§. 172.


Sophie.

[300] Gott! welch ein Blick! Sophie! – Wahrlich! Hier sollte der Vorhang fallen. – Er falle! – Was ich von diesem Augenblick noch hinzufüge, sey Postscript und Zugabe – wie man will, zum Ueberschlagen und nicht zum Ueberschlagen. Unbeschreiblich ist, was Sophie und der Ritter empfanden, als sie sich erblickten. Sie machten auf einander Eindrücke über allen Ausdruck – fast könnt' ich sagen: über alles Gefühl. Der Gastvetter bemühte sich, diese Scene beiden erträglich zu machen. – Man kann trunken seyn in Begeisterung. Ein übler Rausch! vielleicht der übelste, den man haben kann! Jene nüchterne Begeisterung aber, wo Feinheit der Reflexion, Delicatesse der Empfindung, Leichtigkeit des Ausdrucks, selbst anspruchloser Witz sich denken läßt, welch eine Wonne! – Da Er und Sie zu sich selbst kamen, dünkten sie sich beide schöner geworden zu seyn. Sie hatte übernommen, eine Art von Aufnahme zu halten; warum nur eine Art? Weil sie Sophie war. – Jetzt – dahin, alles dahin! – Sie hatte ihn, und er sie! – Wahrlich, dieser Gedanke war hinreichend, alle Receptionen zu schließen von der Zeit, da unser Ritter sich zwischen zwei Stühle setzte, bis auf das Gespräch mit einem von den Todten im Apostelorden. Wer diese ächte Sophie sey? Kurz und gut: die Tochter des Gastvetters![300]

Dem Knappen Michael ward die Rolle bei der Begleiterin schwerer, als bei der Tochter des vornehmen Geistlichen; doch entging ihm auf den ersten Blick der unendliche Unterschied nicht zwischen ächter und unächter Begleiterin. – Ritter und Knappe gestanden, daß ihre Ideale der Wahrheit und der Natur weichen müßten, und wurden den Porträten ungetreu, die sie bis jetzt am Busen getragen hatten. Wie es zuging, weiß ich nicht, doch fanden sich auch von der ächten Sophie und ihrer ächten Begleiterin Aehnkeiten in diesen Idealporträten. – Es war rührend, als Gastvetter und Ritter ihre Herzen ausschütteten. Der Gastvetter hatte keinen Hehl, daß er in ihm schon bei seinem selbsteigenen Kreuzzuge gen Rosenthal seinen Eidam gesehen hätte. Der Ueberfall, den Sophie in der dortigen Gegend machte, sollte dieß Paar sich näher bringen.

Als der Gastvetter sich von der Neigung seiner Tochter zu ihm und der seinigen zu ihr überzeugt hatte, war der letzte Wunsch seines Lebens erreicht. Dieß Band, dachte er, wirb mir das Glück einer Euthanasie (sanften Todes) bereiten, wenn mein Stündlein kommt. Er hatte nur Eine Tochter. – Der Cavalier? war ehemals ein Mündel des Gastvetters. Er sollte in Rosenthal das Wunderbare bei dieser Sache verstärken. Wie gewachsen er seiner Rolle war und wie sehr er sich auf Rollen verstand, ist uns nicht entgangen. – Als ihr Vater den Cavalier nannte, fiel Sophie in Ohnmacht; sie erholte sich nicht eher, als bis er ihr verhieß, seines Namens nicht weiter gedenken zu wollen. Wer erwartete vom Gastvetter Rollenverteilungen? Freilich ein anderer Theaterdirektor, als der Engländer; warum aber Theater? – Um sich der Denkart in Rosenthal zu bequemen, und wo möglich die falsche Richtung, die man dem Kopfe seines Eidams gegeben, zum Besten zu kehren. Auf allen Umwegen und Wegen, welche der Ritter einschlug, verfolgte ihn der Gastvetter; der Genius dieses edlen[301] Mannes war sein Begleiter, und nie hätte er ihn völlig sinken lassen. Desto besser, daß der Ritter ohne diesen Genius sich selbst aufzuhelfen verstand! – Der Gastvetter ließ ihn diesen Cirkel ungestört machen, um ihn sich selbst zu überlassen. Die sicherste Art, um weise zu werden und es nicht bloß zu scheinen. – Wahrlich! nicht die Dinge selbst, unsere durch die Individualität bestimmten Vorstellungen machen Wirkungen. – Hören Fliegen auf, Fliegen zu seyn, sagte der Gastvetter, weil sie blank, und Schmetterlinge auf, Schmetterlinge zu seyn, weil sie mit Puder bestreut sind? Das Werk lobt den Meister, der Kranz nicht den Wein. – Der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 300-302.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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