§. 99.


Brief

[48] ohne Namen und Ort schon bestimmt hätte, wenn sein Hunger und Durst nach Geheimnissen auch weniger vorschnell gewesen wäre. »Sohn des Monds! wenn du das Licht der Sonne zu ertragen dich stark genug glaubest, fasse deine Seele, komm auf Flügeln der Morgenröthe und stehe! Petrus, der aus einem profanen Fischer zum Menschenfischer erhoben ward, verließ sein Netz, folgte nach und erhielt auf Tabor den Meistergrad. Ein ander Ding als das Thal Josaphat, wo du dich jetzt befindest. Da Ihr solches wisset, selig seyd Ihr, wenn Ihr's thut. Folge dem Winke des heiligen Geistes, der dich berief und in dir anfing das gute Werk! – Thue, was du nicht lassen kannst! – Jeder Laut, der von dieser Einladung zum himmlischen Manna und zum Tische des Herrn dir in einer schwachen Minute entfährt, ist ein Nagel zu deinem Sarge! Nicht deinem Begleiter, nicht dem Johannes (der nie aus einem Meister des Scheins ein Meister des Seyns werden wird) sollst du bei Strafe der Vernichtung den ersten Buchstaben dieser Vocation entdecken. – Bist du werth, ein Sonnenkind zu werden und die Feuertaufe zu empfahen, so mögen die Schuppen von deinen Augen fallen, und der Stein, den gewisse Bauleute verworfen, dir zum Eckstein werden! – Bist du unwerth des Werks des Herrn, das große Dinge thut, so schlage dich Finsterniß und dicke Nacht, und deines Namens werde nie gedacht unter allem, was Ordensleben und Odem hat. In dem Grade, als wir uns entsinnlichen, kommen geistige Dinge durch Sinnlichkeit uns entgegen. – Auf halbem Wege begegnen sich Geist und Leib, wenn der Geist[48] (wenigstens) das Gleichgewicht mit dem Körper hält. Je mehr wir uns vergeistern, desto mehr werden wir entkörpert; je weniger Physik an uns ist, desto mehr wächst unsere Metaphysik. Was wir dem Menschen entziehen, gewinnt der Engel. In dem nämlichen Grade, wie der äußere Mensch stirbt, aufersteht der innere, und je mehr wir uns von der Welt losreißen, desto fester gründen wir unser geistiges Bürgerrecht in der Stadt Gottes, die nicht mit Händen gemacht ist, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen ist ewiglich. Es ruft der dieses zeuget, komme bald! Amen! – Die Gemeinschaft des Allerhöchsten sey mit deinem Geiste. Wozu eine Reisekarte –? Bist du, der da kommen soll, so wird der Engel des Bundes dich geleiten, und deiner Seele die Feuersäule ein Wegweiser seyn. – Amen! Sollen wir eines andern warten? So kommst du nie an Stelle und Ort. Von dem Augenblick, da du dieß Blatt zum drittenmal gelesen hast, wirken Geister auf dich – und daß du es dreimal liesest, ist dir hiermit befohlen, wenn anders dein Geist nicht widersteht unserm Geiste. Gegeben Aurora im Jahre des Heils – – –«

Dieser Brief, der unerklärliche Postzeichen trug, ward dem Ritter des Abends von einem weiß gekleideten Knaben, den er weder vor noch nachher gesehen hat, in die Hand gedrückt. Unserm Helden war's, als sähe er eines Engels Angesicht – und was hätt' er nicht gegeben, um seinen Geist in den seinigen zu hauchen, welches wir Bekörperte unterreden nennen. Hätt' ich ihn am Kleide seiner Menschheit gehalten, würd' er mir es nicht zurückgelassen haben? – Und was hätte ich gehabt? Nichts mehr und nichts weniger als einen Leichnam.

Alles wunderbar! – Die Wirkungen, die diese Vorgänge auf unsern Helden behaupteten, lagen in seiner Natur, das heißt, mehr als in der Natur der Sache. Da er schon sonst mit seinem Begleiter die Frage: wohin? überlegt hatte, so kostete es ihm gewiß mehr Mühe, gegen ihn,[49] als gegen Johannes, verschwiegen zu sehn. Wenige Augenblicke stand unser Held an, den Brief zum drittenmal zu lesen, zweimal las er ihn unwillkürlich. – Als er sich endlich zum drittenmal ermannt hatte, war ihm, als sey er nicht mehr derselbe. Angst und Freude, Schrecken und Wonne, Himmel und Erde wechselten in seiner Seele. Er wollte sich dem Schlaf, der als Postmeister im Dienste des Geisterreichs steht, in die Arme werfen; doch konnt' er schlafen? Seine leiblichen Augen schloß er, je fester er aber sie schloß, desto exaltirter ward er. Er sprang auf – um frische Luft zu schöpfen, warf er sich ins Fenster; es war ihm er wußte nicht wie, und wie soll ich's wissen? Es kann gewiß keine Kleinigkeit seyn, wenn Geister auf Menschen wirken, wenn Menschen aufhören Menschen zu seyn, und aus der Gesellschaft der Sterblichen in die der Unsterblichen gerückt werden. Etwa gegen zwölf Uhr, die bekannte Geisterstunde, überraschte ihn ein Gesang der Liebe. – Die Stimme war entzückend. – Die Sängerin näherte sich, und der Inhalt, von dem ihm keine Sylbe entging, war: Geheimnisse der Liebe und der Geisterwelt sind nahe verwandt. Wahr! dachte der Ritter, bereit, sich aus seinem Zimmer zu stürzen, um wo möglich in Prosa den Grad der Verwandtschaft zwischen Minnegeheimnissen und Geheimnissen der Geisterwelt zu ergründen; ich hätte zu erlieben gesagt, wenn nicht Geister auf ihn gewirkt hätten. – So oft er diesen Vorsatz ausführen wollte, floh die Sängerin. – Jetzt entschloß er sich, sie anzureden und sie – verschwand? Wie? dachte er, sollte diese Grazie dich warnen wollen, dem Irrlichte des Briefes zu widerstehen, den dir ein Knabe im weißen Kleide in die Hand drückte? – Hat der Geist der Liebe sie in Sophiens Namen gesandt, um es bei dem einen Schatzkästlein voll Orden, Sterne und Kreuze zu belassen und Sophien auf anderen Wegen und Stegen nachzuspüren? Nur durch sie und an ihrer Hand, mit den Geheimnissen[50] der Geisterwelt, wenn es dir nützlich und selig ist, vertraut werden; welch ein Gedanke! Oder ist's eine Sirenenstimme, die dir das Licht der Sonne entziehen will? – Der Mond schien herrlich! – Weg mit dem Monde, war sein Resultat; – die Sonne, die ihm das Licht gibt, ist mein Ziel und der Engel des Bundes wird mich begleiten. Sind Geheimnisse der Liebe mit der Geisterwelt verwandt, bin ich nicht auf dem rechten Wege? Heil mir, dreimal Heil! – So dachte unser Held und nach diesem Entschluß, den er um drei Uhr Morgens faßte, machten seine Augen noch einen Schlafversuch, und stehe da! es überfiel ihn ein somnambulistischer Schlaf. – Herkules erschien, mit den Worten aus dem Evangelio: Stehe auf, hebe dein Bette auf und gehe heim! Und er stand auf, um nach dreien Tagen zu gehen. – Aber wohin? Nach dem Worte des Herkules – heim. Der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 48-51.
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