97. Aufnahmen

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§. 97.


Aufnahmen

fanden Junker und Michael, wie fast zum voraus zu sehen war, überall mehr als Johannes. Michael hieß zwar dienender Bruder und diente wirklich; indeß machte man mit Protagoras einen sichtlichen Unterschied in Hinsicht seiner dienenden Collegen. – Der Freiheits- und Gleichheitsbaum, den man in den Logen pflanzte, ohne den Herrn und Diener aus ihren Angeln zu heben, war beiden schon so etwas Seelerhebendes, daß nicht die Hälfte der Feierlichkeiten nöthig gewesen wäre, um ihren Herzen, auch ohne Werbehauptleute, deren es mit Vokalkunststücken die Menge gab, wohlzuthun und sie für den Orden zu gewinnen. Ob unser Junker und sein Diener bei diesen Gesinnungen auch da noch geblieben, als sie alle heiligen und minder heiligen Zahlen von Graben durchgegangen, würde freilich mehr interessiren; doch hängen an der Beantwortung dieser Frage so viele Siegel, daß ich die Hand von dem Tapis des Jupiters nehmen muß, auf welchem er der Menschen Thun und Lassen niederschrieb; von welchem güldenen Vließ den Logen ein Stück in die Hand gefallen seyn soll, wie zwar nicht Johannes, wohl aber die Werbehauptmänner versicherten.

Unter vielen Ceremonien, welche unserm Helden und seinem Knappen Kopf und Herz entwendeten, war eine nicht unwichtige, daß sie gleich bei der Aufnahme des ersten Grades ein Paar Frauenzimmer-Handschuhe empfingen, um sie den Königinnen ihrer Herzen jetzt oder in Zukunft zuzuwenden. – Sophien von Unbekannt gehört dieses Kleinod, erwiederte der Junker auf die vorgeschriebene Handschuhrede des Meisters, und küßte drei, sieben und neunmal das Kleinod, das ihn so überraschte und rührte, als wär' es Sophiens Hand. – Der Meister, der durch dieß unerwartete Intermezzo völlig aus dem Concepte kam, wollte einlenken; indeß fiel[43] ihm der Recipiendus ein, und gewiß zum Glück des Meisters, der vom Buchstaben abhing, und ihm den Sklaveneid geschworen hatte. »Ein heiliges Unterpfand, – daß ich Sophien durch den Orden finden werde! – Ein Omen, das mir dieß Ziel meiner Wünsche verbürgt. O! daß Sie sie nicht kennen! Die Grenzscheidung zwischen Erhaben und Schön ist durch sie eine leere Vorgabe worden. Sie ist beides und hat mich gelehrt, alles Erhabene sey das Schöne von feierlicher Weise.« – Der Knappe fügte hinzu, er hoffe, die Handschuhe würden sich weiß erhalten, bis er so glücklich wäre, der Begleiterin der Fräulein Sophie von Unbekannt dieß Opfer bringen zu können.

Alle Grade in linea recta und obliqua (in gerader und Seitenlinie) waren beendigt, und unser Held besaß ein ganzes Schatzkästlein voll Bänder und Kreuze und Sterne. (An Geräthe, Kleinodien und Zierrathen war nicht zu denken, wenn nicht ein Ruft- und Packwagen genommen werden sollte.)

Es gab eine so unglaubliche Menge von Systemen und Graden, daß man sie füglich Legion nennen könnte. Da man sie schon am grünen Holz und in jeder Schrift finden kann, was man zu finden wünscht, was will am dürren, an Hieroglyphen werden?

Michael konnte dem Orden, der auf Gleichheit und Freiheit auszugehen behauptete, einen gewissen Widerspruch nicht vergeben. Großmeister, Vorsteher, Activ und Passiv, dienender und befehlender Bruder, schienen ihm wo nicht wirkliche Widersprüche, so doch ungelösete Zweifel; sein Herr dagegen glaubte, daß die Vorbereitungen und Aufnahmen hier, so wie bei schlechten Komödien und den gewöhnlichen Ehen, wenig oder gar nicht zusammenhingen. Viel gäb' ich darum, wenn ich die bekannte Frage: Was ist, das du gesammelt hast? unserm Helden vorlegen, auf die Antwort seines Innern Rechnung machen, und sie so treu meinen[44] Lesern mittheilen könnte. – Der Knappe war übrigens im Punkt der Handschuhe, wenn gleich er seine Zofe Unbekannt nie gesehen hatte, eben so glücklich und so sorgsam, als der Ritter. Bei solch einem Paar Handschuhen werden freilich die Hände nicht ausbleiben. Noch ward an die


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 42-45.
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