Fleisch noch im Geist etwas bewirken; in Gemeinschaft mit einer Männin vermag er mehr, vermag er viel, vermag er alles. – Weißt du jetzt, was ich bei der Ehe mit deiner Mutter beabsichtige? Die altplatonische Liebe bestand in einer geistigen Liebe, die ein Mittel zur Seelabbildung war. Hier bedurfte es nicht eines Männleins und eines Fräuleins; zwei und mehr Männlein waren im Stande, unter einander eine platonische Liebe zu stiften (zwei und mehr Fräulein können sich nicht füglich unter einander platonisch lieben). Der Neoplatonismus ließ sich vielleicht aus Scheinheiligleit auf das Liebeskailtel nicht ein; wogegen das neueste platonische Testament jenes Liebessystem verbesserte, und jene geistige Liebe nur zwischen Männlein und Fräulein nachgab, die nicht Hand in Hand, sondern Seele in Seele, Geist in Geist sich zu Gott erheben. – Gott ist die Liebe!

Der Ritter, durch die Neuheit dieses Vortrages hingerissen, belaß jedoch noch so viel Besinnung, dem Vater und Bruder den Einwand entgegen zu setzen, daß bei diesen Umständen eine eheliche Verbindung mit seiner Mutter zur Sache wenig oder nichts bei[262] tragen könne; allein der Engländer behauptete: die von der Natur eingesetzte und von der Gottheit geheiligte eheliche Verbindung sey durchaus nöthig, um aus Mann und Männin nur einen vollständigen Geist, ein Ganzes zu machen, und durch dieses Ganze in der Geisterwelt mehr Progressen, als in der körperlichen zu bewirken. Da diese sonderbare Unterredung zugleich den Fall zwischen dem Ritter und Sophien, wiewohl mit einem kleinen fleischlichen Zusätze entschied, so mochte der Ritter wohl oder übel wollen, er mußte der Sache näher treten. Beide vereinigten sich dahin, daß der Ritter der Verbindung des Engländers mit seiner Mutter nichts in den Weg legen, vielmehr dieselbe sogleich schriftlich, und in Zukunft mündlich, bitten würde, dem Engländer ihre Hand zu geben, und durch die äußeren Zeichen der Ehe eine platonische Liebe des neuesten Testaments zu veranstalten. Als der Ritter dieses Versprechen auf eine feierliche Art abgelegt hatte, erhielt er eine gleich feierliche Gegenversicherung, Sophien in wenigen Tagen zu sehen.

Der Ritter war zu voll, als daß er in der ersten Hitze an Michaeln hätte denken sollen. Nachdem er sich zu Hause mehr gefaßt, und den Begleiter von dem was vorgegangen war, unterrichtet hatte, ließ dieser nicht nach, und der Ritter mußte ein Postscript der Verheißung bewirken, damit auch Michael zum Ziel seiner Wünsche gelangen möchte, wobei Michael bei allem Respekt für den Geist sich wohlbedächtig auch das Fleisch nicht nehmen lassen wollte, – welches, wie ihm Gamaliel zu seinem nicht kleinen Troste zugesichert hatte, selbst im Grabe nicht bleiben, sondern, wiewohl geläutert, zum Vorschein kommen oder auferstehen wird. – Die Punkte der Zusammenkunft zwischen Ritter und Sophien, Begleiter und Begleiterin, wurden näher verabredet. Nie in seinem Leben waren zwei Menschen so gespannt, wie Ritter und Michael, und wäre das bewilligte


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 259-263.
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