§. 182.


Gruppe

[317] entzogen. Wenn gleich Engländer und Pastor den Tod den Sieg des Lebens nennen und in der Geisterwelt so bekannt sind, wie man weiland zu Rosenthal im neuen Jerusalem war, ich stehe dafür, keiner von beiden hat fürs erste Luft und Liebe, ein Stein in dieser Siegeskrone zu werden. Hat der Engländer nicht alle Hände voll mit Seelenliebe zu thun? Und der Pastor? Unendlich lieber würd' er den himmlischen Heerschaaren zuvor bei sich aufwarten, ehe er ihnen den Gegenbesuch ablegt. Bis jetzt sind jene so ungütig gewesen, sich nicht anmelden zu lassen. – Entfernt vom Ceremoniell des Hofes und vom Prunk der Städte, von schmeichelnden Kammerherren und stolzen prahlenden Krämern genießen in Rosenthal, wenn es gleich weder irdisches noch himmlisches Jerusalem mehr ist, liebenswürdige Menschen ihr Leben, und bringen an Einem Tage vielleicht mehr vor sich als Weltmenschen[317] in Jahren. – Wahrlich, man führt in Rosenthal ein einträgliches Leben.

Die Natur gibt durch ihre Mannigfaltigkeit und Abwechselung soviel Unterhaltung, daß man die Wehklagen der Höfe und Städte über Langeweile hier als etwas ansteht, das keinen Sinn hat. Wahrlich, nichts leidet unschuldiger als die Zeit. – Man belebt in Rosenthal das Leblose und findet überall Anlaß, aus so manchen Naturblüthen sich einen Schatz der Zufriedenheit und her Wonne zu sammeln. Sich vergnügen und sich unterrichten, sich unterhalten und sich belehren, sind hier eins. Wenn Leute von Welt weit lieber unzufrieden mit sich selbst sind, als daß sie ausstehen könnten, daß andere mit ihnen unzufrieden wären, so opfert man hier der Gesellschaft nichts von seinem Kopf und seinem Herzen auf; man bildet beides aus, und dieß heißt Umgang. Die Mahlzeiten sind platonisch, die Seele und ihre Bedürfnisse werden bei dem leiblichen Hunger und Durst nicht vergessen. – Einfach und mit Geschmack gekleidet geht alles einher, und nur die Mode gilt in Rosenthal, welche das Modejournal der Natur billigt. Oft wird natürlich der Kunst, oft der Unnatur entgegengesetzt. Beide Sophien kleiden sich nicht nach der Hofmode, weil ihr persönlicher Charakter darüber in Collision kommt. Sie wollen individuell seyn und sind es. Es liege nicht, meinen diese competenten Richterinnen, ein abstrahirter politischer Charakter der Mode zum Grunde, wäre das, wie käme Frankreich zur Gesetzgebung oder gar zum Dreifuß? – Man trägt Kleider zur Nothwendigkeit. – Nimmt man die Mitte von diesem Punkt bis zum Punkt der Eitelkeit, so ist man gekleidet commo il faut. Jene Regel der großen Welt: »man kann nicht ächte Freunde haben, wenn man nicht große Feinde hat,« wird in Rosenthal widerlegt, wo alles Ein Herz und Eine Seele ist. – Selbst Heraldicus junior lernt je länger desto mehr sich wie ehemals in die Zeit schicken,[318] und die Grundsätze beider Sophien, für keine Kenntniß einen Dreier zu geben, an die sich nicht Moral knüpfen läßt, bringen ihn sicherer als Engländer und Pastor zum Schweigen. Ich glaube, Käthchen werde diesen Ungläubigen auch ohne die drei Glaubenspredigten bekehren. – – Vernunft fragt, das Herz lehrt zur rechten Zeit mit Fragen aufzuhören. – Und was helfen Zweifel, wodurch man die Ruhe anderer zerstört, ohne das mindeste zu gewinnen? – Heraldicus junior gehörte nie zu jenen Philosophen, die unter alles Säuren mischen, und ist ein Zustand des menschlichen Lebens so gut, daß man die Absicht seines Daseyns völlig, und ist ein Zustand so schlecht, daß man diese Absicht nicht auf eine Art erfüllen könnte? Thue das, so wirst du leben. Michaeln erkennt Heraldicus junior je länger je mehr für Protagoras und thut wohl daran. – In der That, man kann groß im Dienen und klein im Herrschen seyn.

Sophiens Vater hatte seine Güter in ** veräußert und sich nicht weit von Rosenthal ein kleines Gut gekauft, um abwechselnd seine Kinder zu besuchen und von ihnen besucht zu werden. Es war ein Opfer, das er seiner Tochter gern brachte, als er einen andern Staat verließ, der ihm nie schwer gefallen war: – alles was man von einem Staate fordern kann! Und Johannes? Von Herz und Geist ein Mann! Warum doch ein Hagestolz! Er, der in allem durch Enthaltsamkeit zum Genuß sich vorzubereiten, der zu rechter Zeit das Genießen abzubrechen versteht, und der im Gedichte die Wahrheit als Hauptperson anerkennt; der von den sieben Weisen nur den Thales dafür gelten läßt, weil die andern sechs seiner Collegen Stifter und Regierer von Staaten waren, würde jedem Posten Ehre gemacht haben, wenn es nicht ein noch größeres Amt wäre, ohne Amt zu seyn. – Das Reich eines edlen Mannes ist wahrlich nicht von dieser Welt. – Neid, Haß und Verfolgung bringen ihn hier zu Unmuth und sein Ansehen[319] dauert selten länger als zehn Jahre, wenn es hoch kommt, sind es fünfzehn Jahre, und wenn es köstlich gewesen, ist es Mühe und Arbeit gewesen. Alles, was käuflich und verkäuflich ist, hat keinen Werth für die Menschheit; jeder kann es haben, wer Geld hat, und wer hat es in der Welt? Gott! wer? – Wohl dem guten Johannes, daß er frei – recht frei ist, daß er die Rosenthal'sche Gruppe dirigirt, ohne zu theilen, um zu regieren, und ohne zu vergleichen, um geliebt zu werden. Wenn der Gastvetter das Mißverständniß zu heben zu schwer findet, legt es Johannes bei. – Mit allem und mit unserm Zeitalter besonders ist er zufrieden, wenn er gleich an ihm die gar zu große Vorschnelligkeit, die Vor- und Eigenliebe zum Praktischen, zum unmittelbar Nützlichen oder Angenehmen tadelt und mit ihm nicht übereinstimmt, daß es nichts pflanzen und begießen will, wovon es nicht auch höchsteigenhändig Früchte bricht und genießt. – Der Ritter ist sein anderes Ich. – In puncto puncti hält sich der Ritter zwischen Dichtern und Dogmatikern. Er ist ein Kritiker und wird, will's Gott! nichts als absolute Wahrheit anerkennen, was höchstens relativ zugegeben werden könnte. – Die Gesellschaft, in der er sich befindet, ist ihm eine Loge zum hohen Licht. – Wahrlich! man wandelt im Lichte in Rosenthal. – Physik, Chemie und Astronomie, die Johannes bei ihm auffrischt, lassen den Ritter nie sinken. – Wenn der Gastvetter auf neue Nahrungszweige für die Vernunft fast zu mühsam ausgeht und ihr überall Erwerb verschaffen will, leistet er gern Gesellschaft und scheut den Weg nicht, nur glaubt er nicht, wie sein Schwiegervater, daß aus diesem Wege neue Naturgesetze zu entdecken seyn werden. – In vielen Stücken ist er mir lieber als der Gastvetter. Doch wer ist es, der in der Rosenthal'schen Gruppe nicht an seiner Stelle und werth wäre – Mensch zu seyn? – Jüngst zog ein Maler die Rosenthal'sche Straße und der Engländer wollte durchaus das Ebenbild seiner[320] Seelengeliebten, die gewiß nicht auf Stellungen denken durfte, um sich malen zu lassen. Es ward dem Künstler nicht schwer, sie bei einer edlen Handlung zu beobachten. Nicht allerliebst, wahr! ruft alles, was dieses edle Weib im Bilde sieht. – In der That, ein belohnendes Gewissen legt die höchste Erhabenheit und Schönheit in die Physiognomie. – Was ist affektirtes Lächeln und gezwungene Zärtlichkeit dagegen? – Der Engländer, entzückt über Sophiens Ebenbild, erlaubte mir gern eine Abschrift davon. Ihm gebührt der Dank, daß ich meiner Leserwelt Sophien so treulich darstellen kann. Dieser sonderbare Mann hat sich unweit Rosenthal niedergelassen – und durch ein Testament


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 317-321.
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