§. 96.


Vorläufer,

[38] auf den Johannes der Receptionen, schließen wollte, würde zwar dem Orden, indeß mehr noch dem Vorbereiter zu nahe treten, der gewiß mit so viel Einsicht als Ueberzeugung zu Werke ging, um dem Orden weder zu viel, noch zu wenig beizulegen. Ich scheide nicht von dir, sprach seine Seele zur Wahrheit. Wenn gleich er zu den Epopten gehörte, die das hohe Licht zu schauen das Glück gehabt, – so war doch das Wunderbare seine Losung nicht, vielmehr stellte er alles, was ins Uebermenschliche ging, da er selbst nicht zu den Sonntagskindern gehörte, jedem anheim, der Sonntagsanlage hatte.

Es war dieser junge Mann von der Loge zum hohen Licht geworben, um durch seinen Kopf derselben Dienste zu leisten; und wenn gleich er dieser Hoffnung völlig entsprach, so übertrafen doch die Dienste seines Herzens jene bei weitem. Dazu gemacht, Subalternköpfe[38] zu leiten, und zur Offiziersstelle unter Menschen berufen, erforschte er die Gegenstände in ihren Höhen und Tiefen, ohne die gezogenen Resultate irgend jemanden aufzubringen. – Die Curialien, welche die Loge gegen die Hohen der Erde, wenn sie zu den Fremden oder zu Profanen gehörten, und die Verhältnisse, die sie gegen den Staat beobachten mußte, waren vorzüglich sein Departement. Man hat bemerkt, daß Leute, die mit Geistern umzuspringen wissen, oft beim Umgange mit ungeweihten Menschen und bei wahren Alltäglichkeiten straucheln. Eben daher die Werbesucht und der Heiligenschein, womit sie alles von sich schrecken. – Johannes war Bruder Redner, und nie sprach er aus Menschenfurcht oder Heuchelei, sondern aus Gefühl der Kraft, deren sein guter Geist sich bewußt war. Sein Streben war nicht Selbst- und Gefallsucht, sondern Wunsch, wohlthätig zu wirken, und er wirkte. – Von seiner Kindheit an hatte er sich den Wissenschaften gewidmet, und sie waren die Genien, die ihn geleiteten, so daß sein Kopf und sein Herz nie an einen Stein stieß. Menschenkenntniß strömte ihm in der Ordensverbindung von selbst zu. Weder seine mündlichen noch schriftlichen Vorträge keuchten unter der Last hochtönender, schwerer Worte; er redete, was ihm seine Ueberzeugung gab auszusprechen, und zwirnte seine Worte so wenig, daß sie einfach fielen, wie sein Herz und seine Seele. Oft hieß er Bruder Thomas; allein auch die Vielgläubigsten unter den Brüdern, wenn sie redliche Männer waren und nicht durch kecken Anstrich des Geheimnisses Nebenabsichten erschleichen wollten, liebten Bruder Thomas mehr, als wenn er in Gemeinschaft mit der unsichtbaren Welt zu flehen das Sonntagsglück gehabt, und Macht über die Elemente zu besitzen und künftige Dinge verkündigen zu können, vorgegeben hätte. Da er keinem das Recht zugestand, Menschen zu täuschen, und wäre es aus angeblich wohlthätigen Absichten, so ließ er dagegen auch sich nicht täuschen. Alles, was den Geist[39] des Menschen erniedrigt, erniedrigt auch sein Herz. Alle Künste, wodurch Männer, die vor den Riß stehen, auf Subalternseelen wirken, waren ihm falsches Geld, womit er keinen Menschen hintergehen wollte.

Die entfernten und unvorhergesehenen Folgen sind in moralischen Dingen von viel größerer und gefährlicherer Bedeutung, als die unmittelbaren Wirkungen, und wer kann dieß überdenken und doch täuschen? – – Ganz hatte er das Zutrauen unseres Helden gewonnen, und wenn dieser gleich, eben wie Michael, darauf ausging, Räthsel in der physischen und moralischen Welt zu lösen, ohne sich den Kopf zu brechen, so wußte doch Johannes dem Junker so unvermerkt eine Neigung zu Wissenschaften, und unter ihnen zur Chemie, Physik und Astronomie, beizubringen, daß der Vorläufer sich einbildete, mittelst dieser heiligen Drei ihn gegen alle Anfälle von Schwärmerei gesichert zu haben. Irren ist menschlich. Johannes irrte sich. Die Seele unseres Helden war viel zu voll von höheren Dingen, um seinen Glauben an höhere Chemie und höhere Physik und – aufzugeben. Warum soll es denn, dacht' er, außer so vielen Werktags- nicht auch hier und da Sonntagskinder geben?

Wenn man die Erziehung unseres Junkers unparteiisch beherzigt, welche, ungeachtet der so häufig unterbrochenen gemäßigten Bemühungen des Schneidersohnes, sie einzulenken, durch Vater, Mutter und Pastor loci zu einer angenehmen, ruhigen Schwärmerei geleitet ward, wird man sich wundern, daß jene heilige Zahl, Physik, Chemie und Astronomie, gegen so viel andere heilige Zahlen nichts vermochte? Es gibt Menschen, die, wie Pflanzen, im Sonnenlichte die Luft reinigen, und in der Nacht und im Schatten sie verderben. So unser Held, der bei Nacht und Schatten der Schwärmerei alles verdarb, wogegen er im Sonnenlicht guter Gesellschaft liebenswürdig war.[40]

Noch eine Bemerkung, die dem Bruder Präparateur einfiel, ohne daß ich mich darüber auslasse, ob sie der Aufbewahrung werth sey oder nicht.

Die Offenbarung, sagte er, wird den zu jedem Eindruck fähigen, zarten Seelen der Kinder, als die Quelle aller Quellen, als der Grund aller Gründe unserer Erkenntnisse angegeben; und was noch mehr ist, der christlichen Religion wird ihre Lauterkeit und ihre Vernunft vorenthalten, worauf sie freilich nicht zu Anfang ihrer Entstehung rechnen konnte, zu der sie aber (wie alles Menschliche in der Welt) durch Nachdenken und Säuberung ihres Grundstoffes von allen Menschensatzungen, Vorurtheilen der Zeit ihrer Entstehung und der Zeit ihrer Verbreitung, bis auf die gegenwärtige, von Autoritäten, und allen andern heterogenen Ingredienzien, hinanzureifen im Stande ist. – Einbildungen und Wesen der Phantasie werden zu Gegenständen, die man erkennen, begreifen und umfassen kann, nicht bloß gemacht, sondern sogar geheiligt. Unsere Neigungen und Triebe stellt man als verdächtig dar, obschon sie, recht verstanden, die Ueberbleibsel des göttlichen Ebenbildes sind. – Ist's Wunder, wenn die meisten Menschen schwärmen? und würden sie nicht, aus dem Schooße der Kirche in die Welt gelassen, in noch unleidlichere Schwärmereien sinken, wenn der größere Menschentheil mehr Zeit hätte und nicht im Schweiße des Angesichts sein Brod essen müßte sein Lebenlang? Wenn nicht der müßigere, kleinere Theil mit einer großen Portion Leichtsinn ausgestattet wäre? Wenn nicht die noch übrigen wenigen Edlen, diese Menschen Gottes, getrieben vom heiligen Geist zu reden und zu schreiben, den hohen Beruf fühlten, sich des menschlichen Geschlechts anzunehmen? – Leichtsinn und die rastlose Thätigkeit der theoretischen und praktischen Vernunft wird das menschliche Geschlecht vor noch ärgeren Ausbrüchen der Schwärmerei bewahren. Die Winde des Leichtsinns reinigen die Luft, und die Sonne der Vernunft[41] erleuchtet und erwärmt und bringt Früchte w Geduld. Deß sollen wir alle froh seyn, Halleluja! – –

Selbst in der Loge waren sehr viele und bei weitem die meisten, welche die Thomasart des Johannes unserm Helden verdächtig zu machen suchten; – obgleich dieser Vorläufer seiner Moralität wegen nicht in Anspruch zu nehmen war. – Johannes blieb bei jener Bemühung, die Sache nicht aus dem hohen, sondern aus dem rechten Lichte zu sehen, vom Heraldicus junior außerordentlich verschieden. Schon trug hiezu sein emsiges Studiren bei, wodurch er sich zu einem Staatsposten ausbildete. Erziehung und Umgang mit Menschen von allerlei Zungen, Sprachen, Religionen und Sitten gaben ihm selbst ein vom Schneiderssohn abstechendes Aeußeres. Das Gesicht zieht sich der Seele allmählig nach, und der excolirte Geist gibt selbst dem Körper eine Stellung, die charakteristisch ist, wenn sie gleich nicht allemal auf dem Tanzboden bestehen würde. – Die Werbehauptmännin erwies unserm Präparateur die ungesuchte Ehre, sich sterblich in ihn zu verlieben, und er ihr die Erkenntlichkeit, diese Liebesangelegenheit auf eine für sie unnachtheilige Art beizulegen. Er wollte nicht Joseph sehn, um Madam Potiphar zu demüthigen, und stehe da! anstatt Verfolgung und Rache, als die gewöhnlichen Folgen verschmähter Liebe, unsern Joseph (er soll Johannes heißen) empfinden zu lassen, überwand die Ehre, die ihm wegen seiner Tugend gebührte, jede andere, niedere Leidenschaft in dem Herzen der Werbehauptmännin, – ob auch die Liebe, weiß ich nicht. – Daß es ihr an erkenntlichem Liebhabern bei einer so beliebten Loge nicht gefehlt haben werde, versteht sich von selbst. – Bei den


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 38-42.
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