§. 165.


Johannes

[279] kam, welchen der Ritter fest an sein Herz und, nach seiner platonischen Sprache, an seine Seele drückte. Nach dem Engländer Judas mußt' ihm dieser Apostel freilich höchst willkommen seyn. Fürs erste suchte Johannes seinen Freund mit der Welt auszugleichen. Ein Engel, sagte der Ritter, ist mir erschienen, und wie könnt' er anstehen, ihm die letzte Falte der Seele zu entwickeln? Johannes, ein Feind alles Ubernatürlichen, wovon der Ritter so oft sich überzeugt hatte, erschien als Wunder in den ritterlichen Augen, weil ein so natürlicher Johannes von allen seinen Ordensschritten fast pünktlich unterrichtet war. Wie erschrak der Ritter über die natürlichen Deutungen so vieler Vorfälle, die er bis jetzt für Wunder gehalten hatte! Freund, sagte der Ritter, was ist Ihnen für eine[279] seltene Wundergabe eigen, alles zu entwundern und das Maschinenwerk der magischen Oper aufzuziehen! – Johannes schonte den Ritter nicht, dessen vortheilhafte Stimmung er zu seiner Absicht benutzte. Es glückte ihm, seinem Freunde die Augen zu öffnen. Man darf nicht die Hälfte vom Kopf und Herzen unseres Johannes besitzen, um so manchen Greuel an heiliger Stätte zu erklären, wenn man den Umstand voraussetzt, daß auch der entschiedenste Philosoph der Glaubensversuchung unterliegen müsse, so bald nur zwei Menschen, von denen er nicht weiß und vermuthet, daß sie es auf ihn angelegt haben, ihn methodisch hintergehen. Sind mehr als zwei Menschen dieser Art vereinigt, sind in diesem Bunde Postbediente, Hauswirthe, Domestiken – halt, sagte der Ritter, von meinen Domestiken könnt' ich nicht hintergangen werden. Michael ist mein Begleiter, und der Reitknecht so ehrlich, daß, als man Michael zur Vorbereitungsprobe an Hals und Hand kommen wollte, er sich seiner mit unglaublicher Redlichkeit annahm, obgleich Michael so ungütig war, nicht sein Vetter seyn zu wollen. Johannes lachte, und in kurzer Zeit war der Reitknecht zum Erstaunen des Ritters überführt, der geheime Postillon der Briefe gewesen zu seyn, welche der Ritter auf eine unerklärliche Weise an Orten gefunden hatte, zu denen niemand als er selbst zu kommen im Stande war. Der Reitknecht war klug genug, die Wundersprache einzuschlagen und wohlbedächtig vorzugeben, daß ihn der arge böse Feind zu dieser Untreue verleitet hätte. Da indeß in Geschäften keine Wunder gelten, und wenn ein Apostel mit dem andern über Mein und Dein schaltet und waltet, eine Erscheinung, und wär' es eine Theophanie, keinen Rechtsgrund abzugeben sich anmaßen kann, so sah der Reitknecht wohl ein, daß zwischen Ordens- und gemeinem Leben ein himmelweiter Unterschied sey, so folgerungsrecht es auch immer seyn möchte. Kniend übergab er seinem Herrn die Nachschlüssel. Mit Gottes Hülfe, fügte er hinzu, wird der Teufel meine Verführer[280] schon holen! – Es war erbaulich, daß Johannes Unbegreiflichkeiten theils augenscheinlich, theils wahrscheinlich begreiflich machte, und Dinge lösete, die dem Ritter bis jetzt unauflöslich geschienen hätten. Wenn wir nichts mehr zu antworten wissen, sind wir dadurch schon zur Meinung des Gegners übergetreten? Ist es genug, daß die Knoten verschoben und verrückt werden? Muß man sie nicht lösen? – – – – Zum Synkretismus hat, seines Wissens, der Ritter nie Neigung gezeigt, nach welchem man mit seinen Feinden Frieden macht, um einen gemeinschaftlichen Feind desto nachdrücklicher anzugreifen. So schwer es unserem Johannes ward, Menschen in ihrer Blöße zu zeigen, so könnt' er es doch da nicht unterlassen, wo nur durch die Entzauberung dieser Ordensmeister die Vorgänge selbst entzaubert werden konnten. Bon Reden kommt Reden, von Thun kommt Thun. Doch bewies Johannes so viel Menschenschonung, daß der Ritter auf keinen einzigen unwillig ward. – In der That, es gehörte viel auf seine Nothtaufe, so wacker er auch scheint und so sehr er es auch in den meisten Fällen war und noch ist. Fing er nicht mit der Türkengeschichte an? Wollte er nicht Wappenkaiser werden? Ward er nicht durch die zehn Haupt- und so viele Nebenverfolgungen zum Ordensgeiste vorbereitet? Hatte er nicht verheißen, das Rosenthalsche Jerusalem zu ehren sein Lebenlang? Ward er nicht zur Maurerei berufen, erleuchtet und geheiligt? Und braucht nicht auch der persönliche Adel Sporen? Wenn man das Kreuz unter der Weste trägt, hört es darum auf, ein Kreuz zu seyn? – Auch lernte unser Held einsehen, daß der Apostel Engländer von andern Aposteln kollegialisch hintergangen war, und daß selbst Hintergeher ihres Betruges zuletzt so gewohnt würden, daß sie selbst nicht glaubten, sie betrögen, indem sie sich überredeten, ihre gute Absicht verbessere die Mittel, und Täuschungen könnten durch das Bewußtseyn eines redlichen Zwecks geheiligt werden. – Ist es nicht verzeihlich,[281] die Hieroglyphen: Gott, Geist, Seele, Mensch, Zeit, Ewigkeit u.s.w. erklären, und da noch leiblich sehen zu wollen, wo den Menschen nur der moralische Glaube zugemessen ist?

Die Bibel, ein Buch, das wir von Jugend an heilig zu halten gewohnt sind, dient zum Vorschub dieser Anstalten; – und sind Menschen auf den Weg des Wunderbaren geleitet, können nicht sehr leicht mit fünf Gerstenbroden und ein wenig Fischlein vier tausend Menschen gespeist werden? Anspielungen auf patriarchalisches Leben, Liebesmahle, und die kreuzbrave Idee der alten Ritterschaft wirken auf unverdorbene Gemüther, so daß es kein Wunder, sondern völlig natürlich ist, wenn sie vom Ordenswesen bemeistert werden. Ich weiß nicht, sagte Johannes, ob der vernünftigste Mensch in gewissen Jahren besser spielen könne; doch einmal muß man die Kinderschuhe ausziehen, die Steckenpferde zerbrechen und die Spielpuppen zum Fenster hinauswerfen. Das Mönchsleben und die Klöster, die in unsern letzten Tagen so viele Bestreiter gefunden haben, können sicher seyn, bei einer gewissen Stimmung des Gemüths immer noch zu gewinnen. Sie behaupten, die zweite Edition von dem Leben der ersten Christen zu seyn; und scheint es nicht wirklich, daß sie den einfältigen Wandel dieser ersten Bekenner und Bekennerinnen nachahmen? – Nicht wahr, lieber Ritter, fuhr Johannes fort, Sie waren in dieß erste Christenleben verliebt? Doch ist es, wie alles erste, nichts weiter als Kindheit, durch die männlichen Jahre des Christenthums bei weitem übertroffen! – Wunder lassen sich jetzt so leicht nicht unter die Leute bringen. Würd' es nicht schwer halten, der Welt einzubilden, eine neue Wittwe zu Sarepta sey in –; der Teich Bethesda zu Jerusalem thue in – Wirkung? Und während der Zeit, daß unsere neuen Bibelerklärer beweisen, unter Engeln werden Boten verstanden (so daß nach dieser Erklärung unser corps diplomatique, man denke! ein Corps Engel und Erzengel wäre),[282] könne man in – für Geld und gute Worte mit Engeln essen? – Behauptungen dieser Art machen jetzt in größern Weltcirkeln kein Glück, und der heilige Vater hat zu dieser Frist gewaltige Mühe, einen Heiligen zu Stande zu bringen. Die Folge? Man glaubt, in kleinern Cirkeln, bei Menschen, die sich einmal zum Wunderbaren stimmen lassen, oder vielmehr sich selbst stimmen, leichter fortzukommen; und ist es zu läugnen, daß diese Strategeme gelingen? – Die alten Ritter widmeten sich der Beschützung der Religion, des Vaterlandes und der Unschuld. Sie waren zu roh, als daß man vermuthen könnte, es wären bei ihnen Kleinode von Künsten und Wissenschaften vorhanden gewesen; sie waren eine Art von Nomaden, die sowohl im Geistlichen als Leiblichen nicht für den andern Morgen sorgten; wie will man bei ihnen Einsicht unseres Zeitalterserwarten? Ihr Leben sahen sie als Geschenk an, das ihnen zum Wucher anvertraut sey, um ungläubigen Sarazenen den Hals zu brechen. Ist hieß etwa ein Grundsatz, der ihre Vorzüge verbürgt? Ihnen mußte manches Wunder dünken, was jetzt Kinder natürlich zu erklären wissen. Laßt uns von ihnen lernen, unser Leben nicht lieber zu haben, als unsere Bestimmung! Laßt uns von ihnen Muth lernen, Gefahren zu überwinden, wenn die Umstände es werth sind, da ein Theil dieser Religions- und Minneritter den in barbarischen Landen gedrückten Vasallen aus Menschenliebe beistanden, verfolgte Gerechte schützten, verlassenen Wittwen Recht schafften, und jedem, der ihrer Hülfe bedurfte, sie fern von aller Gewinnsucht und Nebenabsicht leisteten! Laßt uns, wie sie, in der Welt, so viel an uns ist, das Gleichgewicht herstellen, wozu die Gottheit jeden berief, der sich an Stärke des Geistes von seinen Zeitgenossen unterscheidet.

Diese Unterhaltung lenkte unsere Freunde zu verschiedenen Ideen und zum erbaulichen


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 279-283.
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