§. 180.


[310] Heraldicus junior

hatte seine Losung von Freiheit und Gleichheit so wenig aufgegeben, daß er vielmehr hieß Wesen noch immer fort, wiewohl unter der Hand trieb. Er gab nicht zu, daß zwischen Generalisiren und sich beim täglichen Brod der vorkommenden Lebensvorfälle nehmen, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Gleichheit und Freiheit in Büchern und im Leben ein gewaltiger Unterschied sey. Bon oben und von unten (a priori und a posteriori) anfangen, wie verschieden! – Wahrlich! wir sollen nicht vom Himmel ausgehen, um auf Gottes Erdboden zu kommen; von ihm himmelan steigen, wenn es angeht und es uns nützlich und selig ist, bleibt die Sache der Menschen. – Unser Freiheitsstürmer war gewissen Menschen gleich, welche die heftigsten Schmerzen geduldig leiden und über Kleinigkeiten verdrießlich werden; die aufspringen, wenn eine Fliege zu hart tritt, und lächeln, wenn das Haus fällt; die den Balken übersehen und den Splitter kritisiren. Käthe versteht (eben so wie es ehemals die Ritterin verstand) den Heraldicus junior zu seinem Leisten zu führen; nur faßt sie ihn so leise nicht an, und er läßt bei ihren Zurechtweisungen die Gabel nicht fallen und kein Glas rothen Wein auf ein damastenes Tischtuch umkippen. Jetzt, da er keine Nadelstiche der Baronin mehr fürchten durfte, war er zuweilen fast zu dreist. Bei aller Achtung, die er der Asche seines Erblassers widmete, konnt' er sich nicht entbrechen, auf seine Aristokratie, die bis auf veraltete Ausdrücke ging, wovon er sich ein vocabularium gesammelt hatte, zu sticheln, welches ihm Käthe zuweilen bis zum Kreuzlahmwerden verwies. Doch haben, fing er an, die überfliegenden Gefühle des wohlseligen Aristokraten die ganze Gegend angesteckt. Angesteckt? wiederholte Käthe. Aber Kind, wer kann denn der Vernunft als Vernunft zehn Gebote geben, ohne[311] daß sie sich selbst gibt? Wir sind frei, und die Unterwerfung unseres Willens unter die Gesetze, die wir uns selbst vorschreiben, ist der wahre Adel des Menschen. Ward mir unter Donner und Blitzen der Leidenschaften und der Sinnlichkeit das Gesetz gegeben, dein Mann zu seyn? Die Vernunft hieß mir, dich zu lieben, liebe Käthe. Uebrigens ist es mit Mann und Weib, wie mit den Zwillingen Castor und Pollux, den Söhnen Jovis. Wer zuerst erscheint, ist der Mann, und behauptet Erstgeburtsvorzüge. Nicht wahr, liebes Weib? – Käthe lachte aus vollem Halse. – – Sie thut wohl, daß sie ihrem Sklaven erlaubt, in die freie Luft zu gehen. – Vielleicht lernt er hier, sich selbst gelassen, mit der Zeit, daß von der Verschiedenheit und Ungleichheit die wichtigsten Absichten und Vortheile des menschlichen Lebens und der bürgerlichen Ordnung abhangen, ohne daß eben der Edelmann dem Bürger, und der Bürger dem Bauer die Röthe des Bluts abspricht und an dessen Verschiedenheit so glaubt, wie der Kalmucke an schwarze und weiße Knochen. – Der Grundsätze von Freiheit und Gleichheit ungeachtet, schien er anfänglich mit den Vorzügen unzufrieden, die man dem Begleiter beilegte. Die großmächtige Philosophie und der Name Protagoras würden (so konnte Heraldicus junior denken?) entheiligt durch ihn. »Warum nicht lieber Melitides,« sagte Heraldicus junior, »der das Brautbett nicht besteigen wollte, weil die Braut bei ihrer Mutter gerechte Beschwerden führen könnte; der nicht wußte, ob Vater oder Mutter von ihm entbunden wären, und der die Lichter sorgsam auslöschte, damit die Mücken ihn nicht etwa finden möchten?« – O, des Aristokraten, rief Käthe, der in Michael den Protagoras nicht findet, weil er nicht studirt hat, und der ihn zu Melitides erniedrigt, weil er Begleiter war!

Der Ritter gab dem Heraldicus junior die auffallendsten Beweise seiner Zuneigung. Dieß that unserem Demokraten wohl; und da es ihm nicht entging, daß sein gewesener Telemach seit der[312] Zeit so ziemlich vom Ordenssystem abgekommen war, so schrieb er diese Umstimmung auf die Rechnung seines theoretischen Unterrichts, ohne welchen, meinte er, die lehrreichste Praxis unseres Ritters den guten Erfolg nicht gehabt haben würde.

Je weniger der Pastor loci sich von den Wünschen entfernen konnte, vom Glauben zum Schauen zu gelangen und einen von den sieben Brüdern des reichen Mannes zu sehen, desto mehr begnügte sich sein Eidam mit der lieben Zeitlichkeit; er bemühte sich seine Kinder zu bilden oder ihren Seelen einen Charakter und ihrem Körper eine Stärke zu geben, diesen Charakter zu ertragen. Der Contrast, der zwischen ihnen herrschte, gab zu vielen angenehmen Auftritten Gelegenheit, Beide ließen zuweilen von ihrer Strenge nach, und wenn gleich in Rosenthal Gefühl und Empfindung nicht in die Acht erklärt waren, so blieb doch alles in seinen Schranken, und ich wüßte keinen Ort, wo ein so lehrreicher und herzlicher Umgang stattgefunden hätte. Dem


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 310-313.
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