§. 181.


Engländer

[313] begegnete die Ritterin mit Schonung und Achtung; Liebe kam ihr nie in Sinn und Gedanken. Seine Seelenliebe, die sich oft sehr possierlich nahm, machte ihr keine unangenehme Stunde. – Ich weiß nicht, ob jemand meiner Leserwelt einen Seelenliebhaber von Person kennt? Es ist eine besondere Figur. – Alles hing in der Phantasie des Engländers mit seinen herrschenden Ideen zusammen; er glaubte seine Eudämonie in ein haltbares System gebracht zu haben. Der gemeine Mann hält nur äußerst thätige Menschen für groß, er will Aufopferungen der Kräfte; unser Engländer, bloß mit sich und seinen Grillen beschäftigt, könnt' es nicht bis zur Hochachtung bringen; doch ward er geliebt: und bedarf es mehr, um glücklich zu seyn? – Die Rolle eines Propheten würde ihn[313] bis zur Bewunderung erhöht haben; aber sie lag außer den Grenzen seines Kopfes und seines Herzens. Des Betrugs ungeachtet, den er dem Ritter spielte, war er ein schlichter Mann und zu Prophetenrollen unfähig, die oft Könige und Fürsten in Furcht und Schrecken setzen, wenn man sie gut zu spielen versteht. Schon das Aeußere des Engländers war einem Wundermanne nicht günstig, weder durch Majestät des Körpers, noch durch verkuppeltes Ansehen, wobei alsdann aus einem verzerrten Gesichte ein feuriges Auge herausbrechen muß, hatte eine Prophetenfigur. – Gemeinhin kennt man den Werth der Unschuld nicht zeitiger, als bis man sie verloren hat. Unser Engländer nicht also. Vielleicht brachte diese Lage ihn zuweilen in eine Schwermuth, die von ganz besonderer Art war. – Seine Behauptung, daß es nirgends mehr Rabatt und Tara als in der moralischen Welt gebe, floß nicht aus menschenfeindlichem Herzen; er glaubte an Unschuld und Tugend, er glaubte an ein paar Sophien und an die Rosenthal'sche Gruppe, und in Wahrheit, ein Teufel hätte in Rosenthal daran geglaubt und – gezittert. – Hier bedürfe es, sagte der Engländer, keiner Einladung guter Geister, Es hätten in diesem Hause Gottes Menschen sich zu Engeln gemacht; und wenn man gleich ihre Tugenden nicht theurgisch nennen könne, so wären es doch Tugenden wirklich gereinigter und menschlich reiner Seelen. – Keine Stimme dürfe hier konk ompax rufen. Fern von hier alle Ungeweihten, alle Gottlosen, alle Seelen, auf denen Verbrechen haften! Er war in seinem Eldorado. – Noch mehr vom Engländer? Mit sich zu strenge seyn, heißt oft, sich über andere erheben wollen. Man lasse immerhin Menschen auf Dank ausgehen oder es heimlich auf Ruf anlegen, wenn nur Gutes befördert wird. Unser Engländer hatte sich die platonische Moral eigen gemacht, die das Gute will und thut, des Guten und nicht der Folgen wegen. – Er wusch sich weder vor noch nach der Handlung die Hände. Was ich gethan[314] habe, hab' ich gethan, war seine Losung. Pilatus sagte: was ich geschrieben habe, das hab' ich geschrieben. Unser Sonderling gab wie Engländer geben: nicht täglich, wohl aber reichlich. Wer vom Golde abhängt, pflegte er zu sagen, ist ärger als ew Sklav; denn dieser hängt von seines Gleichen ab. Man sagt: Geld ist ein guter Diener und ein böser Herr. Nicht also, versicherte der Engländer, es ist ein Theaterdiener, der immer mitspricht, klug wie ein Teufel ist und alle Welt und seinen Herrn am ersten überlistet. – Weniger aus Gefühl des Bedürfnisses mit Menschen zu leben, die, ob sie gleich nicht dachten wie er, dieser Verschiedenheit ungeachtet doch gut dachten; aus Menschenliebe war der Umgang mit Menschen je länger desto mehr seine Sache. – Epopten, die Licht sahen oder Ideale zu Idolen machten, dieß Licht mochte übrigens seyn wo und was es wollte, blieben vorzüglich seine Leute. Ein kleines Licht in der Finsterniß haben, sagte er, ist besser als ganz im Dunkeln seyn. War es Wunder, daß bei diesen Gesinnungen der Pastor sein Freund ward, mit dem er bei aller ihrer Verschiedenheit übereinstimmte, und von dem er bei aller Uebereinstimmung verschieden war? Ein anderer mußte angeben, ob sie eins oder uneins wären, sie selbst wußten es nie. Da Plato philonisirt und Philo platonisirt, was hatte es am Ende zu bedeuten? Man hätte sie immer sich selbst überlassen sollen. – Es sey ungerecht, glaubten sie, von unsern Dichtern und Philosophen immer etwas ganz neues zu verlangen. Etwas neues vom Jahre könnten sie liefern. – Freilich gilt eine Geistererscheinung mehr als alles, was philosophirt und gedichtet ist von Anbeginn bis jetzt! – Seit der langen Zeit, daß die Neigungen und die Seele des Engländers bei zwei ganz himmelweit unterschiedenen Personen waren, hatte er sich eine gewisse Zerstreuung angewöhnt, die einzig in ihrer Art war und zu lustigen Mißverständnissen Gelegenheit gab. Immer hatte er unaussprechliche Dinge im Vorrath, wobei der[315] Pastor mit Worten die Hülle und die Fülle diente. – Auch gab der Engländer sich gern dazu her, durch Festlichkeiten, im Stillen angelegt, zu überraschen; dieß war ihm eine Art von Reception. – Leicht glitt er über das weg, was man modisches Bedürfniß und Selbstliebe hieß. – Das Eis zu brechen war seine Luft; – Lob und Tadel war ihm nicht gleich. Wer Ernst ohne viele Umstände zum Spaß erniedrigen kann, heißt Weltmann; unser Engländer war es nicht. Das Gewisse, behauptete er, blähe auf, das Geglaubte halte die Menschen in gerechten Schranken, was nicht aus dem Glauben komme, sey Sünde. Der Pastor hielt darüber drei Predigten, deren öffentlichen Druck sein Eidam verhindert hat. Da der Engländer nur Schriftsteller für eigentliche Geistliche hielt, weil sie den Geist beschäftigen und diese Priesterschaft ehrte, die, wenn sie rechter Art ist, unläugbar einen göttlichen Ruf hat, so sind wir wegen dieser heiligen Zahl von Predigten keinen Augenblick sicher. – Heraldicus junior konnte nicht aufhören über unsere Gläubigen und ihren Glauben zu spotten. Wissenschaft, sagte er, ist baares, Glaube ist Papiergeld. – Gläubige reden viel und sagen wenig. Man kann etwas glauben und sich schämen, daß man es glaubt. Die Teufel glauben und zittern, Philosophen glauben und lächeln. – Weltkluge Geistliche fordern nur einen äußern Glauben oder Lebensart in der Religion. – Muß ich, weil ich ein Fernglas habe, mein natürliches Auge ausreißen und es von mir werfen? Kann ich, weil ich in manchen Dingen weder aus noch ein weiß und die Unzulänglichkeit meiner Einsicht zu bekennen verbunden bin, den Wissenschaften Hohn sprechen? Ist die Glückseligkeit ererbtes oder erworbenes Gut? Wahrlich! nicht durch den Besitz und Genuß derselben, sondern durch die Bemühung, sie im moralischen Schweiße des Angesichts zu erwerben, ist man glückselig. – So Heraldicus junior. Und wie sein Schwiegervater und der Engländer? Sie zuckten[316] beide die Achseln, suchten, wenn es noth that, Schutz bei Johannes und dem Gastvetter. Und fanden ihn? Zuweilen. Wenn die drei Predigten nicht mächtiger sind, so fürchte ich, Heraldicus junior werde nicht überzeugt werden, sondern eine Lebensartüberzeugung annehmen. Mag er doch! Gibt er zu, Freiheit bestehe in der Unabhängigkeit von seinen Begierden, so lasse man ihn immerhin (um seinen Ausdruck zu gebrauchen) mit dem Pfunde seiner Vernunft wuchern. – Käthchen wird schon dafür sorgen, daß seine Fackel nicht zu hell brenne. – Auch werden der Engländer und der Pastor ihm gewiß das Feld nicht lassen. – Beide sind froh über ihre Eutökie (leichte Geburt), die sie haben werden, wenn ihre Stunde kommt – so nennen sie den Tod! –

Noch hat der Tod keinen dieser


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 313-317.
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