§. 85.


Der Legatarius

[3] lehnte den Antrag der Mitreise aus Eigenliebe zur Freiheit ab, und da er, kraft seines Freiheitsdünkels, es nie auf große Dinge angelegt hatte, wollte er dem Fräuleinsohne sein Gütchen abkaufen, der sich vorzüglich in Rücksicht seines Schwiegersohns vergrößern mußte; und so entging er, außer dem allgemeinen Leiden und jener Plage, die ein jeder Tag und fast auch jede Nacht hat, allen andern Plagen und Sorgen, die zu den besonderen gehören, welche der Staat über seine ersten Staatsbürger oder Officianten verhängt. Nimmermehr würd' er vor der Consistorial-Commission[3] geflohen seyn, hätte er diesen Ausgang seines Schicksals sich vorstellen können. Armer Prediger, dacht' er, der du keinen Augenblick vor hohen und niedern Schulmeistern und Nachtwächtern sicher bist! Hätte ihm die Ritterin oder ihr Sohn die Mitreise nahe gelegt, er würde, aller Vorliebe für Freiheit ungeachtet, sich mit auf den Weg gemacht haben. Da indeß unser Held in ihm keine Berufsspur zum Ordensmann entdecken konnte, und der Werbehauptmann, der die nämliche Bemerkung machte, seinem Novicius in Hinsicht des Legatarius vorzüglich Rückhalt empfohlen hatte; so entband man ihn gern von dieser Mühe, die Pastor loci, aus Hunger und Durst nach Geheimnissen, mit Entzücken übernommen hätte. Betrübter noch wäre der Pastor gewesen, wenn er nicht die Hoffnung gehabt, daß sein künftiger Kirchenpatron bei seiner Rückkunst ihn initiiren, und wo nicht auf Prima, so doch auf Secunda bringen würde, da er schon in einer andern Verbindung auf Secunda zu sitzen die Ehre hatte, und von der Maurerei nicht glaubte, was er las, sondern was er hörte. Er war so bescheiden, sich selbst für nichts mehr als Einen Secundaner zu halten. In der That, er war auch wirklich nichts mehr und nichts weniger. – Legatarius lachte im Herzen über diese Ordensschwäche, und wenn gleich er auch auf Secunda zu sitzen die Ehre hatte, als welches Avancement ihm zu seiner Zeit durch unsern Helden als Herold nicht ohne Pomp verkündigt ward, so that er doch im Herzen auf Prima, Secunda und Tertia Verzicht, und konnte sich über den Prediger nicht genug wundern, daß er außer Mosen und den Propheten, außer seiner natürlichen und seiner excolirten Vernunft, noch mehr Licht suchte. – Die Spruchstelle: suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgethan, deutete der Pastor und Heraldicus junior jeder auf eine besondere Weise. – Aeußerlich ließ sich Legatarius, der aus einer Studirstube in die Welt getreten war, von seiner Ordensverachtung[4] um so weniger Etwas merken, da er für seine Anhänglichkeit an das Rosenthalsche Jerusalem so reichlich belohnt war! – Dieß erkannte er mit so vieler Rührung, daß er, dieser Spielerei eine gute Wendung zu geben, sich philosophische Mühe gab, und am X. Sonntage nach Trinitatis in die Kirche ging sein Leben lang. – Nie anders als mit Ehrerbietung dachte er des Ritters, und da er bei allem seinem Freiheitssinn die Poesie liebte, und selbst im Stillen Verse creirte, so erschien auf das Ableben seines Wohlthäters unter der Aufschrift: der ritterliche Tod, ein Gedicht, das man auch befreites Jerusalem hieß. Hier ermangelte er nicht, zu bemerken, daß die Vernunft auf ihrem Präsidentenstuhl gesessen, und wenn Fürsten Lieblinge und Päpste Nepoten, Geistliche Inquisitionsscharfrichter hätten, und Richter hellsehende Blinde wären, so – doch, man weiß schon, was auf einen dergleichen Anfang in Lobgesängen folgt. Auch nahm er sich vor, durch ein komisches Heldengedicht die Consistorialcommission zu verewigen. – Nun war der Punkt wegen der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 3-5.
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