Zweiter Band.

In Berlin, das haben meine Leser, hoff ich, sehr deutlich eingesehen, gehörte mein Feldkessel zu Hause, den meine Mutter zu kennen nicht die Ehre hatte, und worüber die Frau v. G. hohnlachte, der aber meines Vaters Mitgabe war.

Nach Königsberg brachte uns ein Major und sein Schwestersohn, der als Junker beim Fuhrwerk stand, die uns beinahe zwei Tage in Mitau ohne Noth verzögerten, die Mittag und Abend in einsweg zu halten, weil eine Leichenpredigt vorfiel, sich nicht lange bedachten, und die, wenn gleich sie nicht erlaubten, sich an grünen Plätzen zu verweilen, doch alle Augenblicke einen Platz hatten, wo sie entweder einen guten Labetrank wußten, oder wo der Wirth eine gute Prise Tabak hielt, die Wirthin etwa selbst hübsch war oder eine hübsche Tochter im Vermögen hatte. Jetzt Extrapost, und wenn es meinen Lesern gefällig ist, so bis ans Ende. – Ob wir einen Drosselpastor und sein Schein und Seyn kennen oder nicht, und den siebenmal sieben besondern Grafen; die lindenkranke Predigerin und ihren Mann mit der Sünde wider den heiligen Geist; Gretchen, die mit mir Ostern auf Minchens Grabe feierte, und Pastors Trinchen, welche die heilige Geiststraße dreimal auf und ab ging, und so viel andere grüne Stellen mehr. Was thut's? Extrapost, nicht[1] wahr? wenn sie gleich mehr kostet als ein Riga'scher Fuhrmann; ich mache mir nichts daraus.


Von Göttingen. Parnaß und Musen, wie es fällt.


Vortrefflich für jeden, der Luft und Liebe zum Dinge hat, und doch so ziemlich ohne Jammer und Schaden für den, der es nicht hat. Diese Akademie hat bei der Letztgeburt den Segen, wie Jakob vom Isaak, ohne ihn durch rauch gemachte Hände zu erlisten, ohne ihn durch ein schnödes Linsengericht zu beschönigen. – So viel ist gewiß, Göttingen ist so wenig die kleinste unter den deutschen Universitäten, daß sie vielmehr auf dem Wege ist, die größte zu werden, oder daß sie es schon wirklich ist, den Großvater in Königsberg in Ehren; allein gibt's in Göttingen nicht auch Großväter? Und wenn gar zum Aelter-Vater Hoffnung wäre? Ich kann den Gedanken nicht bergen, ohne mich zum competenten Richter aufzuwerfen: ob und in wie weit eben der Umstand, weil Göttingen jung von Jahren, vieles zu diesem Fortschritte beitrage? Die Musen werden im ewigen Frühlinge der Jahre dargestellt. – Zwischen Majoraten, Lehen, Stiftern und Universitäten ein Unter schied! Damit ich noch ein Kappfensterchen aufstoße: wär' es nicht gut, wenn sich die Universitäten in Züchten und Ehren einverstanden, was sie eigentlich erziehen wollten? Da könnt' eine erkoren werden, Professores, akademische Lehrer zu bilden. Laßt uns Professores machen, Bilder, die uns gleich sind! Den andern Stief- und rechten Schwestern wäre zu überlassen, mit der übrigen studirenden Jugend umzuspringen, oder zu thun und zu lassen, was jetzt gethan und gelassen wird. Kommen denn alle auf die Universitäten zu lernen, um wieder zu lehren? Da sind ihrer viel, die nur selbst wissen wollen. Zwischen einem Wisser schlechtweg, zwischen einem Vielwisser und zwischen einem Lehrer, welch ein Unterschied! Und dann unter der Rubrik Lehrer,[2] was steht da nicht alles? Schullehrer, Kirchenlehrer, ist zwar der bekannteste Lehrunterschied; allein auch gewiß der unbedeutendste. O der unaussprechlichen Unterschiede! Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen? Diese Welt ist eine Schule, wo Lehren und Lernen abwechselt, und fast beständig so, daß man zu gleicher Zeit lehrt und lernt, Docendo discimus; sonst würd' auch die edle Zeit verloren gehen, die oft die besten Köpfe aufs Lehren verwenden. Es ist indessen wahrlich weit schwerer zu lehren, als zu lernen. Der Mensch hat was sehr Gelehriges; allein wenn er unterrichten soll, zeigt er überall, daß Gott sein Lehrer gewesen, und daß er, in Rücksicht des Lehramts, das Bild Gottes verloren. Wahrlich, daß es mit dem menschlichen Geschlechte so wenig fort will, daß es nicht von einer Stelle kommt, liegt am Lehrstande. Das arme Menschengeschlecht, wie es da noch immer in seinem Blute liegt! Und was thun unsere Groß- und Kleinsprecher? Sie bestellen einen schönen eichenen Sarg mit im Feuer vergoldeten Griffen, um für ein standesmäßiges Begräbniß Sorge zu tragen. Die meisten Lehrer sind Curatores funeris, Leichenbesorger. Gott, wann erschallt die Stimme; sie komme aus Osten, Süden, Westen, Norden, wenn sie nur erschallt: du sollst leben!

Ist's also Gotteswerk zu unterrichten, so gehorcht euren Lehrern und folgt ihnen, denn sie wachen über eure Seele, so lange sie nicht Irrlehrer sind! Ich glaube mit meinem Vater, daß der, welcher zur rechten Thüre in den Schafstall gekommen, fein methodisch seine Lektion gelernt und kein Miethling ist, auch andern die rechte Thür zeigen und ein guter Hirte seyn könne, der bekannt ist den Seinen und die Seinen kennt. Dieß findet vorzüglich bei Universitätslehrern statt, so wie sie jetzt im Schwange gehen. Da hat jeder seine Lektion, die er ad unguem, bis auf den Nagel selbst, weiß, und also auch lehren kann; indessen sollte man es[3] bei der Mannigfaltigkeit der Lernenden und des Unterrichts, nicht bei einem – Leisten, ja wohl Leisten, lassen. Würd' es nicht Früchte bringen in Geduld, wenn man die Saat nach der erwünschten Ernte, den Unterricht nach der künftigen Anwendung, einrichten möchte? Jetzt stehen die Studirenden nicht viel ordentlicher, als die Bücher in den meisten Bibliotheken, nach der Größe, nach den Bänden, nach dem Schnitt, nach der Anwerbung. Es fehlt nur noch, nach dem Verleger und dem Druckorte. Das Druckjahr, worauf am wenigsten gesehen wird, würde vielleicht ein Umstand seyn, der nicht zu verwerfen wäre.

Der Professor hängt jetzt den Brodkorb bald zu hoch, bald zu niedrig, und wie oft vergessen nicht die Speisemeister auf Universitäten über der Seele den Leib! Zankt nicht auf dem Wege, sagte Joseph zu seinen lieben Brüdern, da er ihnen den Zehrpfennig gab; und wahrlich, dieß sollte die Losung aller Universitäten seyn. Durchs Zanken wird zwar die Schale polirt; der Kern aber trocknet ein in diesem sein geschliffenen Gehäuse.

Kann ich doch auf keine Universität kommen, ohne mir ihren Ton eigen zu machen. Ein guter Ton! wenn die Angeber weniger quid est fragen, und alle Wissenschaften zu Experimental-Wissenschaften zu bringen bemüht sind, wie es jetzt am Tage ist.

In einigen Dingen kann man Universitätsgebrauch lassen. Da man einsieht, wie wenig man weiß, will man lieber irren, als unthätig seyn. Wir ehren einen paradoxen Mann und blößen unser Haupt nicht vor gemeiner Erkenntniß. Wir kleiden uns prächtig und sollen nur rein einhergehen. Ein Sünder, der Buße thut, ist besser als neunundneunzig, die der Buße nicht bedürfen. Ein fähiger Unwissender, er sey wirklich unwissend, oder er könne seine so genannte Vernunft gefangen nehmen, so oft sie die Fenster einwerfen will, ist ein so schönes Naturstück, als man nur, nachdem das Paradies eingegangen, sehen kann.[4]

Kein Examen in Göttingen. Wozu der Unrath, wenn gleich ein Großvater dabei am Ruder war, wie erwünscht fiel der Blitz durch die Ritze! – Gute Hausmütze, du konntest nicht gelegener, wie ein Eid, das Ende alles Haders machen!

Den Fechtboden und das Reithaus nicht zu vergessen; wahrlich ein paar Vergißmeinnicht in Göttingen! Wir sind hier geborne Fechter und Reiter, sagte mir der königliche Rath beim Kreisrichter in Königsberg, da der letzte eben eine denkwürdige Schlägerei mit allen ihren Punkten und Klauseln referirt hatte. Kein Wunder, daß ich in Königsberg so schöne Vergißmeinnicht nicht fand!

In Göttingen spielt' ich auf Fechtboden und Reithaus Alexander, wiewohl ohne an jene jugendliche Ritterspiele zu denken, deren vorgestecktes Kleinod Mine war. Berlin aber sah ich vor mir; den Paradeplatz nämlich in Berlin und Potsdam, wo der König, wie die Sonn' auf ein Geländer Pfirsichen, wirkt; dann schien es, daß sich ein Gedanke in mir hob, der wollte und noch nicht konnte. Man muß ihm seine neun Monden Zeit lassen! – Getauft soll er werden, wenn er zur Welt kommt.

Ich studirte die Mathematik. Sie, dacht' ich, ist zu allen Dingen nütze. Sie ist das Lineal und lehrt, sich bei allen Wissenschaften gerade halten. Selbst Cicero maß – – Doch hatte er nicht zu viel Mathematik in seinen Reden?

Zu viel Mathematik im Felde taugt nicht. Was meinen meine Leser vom ciceronianischen Kriege?

Mein Vater war mit dem ganzen Gange meiner Studien, den ich ihm getreulich und sonder Gefährde vorlegte, zufrieden. Meine Mutter empfahl mir, große Männer zu hören, die sich hören ließen, um ihren Ausdruck beizubehalten, und ich lernte hier einen kennen, der weder Hand noch Auge brauchte. Das Auge, pflegte mein Vater zu sagen, hat Christus selbst bei seiner[5] Bergpredigt angewandt. Es gehört dem Prediger; die Hand aber dem Handwerker. Dieser Redner ohne Aug' und Hand fachte in mir keinen göttlichen Ruf zum Geistlichen auf, der sich völlig gelegt hatte, da ich keine Mine mehr hatte. Bei meiner ersten Predigt galt mir ihr verstohlener Blick und Nummer fünf mehr, als alle übrige klingende Münze von großer Anlage, von unvergleichlichen Kanzelgaben, von kirchenväterlichem Anstande. Minchen liebte mich nach der ersten Predigt mehr als ehedem. Ich hatte mich zum Manne ihrer Seele gepredigt, und war vom Alexander bis zum lieben Jungen erniedrigt oder erhöht worden.

Vergeblich erinnerte ich mich, daß mein Vater, wiewohl nach dem Brande, mich versichert hatte, daß ein Geistlicher der glücklichste Mensch in der Welt wäre, und daß seine Seele in beständigem Frühling sey, wo es nicht zu kalt, noch zu warm ist. »Frühling ist das Klima des Himmels; in der Hölle ist Winter und Sommer! – Herbst würde alsdann das Fegfeuer seyn!« Beständiger Frühling, guter Vater? Wenn es aber ein nordischer wäre, wo man den Frühling bloß im Kalender und in einer lebhaften Einbildung hat? Zwar in deinem Lande, wo man zeitig eine Pfeife in der freien Luft raucht, den Wein bei der Quelle trinkt und lange Manschetten trägt – aber wo gehörst du zu Hause? wo? »Im Himmel!« Guter Vater, da ist aller Menschen Vaterland. »Dinge der Zukunft sind der Geistlichen Beschäftigung.« Das wäre ja ein gefundenes Essen für mich, der ich jagdmüde bin, und wahrlich kein Linsengericht, das eine Erstgeburt zu stehen kommt! Wie aber, wenn der Geistliche über der andern Welt diese vergäße, nur an den Lohn dächte, ohne des Tages Last und Hitze zu übernehmen? Wenn er, den Purpur und die köstliche Leinwand selbst nicht abgerechnet, hier, wie einer der sieben Brüder des reichen Mannes, herrlich und in Freuden lebte; wenn er's mit der Ewigkeit so machte wie geizige Leute, die aus Furcht, in ihrem[6] Lande das Ihrige durch Handel und Wandel zu verlieren, die überflüssigen Capitalien in auswärtige Banken senden, oder sie auf sichere Hypotheken eintabuliren lassen, um ein recht gemächliches Zinsenleben führen zu können? Man sehe sich doch um; läßt sich denn der Geistliche nicht weit lieber bei seinem Lehnspatron als bei Abraham, Isaak und Jakob zu Tische bitten? Sich zerstreuen, heißt denn das leben? Es heißt, recht geflissentlich nicht leben; es heißt, das Leben fliehen, das ohnehin nicht leiden kann, daß man es sauer ansieht. Zwar gibt's Männer, die wie mein Vater, ein Rad gebrochen und im Wirthshause weilen, die, wie der Pastor in –, Drosselfänger, und wie der in L –, Ehemänner von Weibern sind, die eine Lindenkrankheit haben, aber –

Ich will es meinen Lesern nicht länger vorhalten. Soldat, dachte ich, um mein Leben in die Schanze zu schlagen, um so zu stehen, wie Urias wiewohl wider Wissen und Willen, stand, als der König David sein Weib zur Wittwe machen wollte. Welch eine Kluft indessen war zwischen diesem Gedanken und der Ausführung! welch eine Beste war einzunehmen! Ich versteckte mich, wie meine Leser es selbst wissen, mit diesem Gedanken unter die Bäume im Garten, und stellte mich geflissentlich so, damit meine Mutter mich am wenigsten sehen möchte, deren Losung es war: »Wer seinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalbfell.«

Ich studirte in Göttingen Kriegskunst. Kriegskunst? – Das war ein Wort für manchen. Die Kriegskunst und Urias? Aber du guter Mancher! Lernt man denn die Kriegskunst für sich oder für andere, und stehe ich denn mit dem Urias eben in einem Gliede? Wagen kann der Mensch sich selbst; umbringen muß er sich nicht.

Die hoch- und wohlgeordnete und eben so auch verordnete Bibliothek in Göttingen ist nicht ein Schatz für Motten und Rost, wonach höchstens die Diebe graben und stehlen; sie ist ein öffentliches[7] Haus, wo jeder einen Zutritt hat. Die Bemerkung meines Vaters, wie wahr! Eine Universität und keine Bibliothek ist ein Weinhaus ohne Keller. – Da gehe ich doch hundertmal lieber in einen Keller, so finster es auch drin aussieht, und so schwer hinabzusteigen er auch ist, und trinke die Gabe Gottes frisch und kräftig, fast wie an der Quelle; lieber, sage ich, als daß ich in manchem prächtigen Auditorio lange gestandenen, warmgewordenen Wein aus einem begriffenen Geschirr trinken sollte. Das Geschirr mag patriarchalisch, griechisch, gothisch oder modisch gearbeitet seyn. Eine Universität und eine Bibliothek sind sich so nahe verwandt, daß ich behaupten könnte, eine Akademie sey nichts weiter als eine Bibliothek, wo es oft genug ist, zu wissen, im Schranke linker Hand, da und da! Mit diesem Entschlusse kam ich in Königsberg an, und ging nach Göttingen. Ich that nichts weiter, als Register machen, welches ein ander Ding ist als Kalender, pflegte mein Vater zu sagen. – Das Motto über eine Bibliothek dieses Mannes, der meinen Lesern bei seiner Büchermusterung bekannt zu seyn die Ehre hat, wie richtig! »Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.«

Ich kann nicht aufhören, zu sagen, was mein Vater gesagt hat. Mich wunderts, pflegte er vor dem Brande zu bemerken, daß man nicht das Vater unser und seinen Namen vergißt, und mancher Professor sein Collegium.

Außer der Mathematik studirte ich mich selbst. Wenn Newton entdeckt hätte, wie es mit der Welt von Anfang gewesen, und was es mit ihr, oder mit ihrem Ebenbilde, dem Menschen, für ein Ende haben werde; so wäre es doch noch ein Erfinder gewesen; allein so gehts! Wenn die Menschen sich zeigen, kehren sie wohl vor ihrer eignen Thür?

Seht, wie die Natur es zur Menschenkenntniß recht geflissentlich[8] angelegt hat! Die Menschen sind gesellig, wie man sagt. Wenn wir nach Menschen auslaufen, wollen wir die meiste Zeit nicht den Menschen, sondern diese oder jene That. Nur wenn man was Großes von jemandem gehört, ist man begierig, ihn zu sehen, und wenn man ihn sieht, sieht man dann wohl den Menschen? – Fast nicht, sondern seinen Geist (sein Gespenst), die That, die ihn vergrößerte. Es ist eine Erscheinung, ein Gesicht! Schurken drängen sich vielleicht, große Leute zu sehen, weil sie sich nicht vorstellen können, daß es solche Menschen gebe. Der Edle sieht in den Spiegel.

Auch den Bösartigsten will man sehen; vielleicht um seine Pfosten zu sichern, daß der Würgengel vorüber gehe! Akademien sind selbst, um zu sehen. Das Gehör ist ein Stück vom Gesicht. Im Odem liegt die Liebe, in der Rede die Probe von Weisheit und Thorheit. Rede und du bist, habe ich schon sonstwo behauptet; allein selten trauen wir der Rede, wenn wir Temperament und Gemüthscharakter kennen lernen wollen. Man hält die Zunge für bestochen, für gedungen. Sie ist höchstens ein Hauszeuge. Eben darum der natürliche Hang zur Physiognomik. Man will in den Augen sehen, wie dem Menschen ums Herz ist. Freilich ist's schwer, von dem auswendigen Menschen auf den inwendigen zu schließen. Ich würde weit eher aus dem Kleide, aus dem Pferde den Menschen beurtheilen, als aus seinen Gesichtszügen und andern Schilden, die er vielleicht mit gutem Vorbedacht aushängt, und vom besten Stadtmaler zeichnen läßt. Wäre hier zur Gewißheit zu kommen, würden die Folgen nicht eben so gefährlich seyn, als es die von der Gewißheit unserer Todesstunde sind? Ich gebe selbst zu, Gottes Finger habe ins Gesicht dem Menschen sein Testimonium geschrieben; wer kann aber Gottes Hand lesen? Da sie auf Cains Stirn leserlich werden sollte, mußte sie verständlich gemacht und mit rother Tinte unterstrichen werden. In der nämlichen Rücksicht sind wir[9] so für Handlungen, fürs Entstehensehen vor unsern Augen, fürs göttliche Sprechen, wo Donner und Blitz eins ist! – »Eher hätte ich das bedenken sollen?« – Und wenn ichs bedacht hätte, gestrenger Herr, bin ich denn nicht auf der Akademie? Und sollte man, sobald man der Sache näher tritt, nicht finden, daß ich auch hier handle, und nicht erzähle? Hier ist Vivat und Pereat, hoch und tief! – eine Serenade und eine Stunde im Auditorio.

Wollen Ew. Gestrengigkeit alles mit Einem von hohen Schulen? Wir haben ihnen die Absonderung der Wissenschaften, die Bevölkerung derselben zu danken, und ein gewisses Stellen in Reihe und Glieder. Zwar weiß ich den Einwand dagegen; allein wird dieser Mauerbrecher unserm System Schaden zufügen? Freilich ist alles in der Welt in der Gemeinheit, und freilich ist noch die Frage: ob es denn so gut sey, daß alles und jedes aus der Gemeinheit gesetzt werde? Freilich kann man auch seine Lieblingswissenschaft nicht ganz aus aller Gemeinheit bringen, da selbst Leib und Seele in einander wirken; indessen ist doch ein Tausendkünstler gemeinhin ein schlechter Künstler! – Der Schuster kann dem Maler nicht verbieten einen Schuh zu treffen, und der Schneider nicht, wenn der Maler ein Kleid fertigt; allein gemalt ist nicht gemacht! – Das Gemenge könnte vielleicht dem symbolischen Erkenntniß förderlich und dienstlich seyn, wo man am Leitfaden der Aehnlichkeit zur Wahrheit kommt; allein bleibt denn auf dem gelehrten Marktplatz der Universität nicht noch eine Gelegenheit zu Symbolen übrig, wenn gleich verschiedene Abtheilungen vorhanden sind? Muß ich denn gehen in dem Garten, um ihn zu beurtheilen, und ist hier nicht ein Ueberblick oft nützlicher als ein Gang? – Alles ist Symbol; Zahlen selbst, wer sollte das denken, sind Symbole der Größe! – Der Mensch ist's von Gott. Darum sind wir so große Bilderliebhaber! – Den Kindern bringt man alles durch Bilder bei, weil Bilder kleiner als die Natur in Lebensgröße sind.[10] Mit dem Bilde spielt man; allein wer kann es mit der Natur, ohne sich die Finger zu verbrennen? – Je mehr der Begriff in die Sinne fällt, oder in dem Sinne liegt, je weniger Mühe machen die Worte. Je abstrakter aber der Begriff, je schwieriger der Wortfang. Auf Universitäten, wo auf allen Straßen abstrahirt wird, scheint diese Gewohnheit zur andern Natur zu werden! – Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Die Probe bei der Abstraktion ist geistisch. Zwar ist auch hier die Anschauung die Probe; allein sie bleibt so schwer als das zu probirende Exempel selbst, und noch schwerer. Leichter ist's, die Sphärenmusik zu hören, oder ein Dichter zu seyn, als abstrakte Sachen anzuschauen und anschauend zu machen: – Nur Sonntagskinder können Geister sehen, so wie Leibnitz, zum Beispiel, auf einem Baume das Principium indiscernibilium. Zwar geben sich auch etliche mit Geisterbeschwörungen ab; allein ich halte nichts von der Clavicula Salomonis, und wer weiß es nicht, wie es dem Dr. Faust gegangen?

Der Fuß schläft zuweilen ein, und wer kann alsdann von hinnen? Man nennt dieß Besterben; wer sagt aber, daß der Kopf bestirbt, und doch bestirbt er eben so und aus eben der Ursache wie der Fuß. Wir merken nicht so stark auf das, was den Organenbeweger trifft, als auf die Organe. Ungern lassen wir etwas auf den Kopf kommen, den wir zur Schau tragen für jeden, der Lust und Liebe zu sehen hat. Wir thun gegen alle Welt groß damit. Dem Manne der Hut, dem Weibe die Kinder. Den Hut können wir mit leichter Mühe abnehmen, sonst würden wir ihm die Würde eines Ehrenzeichens nicht einräumen. Es gibt Völker, die das Haupt blößen, wenn sie mit Gott reden, und Völker, die es decken. Die es blößen, thun es bei Leibe nicht, um dem Kopf gegen Gott nichts zu vergeben; sie wollen vielmehr zeigen, daß auch der Kopf ein armer großer Sünder sey. Völker,[11] die ihr Haupt decken, schöpfen aus der nämlichen Quelle. Sie schämen sich, vor Gott ihr Licht leuchten zu lassen, und kriechen unter die Bäume im Garten. – – –

Sollte hie und da ein Kunstrichter von meinem Kopf zu behaupten für bequem finden, daß er zuweilen besterbe – so mag er wissen, wie man der Erde nicht ansehe, daß sie spornstreichs laufe. – Sieh da! – Ich reise Extrapost, und scheine nicht von der Stelle zu kommen! – Fürs Kleinkauen bin ich nicht, guter Freund, so gesund es übrigens deinem schwachen Magen seyn mag!

Alles, was ist, hat Geist und Leib. – Ich liebe von allem nur den Geist, vom Buch, vom Trank, vom Essen.

Wie weit, sagte mir einstmals ein feiner Jüngling vor der Stunde, wie weit sind noch unsere hohen Schulen vom Ziele! wie weit! – Alles ist noch zu tapfer, anstatt daß es verfeinert seyn sollte. Je roher die Nation, je tapferer der Bürger! – Je mehr Renommist, je weniger Fleiß!

Aber, fing ein anderer an, wissen Sie auch, daß ein Knäbchen, Milch und Blut im Gesicht (schon wollte ich Angesicht sagen, das gebührt keinem Knäbchen), wissen Sie auch, daß ein solches Bürschchen mit aller seiner Wissenschaft kein Kerl ist? Ich nahm mich dießmal des andern an. Der Nutzen ist beim Geschmack nur nebenher, sagte ich. Sobald der Nutzendurst, eigentlich Hunger, zu merken ist, leb wohl, Geschmack! Fein ist der, der in der Anschauung Vergnügen findet; fest, steif, klug, wer auf Nutzen, wenn der Nutzen gleich nicht zu den sichtbaren Geschöpfen gehört, bedacht ist. Nutzen ist ein Gegenstand des Nachdenkens, Feinheit ist ein Dienst der Sinne. Wenn aber gleich eine silberne Dose weniger gefällt, als eine von zerbrechlichem Porcellan, es sey berlinisch oder aus Dresden; was meinen Sie, hat man denn immer Zeit, eine Dose zu warten? und ist's nicht unangenehm, wenn sie[12] bricht? Hat man denn nicht mehr in der Welt zu thun, als Geschmack und extrafeinen Geschmack zu zeigen? Ein Bauer, der seine milchgebende Kuh verkauft, um sich eine Alonge zu kaufen, oder eine Brabanter Kante, oder einen Rubens (ein Stück von ihm), was meinen Sie?

Wer recht viel vor sich gebracht hat, kann an Verfeinerungen denken; wer sein Feld gebaut, an den Garten, und wer sein Haus in Dach und Fach berichtigt, an Verzierung in seinen Zimmern. Das Menschengeschlecht, in Wahrheit, hat so wenig mehr zu verlieren, daß, wenn es noch lange mit zerbrechlichem Porcellan spielen wird, wenn es nicht bald anfängt sich zu besinnen und eine silberne Dose, die was aushält, zu kaufen, wenn es nicht wieder auf Dauer, Stärke des Leibes und der Seele zu sehen sich entschließt, nicht viel drum zu geben ist. Wäre das menschliche Geschlecht mehr Renommist, mehr stark, mehr deutsch, man könnte eher was mit anheben.

Ja wohl, sagte Herr v. G., der dießmal in der Stunde war, wer nicht seine drei Tage und Nächte auf der Jagd seyn und dem Hirsch den Fänger entgegensetzen kann, ist weder zum Groben noch zum Subtilen aufgelegt. Mehr wollte er nicht anbringen, um es mit dem Jüngling, der, so fein er war, doch wohl Herz haben konnte, nicht zur Jagd anzulegen.

Ein Haus, pflegte mein Vater zu sagen, das lange niemand bewohnt hat, verliert ein gewisses Leben! – Was nur bewohnt ist, lebt, oder ist belebt. Es ist ihm ein Leben eingehaucht. – So geht's mit den Wissenschaften, sagte Herr v. G., da ich bei einer Gelegenheit die väterliche Bemerkung mittheilte. Ich freue mich, daß ich auf ihn komme, um noch anführen zu können, daß ich auch in Göttingen in seiner Seele studirte. Unser Wirth hatte keinen Taubenschlag, am wenigsten ein geschmackreich gebautes Hühnerhäuschen, keinen Garten; und wie konnte sich Herr v. G. anders[13] helfen, als daß er sich drei Hunde zulegte, die er Argos hieß? Sie hatten andere Namen, er aber firmelte sie. Ich will nichts vom christlichen Namen Satan sagen, fing er an, wie kann aber ein Hund Packan heißen, wenn man in Königsberg vom Großvater examinirt ist? Homer! ich kann dich anreden, denn du lebst, du bist unsterblich! – Wie ist's möglich, dir ein besseres Opfer, selbst in christlichen Zeiten, zu bringen? Die dir angrenzende Nachwelt schlug sich deines Geburtsorts halber; ein curischer Edelmann nennt seine Hunde Argos! Wer es empfinden kann, wie schön es sey, daß ein Buch aufs Leben wirkt, was kehrt sich der an die Packans seiner Zeit!

In einem kleinen Garten kann füglich nicht Natur seyn. Der Geschmack liebt Miniatur! – Er besteht in der Kunst, etwas aus dem Großen ins Kleine zu bringen, um es übersehbar zu machen. Er ist so etwas Menschliches, als die Natur Göttliches ist! – Und hiemit, löbliche Universitäten, lebt wohl, lebt wohl! Wir scheiden so, wie in diesem Theil oft geschieden werden wird! – Ihr habt keine Authentica habita Cod. ne filius pro patre etc. nöthig, keinen Kranz, kein Gnadenzeichen – die ganze Fülle der Gelehrsamkeit wohnt in euch leibhaftig!

In seinem ganzen Leben hatte mein Vater keinen längern Brief geschrieben, als den ich auf meinen berlinischen von ihm erhielt. Ein groß Compliment für König Friedrich, wenn er deutsch könnte. Mein Vater suchte Rinnen, um abzulaufen, so voll war er – stellenweis.

Ich habe zwar die Melodie noch behalten; allein den Text habe ich in diesem sogenannten freien Lande, daß sich Gott erbarm! vergessen. Ein Hutmacher macht Cardinäle; allein kein Juwelier ein König! – Ich will es nicht sagen, daß es dir wie manchen Malern gegangen, die das Pferd besser als den Reiter treffen; allein wie ungern fand ich hie und da einen Abbruch zur Unzeit![14] Reden kömmt vom Reden; Thun vom Thun. Weiber essen sich trunken; Männer müssen Pokale haben, wenn sie warm an der Stirne werden sollen!


Auszug aus einem Briefe nach Königsberg.


Gern seh' ich, daß du den König sehen wirst! – Wenn er dich mit seinem Aug' elektrisirt, fühl es, daß es ein königlicher Funke sey. Grüß den König von mir. Das heißt, sieh ihn für dich und für mich! Man glaubt gleich alles im Menschen zu finden, was der andere sagt. So kann man für groß und klein, klug und unklug gehalten werden, je nachdem man im Ruf ist. – Es ist gut, daß sich die Könige nur selten, und dann zu Pferde zeigen. Sie sind geborene Reiter. Wandelten sie unter uns, wie oft würde der allerunterthänigst treugehorsamste Knecht sein Uebergewicht empfinden!


Fortsetzung des vorigen Briefes auf meine Epistel von Berlin.


Es gibt olympischen Neid oder Eifersucht; der steht einem Könige nicht übel, vielleicht ist er uns allen nützlich. Dieser Neid schadet dem andern nicht, sondern ist nur bemüht, sich nicht vorkommen zu lassen. Wir sind alle faul von Natur und brauchen Leidenschaftenvorspann, um weiter zu kommen!

König! Wo kommt's her? Von können? Kung, wie du weißt, heißt im Lettischen Herr. Nicht, als ob meine Achtung für Könige eine Folge von der Meinung wäre, die ich für die Person selbst habe. Meine Achtung ist so rein nicht, als ein mathematisches Problem; du kannst es nicht vergessen haben, daß ich von jeher des Dafürhaltens gewesen, der monarchische Staat würde uns in mancherlei Hinsicht zum Reiche Gottes führen. Wilde Bäume haben Stacheln, Ungezähmte Thiere fallen den Menschen, ihren[15] Herrn an. Und lehrt's nicht die tägliche Erfahrung, daß sich ein freier Staat sehr bald in kleine, fingerlange Königreiche zergliedert? Hier und dort und da fängt sich ein Mensch zu verbreiten an! Da geht's ihm denn freilich wie dem menschlichen Körper, der, wenn er in gewisse Jahre kommt, an Größe, in der Breite, mit dem Verlust der Kräfte und Wirksamkeit, zunimmt. Das Ganze leidet bei solchen Kleinkönigen; die Beilage hiezu ist Curland und Semgallen. Man lobsingt dem Alten, weil man im Wahn steht: die Natur brauche sich ab, werde alt! – Nicht also; noch heute kann Eden werden, im Gedicht und im Original.

Ich nehme dem Könige Friedrich seine Schatzkammer nicht übel. Wo eine Qualität ist, da laß ich auch eine Quantität gelten. Das Geld ist beim Privatmann ein schönes Piedestal, und ein König, der so wie er denkt, muß entweder alle Augenblicke Schätzungen ausschreiben, oder es machen, wie Friedrich – was ist besser?

Die Farbe des Verdienstes ist die Farbe der Schamröthe, so, daß auch alle rothe Farbe von ihr ein fast allgemeines Ansehen erhalten hat. Sie ist von ihr ins Geschrei gebracht. Purpur ist die Schamröthe auf einer braunen Wange! – Unser guter Hermann reißt beim letzten Vers des Liedes alle Züge seines Positives auf, und die gewöhnlichen Redner und Schreiber suchen mit einem epigrammatischen Gedanken zu schließen. Mich schmerzt so was. Stich ist Stich. – Dein Brief schließt B.R.W. mit dem alten Vale! Vale!

Ueber das Spiel hättest du mehr schreiben sollen. Es scheint mir wechselseitige Abmachung, interessirt seyn zu können. Eigennutz und alles und jedes, wo das Wort eigen vorkommt, ist aus dem Stammhause Eigenliebe. Wer kann indessen in einer guten Gesellschaft einen Menschen ausstehen, der ohne End und Ziel von sich selbst spricht; es wäre denn, daß er sein überstandenes Unglück[16] erzählt. Eben so ist ein Eigennütziger ein Gräuel im Umgange. Das Spiel scheint erfunden zu sehn, den menschlichen Neigungen, die man durch Lebensart zu unterdrücken verbunden ist, zu Hülfe zu kommen. Wir würden es sehr übel nehmen, wenn der andere uns geflissentlich gewinnen ließe. Der Gewinner muß indessen eben so viel Glück als Spielverstand zeigen, wenn wir ihm das Recht zu gewinnen zuerkennen sollen; obgleich es auch gewiß ist, daß Spieler diesen gern, jenen höchst ungern gewinnen lassen, es besitze jener gleich Glück und Verstand in der besten Proportion. Du verstehst mich von ferne. Unter dem Worte Spieler versteh' ich keinen, der auf's Spiel ausgeht, oder vielmehr ausläuft. Keinen Virtuoso, sondern einen Dilettante, um es dir deutlicher (das heißt oft uneigentlicher) zu geben. Bei Leuten, die keine Bewegung haben, ersetzt das Spiel diesen Mangel. Es ist Seelenbewegung, die nöthiger ist als die körperliche, es ist eine Abwechselung aller Leidenschaften, aller Jahreszeiten hätt' ich bald gesagt; und zur Gesundheit gehört diese Abwechselung.

Der König spielt nicht; kein König sollte spielen. Spiel ist Zeitvertreib, und wer kann des Morgens Karten mischen, ohne das Unschickliche zu fühlen? Ich kenne noch keinen Violonisten, der nicht selbst einem treuen Kenner oder Liebhaber lästig geworden, wenn er vor Mittage gespielt!

König Friedrich hat gern Leute, die Glück haben. Wo Verstand ist, muß auch Wille seyn. Ein Entwurf will Ausführung, ein Anfang Vollendung. – – – Man glaubt selbst glücklich zu werden, wenn man Glücklichen so nahe ist, und wer beschäftigt sich nicht am liebsten mit Dingen, wo Glück dabei ist. Darum spielt man Karten, darum setzt man in die Lotterie, darum geht man auf die Jagd, wenn man kein König ist, darum führt man Krieg, wenn man König ist. – – Herr v. G. sagt, alle Könige sind Spieler.[17]

Leb wohl, gib dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Fürchte Gott, ehre den König. Lebe wohl!


Aus einem andern väterlichen Briefe:


Deine Mutter schreibt dir viel, und unfehlbar auch von mir. Ich bin nicht mehr, der ich war. Wenn man einmal in gewissen Jahren ist, so hat man sich so ausprobirt, daß man lange vor Krankheit sicher ist. Da weiß man den verstimmten Clavis überzuspringen, da hält man eine Rede ohne R, wenn man das r nicht aussprechen kann. So gings mir; aber die Jahre traten ein, von denen es heißt: sie gefallen uns nicht. Das erstemal, daß ich klage. Stöhnen erleichtert den Schmerz, so wie der Aufschrei von Schrecken. Was hilft es, daß du früh aufstehst, und lange sitzest, und dein Brod issest mit Sorgen? Seinen Freunden gibt er's im Schlafe, im Tode. – Wer nach einer frohen Stunde den Tod schön finden kann, das ist ein Mann. Leben und Tod liegt im Gemenge. Was thun wir im Tode? Wir legen bloß das Kleid ab, das jedem zu enge ist. Wir glauben vom Tode, so wie die Jünger von ihrem Herrn und Meister, er sey ein Gespenst.

Ueber vierzig Jahre, wer wird von denen seyn, die jetzt sind? – Diesen Augenblick kann man deine Seel' abfordern, und was wird es seyn, das du an Zeit gesammelt hast? – Ich habe mich lange umgesehen, um von hinnen zu ziehen ins Vaterland! ἀνέχου καὶ ἀπέχου. »Lebe wohl!«

Das letzte Lebewohl! Der Herr setze ihn über viel, diesen lieben Getreuen über wenig. – Er ist eingegangen zu seines Herrn Freude! Amen! Amen!

Ich kann nicht mehr, als Amen schreiben, obgleich es schon so lange her ist, daß er mir dieß letzte Lebewohl schrieb. – Um es authentisch meinen Lesern mitzutheilen, schrieb ich es aus dem Original[18] aus, das noch da vor mir liegt. Ich weiß es, daß einige meiner Leser dem Herrn v. G. nachsagen werden, die Königin ist weg, das Spiel ist verloren! Der Trefflichste in diesem ist gefallen! – Meine Leser haben ihn gehört und ich! ich hab' ihn gesehen! – Noch seh' ich diesen Mann. Jede Falte in seinem Antlitz zeigte, wie gut er war! Wahrlich, die beste Probe eines guten Alten! – Ist's nicht wahr, daß die Falten sich nach den Lieblingsmienen formen? Ist's nicht wahr, daß sie da reifen, wo jene blüheten? O könnt' ich ihn darstellen!

Ruhe sanft, seltener Mann! Dein Segen war die Wolken- und Feuersäule, die mich geleitete auf meinen Wegen. Deinen Tod feiern heißt: Deinem Beispiel folgen.

Er ging mit der Sonn' unter! Es blieb unentschieden, wer schöner untergegangen! – In Abendroth gekleidet war die Wolke, die ihn zum Himmel nahm, schrieb meine Mutter.

Er starb den 24. Junius des Abends um 9 Uhr, in seiner Lieblingsstunde. Jeder hat seine Zahl, die ihm am Herzen liegt, versichert meine Mutter. So war dem hochwohlgebornen Todtengräber sieben ins Herz geritzt, die Zahl der Ruhe, die Sabbathszahl, die Zahl der Vollendung. Meines Vaters Liebling war die Zahl neun! Sie ist neun, pflegt er zu sagen und bleibt neun. Zweimal neun ist achtzehn, acht und eins ist neun; dreimal neun ist siebenundzwanzig, sieben und zwei ist neun; viermal neun ist sechsunddreißig; sechs und drei ist neun. Es ist die Zahl der Beständigkeit! Es kann seyn, daß die im ewigen Frühlinge sich befindenden neun Jungfern den ersten Probirer auf diese Berechnung gebracht, oder die Berechnung auf die neun Musen. Wer kennt nicht, wie mein Vater, die liebe, treue neunte Zahl? – Meine Mutter schreibt, diese selbstbeständige Zahl blieb ihm auch treu bis in den Tod. Er starb um neun Uhr Abends, ward neunundfünfzig Jahr alt, neun Monate und neun Tage![19]

Doch der Tod meines Vaters gehört zum vierten Bande, der seinen Lebenslauf enthalten soll, den ich bergab zu erzählen versprochen habe.

So viel noch vorläufig! Er starb, wie er lebte, sprach bis in den letzten Augenblick seines Lebens, wie Sokrates, sein Freund!

Meine Mutter, beschloß ihren Brief! Curland war sein Zoar, wo dieser fromme Lot Gnade fand vor Gottes Augen. Sein Vaterland hab' ich auch in seinem letzten Augenblick nicht erfahren, so herzlich gern ich es auch, die frühen Spargel und die Pfeife in der freien Luft, und die langen Manschetten an seinen Ort gestellt, – in dieser Welt gewußt hätte. Er, hat überwunden so manchen Hohn, der ärger ist als andere Leiden dieser Zeit, bei welchen wir in die Hände Gottes fallen! – Je mehr Pfand, je mehr Wucher! Seine Melchisedechspredigt, wo Salz und Schmalz war, und so manche andere gewaltige Predigten, zeigen, daß er nicht von sich selbst geredet, und so sang er auch nicht von sich selbst, da er bei der zweiten Strophe im zweiten Discant einfiel:


Läßt sie nicht lange weinen

In diesem Jammerthal! –


Er wird nicht in dem hin himmlischen: Heilig, heilig, heilig! einen falschen Ton angeben oder den Takt verlieren, dafür steh' ich! – Er wird mir aber danken, daß ich ihm Sang und Klang empfahl, um dort bei der Probe zu bestehen. Das Wissen bläset auf, aber die Liebe bessert!

Auch sie singt schon im höhern Chor ein himmlisches Halleluja! ein Heilig, Heilig, Heilig! deßgleichen kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz kommen, und Gott bereitet hat denen, die ihn lieben! – Hier war sie ein Lied, dort ist sie ein Psalm Davids; hier ein Sonnabend, dort ein Sonntag, ein Sabbath; hier ward sie gesät in Schwachheit, dort geht sie auf in Kraft![20] Wohl dem, der so stirbt, wie sie! Sie wartete auf ihren Tod, wie Simeon auf den Trost Israels. Sie starb wie Simeon: »Herr! nun lässest du deine Magd in Frieden fahren!«


Mein Leib und Seel' befehl' ich dir,

O Herr, ein selig End' gib mir!


Das war nach Minens Tod ihr immerwährender Seufzer! Ach! wann werd' ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue! Ich habe Lust abzuscheiden! Sie war getreu bis in den Tod, und wahrlich, wahrlich! sie hat das Ende des Glaubens, der Seelen Seligkeit, die Kröne des Lebens davongetragen. – Solch ein Weib stirbt nicht alle Tage! Wenn der hochgräfliche Todtengräber sie hätt' observiren können, was hätte er darum gegeben! Elias sprach zu Elisa: Bitte, was ich dir thun soll, ehe ich von dir genommen werde. Elisa sprach: Daß dein Geist bei mir sey zweifältig. – Sollt' ich mich trügen, wenn ich behauptete, daß viele diesen Wunsch hinaufgethan? – Nun so mögen die Prophetenkinder allen diesen guten sanften Biederseelen das Zeugniß geben, das sie Elisen gaben? Der Geist Eliä ruhet auf Elisa, ruhet auf diesen Wünschenden! Er ruhe wohl!

Meine Leser werden sich mit leichter Mühe erinnern, daß mein Vater in seiner Bibel beim Hauptmann zu Capernaum und bei drei Obersten Zeichen eingelegt, nicht minder überall wo das Schwert schlägt, das Fähnlein weht, Trompeten schallen, und wo Sold ausgetheilt wird. Eben so erinnerlich wird ihnen die Epistel am einundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis seyn, die in der väterlichen Bibel erschrecklich begriffen war, und die ich meinen Lesern im ersten Theile, so wie sie im lutherischen Altdeutschen lautet, wörtlich vorgelesen. Sollte hie und da einem Capitellosen dieß in Vergessen gerathen seyn, so sey es mir erlaubt, ihn an meine Mutter zu erinnern, die, wenn sie meinen Vater, mit dieser Epistel angethan, zur Kanzel steigen sah, zu sagen die Gewohnheit[21] hatte: Heute geht er gestiefelt und gespornt, wie ein geistlicher Ritter, auf die Kanzel. Indessen war auch sie, das gute Weib, von einer Prädilection wegen gewisser Spruchstellen nicht frei. Jeder Mensch hat nicht bloß seine Lieblingszahl, sondern auch seinen Spruch. Der Liebling meiner Mutter war: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen.« Wenn der Kelch noch nicht da war, mochte sie vielleicht gewünscht haben, er gehe vorüber; allein wahrlich, sie hat auch herzlich hinzugefügt: Nicht wie ich will, sondern wie du willt! Meine Mutter fand im diesseitigen Leben zwar Dornen und Disteln, allein auch Veilchen, Himmelschlüsselchen und Krausemünze. Sie hatte mit Schmerzen ein Kind geboren; allein dafür hatte sie auch einen Sohn. Dieser hieß zwar Alexander; allein er studirte Theologie. Ihr Ehemann sagte zwar nicht, wo sein Vaterland wäre; indessen war er doch rein und lauter in Lehr' und Leben. Zwar konnte sie eine Zeitlang keinen Menschen aufs Kanapee nöthigen, der Name Melchisedech ward nicht anders als bei gedeckten Thüren ausgesprochen, und selbst alsdann noch nur ins Ohr; indessen schlug mein Vater doch durch eine einzige Predigt so viele Blutgierige und Falsche, und befreite das Kanapee, das, wie ein verfluchtes Schloß, wüste war, vom Fluch. – Ein Weib, wie meine Mutter, war mit allen Wegen Gottes kindlich zufrieden. – Wenn sie unter den Israeliten gewesen, so hätte sie nach keinen Wachteln verlangt, obgleich sie ein Priesterweib und aus dem Stamme Levi war. Mit Manna hätte sie sich begnügt, so daß ihr nie ein Fleischtopf eingefallen wäre. Sie war nicht wachtellüstern. Viel für eine Pastorin! Da ich in meinem vierzehnten Jahr ohne Hoffnung krank darnieder lag, und mein Vater Licht! Licht! Licht! rief, sang sie mit einer Seelenfassung:


Gott eilet mit den Seinen,


daß sie sogar meinen ungestimmten, unmusikalischen Vater dahin[22] sang, daß er selbst bei der zweiten Strophe im zweiten Discant einfiel, wie oben und unten erwähnt worden!

Da mein Vater nach dem Brande versicherte, daß, da Cleopatra die eine Perle auftrank, sie nicht mehr verzehrt hätte, als er, und daß kein Lucius Plancius die andere Perle gerettet, war meine Mutter so Gott ergeben, daß sie mitten in der Predigt sang, mitten im Gewitter sanft regnen ließ, und nur eins lag ihr auf dem Herzen, daß ich nicht gepredigt hätte, ehe ich stürbe!! – Wie sehr ich meine Mutter geliebt, ist am Tage; und wenn selbst mein Tod sie nicht aus dem Lebensconcept bringen konnte, ich wüßte nicht, was sonst sie zu unterbrechen im Stande gewesen – Nichts, nichts konnte sie scheiden von ihrer Fassung, nicht Trübsal, nicht Angst, nicht Tod, nicht Leben! Wahrlich, sie kam nie aus der Melodie, sie hielt Takt, und konnte selbst ihre Hausgenossen, ihre Corinther, wie sie sie in ihrem Condolenzschreiben nannte, in Takt und Melodie setzen. – Minens Tod indessen brachte sie so sehr vom Leben ab, daß sie gern sterben wollte.

»O des schönen Baums im Garten Gottes!« schreibt sie noch in ihrem vorletzten Briefe. »Nach ihrem Ableben fühle ich keinen Schlag mehr der herrlichen Natur, wovon sonst meine Seele genas! Sie electrisirt mich nicht weiter. Sie ist mir nicht greiflich. Sie sitzt mir nicht mehr, daß ich sie malen kann! Keine Tulpe öffnet mir ihren keuschen Busen, den sie zuschnürt, wenn der Abend sich Freiheiten herausnehmen will. Die Rose lockt mich nicht wonniglich in die Abendkühle. Wenn ich sonst in den Wind sah, war mir, als hätte ich mich mit kaltem Wasser erfrischt, jetzt wird mir warm um's Herz, wenn ich ihn sehe! Er macht mir Hitze. Da sehe ich die Saat, die sich krümmet, wie das Alter, und sage nicht: Sey gesegnet im Namen des Herrn! Und dem Baume wünsche ich nicht Glück zur Erziehung seiner neugebornen Frühlings-Sprößlinge, die ich sonst so gern mit einer Handvoll Wasser zu taufen pflegte! – Ich verstehe[23] die Linde nicht mehr, wenn sie in der Gegend den Priester vorstellet, wenn sie sich ehrfurchtsvoll neiget, das kleine Gesträuch segnet und für selbiges betet. Es rührt mich nicht mehr, wenn dieses kleine Gesträuch so rings um die brüderliche Linde steht, und mit deinem Geiste lispelt, oder wenn es vielmehr, nach russischer Art, mit einem Gospobi pumilu sich bückt.

Wie schwer athme ich den Balsam des schönen Morgens ein! Ist es mir doch nicht anders, als wenn ich Arzenei einnähme! Wie pflegte mich die Natur lieb zu haben! Wie fest an sich zu drücken! – Lieb hatte ich sie wieder! ich weinte oft vor Freuden in ihren mütterlichen Armen! O ich habe eine liebe, gute Mutter verloren! – Wenn ich jetzt etwas sehe, ist es alles ungerathen, eitel! Da ärgert mich der Baum, der gerade wachsen könnte, und aus Eitelkeit schief wird, um sich in dem kleinen Gewässer zu bespiegeln, das in einiger Entfernung blinket – und dort verdrießt mich das elende Kraut, das sich auf der stolz herausgewachsenen Wurzel der Eiche niederläßt und diesen edlen Baum chikanirt, wie oft der Pöbel große Männer.

Zwar liebe ich mich abzusondern; allein ich kann nicht ganz allein seyn; das heißt im Finstern. Licht ist Gesellschaft, pflegte unser Seliger zu sagen, und ich brenne selbst Licht in der Nacht, als ob ich es besser wüßte, wie der liebe Gott, der gewiß mehr Licht am ersten Tage hätte schaffen können, wenn es gut gewesen wäre. Bei weitem bin ich nicht, was ich war. Eine Scheelsüchtige bin ich!

Das Kind muß einen Namen haben! Warum Winkelzüge? Freude an der Natur ist das Probatum est eines guten Gewissens. Eine feurige Kohlensammlerin, eine Aufhetzerin ist die Natur dem, der es mit dem Gewissen verdorben hat. Den Zorn kann man besprechen; allein den Schmerz nicht.

Das thränenschwere Veilchen gefällt meinem Auge am meisten,[24] weil sich gleich und gleich gern gesellen, und wenn uns beiden der Tropfen entblinkt, sehen wir gen Himmel, der am besten weiß, was uns nützet. Da zitterte gestern ein Tropfen auf einem Vergißmeinnicht, und der in meinem Auge bebte eben so lange, bis mein Auge zugleich mit diesem blauen Blümchen entbunden war, und beide Tropfen zusammenflossen zu den Füßen des schönen Vergißmeinnicht. Mine, Mine, Mine! Ich vergesse dich nicht, ich vergesse dich nicht!

Welke, gelbe Blätter, das ist meine Wonne, wenn sie abfallen, ich lese und höre Gottes Wort; allein ich lege keine Sylbe bei! Und je mehr ich mich fassen will, je ärger ist es. So geht's mit den Leidenschaften, sagte dein Vater, je mehr man drückt, je elastischer sind sie! – Ich, die ich keine Fliege auf dem Rücken liegen sehen konnte, wenn sie an's Fenster prallte und sich den Kopf stieß; ich, die ich ihr aufhalf, obschon sie mich oft aus der Melodie sumsete, habe unschuldig Blut verrathen. O Mine! Ist es Wunder, daß mir der Blüthenschnee wie ein Leichentuch vorkommt? O, wann wird es von mir heißen: Ich liege und schlafe ohne Kummer! Wie lange soll ich noch fragen: Hüter, ist die Nacht schier hin? Wann ruft Gott der Herr in mein Chaos: Es werde Licht, und es wird Licht? Wann singe ich im höhern Chor: Der Tag vertreibt die finstere Nacht

Das war die anhaltende traurige Lage meiner Mutter um Minens willen! – Geschieht das am grünen Holz – Die gute Bußfertige! In ihrem Trostschreiben, das ich in seiner Länge und Breite mitgetheilt, so wie sie es in verschiedenen Absätzen, die sonst ihre Weise nicht waren, an mich erlassen, war nichts in der ersten Hitze geschrieben. Sie blieb so, bis in ihren Tod! – »Wer lebt so, wie er glaubt?« pflegte sie zu fragen, und darauf: »Das thaten nur die Apostel,« zu antworten. Wahrlich! sie lebte, wie sie glaubte. Sie that, was sie sagte. Sie redete lebendig, sie handelte,[25] wenn sie sprach. Jetzt war sie nicht mehr die Sanftfließende! – Alle Augenblick schlug sie Wellen. Sie lag nicht still auf einer Seite. Sie riß das Deckbette.


Etwas über das Gewissen.


Man sey noch so fromm, noch so gut, wer hat nicht ein Wort, dem er nicht auswiche, wie meine Mutter, wiewohl meines Vaters halber: Melchisedech. – Wer hat nicht eine Handlung, an die er ungern denkt, und wer kann auch bei der sorgfältigsten Bemühung, ein unbeflecktes Gewissen zu behalten, beides vor Gott und den Menschen, vor allem Schaden stehen? Zwei Dinge sind uns noth, Gewissen und Ruf. Dieser des Nächsten, jenes unsertwegen. Das Gewissen aber verdient, nach der Meinung eines Weisen des Alterthums, mehr Rücksicht als der Ruf. Dieser kann trügen; jenes nie. Beim Ruf fällst du in der Menschen Hände; beim Gewissen in die Hand Gottes. Ich halte dafür, daß es zweierlei Gewissensarten gebe, ohne dem neuen gewissen Geist, den wir als eine Frucht eines guten Gewissens von Gott erwarten können, ohne dem göttlichen Diplom des Gewissens zu nahe zu treten, und auch ohne auf der andern Seite die Distinctionen von Vor- und Nachgewissen u.s.w. ungültig zu machen. Es ist ein Lebens- und Sterbens-Gewissen. Auch der redlichste Richter findet, ehe er von seinem Obern untersucht werden soll, noch Mängel, ohne auf ABC-Schnitzer, die nur ein Revisionsknäbchen rügen kann, Rücksicht zu nehmen. Auf die Frage, was ist die Freiheit? antwortete jener Weise: Ein gut Gewissen. Wer ist aber, der sich nicht zuweilen, wie ich mit meinen Soldatengedanken meiner Mutter halben, unter die Bäume im Garten versteckt und von Feigenblättern sich Schürzen macht? Auch Julius Drusus, der in einem durchlöcherten Hause wohnte, und welcher das Anerbieten eines Künstlers, für fünf Talente diesen Flickbau zu übernehmen, mit den Worten ablehnte:[26] daß er zehn geben wolle, um sein ganzes Haus aller Augen darzustellen; auch er wird doch bei allen guten Zeugnissen seines Lebensgewissens ein dunkles Kämmerchen gehabt haben, wo ihm ein hereingeschlagener Funke ein ungebetener Gast gewesen wäre!

Am Sonnabend überdenkt jeder gute Haushalter die Woche; am letzten Tage im Jahr das Jahr; im Sterben das Leben! Es ist gleichviel, ob ich es hier oder wo anders erzähle. Ich habe einen Deserteur – in – – erschießen sehen, der, seiner angebornen Freiheit halber, sich nicht überzeugen konnte, von Rechtswegen ein Mann des Todes zu seyn. Selbst die spitzfindigsten Rechtslehrer entschuldigen hiermit die Flucht aus dem Gefängnisse, und in einem gelehrten theologischen Werklein, das ich gelesen, wird von einem Casuisten behauptet, daß ein Missethäter, der auf den Tod säße, mit gutem Gewissen, wenn er dazu Gelegenheit hätte, entfliehen könnte. Es liegt wirklich etwas Menschliches drin, daß die Flucht aus dem Gefängnisse die Strafe nicht vergrö ßert, die auf den Missethäter wartete, wenn er nicht geflohen wäre. Mit der Desertion ist's so eine Sache. Es kömmt alles auf den Contract an, den der Soldat eingeht. Unserm waren von den Capitulationspunkten nicht ein einziger gehalten, und doch sollt' er des Todes sterben. Bitter und gesetzt, wie ein Märtyrer, ging er zum Richtplatz. Die Märtyrer haben alle den Todesgang, als wäre nichts, Welt auf, Welt ab, ihrer werth. – Die Geistlichen hatten sich müde und matt bemüht, unserm Verurtelten zu beweisen, daß er alle zehn Gebote, und des Dr. Luthers Auslegung obenein, bis auf jedes Komma und Punkt übertreten hätte; allein er blieb dabei, er sterbe unschuldig. Nun sagte einer der vornehmsten unter den ehrwürdigen Herren, so wäre seine Behauptung, unschuldig zu seyn, eine Todsünde; denn, setzte er hinzu, wenn wir alles und jedes gethan haben, was wir zu thun schuldig sind, bleiben wir doch unnütze Knechte und des Galgens[27] werth. Da der Deserteur aber diesem Manne, der die Sache beim rechten Ende angegriffen zu haben glaubte, seinen Platz anbot, hieß es, daß sie so nicht gewettet hätten. – Kurz, weder Kaiphas noch Pilatus, weder das geistliche noch das weltliche Gericht konnten ihn von seiner Märtyrer-Denkungsart abbringen. Der Tag des Todes erschien, und auch der ging ihm auf wie alle andern, außer daß er, der Lust wegen, die er, wie er sagte, lange nicht genossen, ein Glas Wein frühstückte. Es ward zum Todesgang getrommelt. Fürchterlich! – Er ging ihn, da er sich bloß wegen der Lust präcaviren zu dürfen glaubte, getrost. Unterwegs fiel ihm ein Bettler ins Auge! Halt! schrie er – ich habe gesündigt! Gott erbarme sich mein, nach seiner großen Barmherzigkeit! Sagt' ich nicht, fing der Geistliche an, der ihm das Geleite gab, kommt Zeit, kommt Rath. – Der Märtyrer kam so aus der Fassung, daß er kaum weiter konnte. Der kommandirende Officier, der an der armen Seele des Deserteurs wahren Theil nahm, bewilligte ihm Zeit und Raum zur Buße, und war eben im Begriff, ihm den Soldateneid vorlesen zu lassen; der Geistliche, die zehn Gebote mit ihm nochmals kürzlich durchzugehen, und, wo es die Zeit zuließe, auch noch die übrigen Hauptstücke des christlichen Glaubens: als es sich ergab, daß der verstockte Sünder über sein Kapitalverbrechen noch eben so, wie zuvor, dachte. Der Bettler hatt' ihn an eine Schuld erinnert, die er mitnahm! Zwar, fing er an war ich in Noth; allein mußt' ich darum dem armen alten Kerl das Brod nehmen? Er hatte vor fünf Jahren einem alten Bettler ein Brod genommen; (um meine Leser nicht aufzuhalten) der Bettler, dem unser Läufer begegnete, mochte nun entweder eine Aehnlichkeit haben mit dem, welchem er das Brod genommen, wie denn alle Bettler sich gleich sind, oder es mochte das Gewissen, welches, wie man sagt, auch seine fünf Sinne hat, bei dieser Gelegenheit auf die alten, schon reponirten und bestaubten[28] Acta gefallen seyn; kurz, dieser kleine Vorfall brachte ihm zum Bekenntniß, ein großer armer Sünder zu seyn, und das Leben verwirkt zu haben. Nicht immer machen dem Menschen die schädlichsten, gefährlichsten Dinge den größten Schmerz. Wer ist am Zahnweh gestorben, und wer kann diesen Schmerz, ohne zu murren, ertragen? Einer der Kameraden, den dieser Vorfall rührte, bot dem großen armen Sünder einen Theil von seinem Solde an, um daß Gewissen zu stillen; er nannt' es aus gutem Herzen: dem Gewissen was zu verbeißen geben; allein der Läufer verbat's: Gib es, wenn du, ohne selbst zu betteln, es missen kannst, in deinem eigenen Namen. Ich will nicht prahlen! – Das Gewissen eines Sterbenden ist nicht so leicht befriedigt – sagt' er nach einiger Zeit. Der arme Kamerad gab es, und hatte, acht ganzer Tage Buß-und Bettage, das heißt: er konnte in acht Tagen keinen Tropfen Bier trinken; es war von seinem Solde. Der Prediger hatte kein Geld bei sich; der Stabsofficier hatte Familie, und die Subalternen waren noch Billardpartien schuldig.

Das Gebet des Bußfertigen war kurz, herzbrechend! Er hatte ein Weib und zwei Kinder in den Staaten eines andern Herrn, und hatte im besoffenen, oder welches gleich viel ist, im zu guten Muth, Handgeld genommen. Seine Capitulationsjahre waren abgelaufen. Weib und Kind wollten seine Schwiegereltern nicht ziehen lassen, und also – Solch einen Schuß, der diesem Armen das Herz bohrte, Gott laß ihn mich nie mehr hören! – Seinem Weibe ließ er noch durchs seinen Freund der ihm den Becher kalten Wassers auf dem Richtplatz reichte, zur Pflicht machen alten Bettlern, die so aussäen, wie der, der ihm begegnet und dem der Kamerad seinen Sold, sein täglich Brod gebrochen, ein ganzes Brod zu geben; auch wollte er, daß seine Kinder und Kindeskinder es thäten immerdar. – – Das ist mein letzter Wille, sagte er, und hiemit gab er seinem Kameraden die Hand, her den Bettler, der[29] Wittwe zur Regel, abzeichnete und ihn traf. – Leb wohl! Du warst ein ehrlicher Junge, und so stirbst du auch. – Der Kamerad durfte, des grausamen Herrn Fähnrichs wegen, nicht weinen, desto mehr hielt er aus. Es war ein Ausländer! –


Die Nutzanwendung.


Mine war das Alles meiner Mutter! was der Bettler dem Läufer. Sie war älter, als der Läufer. Es fiel ihr also manches genommene Brod ein! – Der Hauptdiebstahl war Mine. Noth hin, Noth her. – Das Sterbensgewissen ist nicht so leicht zu befriedigen. Bis auf die Curländerin lag alles schwer auf ihr. Eine verstimmte Pfeife, schreibt sie, verdirbt die ganze Orgel. Bei mir ist mehr als eine in Unordnung. Was bei manchem Rath ist, ist bei mir Unrath.

Meine Mutter ging in Gedanken in ein Carthäuserkloster und sah es ein, daß der Mensch, auch bei den besten Gesinnungen, unmöglich mir nichts dir nichts sterben könne. Wer kann wissen, wie oft er fehle?

Der Stamm Levi vermehrte bei dieser Selbstprüfung ihre Seelenleiden. Es war die Kohle auf ihrem Haupte, welche die andern noch mehr aufglühte. Wer viel empfing, von dem wird viel gefordert. So viel Mund, so viel Pfund! sagte sie. – Zwar empfand sie leibhaftig, daß sie ihrem Nächsten nicht Wasser und Luft verkauft, daß sie kein verirrtes Schaf in ihren Stall getrieben und dem Nabot keine Spanne Acker abgegrenzt, daß sie keine Taubenkrämerin, keine Käuferin im Tempel gewesen. Geben war ihr seliger als nehmen; indessen heulte doch die ganze Orgel.

Jacobs Ausruf: »Er lebt, ich will hin, ihn zu sehen,« hatte ein großes Zeichen, und so auch alle Stellen, wo Tod und Todtengebeine vorkamen. Die Lebenszeichen wurden zwar nicht verworfen,[30] dazu war sie zu sanft; allein sie wurden so in die Bibel gesteckt, daß ihr Haupt nicht zu sehen war. Er hatte sich geneigt.

Mein Vater sagte, es sind alte verdiente Officiere, die man zu Commandanten macht. Ein dergleichen Commandantenpöstchen hatte auch ihr ehemaliger Liebling: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen.« Der Inhalt der liebsten, ja einzigen Gespräche waren die vier letzten Dinge: Tod, Auferstehung der Todten, jüngstes Gericht, Ende der Welt. Alle, die sie sonst gekannt hatten, fanden jetzt bei ihr eine so große Veränderung, als zwischen Tod und Leben, zwischen Wachen und Schlafen, und sie verbarg sie auch nicht, wie ehemals den Namen Melchisedech. Thür' und Thor standen offen bei ihr. Jeder sah den Unterschied, wie Tag und Nacht. Ich weiß nicht, wie es zugegangen; allein alle Augenblicke hatte sie einen schweren Namen im Munde. Mein Vater wollt' ihr aushelfen; allein sie verbat's. Der Tod ist weit schwerer, als diese kauderwelschen Namen, sagte sie, und mein Vater schwieg bedenklich.

Tertullianus und Theophylactus in Ehren, fing sie an, welche die Paradoxie gehabt, daß die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus eine bloße Parabel sey: die guten Herren haben gewiß keine Mine in ihrem Dorfe gehabt, und keinen Sohn, der Minen liebte und keinen Gewissensscrupel Minens Todes halber, sonst wären sie gewiß so orthodox gewesen, die Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus für das zu halten, was sie ist, für reine, gediegene Wahrheit. Hat denn Adrichomius sich nicht anheischig gemacht, des reichen Mannes Haus in Jerusalem zu zeigen jedem, wer es sehen will? Ich thue drum keinen Schritt, fügte meine Mutter hinzu, und eben so wenig mag ich das Husten Christi sehen, das man irgendwo vorzeigt.

Das heilige Grab aber, das Grab Christi, o! wie gern hätte dieß meine Mutter gesehen! Sie nannt' es ein geistliches Bad,[31] einen geistlichen Gesundbrunnen, und wunderte sich nicht, daß so viele Seelenkranke, so viele Pilgrime dahin wallfahrteten! Mein Vater, der hiebei indessen seinen ritterlichen Gesinnungen ihren Lauf ließ, hatte so wenig wider diese Reise etwas einzuwenden, daß meine Mutter wegen seiner Reisefertigkeit zuweilen fast auf den Gedanken gefallen wäre, ob nicht im heiligen Lande sein Vaterland sey, wenn die langen Manschetten ihr nicht im Wege gestanden. Vater und Mutter reisten also die Woche ein- bis zweimal ans heilige Grab, und legten sich, so oft sie sich auf diesen Weg machten, so pilgermüde, so gottselig nieder, daß ich wetten wollte, kein frommer Grabeswanderer hat eine bessere Nacht gehabt, als sie. Des Morgens waren sie zwar immer in –, ohne daß sie einen Türken gesehen; was thut aber der Türke zur Sache?

Wie ich mich verirre, ohne daß ich diese Reise nach dem gelobten Lande mitmache! Da bin ich wieder bei den vier letzten Dingen!

Wer meiner Mutter einen Liebesdienst erweisen wollte, mußte von diesen vier letzten Dingen mit ihr sprechen. Wenn es auf sie angekommen wäre, hätte sie noch gern wenigstens ein letztes Ding darüber gewünscht, um noch mehr darüber reden zu können, wenn nicht die Fünf, eine herzbrechende Zahl, darauf gefolgt. Mein Vater sagte ihr, von den vier Theilen Europens, von den vier Weltgegenden, von den vier Jahreszeiten, von den vier Altern des Menschen, von den vier Temperamenten und vier Elementen, läßt sich leichter reden, als von den vier letzten Dingen; allein meine Mutter ließ sich nicht abwendig machen. Die vierte Zahl war ihr Liebling geworden. Es hat zwar, sagte sie, kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und ist in keines Menschen Herz kommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben; wenn es aber gleich schwer ist, von einer Sache zu sprechen, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und die in keines Menschen Herz kommen: so haben wir[32] doch Mosen und die Propheten, und im neuen Testamente bis Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus, wo man, des Tertullianus und des Theophylactus unerachtet, mehr von den hauptletzten Dingen hört, als uns Vernunft und alle fünf Sinne zu lehren im Stande sind. Die Meinung der Psychopannychiten, als ob die Seelen noch in der Welt herum wanken, und andere dergleichen Meinungen, wie abgeschnitten! Luc. 16. stand der Text meiner Mutter, der keinen Commandantenposten, sondern ein hervorstehendes Zeichen hatte; und sollt' er nicht? – Eine Cocarde am Hute, sagte ein Einfallist, ein neumodischer Candidat, den meine Mutter auf diese Zeichen aufmerksam machen wollte; allein dieses Bürschchen ward gerupft, obgleich er noch mit seiner theologischen Schärpe und Ringkragen, so wie er eben gepredigt oder auf der Wache gewesen war, da stand. Unmöglich hätt' er übler wegkommen können, wenn er einer der fünf Gemüths- oder Geblüts-Brüder des reichen Mannes gewesen wäre!

Der Tod ist Prosa, sagte meine Mutter, der Himmel Poesie. Darf ich weiter in dem Text? – Kürzen heißt nicht veruntreuen. Ich will mit Fleiß bei der Extrapost bleiben, damit niemand meiner Mutter den Vorwurf mache: sie hätte ins Gelag hinein geredet. Meine Leser kennen sie noch nicht in der Todeslaune, die auch prosaisch war, wie der Tod. Ueber Luc. 16.

Es kommt, fing sie zu ihren Korinthern an, alles von Gott, Glück und Unglück, Leben und Tod, wie Sirach im eilften Capitel und dessen vierzehnten Vers schreibt. Abraham war ein reicher Mann. Er würde gewiß mit keinem Curischen von Adel getauscht haben, und der König Salomo, dem der Reichthum im Postscript zufiel, wie reich war er nicht! Was ist vom ehrbaren Rathsherrn Joseph von Arimathia zu sagen, der, so reich er war, doch auf das Reich Gottes wartete, und der vornehmste Todtengräber gewesen, der je gelebt hat! Wie leicht fällt aber beim Reichen die Frage[33] vor: wer ist der Herr? Wer läßt sich durch Gottes Güte zur Buße leiten? Wer sagt nicht zu seinem Palast wie Nebucadnezar: dieß ist die große Babel, die ich erbauet habe zum königlichen Hause, zu Ehren meiner Herrlichkeit; und bei Gelegenheit seiner vollen Scheuern: du hast nun einen guten Vorrath auf viele Jahre, liebe Seele, habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Muth. – Wie leicht kleidet man sich in Purpur und köstliche Leinwand. – Des dreigliedrigen Candidaten – Manschetten könnten, unter uns, kleiner und feiner seyn.

Was wird seyn, du Prasser, du Vielfraß, du Saufaus, was wird seyn, daß du alle Tage herrlich und in Freuden gelebt hast? O ihr, die ihr euch weit vom letzten Tage achtet, die ihr auf elfenbeinernen Lagern schlaft und Ueberfluß treibt mit euren Betten, die ihr die Lämmer aus der Heerde eßt und die gemästeten Kälber, die ihr Wein aus den – Schalen trinkt und salbt euch mit Balsam und bekümmert euch nichts um den Schaden Josephs, was ists, was ihr gelebt habt? Wir wollen uns mit dem besten Wein und Salben füllen; lasset uns die Maienblumen nicht versäumen! Weisheit im zweiten Kapitel, der sechste und siebente Vers: euer Morgensegen, euer: das Walt, ist: wohl her! Lasset uns wohl leben, weil es da ist, und unseres Leibes brauchen, weil er jung ist! Euer Benedicite! Euer: Aller Augen: Kommt her, laßt uns Wein holen und voll saufen, und soll morgen seyn wie heute, und noch viel mehr. Wehe! wehe! es wird nicht lange so seyn! Der Reiche starb und ward begraben, und als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarum in seinem Schooß – die Engel waren seine Seelenträger! Seiner Seele war es nicht anzusehen, daß der Leib voll Schwären und daß die Hunde seine Wundärzte gewesen. Gerades Weges, ohne allen Umweg, kam er an seinen Ort, so wie der reiche Mann an den seinigen! Was der Tod nicht[34] machen kann! Welche Kluft ist zwischen beiden befestigt! Lange war der diesseitige Wall so groß nicht.


Die Sterbensgeschichte meiner Mutter selbst.


Das Ableben meines Vaters war Oel für diese Lampe, die für die Ewigkeit brannte. Auch der Tod des Herrn v. G. lieferte einen Oelbeitrag. Dieser starb plötzlich in unserer Kirche, und kann ich, wenn es verlangt wird, noch Red' und Antwort von seinem Hintritt ertheilen! – Der hochgeborne Todtengräber hat so viel Leichenbegängniß in diese Lebensläufe gebracht, daß ich fast vermuthe, mancher Kunstrichter werde sich auch eine Spruchstelle merken, und ihr kein Commandantenzeichen beilegen. Laßt die Todten die Todten begraben! – Kann seyn; hab' ich aber nicht Minens Tod zu feiern?

Nach meines Vaters Tode lagen meiner Mutter ein großer Theil Amtsgeschäfte auf, womit sie den benachbarten Herrn Confrater nicht beschweren wollte, welcher sich sonst der heiligen Nothdurft der verwaisten Gemeinde annahm. Oeffentlichen Amtsverrichtungen konnte sie sich freilich nicht unterziehen, weil die Weiber, wie sie sich von selbst beschied, schweigen müssen in der Gemeinde; dagegen war sie, wo ein Christ nur irgend ein geistlicher Priester seyn kann, dieser Priester mit Leib und Seele. Sie setzte den Unterricht mit den Katechumenen fort, sie zeichnete die Beichtkinder an, ermahnte und tröstete sie, nachdem es der Seelenzustand wollte. Die vier letzten Dinge wußten die Kinder wie das Vaterunser. Vorzüglich besuchte meine Mutter die Kranken. Ehre den Arzt, sagte sie, da mein Vater auf ihr beständiges: der Brief, gab, sondern wider die Aerzte declamirte; in Wahrheit, sie ehrte die Aerzte; es sind Leibessorger, pflegte sie zu sagen. Obgleich sie die Aerzte, und unter ihnen den Dr. Saft, ehrte, spendete sie dennoch, wenn es die Gelegenheit gab, Hausmittel aus, denen sie indessen,[35] wider die Meinung meines Vaters, bei weitem nicht so viel als einem Saftschen Recept zutraute. Sie war sehr für alles Geschriebene, und stand jedem Saftschen Schwarz auf Weiß den Rang zu. Die Seelencur ging bei ihr über alles. Heirathen rechnete sie in gewisser Hinsicht auch zu Seelenmitteln. In allen Seelencuren war sie so glücklich, daß das ganze Kirchspiel zu ihr ein so unumschränktes Zutrauen hatte, daß die Gemeinde (den Adel nehm' ich aus, der zum Theil sein Gespötte mit ihr trieb) sie sehr gern in die Stelle ihres Mannes zum Predigtamt berufen hätte, wenn nicht das Geschlecht ihr entgegen gewesen wäre. Selbst von der Nothtaufe hatte sie ihre besondern Meinungen, wobei die Herren Diaconi, Pastores, Präpositi und Superintendenten gewiß nicht den Kürzern zogen.

Was jene weise Frau zum Feldhauptmann Joab sagte, da er Abel bestürmte! »Vor Zeiten sprach man: wer fragen will, der frage zu Abel, und so ging's wohl aus,« das galt von meiner Mutter und ihrem Rathe, den sie keinem entzog, der ihn begehrte. Das Pastorat blieb wie gewöhnlich lange erledigt, und meine Mutter hatte also Gelegenheit, ihre Gaben in mancherlei Art unter die Kirchspielsleute zu bringen. Da zersprang ein Felsenherz, welches vieljährige Bosheit gehärtet hatte; da thaute der Frost wie vom Märzschein auf, wenn sie ermahnte, wenn sie lehrte. Zwar hatte ein Benachbarter von Adel sich über sie gar lustig ausgelassen, daß sie ihm wie ein flügellahmer Storch vorkäme, der den Winter zurückgeblieben; allein dieß war ihr kein Stein des Anstoßes, kein Fels der Aergerniß. Rache war nie ihre Sache, wie sie sagte. Man fand das kunstlose Alterthum, wenn man sie sah. Ihre sehr treuherzige Art zog ihr alle Herzen zu. Sie war keine Blendlaterne, die von allen Seiten zugezogen ist, sondern eine gläserne Lampe, die überall Licht zeigt, wo man sieht. – Eine Fackel war sie nicht und wollt' es auch nicht seyn. Ein Dorfmädchen,[36] das eine Hauptdichterin der Gegend war, sagte, daß ihre Worte die Herzen, wie die Morgensonne die Blumen, öffneten, daß sie dastünden wie die Blumenkelche. – Seht, so hat die Natur selbst ihre Kunst. Es ist ein sehr bekanntes Sprichwort: »Wie die Natur spielt!«

Einst träumte meine Mutter, daß Minchen sie auf ein himmlisches Vocalconcert einladen ließ, bei welchem mein Vater, der wahrlich diesseitig, auch selbst nach dem Brande, nicht sehr musikalisch war und nur den zweiten Discant versucht hatte, eine Hauptstimme übernehmen würde. Ehe sie antworten konnte, war das Gesicht verschwunden. Diese Einladung blieb sehr lebhaft in ihrer Seele. Des Tags auf diesen Traum ging meine Mutter, die Seelenbesorgerin, zu einer Kranken (es war die Mutter des armen kleinen Jungen, der seinen Milchtopf zerbrochen hatte und dem Minchen aus der Noth half, indem sie behauptete, daß sie schnell zugegangen und da wäre der Topf hin gewesen). Sie hatte eine hitzige Krankheit; ein ländlicher Universalname aller Krankheiten. O meine Lehrerin, schrie ihr die Hitzigkranke zu, ich bin diese Nacht zu Gaste bei Minchen gebeten auf ein Gericht Manna, wo ich mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen werde. Gewiß werd' ich auch meinen Siebenjährigen finden, der den Milchtopf zerbrach. Der Liebe wird himmlisch groß geworden und schön ausgewachsen seyn! Meinen Sie nicht, liebe Frau Pastorin? Meine Mutter hatte die Einladung auf Manna so getroffen, daß sie nicht antworten konnte. Nach ihrer Erholung entdeckte sie der Kranken ihre Einladung auf Gesang. – Ich habe aber nicht zugesagt, sagte meine Mutter. Und warum? die Kranke. Weil das Gesicht die Antwort nicht abwartete. Gut, fuhr die Kranke fort, so werd' ich die Antwort mitnehmen. Amen! sagte meine Mutter, um ein himmlisches Wort zu gebrauchen; Halleluja! die Kranke, und nun ward eine Todesstille, als ob beide sich zu dieser Einladung[37] vorbereiteten. Nach einer Weile kamen sie wieder, wo sie stehen geblieben, und die Kranke konnte sich nicht drein finden, daß meine Mutter auf Gesang, sie aber auf Manna geladen sey, wobei meine Mutter ihr ins Geleis half. Seht nur, gute Nachbarin, da kann ja während dem Singen, sagte sie, auf Blättern vom Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses und vom Baum des Lebens Manna herumgetragen werden. Wenn die Blätter groß sind, sagte die Kranke – Messer und Gabel und Teller, fuhr die Kranke fort. – Weg damit, versetzte meine Mutter. In der Auferstehung werden sie weder freien noch sich freien lassen, sondern sie sind gleichwie die Engel Gottes im Himmel. Die Kranke reichte meiner Mutter die Hand und mit ihr den Tod. Mit einem Schauer trat er ihr in alle Glieder. Sie wußt' es, daß er eingetreten war und ging heim. Die Nachbarin starb in wenigen Stunden, um bei Minen Gesang und Manna nicht zu versäumen. Meine Mutter ward krank, ohne daß sie und Dr. Saft wußten, was ihr fehle. Sie starb an der Einbildung, wenn ich mich nicht irre, an der mehr Leute sterben, als man glauben sollte. Daß viele daran krank sind, ist eine ohnedem bekannte Sache. Sie hatte, wie der Graf – in Preußen, das himmlische Heimweh, nur mit dem Unterschiede, daß es beim Grafen eine lange zehrende, bei meiner Mutter eine hitzige Krankheit war. Ein Lied war ein Springwasser, das ihr zuweilen Kühlung bot, und mit welcher Inbrunst sang sie! Ihr Trost war ohne allen Aufwand – sie sah nicht in die Sonne. Der Mond war ihr Planet, der Planet eines Planeten. Wer kann in die Sonne sehen! sagte sie. Der Mond hat so was Menschliches. Laß sie, die hochweisen Herren, nur immerhin behaupten, fuhr sie fort, den Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses schon in dieser Welt gefunden zu haben; es ist wahrlich eine Schlange, die sie verleitete. Die Regeln können zwar schlechte Dichter vom Parnaß, oder besser vom Sinai zurückhalten, haben[38] sie aber je einen gemacht? Die Weisheit dieser Welt, was ist sie beim Licht der reinen Wahrheit? Werdet wie die Kinder. Wenn andere lehren: Zieht die Kinderschuhe aus, lehrt uns wahre Weisheit: Zieht sie an – und noch bis jetzt, fuhr meine Mutter fort, hab' ich mich beim lieben Mond und bei den Kinderschuhen wohl befunden. Was sie über ihr Herz bringen konnte, das konnte sie auch mit der Vernunft reimen. Das Herz spielt auch wirklich weniger Streiche als die Vernunft. Die Vernunft ist eine Gemeinuhr, jeder schiebt ihren Zeiger; das Herz trag' ich bei mir. Je weniger der Mensch der Vernunft und dem Schicksal Blößen über sich gibt, je unüberwindlicher, je stärker ist er. Wenn ich schwach bin, bin ich stark, konnte meine Mutter sagen. Ihr Porträt war weibliche Schwachheit im Arm männlicher Stärke. Vater und Sohn können an einem Tage taufen lassen. Ein Pomeranzenbaum hat Blüthen und Früchte.

In Betreff ihrer Krankheit, so verstellte sie nicht ihre Geberde. Schon bei meines Vaters Leben hatte sie eine alte Priesterwittwe, anstatt einer Diakonin, zu sich genommen, und von ihr hab' ich empfangen, was ich meinen Lesern erzähle, und zwar so, als wär' ich Augenzeuge gewesen. Auf meine Sünde wider Mine steht Gewissensbiß in der vorletzten Stunde, pflegte meine Mutter oft zu sagen; die letzte aber, setzte sie hinzu, wird heiter seyn. Es nagte und plagte sie noch heftig, wenn gleich sie bis auf die vorletzte Stunde überwunden zu haben glaubte. Sie sagte in einer schweren Stunde der Anfechtung, in Rücksicht der schon erkämpften und sie jetzt wieder fliehenden Ruhe, auf eine schreckliche Weise: wie gewonnen, so zerronnen; indessen wurden ihre Hände bald, bald wieder gestärkt, die strauchelnden Kniee erquickt und der zerbrochene Rohrstab geleimt – ihre blutrothe Schuld war dann wieder schneeweiß. Geschieht das am grünen Holz, geschieht das an Minen, die auch noch vor ihrem Ende manchen Gewissensknoten zu lösen[39] hatte, ehe sie überwand; geschieht das an meiner Mutter, die Gewissensängste ergriffen; was will am dürren werden! Wer kann dieß zu oft wiederholen? Wer es liest, der merke drauf! – Die Krankheit meiner Mutter behinderte sie außerhalb ihres Hauses Amtsverrichtungen vorzunehmen. Sie kam seit dem Handschlage nicht mehr aus dem Pastorat; indessen ließ sie ihre geistlichen Priesterhände nicht völlig sinken. Freilich mußten sie zuweilen gestützt werden, wie jenes Priesters, wenn er das Volk segnen sollte; indessen ward sie nicht laß, zu strafen, zu lehren und zu trösten. Jedes, das einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu ihr; jedes, das sich nicht finden konnte, suchte Rath, im Geistlichen und im Leiblichen.

Eine Besonderheit, noch denkwürdiger, als die schweren Worte, womit sie sich belastete! Sie hatte das Glück, daß sie einige verborgene Dinge, als z.B. Diebstähle, ans Licht brachte, die wie eine Pest im Verborgenen schlichen. – Sie sagt' es dem Schuldigen auf den Kopf zu. Wo sie anklopfte, da ward aufgethan. – Ich weiß nicht, schreibt die Priesterwittwe, ob die verschiedenen denkwürdigen Träume die Ursache waren, woher sie die ihr verliehene Gabe der Prophezeiung inne ward; nur das weiß ich, daß sie viel Aufsehen gemacht haben würde, wenn sie diese Begeisterung eher verspürt hätte. Sie sagte der Frau v. –, sie würde einen Sohn zur Welt bringen, und doch ging die Frau v. – nur im fünften Monat. Sie wußte, wer Pastor werden würde, und sagte diesem und jenem Dinge, worüber dieser und jener erstaunte. Selbst von den fetten und magern Kühen der künftigen Jahre ließ sie Worte fallen, die manchen Kornjuden hätten bereichern können, wenn dergleichen ihren Worten getrauet. Wenn sie sich eine Wünschelruthe gebrochen, würde sie alles Metall in ganz Curland und Semgallen auspunktirt haben. – Zuweilen kam ich auf den Gedanken, daß es ein Erbstück von ihrer seligen Mutter gewesen.[40] Eine Blitzfrau! Die verknüpftesten Räthsel, die intrikatesten französischen Schlösser, ohne Dietrich gleich offen. – Sie hätte einem Superintendenten was zu rathen aufgeben können, von Rahels Gesichtsfarbe zum Beispiel, und von der Seifenkugel des Pontius Pilatus.

Unten noch ein Räthsel, das ich lösen zu können wünschen würde. Hier noch die Anmerkung, daß der Candidat mit den langen Manschetten meines Vaters Platz erhalten. – Ich glaube, meine Leser haben, unerachtet des dreigliedrigen Segens und der langen Manschetten, die eherhin nicht von köstlicher Leinwand waren, nichts dagegen.

Nicht eins aus dem Kirchspiele konnte sich behelfen, ohne von meiner Mutter Abschied zu nehmen, und keines ging von ihr ohne Andachtsröthe (wie die Priesterwittwe sich ausdrückt) auf den Wangen. Man brachte die Kinder zu ihr, damit sie sie einsegnen möchte, und gesegnete Weiber befragten sie: ob's ein Sohn oder Tochter wäre? Ueber mich, sagte sie, wollte sie nicht den prophetischen Zügel schießen lassen, so gern ich eine Probe ihrer Kunst aus der ersten Hand gehabt hätte.

Außer der Lehre von den vier letzten Dingen war sie jetzt über die Lehre von den Engeln unerschöpflich geworden. Der Spruch, erste Korinther im eilften Kapitel der zehnte Vers: Das Weib soll eine Macht auf dem Haupte haben, um der Engel willen, war ein Text, worüber sie sich ausließ, wiewohl ohne ihn zu zeichnen. Sie zeichnete jetzt überhaupt keine Spruchstellen mehr. Da sie indessen, auch selbst als Prophetin, orthodox blieb, und die Kinder, so man zu ihr brachte, nur zweigliedrig segnete: so blieb es bei der gewöhnlichen Erklärung, nach welcher Haube das Gegentheil von Hut anzeigt. Dieser deutet Freiheit an, jener Unterwerfung unter den Willen des Mannes, und sollen also die Weiber Schleierhauben tragen, um die Engel durch Gelegenheit zur Untreue[41] nicht zu betrüben. Die gute Predigerwittwe fand diese Erklärung so überschwenglich, daß ich ihr zum Andenken sie hier einrücke! Wie mag diese Spruchstelle doch ihr Ehegatte seliger erklärt haben? Vermuthlich legte er sie durch heidnische Aufpasser in den Versammlungen der Christen aus.

Die Engel sind die treuesten Geschöpfe, die Gott geschaffen hat, sie sind rein und selig.

Die Auslegung, daß die Weiber darum Hauben zu tragen angewiesen worden, damit sie die Engel nicht ansehen möchten, um sie zu begehren, war meiner Mutter ein Stein des Anstoßes. – – Sie überlegte alles mit ihrem Schutzengel, und war so sehr der Meinung, daß jedem Menschen ein Gefährte zugeordnet wäre, der ihn in der Jugend und im Alter begleite, daß sie nichts davon abwenden konnte. In den Jahren, sagte sie, wenn der Mensch im eigentlichen Sinne Mensch ist, wie selten ist er da eines Engels werth? Die Engel sind nicht unsere Diener, wiewohl etliche des Dafürhaltens gewesen, sondern unsere Vormünder, unsere Curatores. Wie muß es sie verdrießen, daß eine Gestalt, die der erste Adam und der zweite Adam getragen, so vernachlässigt wird! Aus der göttlichen Uniform, o! was ist aus ihr worden! Die Engel lernen von uns die Auswicklung eines Geistes, den Einfluß des Geistes auf den Körper, und dieses auf jenen! Sie sehen, was es mit einem sublunarischen Körper für eine Bewandtniß habe, und wie er einem Geiste steht. Sie sehen die Ungemächlichkeiten, die ein Eigenthum vor einer Miethe, die ein eigenes Haus vor einem geheuerten hatte. – O was ist vom Menschen zu lernen! Vielleicht ist in ihm aus jedem Hauptweltstück etwas! – Er ist die Welt im Register! Man kann sie bei ihm nachschlagen – und wenn er stirbt, welcher neue Unterricht! Die Trennung, das Ueberbleibsel außer der Seele, das Hemde vom Menschen, von köstlicher Leinwand. – Wir sind also, ihrer Vormundschaft unbeschadet,[42] ihre Lehrer! Hier sind wir Engel und Menschen in einer Person! Wer sagt, daß wir sterben, drückt sich uneigentlich aus. Wir sind unsterblich.

Kindlich-große Mutter! Du schlecht und rechtes Weib! Selig bist du, selig, dreimal selig ist dein Kind, das Christus unter seine Jünger zum Muster stellte. Jesus rief ein Kind, und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch, es sey denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich nun selbst erniedrigt, wie dieß Kind, der ist der Größte im Himmelreich! Selig ist, der ein Kind wird, um dieses Kinderfreundes willen!

Gern hätte ich meinen Lesern ein Engelgespräch meiner Mutter mitgetheilt, welches wir andern Leute ein Selbstgespräch zu nennen gewohnt sind, das auf dem Theater ein Staatsfehler ist – indessen besprach sie sich mit ihrem Schutzengel in der Stille. Unsere Seele kennen wir nicht, und wollen die Engelnatur begründen? sagte ein Schriftgelehrter in der Gegend. Wir wissen in unserm eignen Hause nicht, wer Koch oder Kellner ist, und wollen alle Einwohner jener Sterne zu Gevattern bitten? Allein meine Mutter widerlegte ihn nicht. Oft brach sie, schreibt die Pastorwittwe, mitten drein ab: was ich weiß, das weiß ich, und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß sie mit ihrem Schutzgeist bekannt zu werden Gelegenheit gehabt. Sonst wüßte ich auch nicht, wo sie alles her hätte von den sieben fetten und sieben magern Kühen künftiger Jahre; ob Söhnchen oder Töchterchen, und wer Pastor werden würde.

Es war in der Gegend eine Frau v. B – von sehr bekannter Einsicht. Sie hatte nie Kinder gehabt. Man sagt, viele Kinder schwächen die Weiber an Leib und Seele, und wenn man manche alte Jungfer darüber zu Rathe zieht, sie sey Durchlauchten, hochgebornen, hochwohlgebornen oder bürgerlichen Standes, findet[43] man zu dieser Anmerkung Bestätigung. – Ihre Neider behaupteten sie wäre keine Frau, sondern ein Mann, obgleich ihr verstorbener Gemahl nie darüber Klage geführt. Diese Frau war eine Jüngerin vom seligen Herrn v. G –, ohne daß er es dazu anlegte. Sie hatte wider manches Scrupel, und trat dem Herrn v. G – in allen seinen Meinungen bei, ohne zu bedenken, ob ihre Scrupel dadurch gehoben wären oder nicht. Nach der Zeit fing sie selbst an aus Büchern zu schöpfen. Das sind nie Quellen für Weiber! Bei ihnen kommt aller Glaube durch die Predigt, und siehe da! sie hatte von der Existenz der Seele nach dem Tode solche Hirngespinnste zur Welt gebracht, daß es ihr besser gewesen wäre, wenn sie Kinder gehabt hätte, wenn sie ihr gleich nicht gerathen wären. Hirngespinnste sind oft schädlicher als ungerathene Kinder. Hiezu kam, daß sie keinem diese Meinungen mittheilte, sondern alles mit sich selbst berichtigte. Sie hatte eine grobe Stimme, sonst aber war sie fein, ausgenommen Nase und Augen, die ungewöhnlich groß waren – und doch war etwas Fräuliches in beiden Stücken. Daß sie nicht zu unserm Kirchspiel gehörte, muß ich noch bemerken. Der Prediger, der ihr angewiesener Seelenhirte war, schien keine Seelenweide zu verstehen, am wenigsten die Gabe zu haben Scrupel zu heben und alles wieder auf gut Weideland zu treiben. Diese Frau v. B. – hatte für meinen Vater viel Achtung gehabt; obgleich er durch das zehnjährige Interregnum von der für ihn gefaßten guten Meinung viel verlor. Wo sie nur von einem Zeichen hörte, erschien sie, und immer im Amazonenhabit. Sie war eine geborne Amazonin. An Swedenborg, den Geisterseher, hat sie öfters Briefe erlassen, auch an einige – – Jetzt hörte sie vom benachbarten Phänomen. »Liebe Frau Pastorin! ich komme zu sehen, wie Sie sich befinden.« – Besser als je! »Das höre ich!« und nun alles einsylbig: Je nun, mag, nun denn! Acht Siehe doch! und dergleichen. Die Frau v. B – hatte meine Mutter für eine einfältige[44] gute Frau gehalten. Sie war wegen ihres Singens weit und breit bekannt. Die Frau v. B – sang gar nicht. Sie war für keine Musik. Meine Mutter kannte die Frau v. B – wegen ihrer Heterodoxie, und merkte sogleich, daß es auf ein Zeichen würde abgesehen seyn. Sie fertigte sie indessen so kurz und gut, als Vater Abraham den reichen Mann, ab, da er seiner fünf Brüder halber eine Erscheinung begehrte. »Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Todten auferstünde.« Mit der Nachricht, wer Pastor werden würde, war der Frau v. B – am wenigsten gedient, und da sie aus zwei bekannten Dingen ein drittes unbekanntes herauszubringen gar wohl verstand, nicht minder gar wohl wußte, daß das Glück allem Außerordentlichen zur Seite ginge, so ward sie so wenig überzeugt, als die Pharisäer und Sadducäer und Schriftgelehrten. Meine Mutter hatte indessen etwas im Gesicht, was der Frau v. B – auffiel. Die Festigkeit, mit der meine Mutter alles behandelte, machte die Frau v. B – auch ohne erhaltenes Zeichen aufmerksam. – Sie nahm die Assignation auf Mosen und die Propheten an, und bat sich die Erlaubniß aus, künftigen Sonntag wieder zu kommen. Wenn man den Löwen vorgeworfen werden soll, stirbt der größer und ist mehr als Märtyrer, der sich ihnen gelassen anbietet, als der sie reizt. – Die Frau v. B – zog ihre Straße, und da sie wohl einsah, daß meine Mutter nicht mehr lange hier wallen würde, entschloß sie sich etwas auszuführen, wofür sie bis dahin zurückgebebt. – Sie kam. – Noch ein klein Geläute zuvor, wegen des Sonntags. Seit der Zeit, daß meine Mutter eine Prophetin geworden, war sie des Sonntags mehr als sonst in diesem Prophetenelement; obgleich sie sonst so sehr für den Sonnabend war. – Sie kam, habe ich schon gesagt. Beide sahen es sich an, daß sie heute außerordentlich wären. Es war bei beiden Sonntag – ich will die Pastorwittwe sich selbst überlassen.[45]

Ich wünschte wohl mit Ihnen ganz allein zu sehn, sing die Frau v. B – an. »Kann nicht seyn,« antwortete meine Mutter. »Gott ist bei uns, und meinen Schutzengel kann ich nicht gehen heißen. – Bleib, Lieber!« Dieses kurze: Bleib, Lieber! zu etwas, das die Frau v. B – nicht sah, würde sie sonst zum Lachen gebracht haben; jetzt wandelte sie kein Lachen an. »Auch diese, meine Collegin,« fuhr die Selige fort, »darf nicht von mir. Sie hat mein Herz und weiß meine ganze Sterbensgeschichte.« Nach einigen Erholungsaugenblicken versicherte die Frau v. B –, daß sie eine Bitte an die Selige hätte, die sie wohl überdacht. – »Im Namen Gottes,« erwiederte die Selige. Ich glaube, fuhr die Frau v. B – fort, an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, und ehre in tiefster Demuth alle die Wege, die er mit den armen Menschen, seinen Geschöpfen, eingeschlagen, um sie zur Erkenntniß der Wahrheit zu bringen – ich glaube – doch, unterbrach sie sich selbst, Sie wissen was ich glaube. »Ich weiß,« sagte die Selige mit aller Ueberzeugung, und legte eben hiedurch ein Zeichen von ihrer Uebernatur ab; denn mir kam es vor, daß die Frau v. B – selbst nicht recht wußte, was sie glaubte. Gern, ich läugne es nicht, hätte ich sie den zweiten und dritten Artikel des Glaubens beten gehört. – So beschwöre ich denn, rief die Frau v. B – mit einer Mark- und Beinstimme, so beschwöre ich deinen Geist bei dem ewigen Anschauen Gottes und bei allen Hoffnungen der Seligkeit, daß, wenn es zur Ehre des Geistes der Geister und mit Bewilligung deines Geleitengels seyn kann, der hier ist, ohne daß ich ihn sehe, daß du mir drei Tage nach deiner Auflösung erscheinest – ich werde in meinem Hause rechter Hand im weißen Cabinet deiner warten. Alle guten Geister loben Gott den Herrn! – Die Selige antwortete auf so viel Kreuzblitze mit einer Gelassenheit, die man nicht beschreiben kann: »Eure Rede sey: Ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom Uebel! Laßt[46] mich!« – Sie winkte uns ab! – Ich (das heißt, die alte Pastorwittwe) zitterte von dannen: denn ich fühlte, daß ein unsichtbares Geschöpf in der Nähe sey, das mit der Seligen conferiren wollte; die Wahrheit zu sagen, ich hörte ein Rauschen, als eines sanften Windes, als einer atlassenen Schleppe. Die Frau v. B – ging mit der ehrfurchtsvollsten Geberde von dannen! Samuel konnte nicht ehrfurchtsvoller sagen: Rede, Herr, dein Knecht höret! Wir kamen ins blaue Stübchen, das ich tausendmal gesehen, und jetzt war mir so, als ob ich es zum erstenmal sähe. Es kam mir vor, als sähe ich überall Kreuze! Mich umgesehen hätte ich nicht um Tausende. Die Frau v. B – sah mich mit ihren großen Augen starr an – und eigentlich bemerkte ich, wie sie eine Todesangst faßte. Die Aengste hoben sie; was schweben heißt, konnte man an ihr sehen. Dieß nahm zusehends zu; auch sie konnte sich nicht mehr umsehen. Wie es zuging, weiß ich nicht; allein ein plötzlicher Sturm riß die Fensterladen von ihren Eisen; alles bebte im Zimmer. Alles, was einen Klang im Zimmer hatte, gab einen Laut. Schrecklich. – Weh! war es nicht; allein nicht viel auseinander. – Die Hähne krähten auf eine Art, als wenn eins verrathen und verkauft werden sollte! – Im Sturm waren Worte zu hören. – Wer konnte sie vernehmen? Die hochgelahrte Frau v. B – rang die Hände und konnte sich auf den Knien nicht halten. Was! Wie ist mir! – Damals, und auch nach der Zeit, glaubte die zeichenbegierige Frau v. B –, daß die Unterredung der Prophetin mit ihrem Schutzgeist auf den Geist der Frau v. B – gewirkt hätte. Etwas ging in Wahrheit vor; was es aber war, mag Gott wissen und der Prophetin Schutzgeist. Die Prophetin klingelte. So was von Klingeln habe ich nie gehört. Die hochgelahrte Frau v. B – hatte so wenig Herz hinein zu gehen, daß sie mich bat, ich möchte hören, was sie wollte; und da ich vorging, hielt sie mich zurück, weil sie nicht bleiben,[47] nicht gehen wollte. Da eben gingen die Glocken unserer Kirche, und der Sturm, der noch nicht nachließ, brachte sie uns so nahe, daß sie uns recht ins Ohr schrien: »Bedenke, Mensch, das Ende!« Es war eben ein blühendes, junges Mädchen, das nur seit drei Tagen krank gewesen, verschieden. Gott habe sie selig! Die Frau v. B – that, ehe wir noch zu der Seligen gingen, eben so feierlich, als ihre Beschwörung war, Verzicht auf die Erscheinung der Prophetin, als Eines von den Todten, und da wir voll von diesem Verzicht zur Seligen kamen, so habe ich nie erfahren, wie die Conferenz abgelaufen und wie sie sich mit dem Schutzgeist berathen. Gern wüßte ich es jetzt. Zu der Zeit hätte ich es nicht tragen können. Das bin ich überzeugt, hätte sie versprochen, sie wäre gewiß gekommen, und wenn sie vom lieben Gott selbst Urlaub bitten sollen! – Es wäre ja ohnedem nicht auf lange gewesen! »Rechter Hand in's weiße Cabinet;« Jammer und Schade!

Die Prophetin entdeckte uns bei so bewandten Sachen nichts von ihrer Conferenz, und so blieb auch die Frage: Ob es angeht, daß man erscheinen könne? unentschieden.

Nach einigen, das Ableben der Dirne betreffenden Umständen erzählte die Prophetin uns eine zur Stiftung des Carthäuserordens gehörige Geschichte (die Sie besser wissen werden, als ich). Es war ein von der ganzen Welt fromm geglaubter Mann; dieser starb und sollte begraben werden. Unfehlbar hatte man über seinen rühmlich geführten Lebenswandel und sein seliges Ende eine Standrede gehalten, und da richtete er sich auf und sagte (die Prophetin richtete sich im Bett in die Höhe): Ich bin vor das strenge Gericht Gottes vorgeladen. Alles ging, der Neuheit der Sache wegen, von dannen, wiewohl unbesorgt wegen des Urtheils. – Des folgenden Tages, da man das Leichenbegängniß fortsetzen wollte, richtete sich der fromme Mann wieder auf und rief: Das Verhör ist vor dem Richterstuhl geschlossen! – Die Leichenbegleiter und das Volk verließen[48] dießmal bänger die Leiche. – Ein Verhör, dachte man, doch vielleicht um dem frommen Mann desto gründlicher zu lohnen! – Den dritten Tag, wie begierig war alles, den Spruch der Gnade zu hören, das: »Ei, du Frommer!« Allein Weh! Weh! rief die Prophetin; sie richtete sich so in die Höhe, daß sie mir ungewöhnlich groß vorkam; der für fromm Gehaltene sprach mit einem Tone, mit einem Tone: »Ich bin verdammt!« Die Amazonin fiel in Ohnmacht. – Ein Weib, auch im Amazonenkleide, ist doch nur ein unausgebackener Mann! – Die Prophetin ermunterte sie durch das schöne Lied: »Du stehest, Mensch, wie fort und fort.« Dieß Lied half zusehends. – Sie drückte meiner Mutter die Hand. Nicht eher, als dort, wünsche ich Sie zu sehen, rief sie laut, recht als ob sie es dazu anlegte, daß auch die Unsichtbaren es hören möchten. – Sie nahm noch außer ihrer Kammerjungfer einen ihrer Bedienten in den Wagen, und hat keinen Scrupel mehr, und geht nicht weiter im Amazonenkleide. – Den dritten Tag nach Ihrer heiligen Mutter. Hintritt fiel Frau v. B – in heiler Haut in eine dreistündige Ohnmacht – und erwachte wieder so, als wenn man ausgeschlafen hat. Sie hat wirklich etwas, man weiß nicht was erfahren, wovon sie aber bis in ihren Tod, der kurze Zeit darauf folgte, keine Sylbe entdeckt hat. Ich habe diesem Vorfall eine Pension von fünfzig Reichsthaler Alb. zu danken, die sie mir mit der Bitte legirt hat: diesen Sonntag, ihr zum Andenken, nicht zu vergessen; und das will und werde ich erfüllen, bis auch ich wissen werde, wie es in der Geisterwelt stehet. Wie mir vorkommt, werde ich Sonntags sterben, am Pensionstage. Fr. v. B – ist sehr sanft gestorben. Ich konnte wegen Selbstkrankheit bei ihrem Ende nicht seyn.


* * *


Des alten Herrn muß ich bei dieser Gelegenheit auch gedenken, sowohl meiner Mutter, als der Frau v. B – wegen, die[49] nach Geistern ausging, und am Ende doch zu den Seligen gehörte, welche nicht sehen und doch glauben.

Meine Mutter hatte ihn sogleich, nachdem sie von Minens Geschichte unterrichtet war, citirt, und nachdem sie ihm Himmel und Hölle vorgestellt, seinem Herzen die Wahl überlassen – ob Himmel? oder Hölle?

Herr v. E – hatte, um sich aus der Schlinge zu ziehen, den Hermann völlig verlassen. Magdalena aber schien, um einen Literatus zu heirathen, ihn nicht aufgeben zu wollen. Er schien wirklich Minens Andenken und der Zurückerinnerung an ihre Mutter den Gedanken dieser Heirath völlig geopfert zu haben. Noth, sagte meine Mutter, hält kein Gebot; wenn ich Ihnen aber Nahrung und Kleider verspreche, so lange ich lebe! versteht sich. Hermann machte Buße und Glauben durch das gute Werk thätig, Denen zu entsagen. – Nach der Zeit tröstete sie den Hermann; darf ich mehr bemerken, um an den Tag zu legen, daß der tochterlose Hermann wirklich Reue und Leid über seine Sünden getragen? Sie hatte ihm alles aufgedeckt, auch was er an der Curländerin verschuldet. Er ging krumm und sehr gebückt; den ganzen Tag war er traurig. – Der Tremulant war sein Hauptzug. Seine größte Strafe, wie meine Mutter bemerkte, war die Furcht vor dem Tode; nicht weil es ihm in der Welt gefiel, sondern weil er sich fürchtete, seinem Weibe und Tochter unter die Augen zu kommen. So war unser Bekannter voll Angst, seinen Sohn und Charlotten zu sehen.

Eines Tages, da meine Mutter ihn in tiefster Schwermuth fand, welches sie zwischen eilf und zwölf in der Nacht nannte, nahm sie ihn bei der Hand: Getrost! sagte sie. Luther ließ sich zu seiner Zeit gegen einen traurigen Organisten so aus: Lieber Mathia, wenn Ihr traurig seyd, und es will überhand nehmen, so sprecht: Auf, ich muß ein Liedlein schlagen auf dem Regal, das Te Deum[50] oder Benedictus. – Gehe hin, thue deßgleichen! Hermann, so betrübt er war, konnte nicht umhin, anzumerken, daß er nie Organist gewesen, sondern nur ein Post- und Präludium hie und da gehalten, wenn es vierzehn Tage zuvor bestellt worden, womit es meine Mutter bewenden ließ, die um alles in der Welt willen ihm nichts vom kalten Brande gesagt hätte. Sie kränkte seine Literatusehre nach Minens Tode nicht weiter. Diese Welt, lieber Hermann! sagte sie, ist ein Präludium; die künftige das Textlied! – Ja wohl, erwiederte er mit einem tiefen Seufzer. So lebte Hermann nicht viel anders als ein Carthäuser, hatte nicht Lust und Liebe mehr, seitdem er den Kinderunterricht aufgegeben, seine Handwerke zu treiben; obgleich er noch vom Schneider die Gewohnheit beibehalten, auf den Tisch zu klopfen, vom Schuster das weite Ausholen mit den Händen, und vom Töpfer das beständige Wackeln mit dem Fuße. – Die Frau v. B. hatte außer der Pastorwittwe auch an ihn im Testamente gedacht. Sie hatte sich, nach ihrer Wallfahrt zu meiner Mutter, um alle Umstände, die Minen und mich betrafen, erkundigt. »Auch Hermann jährlich fünfzig Thaler Alb.,« hieß es in ihrem mildthätigen Testamente. Mir hatte sie ein schwarzes Kleid nebst Kragen und Mantel legirt, wenn ich Prediger werden würde, welches ich, so unbeträchtlich der Umstand ist, hier anzumerken nicht ermangeln kann!

Meine Mutter ward von Tage zu Tage schwächer; der Geist immer noch willig, thätig, kräftig, das Fleisch schwach. Ihre Einbildungskraft nahm so zu, daß sie hier schon wie ein Geist aussah. Aus der Geschichte mit der Frau v. B. ergibt sich, daß sie zu Bette gewesen. Sie war wirklich so, daß sie sich nicht auf den Füßen halten konnte. Seht nur, meine Lieben, sagte sie, wie sehr ich beweise, daß mein Geist unsterblich ist! Da bin ich durch den, der mich mächtig macht, stärker als Socrates, von dem so viel gemacht wird, und der doch, wie man mir erzählt hat, einen Hahn[51] opfern ließ, um seine Religionsgrundsätze zu läugnen. So muß ein Hahn immer bei der Verläugnung seyn! Ich lebe auf, indem ich sterbe. Mein Geist fliegt, indem mein Körper sinkt! –

Besonders war es, daß meine Mutter über mich, wie bereits bemerkt worden, auch keinen einzigen Laut prophezeite! Nach ihrem letzten Briefe, den ich extractsweise meinen Lesern mitgetheilt, war alles still über mich. Zuweilen dachte sie meiner im Fluge; wer kann aber im Fluge treffen? Die Pastorwittwe konnte es nicht. Sieben Tage vor ihrem Ende, wie diese Krankenwärterin mit den fünfzig Thaler Alb. Pension mir berichtet, war der Geist, wie soll ich's nennen? noch stärker. Kann es nicht heißen, als je? Sie war in einer wirklichen Ekstase, wo zuweilen Funken fielen; allein sie fielen auf kein gut Land, schreibt die Pastorwittwe, sie zündeten nirgend. Es war alles so in die Luft. Die gute Frau hat mir davon eine Probe mitgetheilt, die ich so wiedergebe, als ich sie empfangen habe. Meine Leser wissen, wie sehr ich für eigene Worte bin!

Alles, was Odem hat, liebt, und was keinen hat, möchte gern lieben. Es sehnet sich nach Liebe. Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch. Habt ihr nicht gemerkt, wie sich manches Gewächs an einander schlingt, so fest als ein junges Weib an ihren Gatten, und was sich nicht umschlingen kann, berührt sich, wenn ein sanfter Wind es bewegt? Wie es sich küßt! Wonniglich ist der Kuß, den der Zephyr der Rose stiehlt. Ist er der Rose treu, ist er der Herr v. E., der barbarische Stutzer? Ist's ein Stutzer, der zerschmilzt, der wie ein Flötenton vergeht? Wie Zucker in der Tasse? Was ist die Liebe? Der Athem Gottes! – Faßt ihn doch auf, so warm er da kommt aus seinem Munde! Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth, und alle Lande sind seiner Ehre, seiner Liebe voll! Entweder wirklich lieben oder lieben wollen, nach Liebe sich sehnen; sonst verlohnt's nicht, daß ein Hund ein Stück[52] Brod von uns nimmt. Die Hunde nehmen's auch nicht vom Lieblosen und Falschen. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wär' ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle. Wenn man dem Huhn nicht ein Nest bereitet, legt es in die Nesseln. Auch Wasser wird Lauge, wenn es durch Asche geseihet wird. Seht! seine Einfalt erhebt den Witz, wie Schatten das Licht. Wenn die Natur ein Chorhemde anzieht, ist sie das Christenthum. Zergliedere, und du findest an der schönsten That Flecken oder Runzeln oder deß etwas. Sie hat Sommersprossen, eine Blatternarbe; allein im Ganzen schön! So geht's auch mit aller diesseitigen Heiligkeit! – Die Liebe ist kein Porträtmaler. Sie malt die Seele! Sie malt den ganzen Menschen! Das Gute ist zu hören, das Schöne ist zu sehen! Das Schöne erscheint von vorn, das Gute von hinten. Mine ist zu sehen und zu hören; mein Schutzengel deßgleichen, wie er da um mich wallt, unsichtbar dem Werktagsauge! Der Mond scheint hell, der Tod reitet schnell, ihr lieben Leutlein graut euch auch? – Singst du, Holde? Apfelblüthen vom Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses waren auf ihrer Wange; jetzt Blüthen vom Baum des Lebens. Mine singst du? – Hört sie singen, sie ist des alten Herrn Tochter nicht mehr, sie ist meines Mannes Tochter und ihrer Mutter Tochter! Wie schön sie singt! »Es ist das Heil uns kommen her!« – Wie eine Lerche wölbt sich ihr Gesang, wie eine Wachtel fällt er! Da steht sie! – Wie ein Stern über meinem Haupte! O des schönen Morgensterns!


Also werd' ich auch stehen,

Wenn mich wird heißen gehen

Mein Gott aus diesem Jammerthal!


Nun ruhen alle Wälder, von Paul Gerhard. Nun wachen alle Wälder, von Feustel und Riedner, die beide in Maskopie die Wälder aufgeweckt. – Zur Unzeit, wie gewöhnlich! Sie hätten[53] sie ruhen lassen können! Seinen Freunden gibt er's im Schlafe! Gott läßt uns sinken, aber nicht ertrinken. Wenn der Klügste beichten sollte, was er in seinem Leben für Einfälle und Ausfälle gehabt, wäre er des Irrenhauses schuldig! Grüne Ostern, weiße Pfingsten. Viel können zwar zusammen singen, aber nicht zusammen reden. Der Gesang ist gesellig, die Prosa ist leuteschen, einsiedlerisch, tückisch – bei alle dem ernsthaft. Träume! ihr sollet nichts seyn, und wenn die Ursache vom Zukünftigen schon in mir liegt? Auch dann nichts, wenn das Seelenauge schon sieht, was das Körperauge noch nicht zu sehen im Stande ist? Die Kalendermacher machen den Kalender, der liebe Gott das Wetter! Stecke ein Licht an, wenn die Sonne scheint; kannst du das Licht sehen? Greife auf der Laute, wenn die Glocken tönen; kannst du hören? Wenn's gut schmeckt, verdaut man auch gut! Jede Empfindung, die das Leben unterbricht, ist Schmerz; die Leben ins Leben bringt, ist Freude! Der Tod ist Beförderung des Lebens! Der Tod hat auch sein Sonntagskleid. Alte Leute in Doktorhänden, wären sie auch des Dr. Saft seine, sind Maien, die abgerissen sind von der Natur und im Wasser stehen! – Es geht eine Zeitlang: allein nicht lange. Viel Köche verderben den Brei. Bei sieben Künsten geht man betteln, bei einer kann man Altmeister werden. Gott der Herr hat in jedem Dichter sein Feuer und Herd! O Jerusalem! Jerusalem! die du tödtest die Propheten und steinigest die zu dir gesandt sind, wie oft hab' ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt. Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne, Mond und Sternen, und auf Erden wird den Menschen bange seyn und werden zagen, und das Meer und die Wasserwogen werden brausen, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte sich bewegen werden. So seyd nun wacker[54] allezeit, und betet, daß ihr würdig werden möget zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn. Sollte Gott nicht retten seine Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte Geduld darüber haben? Ich sage euch: er wird sie erretten in einer Kürze! In der Welt verschlingen die sieben fetten Kühe die sieben magern; in des Träumers Pharaonis Traum umgekehrt! – Wo ist deine Schöne, du heilige Stadt, wo dein Glanz, du Gotteshaus, wo dein Allerheiligstes, die Lade des Bundes? Wehe, wehe, wehe deinen Thoren! Wehe deiner Feste! Wehe dem Tempel! Wehe über dieß Wehe! Dieß letzte Wehe! Wehe auch mir! Mine traf mich, wie jenen Weherufer auf Jerusalems Mauern ein römischer Pfeil, in Schlangengift getaucht. – Wehe auch mir! – Wie es zischt in meinem kochenden Busen! Labung! Labung! – Meine Zunge verdorrt in dieser Qual! Essig und Galle! O Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte! Fliehe auf den Berg, der du im Thal bist! Stürze in den Abgrund, du, der du dich vor den Wolken bückst! Wer auf dem Felde ist, kehre nicht um, seine Kleider zu holen. Wer auf dem Dache ist, in bloßen Füßen, stürze nicht herab, um einer Verkältung zu entweichen! Wehe, wehe der Schwangern, die eine Tochter trägt! Wehe der Säugenden! Sie sterben dahin in fremden Landen! und keine Milchschwester singt ihnen das: Gehabt euch wohl. Keine Gespielin streut Blumen auf ihr Gebein. Minens Stätte ist in Curland nicht mehr! Der Mond, seht ihr denn nicht! Scharlach! Zeter! Der Komet, Gottes angebrannter Wachsstock! Er kommt! er kommt, uns anzuzünden! Ha! da brennt die Erde, und der sie anzündet, verbrennt sich die Finger, wie mein Seliger, da er Licht! Licht! Licht! rief, und todt! todt! alles todt! – Was ist der Tod? Die Saite platzt an der Harfe, die ist leicht bezogen und gestimmt. Der Würgengel mit seinem letzten Wehe! Ich bin vor dem gestrengen Richterstuhl verklagt,[55] citirt vor – Nein, da kommt ein heiliger Engel, der Gnade bringt, Gnade für Recht! Und Minens Mutter! Und sie singen eine Terz tiefer: Gnade! Gnade!

Drei Tage vor ihrer Auflösung, oder ihrem Auflösungsanfang, verließ sie die Gabe der Weissagung, der Geist der Kraft und Macht. – Die Flügel der Morgenröthe sanken. – Sie kam auf die Beine. Der Sabbath hatte sich geneigt, und sie war wieder ein anderer Tag in der Woche; indessen doch kein Sonnabend mehr! – Diese Gemüthsfassung verlor sich so allmählig, so weich. – Merklich ward dieser Verlust durch den Umstand, daß meine Mutter sehr gelassen anstimmte:


»Was willst du, armes Leben!«


Ja wohl, armes Leben, auch bei der Gabe der Prophezeiung, und bei dem Geiste der Kraft und Macht! Es war dieser Tag Minens Sterbetag. Auch an diesem Tage beobachtete meine Mutter ihre Fasten so streng, als ob sie den Tag vorher bei einer Hochzeit auf den Fasttag pränumerirt hätte. – Sie fühlte, wie sie selbst sagte, daß sie zu weit gegangen. – Wahrlich, es war mehr, als ein Gang. Ein Kind geht. – Jetzt war sie wieder in diesem Kindergleise – im Gange. – Das erste, was sie in demselben that, war ein Brief an den Herrn Amtsbruder, der in der Vacanz ab- und zureiste. Sie bat ihn, ihr die Communion zu reichen, als welches sie in ihrer Ekstase, wie sie selbst sagte, nicht gebeten haben würde. Sie wußte alles, was in dieser Entzückungszeit vorgefallen war, aufs genaueste. Der Amtsbruder versprach zu kommen und kam. Kurz vor seiner Ankunft hatte meine Mutter Tinte und Feder gefordert und eine Viertelstunde geschrieben. Sie versiegelte diese Schrift dreimal!

Von jeher hatte meine Mutter die Gewohnheit gehabt, sich den Morgen vorher, ehe sie zur Communion ging, die Füße zu waschen. Das war ihr ein so nothwendiger Vorhergang, als ein[56] Präludium vor dem Liede. Auch jetzo hatte sie zu diesem Ende ein Fußbad veranstaltet. Ohne alle Specerei! Sie ersuchte ihre Gesellschafterin, die Pastorwittwe, dieses Fußwaschen zu übernehmen, und bat sie, aus dem fünften Capitel des ersten Briefes an den Timotheus, den neunten und zehnten Vers aufzuschlagen und laut zu lesen:

»Laß keine Wittwe erwählet werden unter sechzig Jahren, und die da gewesen, sey eines Mannes Weib, und die ein Zeugniß habe guter Werke: so sie Kinder aufgezogen hat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung gethan hat, so sie allem guten Werk nachkommen ist.«

Die Pastorwittwe, die nur einmal verheirathet gewesen, freute sich herzlich über diese Worte, die wie auf sie zeugend waren, und war bereit, diese ehrwürdige Ceremonie zu verrichten, da meine Mutter sie die Einsetzungsworte laut verlesen hieß. Sie fing also, nachdem sie sich mit dem weißen Schurz, den ihr meine Mutter in die Hände gegeben, bekleidet, zu lesen an, wie folgt:

»Stund er vom Abendmahl auf, legte seine Kleider ab, und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Darnach goß er Wasser in ein Becken, hub an den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umgürtet war. Da kam er zu Simon Petro, und derselbige sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich thue, das weißest du jetzt nicht; du wirst's aber hernach erfahren. Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollt du mir die Füße waschen. Jesus antwortete ihm: Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit mir. Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt. Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, darf nicht denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein, und ihr[57] seyd rein, aber nicht alle. Denn er wußte seinen Verräther wohl; darum sprach er: Ihr seyd nicht alle rein. Da er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder, und sprach abermal zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch gethan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr, und sagt recht daran, denn ich bin's auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe; so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe. Wahrlich, wahrlich! ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr, noch der Apostel größer, denn der ihn gesandt hat. So ihr solches wisset, selig seyd ihr, so ihr's thut.«

Diese Ceremonie ward so rührend vollzogen, daß die Pastorwittwe mit Thränen das Fußwasser verstärkte, welches nach vollbrachter Ceremonie, unweit dem grünen Taufwasserplatz, ausgegossen ward. Es ist kein Taufwasser, sagte meine Mutter. Da dieses alles der Pastorwittwe als etwas sehr neues schien, verhehlte ihr meine Mutter nicht, daß die Wiedertäufer mehr heiliges Wasser in ihrem Glauben hätten als wir, indessen es später zu gebrauchen anfingen. Behüte Gott, daß wir das Fußwaschen, nach Meinung mancher Irrchristen, für etwas mehr, als einen Nachtmahlsvorklang, ein reines Hemde zum Fest erklären wollen, als eine Sache, die seyn und nicht seyn kann; warum sollten wir aber dieses Zeichen der Erniedrigung weglassen, und nicht vielmehr, bei diesem Fußbad, an die Reinigung der Seelen denken, ohne welche niemand Gottes Angesicht schauen wird! – Meine Mutter, wie die Pastorwittwe, eines Mannes Weib, bemerkt, war hier nachgebender, als sie es wohl in gesunden Tagen gewesen. Die Mennonisten kamen besser weg, als man denken sollen. Sie nannte sie sonst Fußwäscher und behauptete, daß sie wegen ihrer Agapen oder Liebesmähler sich den christlichen Magen verdorben hätten. Jetzt gar[58] anders. Wenn gleich sie ihnen nicht den Beinamen der Honigbienen des Staats bewilligte, womit man sie wegen ihres Fleißes und ihrer Sparsamkeit zu beehren pflegte, vielmehr es sich ziemlich deutlich merken ließ, daß sie ungelehrte, oder, wie sie's nannte, plattdeutsche Socinianer wären; so richtete sie dennoch nicht, um auch nicht gerichtet zu werden. – Fasten und leiblich sich bereiten, sagte sie, bleibt beim Nachtmahl eine feine äußerliche Zucht; aber der ist recht würdig und wohlgeschickt, der die Worte für euch versteht! – Für euch! Nach dem vollendeten Fußbade faltete die Gewaschene die Hände, und sprach: Das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu dem lebendigen Wasserbrunnen, und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen. Offenbarung Johannis das neunzehnte Kapitel, vom siebenten bis zum neunten Vers. Lasset uns freuen und fröhlich seyn, und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist kommen, und sein Weib hat sich bereitet, und es ward ihr gegeben sich anzuthun mit reiner und schöner Seiden (die Seide aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen). Und er sprach zu mir: Schreibe: selig sind, die zum Abendmahl der Hochzeit des Lammes berufen sind.


In dieser fußgereinigten, geduldigen, nachgebenden Lage traf sie der Pastor, der sie noch in der vorigen Verfassung zu finden glaubte. Er mußte also seine Anrede, die er auf den entzückten Zustand zugeschnitten, kurz und gut abändern. Sein unstudirter Vortrag fiel indessen so erbaulich aus, daß alle, die ihn hörten, gerührt wurden. Seine Hauptworte waren: Selig sind, die zum Abendmahl der Hochzeit des Lammes berufen sind. Meine Mutter hielt eine Beichte, die sie aus dem Innersten des Herzens nahm. Mine war Anfang und Ende. – Nach mancherlei Herzensnöthen schloß meine Mutter mit den Worten: »Gott helfe meiner Schwachheit, Amen!« Alles andere war im Verhältniß gegen Minen,[59] wie Worte gegen Sachen, wie das Haupt gegen seine Glieder. – Mine war oben drauf.

Wenn ich diese Beichte, die meine Mutter nicht ins Ohr, sondern laut ablegte, mit allen ihren Punkten und Klauseln erhalten, wie gern gäb' ich sie meinen Lesern! – Mit welcher Inbrunst empfing sie die Communion! Sie aß und trank Trost und Beruhigung. Von der Minute, da sie das Nachtmahl empfangen, klagte sie nicht mehr über Angst, als in den vorletzten Augenblicken ihres Lebens. Die Worte Christi beim Lukas im zweiundzwanzigsten Kapitel, die er kurz vor dem Abendmahl sprach, wie rührend sagte sie ihm meine Mutter nach: Mich hat herzlich verlanget, dieß Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide; denn ich sage euch, daß ich hinfort nicht mehr davon essen werde. – Man sah, daß sie mit der Seele aß. – Den Hermann hatte sie zu dieser heiligen Handlung bitten lassen, der aber nicht den Judas beim ersten Abendmahl machte, sondern den Petrus, welcher, nachdem er beim Kaminfeuer in Caiphas Hause seinen Meister verrathen, hinausging und bitterlich weinte. – Meine Mutter pflegte den Apostel Paulus einen Notarius des letzten Testaments zu heißen. Ich habe es von dem Herrn empfangen, das ich euch gegeben habe; denn der Herr Jesus in der Nacht da er verrathen ward, nahm er das Brod – – Kann was Rührenderes seyn, als dieses Gedächtnißmahl? – Verachtet man doch eines Menschen Testament nicht, sagt Paulus den Galatern, pflegte meine Mutter zu bemerken und schüttelte sonst das Haupt, weil im Credo nichts vom Sacrament des Altars steht. Jetzt dachte sie zwar, da sie sich selbst mit den Mennonisten vertragen, hieran nicht; indessen konnte die Rührung nicht höher seyn, als die meine Mutter zeigte. Johannes der Jünger, den Christus liebte, communicirte so an seinem Busen. Gott thut was Ueberschwengliches im Nachtmahl an seinen Gästen, pflegte meine Mutter zu sagen,[60] und wie sehr war es an ihr sichtbar, daß sie auf den Geist gesäet. Wer auf sein Fleisch säet, der wird von dem Fleische das Verderben ernten, wer auf den Geist säet, der wird von dem Geiste das ewige Leben ernten, und wie viel nach dieser Regel einhergehen, über die sey Friede und Barmherzigkeit und über den Israel Gottes! Wahrlich, schreibt die Wittwe, das Weib eines Mannes: Sie hatte ein hochzeitliches Kleid an! Nach diesem Mahl sprach sie mit dem Pastor über verschiedene, die Gemeinde treffende Dinge. Sie trat ihm die letzten Sorgen über die Gemeinde, welche sie noch behalten, in rührender Form ab. Ich sterbe, fing sie an, und Gott wird mit euch seyn! Obgleich sie angeordnet, daß nach dem Weissagungszufall niemand zu ihr gelassen werden sollte, als den sie selbst zu sehen verlangen würde; so konnte sie es doch nicht verhindern, daß jetzt in ihrer wiederhergestellten Fassung das Volk sich zudrängte. Ich sterbe, sagte sie, und Gott wird mit euch seyn!

Ermahnet euch unter einander und bauet einer den andern; dem fehlt ein Fenster, dem eine Thür, dem ein Stück am Strohdach; helfet ihm, so wie ihr wollt, daß euch der Herr helfen soll, im Leben und im Sterben, und vor seinem Richterstuhl! So lieb einem jeden sein ewiges Wohl ist, vermahnet die Ungezogenen, tröstet die Kleinmüthigen, traget den Schwachen, seyd geduldig gegen jedermann! Sehet zu, daß niemand Böses mit Bösem vergelte, sondern allezeit jaget dem Guten nach, beides unter einander und gegen jedermann. Seyd allezeit fröhlich. Betet ohne Unterlaß. Seyd dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christo Jesu an euch. Den Geist dämpfet nicht, die Weissagung verachtet nicht; prüfet aber alles, und das Gute behaltet. Meidet allen bösen Schein. Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz, sammt Seel und Leib, müsse behalten weiden unsträflich auf die Zukunft[61] unsres Herrn Jesu Christi. Getreu ist er, der euch ruft, welcher wird's auch thun. Lieben Freunde, betet für uns! Die Gnade sey mit euch! Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür geben sollen, auf daß sie das mit Freuden thun und nicht mit Seufzen, das ist euch nicht gut! nicht gut. – Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schaut an, und folget ihrem Glauben nach. Wir sind alle mit Fehlern versetzt, der aber ist der Fehlerhafteste, der seinen Bruder, seine Schwester darben läßt. Bedenkt, daß die Welt Gottes Speise-, Gottes Vorrathskammer sey. Sehr groß, werdet ihr sagen, aber bedenket auch, was der liebe Gott für Kostgänger hat. Wer mehr nimmt, als er verzehren kann, thut seinem Nächsten unrecht. Wenn dieser zu klein war, zum Fach zu reichen, thut ihr es für ihn. Wer wird aber des Handgriffs wegen glauben, daß man an der genommenen Habe und Gut allein ein Recht besitze? Seht, alle guten Menschen geben von dem, was sie drüber haben. – Gott geb's wieder, sagte jener Arme, allein der Geber noch weit besser: Er hat's schon gegeben!


Almosen geben armt nicht,

Kirchengehen säumt nicht.


Beneidet euch nicht unter einander, wie die wilden Thiere. Seht die Sternlein, wie still sie da des Abends bei Mondschein zusammen sind. Keines kommt dem andern zu nahe, und doch find ihrer mehr zusammen, als wenn die ganze Gemeinde bei einander ist. Kannst du sie zählen? sagte Gott zu Abraham. – Ein Vogel singt, ein anderer fängt Fliegen. Jedes Ding nach seiner Art. Laßt euern künftigen Lehrer nicht von euch sagen, wenn er euch eine Bußpredigt gehalten, daß er in ein Wespennest gestochen; laßt es ihn nicht an seiner Calende empfinden. Er trägt die Bibel nicht umsonst! – Es ist die Laterne zum[62] Himmel! Die Manschetten wird er ablegen. Gott segne euch! Herzoge gelten nicht viel nach dem Tode, Gelehrte nicht viel beim Leben. Und hiermit dank' ich euch, ihr meine Lieben! für alle eure Liebe und euer Zutrauen, das ihr meinem seligen Mann und mir erwiesen. Dafür kann kein Säemann, daß nicht jedes Korn aufgeht, und wenn hie und da ein Pulver, das ich für den Leib, und ein Trostwort, das ich euch für die Seele eingab, nicht anschlug – ich bin unschuldig an eurem Blute! – Liebet euch! das ist mein letztes, allerletztes Wort. Hab' ich euch beleidigt, es sey mit zu heftiger Ermahnung, oder mit unterlassenem Trost, es sey That- oder Unterlassungssünde, vergebt! Vergebt mir um Gottes willen! Ich muß es Gott klagen und euch; ihr wißt, was mir auf dem Herzen gelegen. Wer wälzt diesen Stein von mir, war mein Gebet! Ich war traurig, wie Esra und Nehemia. Ihr wisset, daß mich der gerechte Gott gezüchtigt hat durch des alten Herrn Tochter, der ich hart begegnet. Ihr wißt, was in diesen Tagen geschehen ist. Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu seyn; aber darnach wird sie geben eine friedsame, Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind. – Ich scheide und übergebe eure Seelen diesem treuen Hirten seines Herrn, der so segnet, wie meine Väter gesegnet haben; er leite und führe euch auf ebener Bahn, damit er euch dereinst dem Nachfolger meines Lebensgefährten, als eine geschmückte Braut dem Bräutigam, übergeben könne, den Gott lehren wolle, sein Volk zu segnen. Dich, o lieber Altar! wo ich so oft das Nachtmahl meines Herrn empfangen, o könnt' ich diesen rothbeschlagenen Tisch noch einmal sehen! Der Herr mit euch! wenn ihr dazu tretet, und wenn in Pfingsten Maien bis zu den Hörnern des Altars gesetzt sind, die gern ihren Geist im Tempel aufgeben und doppelt so angenehm wie im Walde duften, die in der Kirche begraben werden; so tröste der grundgütige Gott den, der[63] Trost bedarf, und erhöre das stille Gebet, das aus dem Innersten eures Herzens quillet, das Gott allein weiß; das, das erhöre Gott! Ja! Amen! Ich will nicht in der Kirche begraben werden, wie die Pfingstmaien. Auch im Grabe will ich meinem Seligen die Hand geben und da liegen, wo Er, Minens Mutter und Charlotte liegt. Wenn ihr diese Gräber vorbei geht, denkt: Selig sind die Todten, die im Herrn sterben! Auf die Kanzel, wo mein Lebensgeleitsmann und unser Sohn stand, trete nie ein Miethling, nicht einer, den Fleisch und Blut, sondern den Geist und Kraft zum Diener des Herrn erkoren! Zweigliedrig sey sein Segen, den er dem Zerknirschten gibt, und zweischneidig das Schwert seines Mundes, wenn er dem Sünder das Ohr abhaut. Es wird sich das dritte Segensglied von selbst geben, wenn die Manschetten wegfallen werden. No. 5, die Bank, wo Mine gesessen, sey euch mehr, als No. 1. Die fünfte Zahl ist eine Wundenzahl. Ich kann nicht mehr! – Sie hielt inne, sie hatte sich sehr ermüdet. Nach einer Weile sah sie alle an! Lebt, sagte sie, daß wir uns alle, alle dort wieder zusammenfinden, wie wir hier von einander schieden, damit ich sagen könne: Herr! hier bin ich und die, so du mir gegeben hast! – Lieb wird es mir seyn, herzlich lieb, euer Angesicht zu sehen mit Freuden in der seligen Ewigkeit! – Gott aber des Friedens, der von den Todten ausgeführt hat den großen Hirten der Schafe, durch das Blut des ewigen Testaments, unsern Herrn Jesum, der mache euch fertig in allen guten Werken, zu thun seinen Willen, und schaffe in euch, was vor ihm gefällig ist, durch Jesum Christ, welchem sey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!

Es war ein gesegneter Einfall, daß meine Mutter dem Pastor, der selbst sehr gerührt war, das Lied: »Es woll' uns Gott gnädig seyn und seinen Segen geben;« zuwinkte, um den Ausbruch der Rührung der Gemeinde zu hemmen. Jetzt kam alles in[64] sanfte Thränen, und alles wünschte, daß Gott meine Mutter geleiten möge, und an Ort und Stelle bringen, in den Himmel. Amen! Sie versprachen, die Gräber in Ehren zu halten, und es ihren Kindern und Kindeskindern auf ihrem Sterbebette anzubefehlen, so daß der jüngste Tag sie noch finden sollte!

Die Wittwe bricht hier ab, und auch ich muß abbrechen.

Dem Pastor gab meine Mutter die Schrift mit drei Siegeln, mit dem ausdrücklichen Beding, sie nicht eher, als sieben Tage nach ihrem Begräbniß, zu öffnen! Ja, sagte sie; Er: Amen! Er legte sie in die Agende. Sie fing ihm noch einmal zu danken an. Es ist sehr rührend, wenn ein Sterbender dankt. Gemeinhin ist sonst der Dank eigennützig. – Der Pastor ließ sie nicht ausdanken, sondern drückte ihr die Hand und ging mit den Worten von dannen. – In Ewigkeit! – Sie, noch ein: Amen!

Man hat nie erfahren, was in dieser Schrift mit den drei Siegeln gewesen. So viel ist gewiß, daß sie mehr enthalten, als die Zeitungsnachricht, wer Pastor werden würde. Der gute Vikar ist nach dem siebenten Tage, von dem Begräbnisse an gerechnet, ein ganz anderer Mann in Gedanken, Geberden, Worten und Werken worden. Es schien, als hätt' er einen Pränumerationsschein auf einige künftige Fälle erhalten. An die Frau v. B – war in dieser Schrift gedacht. Warum denn nicht an mich? Warum für mich' nicht auch eine ἀνέχου καὶ ἀπέχου mit drei Siegeln, sieben Tage nach dem mütterlichen Begräbnisse zu eröffnen? – Meine Mutter hatte herzlich gewünscht, daß das heilige Abendmahl ihre letzte Speise seyn möchte auf dieser Welt, und ihr Wunsch ward erfüllt. Sie ward von Stunde zu Stunde schwächer, und bat die Pastorin, ihr die Leidensgeschichte Christi und seinen Tod vorzulesen aus allen Evangelisten! Wir sollen, sagte sie, des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt.

Während dem Lesen sagte sie zuweilen Strophen aus Liedern.[65] Beim Begräbniß Christi sang sie mit dumpfen Tönen. (Dieß war ihr letzter Gesang. Sie selbst sagte: Meine Stimme ist schon begraben! Sie wird wieder auferstehen im ewigen Leben! Man kann länger reden, als singen.)


Die Welt ist mir, ich ihr nicht gut,

Mir ekelt alles, was sie thut;

Was kann sie mehr als Fromme schmähen?

O! nimm mich! nimm mich hin ins Grab,

So sterb' ich meinen Sünden ab,

Und werde sauber auferstehen!

Komm so, mein Tod, und sey gegrüßt,

Der mehr als tausend Leben ist!


Dr. Saft, der, ohne daß sie ihn verlangt, zu ihr gekommen war, sagte der Pastorin, daß eine Entzündung da wäre. Den Gang der Krankheit konnte er nicht bezeichnen. Jetzt war freilich mehr als Einbildung. Aus dem Schein war das Seyn worden. Sie selbst sagte der Pastorin ins Ohr, daß sie des folgenden Tages sterben würde. Früher als einen Tag zuvor schien sie ihren Todestag nicht zu wissen; vielleicht wußt' es ihr Schutzgeist nur eine Stunde früher. Auf Seelenkrankheiten verstehen sich die Engel, sagte sie, auf Leibeszufälle wenig oder gar nicht. Gott weiß alles. Sie hatte verlangt, daß niemand zu ihr gelassen werden sollte. Saft drängte sich noch den letzten Tag früh Morgens vor. Ich weiß, sagte sie ihm – Sie verweigerte ihm die Hand, da er sie beprüfen wollte, und zeigte mit vieler Mühe gen Himmel. Sie blühete im Gesicht wie eine Rose. Den Tag wußte sie, die Stunde nicht. Sie war, wie wir wissen, aus Sonnabend, Sonntag geworden. Starb den – – Sonntag – –

Wie er von ihr ging, neigte sie ihr Haupt und dankte ihm! – Die vorige Nacht hatte sie noch die entsetzlichsten Schmerzen.[66] Um vier Uhr Nachmittags war alles vorbei! Zuweilen fiel sie in eine Phantasie und sprach wieder mit ihrem Engel. Da sie ihn zum erstenmal wieder inne ward, redete sie ihn mit einer Heftigkeit an, die durch die Seele ging:

»Alle guten Geister loben den Herrn.«

Die Pastorin versicherte, daß sie bei einem Geisterrauschen eine holde Stimme vernommen: »Ich auch!« Je näher zum Tode, je mehr sprach sie mit diesem guten Geiste, der sich Ich auch genannt hatte, wie die Pastorin versichert. Sie sprach mit ihm, wie mit ihrem Seelenträger, mit ihrem Reisegefährten, und war so froh, an seiner Hand in Abrahams Schooß zu kommen und die Krone der Gerechtigkeit zu empfahen, daß sie den glühenden Fegofen, die Löwengrube der Trübsale, nicht achtete. »Aber der Engel Gottes,« sagte sie zur Pastorin, »führt mich zu einem Wasserbrunnen, daß ich beim Leben erhalten werde. Er lagert sich um die her, so den Herrn fürchten, und hilft ihnen aus.«

Der Schmerz ist weg, fing sie zu der Pastorin nach einer Weile an, aber die Seele, die Seele, thut mir sehr, sehr wehe! Sie hat sich an die Melodie des Körpers sehr gewöhnt.

Die Wittwe mußte hier Verschiedenes aus der Bibel lesen und aus dem Gesangbuch singen. Die selbst sprach sehr unvernehmlich! Die Angst, bis sie stoßweise ausstand, war groß! Das letzte Lied war:


Herr Gott, dich loben wir.


Die letzte Strophe mußte die Pastorin viermal singen, nach Zahl der letzten Dinge –


Behüt' uns heut, o treuer Gott,

Für aller Sünd' und Missethat.

Sey uns gnädig, o Herre Gott!

Sey uns gnädig in aller Noth![67]

Zeig' uns deine Barmherzigkeit,

Wie unsre Hoffnung zu dir steht.

Auf dich hoffen wir, o lieber Herr,

In Schanden laß uns nimmermehr! Amen!


Auch im Grabe, sagte sie, nicht zu Schanden!

Trinken können die Kranken länger als essen. Die letzte Zeit konnte sie, wie wir wissen, keinen Ton angeben. Zuweilen schien es, sie wollte; allein sie sah sich verbunden, ihre Seele in Geduld zu fassen und sich mit Prosa zu behelfen.

Die Pastorin mußte den Vorhang am Fenster, wo sie lag, mitten entzwei reißen! So, so, sagte sie, so reißt's hier, hier! Licht! rief sie. Der Vorhang ward weggezogen; sie sah Licht. Grün, grün, fing sie an, Frühling! so schönes Grün als das Taufwassergrün, und noch schöner! Kein Fußwasserplatz daneben! Alles gleich schön! Oft reckte sie beide Hände aus. Paradies! rief sie. Sie ward wieder still, ließ sich ein Crucifix dahin setzen, wo der Vorhang zerrissen war. Sie sah es starr an, verlangte es näher, drückt' es an ihr Herz mit den Worten, die sie ungewöhnlich vernehmlich aussprach:


Wenn ich einmal soll scheiden,

O scheide nicht von mir!

Soll Todesangst ich leiden,

O scheide nicht von mir!

Und wenn am allerbängsten

Mir rings ums Herz wird seyn,

Reiß du mich aus den Aengsten,

Kraft deiner Angst und Pein!


Sie fiel wieder ohnmächtig ein. – Was ist die Uhr? fragte sie die Pastorin, und diese versicherte, daß ihr keine Frage empfindlicher gewesen. Vier? Bald! – Sie hielt sich fest am Crucifix, das sie sich hatte reichen lassen.[68]

Ihre letzten Worte, nicht völlig vernehmlich, waren:


Komm so, mein Tod, und sey gegrüßt,

Der mehr als tausend Leben ist.


Ihre gewaschenen Füße lagen im Kreuz; so im Kreuz mit Händen und Füßen wollte sie auch begraben werden. Ihr Gesicht war nicht im mindesten im Tode entstellt.

Kein Hund heulte, schreibt die Pastorin, weder vor noch nach ihrem Ableben; der Storch nur, der in der Gegend des Pastorats sein Sommerhaus hatte, ist verzogen.

Von ihrem Begräbniß will ich nur wenig anführen.

Sie hatte nur bloß über den Ort, wo sie ruhen wollte, über ihre Begleiter und einige Austheilungen an die Armen der Gegend Einrichtungen getroffen, alles andere aber den Zurückbleibenden überlassen. Sie wollte nicht in der Kirche ruhen, sondern unter ihren lieben Todten; indessen hatte sie verfügt, daß sie in die Kirche gebracht und rund herum getragen werden sollte. Bei Nr. 5 bitt' ich anzuhalten, sagte sie. Mein Gott, schreibt die Wittwe, wie bange war mir, sie würde sich aufrichten: Ich bin vor dem strengen Richterstuhl Gottes verklagt! – Fürs Urtheil war mir nicht bange. Eine Selige ist sie wahrlich!

Der Vicarius hielt ihr eine Rede über die Worte Matthäi im fünften Kapitel der achte Vers: »Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!«

Eine Stelle aus dieser Rede:

»Unsere Glaubensschwester führte ein verborgenes Leben in Gott. Man sah an ihr die Worte erfüllt: Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Die Trübsal hatte in ihr gewirkt Geduld, die Geduld Erfahrung, die Erfahrung Hoffnung, und diese läßt nicht zu Schanden werden. Ihre Seele war genesen, da sie aus meinen Händen das Mahl des Herrn empfing! Gott war mit ihr! – Wahrlich, Freunde,[69] diese Gegend hat eine Beterin, eine Himmlischgesinnte, eine Gottverlobte verloren.«

Vor der Rede ward gesungen:


Wenn Gott von allem Bösen etc.


Die Pastorin schreibt, daß sie den zweiten Vers dieses Liedes auch mit heiligem Schauer gesungen, nicht mit Bangigkeit, wie beim Herumtragen bei Nro. 5. Sie wird den Sargdeckel heben, dacht' ich (ihre eigenen Worte) und mitsingen:


Mein Mund wird nichts als lachen,

Und meiner Zungen Klang

Wird lauter Lieder machen,

Gott, unserm Heil, zu Dank!


Nach der Rede ward gesungen:


Es ist gewiß ein' große Gnad' etc.


Bei der vierten Strophe, schreibt die Pastorin, empfand ich, wie wohl gewählt dieß Lied war:


Da wird Gott all's in allem seyn;

Da wird dann recht erklingen

Der Sang der heil'gen Engelein,

Die Gott ein Loblied singen

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.


Sie ward, wie sie angeordnet, in die Erde gelegt, bei meinem Vater. Hier werden sie Hand in Hand ihren schönen Morgen erwarten, wenn das Verwesliche wird anziehen das Unverwesliche, und das Sterbliche die Unsterblichkeit! Außer den Begleitern, die sie erbeten hatte, war die ganze Gemeinde jung und alt gegenwärtig. Man hatte keine Schaufel nöthig, sie zu bedecken. Jedes warf eine Handvoll Erde sanft auf ihren Sarg. Der Greis flehte um einen seligen Tod; der Mann um die glückliche Entbindung seines Weibes; das Weib, daß ihr Erstgeborner ihr wohl[70] gedeihe; der Jüngling für seine Geliebte; die Braut um die treue Liebe ihres künftigen Gatten; das Kind um das Leben seiner Eltern! Was jedem das Liebste und Beste war, das erflehte er sich bei diesem Grabe, und jedes warf eine Handvoll Erde!

Freunde, schaudert ihr vor dem kalten Arm der Erde? Seyd getrost, ihr werdet in ihm von der Last eurer Pilgrimschaft ausruhen, und auch der hier nicht viel schlafen konnte, wie sanft wird er hier sich legen! Was weiß ich, schreibt die Pastorin, ob das Laken gerissen oder die Wehmuth derer, die einsenkten, daran Schuld gewesen (die Wehmuth ist schwach wie ein Kind) – der Sarg riß sich los, recht als ob er die Zeit nicht abwarten konnte! Wie er nahe an meines Vaters Sarg kam, wankte der Deckel. Dieß vermochte die Träger, um die Erlaubniß zu bitten, beide Särge noch zu öffnen und beider Hände in einander zu legen. Diese einfältige, fromme Bitte ward von den Leichenbegleitern bewilligt, und sie copulirten dieses Paar, weinten die bittersten Thränen auf die Hände, deckten jeden Sarg zu, und alles empfand bei diesem ungekünstelten, unbereiteten Vorgange, daß er ungekünstelt, unvorbereitet war.

Noch einen dergleichen muß ich nachholen. Den Abend vor dem Begräbniß versammelten sich die besten Sänger und Sängerinnen im Dorfe und sangen vor dem Trauerhause das Todtenlied, so ich meinen Lesern in einer Uebersetzung mitzutheilen nicht anstehen kann.


* * *


Todtenglocken, klagt, klagt laut und wimmert nicht so dumpfig, so innerlich, daß es Mark und Bein durchtönt! Ruft es aus, damit jedes, Klein und Groß, wisse, woran es sey: Vater todt! Mutter todt! Unsere Kirche eine vater- und mutterlose Waise.

Armes Weib, die doch gern gebären wollte, damit unsere [71] Kirchenmutter ihre Hand auf das Knäbchen lege und es einsegne, du kamst zu spät! Ihre Hand ist eiskalt! Nicht ein Tropfen warmer Segen ist drin. Sie hat ihn keinem entzogen, der seinen Kopf darreichte! – Wir fühlen noch alle die Stelle, wo ihre milde Hand lag!

Wer wird nun unsern Kleinen Honigbrod geben, wenn sie den Glauben beten? Wer wird sie bei der Hand nehmen, wenn sie Abba, mein Vater! an einem Nest voll junger Vögel, die ihren Mund gen Himmel aufreißen, beten lehren? Wer nach dem Ungewitter, wenn die Luft sich erholt hat, ein Loblied singen mit den Finken um die Wette?

Kommt, laßt uns gehen, wo es wiederhallt, und Mutter rufen, Mutter! Vielleicht erfährt sie dadurch, daß wir ihrer denken. Uns spottet das Echo nach; mit Geistern spricht es wie wir mit einander. Kommt in den Wald, wo es wiederhallt! Fast hochnoth ist, daß wir Zweige brechen, den Weg zu bestreuen zu diesem Grabe. Ihr Grab wird von selbst grünen und blühen. Nicht von Aesten, diese sich jeglicher Reisende brechen kann, um sich auf seinem Wagen eine Bude zu bauen, die ihn vor der Sonne schirmt. In die Höhe wollen wir klimmen und aus den Gipfeln Aeste nehmen und brechen. Sie ist's werth, daß man hoch steigt und daß man bricht und nicht schneidet. Sie ist von der Seele gerissen wie diese Aeste vom Stamme. Sie welkt, wie dieses Laub auf dem Wege zu ihrem Grabe. – Wem dienen die Tauben, die sie im Schlage zurückließ? Auch sie sind arme Waisen wie wir alle. Sie fressen nicht mit Wohlgefallen, seit sie todt ist. Laßt uns Theilung halten, jedes Haus ein Paar. Ihre Jungen und die Jungen ihrer Jungen, die sie brüten, sollen das Andenken eines Pastorpaares erneuern, das wie ein paar Tauben war, und wenn wir von diesen Tauben unsern Kindern ein Paar zurücklassen, sey es mit der Ermahnung, an die Gräber dieser Frommen zu denken[72] und ihnen kein Leid zu thun! Ist es euch nicht so, als wenn die Tauben selbst drum bäten, ohne unser Zuthun? Gar fromme Thiere! Unser Pastorpaar wird sich der liebe Gott so halten, wie jeder von uns das Taubenpaar!

Seht ihr nichts im Monde? Seht! Sie ist's! Im weißen Kleide, weißer, heller noch als der Mond; sonst könnten wir sie nicht sehen. Das Tuch um ihr Haupt, so wie sie da lag, ehe sie eingesargt ward. Wie sie uns zublickt! Seht! Seht! Welch ein Abglanz auf uns! Nicht um das Auge zu blenden, nein, um es zu stärken. Nicht Mittag, Abendkühle liegt drin! Heilige! Dank für deinen Blick! Dank für alles! Sieh auf dein Grab; ist es nicht aus Erkenntlichkeit gut aufgeklopft? Da soll dein Gebein ruhen, sicher vor jedem Sturmwind, der sich mit unbedeckten Gebeinen neckt, als könnt' er sie lebendig machen, und die frommen Tauben mögen Habichte werden und unsere jungen Küchlein aufhacken, wenn wir dein Gebein nicht ehren, du fromme Mutter, um deinetwillen!

Am Begräbnißtage, und noch zwei Tage nachher, ward in der nämlichen Procession dieß Lied abgesungen, und jedesmal mit einer Rührung, die ihres Gleichen nicht hatte. Immer als zum erstenmal.

Der nämliche lettische gelehrte Sänger hat auch auf meinen Vater einen Sang herausgegeben; indessen finde ich die gegenwärtige fromme Sonnabends-Empfindung bei weitem nicht drin. Naive Tändelei ist dem Volke eigen; indessen ist, was drüber ist, nicht immer vom Uebel.

Eine Stelle verdient Mittheilung. Man merkt leicht, daß das Lied aus höherem Chor ist, und daß überhaupt unser Meistersänger das Kunstlose des Volksliedes öfters verfehlt! Wie das zugeht, weiß ich nicht. Mein Vater pflegte zu behaupten: Meine Mutter[73] sey Schuld daran! Nicht doch, erwiederte meine Mutter, das kommt weil er ein Christ ist. Das Christenthum ist göttliche, himmlische Kunst.

Die Stelle:

Er starb zu einer seligen Stunde, eben da wir den Weizen einstreuten. Sein Leib, dieß Weizenkorn Gottes, wird so leicht verwesen, als eine Rose verbleicht, so sanft, als Leib und Seel' von einander gingen und sich zum letztenmal herzten.

Die Erde ist nicht so kalt, als sie zu dieser Jahreszeit zu seyn pflegt! Schaud're nicht, ehrwürdige Pastorleiche! Die Sonne schlug so warm, ringsum warm herum, als wenn sie es auswärmen wollte, und was war's für ein Rauch, den ihre Strahlen herauszogen? Weihrauch, den sein Engel, der auf dem Sonnenblick herabfuhr, anzündete, um dieß Grab zur Schlafkammer auszulüften.

Ist es erlaubt, zu der Standrede des Herrn Vikars über die Seligkeit der reinen Herzen, die Gott schauen werden, etwas zum Lebenslauf meiner Mutter zu liefern? Prose, wie ihr Tod war. Den Gesang hab' ich dem Letten überlassen, dem der Vikar, ein großer Lette, nachgeholfen zu haben scheint.

Sie war von mittelmäßiger Größe, hatte braunes Haar, eine sanftgebogene Nase und große Augen, die am Blitz jenem Großmutterauge durch die Ritze, wenig oder gar nichts gewichen hätten. Aus beiden Augen ließ sie dieß Licht leuchten. Die Nase ist der Zeiger am Menschen. Sie sah gerade zu, und trug die Nase, wie sie selbst bemerkte, weder gen Himmel, noch hatte sie ein Schatzgräberaussehen. Sie war sehr verhältnißmäßig gebildet. Man sahe ihren Händen an, daß sie solche nur selten in Handschuhen verschlossen gehalten, und doch waren ihnen die Priesterahnen und eine gewisse bewährte Feinheit anzusehen. Sie hatte die folgsamste Zunge, die je im Dienste des Herzens gestanden. Ihre Hände lebten mit der Zunge in Gemeinschaft; sie schrieben sich: & Compagnie.[74] Aergert dich dein Auge, reiß es aus, ärgert dich deine Hand, haue sie ab, konnte keinem Zuhörer meiner Mutter einfallen, wenn sie sich hören ließ! Alles war im besten Zusammenhange und ließ auf ein gleich übereinstimmendes Herz schließen. – Sie bezog nicht Leben und Thaten der hochwohlgeborenen Herren mit Firniß, Messing, Blech, Gold; sie war selbst keine Freundin von englischem Lack. Papilloten konnte sie nicht leiden; ich habe nie in meinem Haare Papilloten getragen; Vater und Mutter waren dagegen. Papier im Garten und in den Haaren war meinem Vater gleich unnatürlich, und meine Mutter sagte, wenn sie einen falschen Menschen beschreiben wollte: Es ist ein Mensch, der sich in Papilloten zu legen versteht. Eine Ordnung war ihr eigen, die mein Vater ein Schnürchen Perlen zu nennen pflegte. Sehr war sie für Leute, die von Natur lockigt Haar hatten. Geborene Pastores, pflegte sie zu sagen! Im Tanzen hatte sie nicht Unterricht genommen, das sah man ihr an. Sie hielt sich nicht rohrgerade; allein sie fiel auch nicht zusammen; ein kunstloser, völlig natürlicher Anstand war ihr eigen. Sie schnürte sich nie, ging etwas schnell und ein wenig mit dem Kopfe vorgebogen. Eine Lieblingsart von Andachtsbezeugung war es, die Schultern in die Höhe zu ziehen. Die Hände faltete sie auf eine so vortreffliche Weise, daß man Ausdruck drin sah. Sonst hemmt das Händefalten alle Handaction; es scheint die tiefste Ehrfurcht zu verrathen, die immer unbeweglich ist. Man will sich selbst halten, sich selbst binden. Die Hände meiner Mutter bewegten sich indessen auch gefaltet, und zwar der Ehrfurcht unbeschadet. Sie hatte keine Menschenfurcht; indessen war sie auch eben so weit entfernt sich zu erdreisten.

Ihr seyd ein Narr, sagte ein bekannter Landesvater zu einem seiner Höflinge! Wer ist's nicht? allergnädigster Herr! erwiederte der Höfling. Dieß: wer ist's nicht? sieht meiner Mutter ähnlich; obgleich sie gewiß in einem andern Tone, als der Hofnarr, es gesagt[75] haben würde. Da sie alles nahm, wie es kam, fiel nichts bei ihr vor, das wie gesucht anscheinen könnte! Sie pflegte zu sagen: Man muß keinem Gedanken die Thüre verschließen. – Sie war im höchsten Grade gastfrei.

Trau, schau, wem! war ihr ein Sprüchwort, das sie nicht liebte; obgleich wider den Reim nichts zu sagen ist.

Sie hielt keine Wirthschaftsbücher, und liebte sehr, ohne Etat zu leben. Wenn der liebe Gott mit uns alles zu Buch bringen sollte, pflegte sie zu sagen, ei denn! – Sie dachte überhaupt alles ohne Zahlen.

Mein Vater bemerkte: sie dachte alles poetisch. Ein neues Haus ohne Baukosten; indessen bot sie ihm die Spitze durch einen hohen Geistlichen, den Papst Sixtus den Fünften, welcher behauptet hätte, daß man auch einem Esel die Arithmetik beibringen könnte.

Der Mond war ihr Liebling. Das Profil und das Geradezu, pflegte sie zu sagen, wie schön!

Sieh einen Geizigen, sagte meine Mutter, Treppen steigen; wo er nur kann, nimmt er zwei Stufen auf einmal! Man lasse doch dem Reichen seine vollen Scheuern, ihm, der gemeinhin arm an Leib und Seele ist!

Wer Worte aufmutzt, war ihr ein Hahn, der den Auskehricht nachkehrt. Gern hätte sie gesehen, daß der Hahn die üble Gewohnheit nicht hätte. Er war ihr ein bedeutendes Thier. Sie selbst war sehr grammatikalisch und setzte ihren Casum.

Die Hölle nannte sie oft brennende Kälte!

Ich meines Orts, pflegte sie zu sagen, habe nichts wider die Herren Philosophen; allein sie sind alle, wie mein Hausphilosoph, im Herzen für den monarchischen Staat. Freiheit ist Himmel!

Der Dichter ist für gleich und recht aus der goldenen Zeit her. Er hebt alles Ansehen auf. Den Großen läßt er einen[76] Kittel anziehen, den Unbedeutenden einen blanken Rock! Das beste ist, es kostet ihn nichts. Er ebnet und gleicht alles, und da sieht man sonnenklar, daß kein Ansehen in der Welt ist! Er ahmt Gott nach; denn auch vom Dichter kann es heißen:


Es ist dem Dichter alles gleich,

Den Großen klein und arm zu machen,

Den Armen aber groß und reich!

Er ist der rechte Wundermann. –


Da liegt die Ursache, warum nur gewöhnlich arme Leute dichten!

Das Pfingstfest nannte sie Geniefest, und hielt es für nothwendig, daß in diesen heiligen Tagen Wein getrunken würde; selbst Champagner, wenn nicht anders. In Ostern aß sie ein Lamm mit Brunnenkresse. Ueberhaupt verwahrte sie alle Erstgeburt, so die Mutter gebrochen, auf Festtage. Die Erstgeburt war ihr heilig. Auch selbst das erste Glas aus einer Flasche war ihr wie Erstgeburt werth. Sie gab es dem, den sie lieb hatte.

Sehr war sie für ihr Geschlecht; indessen war Adam doch die Erstgeburt, das konnte sie nicht läugnen, und sagte, daß ein Weib eine 0 sey, der eine 1 vorstehen müßte, wenn die Null was bedeuten sollte. Die Mädchen, sagte sie zu mir, sind wie Hopfen, sie müssen sich von klein auf rankeln. Du nicht also, setzte sie hinzu.

So laßt, ich bitte euch, das Doch aus dem Vaterunser – und wenn Bitte nicht helfen wollte, fraß sie ein heiliger Eifer. Ist denn, fuhr sie fort, das vollkommenste Gebet auch nicht vollkommen? O ihr Kleingläubigen, daß ihr's mit einem Doch verstärkt! Führ' uns (doch) nicht in Versuchung. Erlös uns (doch) von allem Uebel.

Mein Vater nahm sich des Flickwörtchens Doch weniger, als der armen Leute an, die, wenn sie beteten, nicht ans Vaterunser,[77] sondern ans Doch und an meiner Mutter Scheltwort dachten! – Laß sie! Läßt Gott der Herr nicht manches Doch an uns? – Meine Mutter ließ demungeachtet nicht nach, das Unkraut aus dem Vaterunserweizen, wie sie sagte, zu jäten.

Das Gedächtniß meiner Mutter war außerordentlich; es war eisern. Kein Wunder, wenn sie zu Sprachen aufgelegt war. Sie behauptete, daß man bei der Poesie das Gedächtniß schone. Sie ist dem Gedächtniß eben das, pflegte sie zu sagen, was die grüne Farbe den Augen ist. Bei Sprachen hingegen, fuhr sie fort, greift man das Gedächtniß an. – Was ich sagen wollte, betraf eigentlich Sprachen.

Meine Mutter war keine Freundin von Wörterbüchern. Wenn auch, sagte sie, dir das oder jenes Wort fehlt; die Sprache verläßt keinen, der sie nicht verläßt. Sie hat nicht unrecht. Wer eine Sprache nicht ex professo weiß, kann sich doch drin trefflich ausdrücken, wenn er nur sonst ein Kopf ist. Wagen gewinnt, wagen verliert, heißts hier! Was ich ein Genie gern eine Sprache reden höre, deren es nicht völlig mächtig ist! und wo ist ein Genie, das seine Sprache pünktlich weiß? Da sehe ich denn, wie dem vollen Ausbruch der Flamme nur ein Mund voll Luft gebricht. – Ein Genie ist ein Kopf, der nicht aufs Wort merkt, und doch fehlts ihm nie an irgend einem Guten. Kraft und Macht sind hier verschieden; obgleich sie sonst ein Paar sind.

Mein Vater las nie ohne Wörterbuch eine Sprache, in der er nicht Meister war. Er mußte alles aus dem Grund haben und jedes Wort aus der Wurzel ziehen. – Mein Vater war ein Prosaist; meine Mutter eine Dichterin.

Wenn ein Hahn krähte, dachte meine Mutter an den Hochverrath des Petrus und an ihren eigenen, den sie sich wegen Minen zu Schulden kommen lassen. Der Präpositus unter ihren Hähnen, der alle andern überschrie, war ihr ein ehrwürdiges Thier! In[78] den Denkzetteln that sie ihm sogar die Ehre, ihn Superintendent zu nennen. Schade, sagte sie, daß auch er den Auskehricht noch einmal auskehrt! – Nichts konnte es ihr näher legen; wer steht, mag wohl zusehen, daß er nicht falle, als ein Hahn.

Sie konnte keine Uhr schlagen hören, ohne daß sie auffuhr. Kauft die Zeit aus! sagte sie. Wenn sie wo war, stand sie mit dem Schlage auf, wenn sie wo hinging, geschah es mit dem Schlage, und dieß nicht etwa der Pünktlichkeit wegen, sondern des Vollschlagens halber. Sie that, als wüßte sie, daß sie mit dem Schlage sterben würde. Ich wollte auch nicht im ersten oder dritten Viertel, oder wenn es halb ist; kalt oder warm, sagte sie, da du aber lau bist, will ich dich ausspeien.

Wäre es nicht gut, fragte sie, lieber Mann! wenn man lieber spräche, wie Matthäus, Marcus, Lucas sagt, und nicht, wie sie schreiben? Sagen ist lebendiger Glaube, schreiben todter. Jenes Geist, dieß Leib. Mein Vater lächelte.

Meine Mutter, die gegen jedermann gerecht war, und die mir in ihrer Textsammlung, in ihren Denkzetteln die Lehre gab, die u bei ihrem Strich und die i bei ihrem Punkt (privilegio reali) zu lassen, war eben so gerecht gegen alte Wörter und ihre wohlhergebrachten Privilegia. Der Wurmstich thut zu ihrer Gültigkeit nichts ab, nichts zu. Luther war ihr Autor classicus.

Sie liebte sehr Realworte, solche, welche die Sache selbst wären, wie sie sich ausdrückte. Donner! – Blitz! – Sturm! – In dieser Hinsicht war sie mit einigen nicht zufrieden, z.B. mit Geschwind. Es wird kalt, ehe man das Wort zu Ende spricht. Schwind wie der Wind, wäre besser. Du sollt' nicht stehlen, setzte sie hinzu, und wich dem Worte Geschwind aus, um ihren Grundsätzen nach auf der einen und auf der andern Seite dem Worte keinen Schaden noch Leides zu thun, sondern allen, wärs auch einer Sylbe, förderlich und dienstlich zu seyn.[79]

Sie gab allen Bäumen zu viel Wasser, die sie selbst pflanzte. Ueberaus gern sah und hörte sie regnen.

Ihren Unterricht pflegte sie eine Schöpfe zu nennen. Wollte Gott, setzte sie hinzu, aus einem Gesundbrunnen, aus einem Brunnen des Lebens! Nicht jeder kann, so lange wie er ist, sich in den Bethesda stürzen.

Seht doch jenen Baum, dem die Aeste brechen. Er hat mehr Kinder, als er tragen kann! So fromm, wie jene Wittwe das Scherflein einlegte, so fromm stützte sie diesen Baum!

Ein Pastor aus der Gegend, dessen Geiz gränzenlos war, hatte einem dürftigen Eingepfarrten 10 Thlr. Alb. geliehen. Wo sind denn die neune? sagte er zu seinem Schuldner, da er ihm einen Reichsthaler zum Anfang abtrug. Das neune ich, sagte meine Mutter, eine Spruchspötterei, dergleichen sich zehn Freigeister nicht zu Schulden kommen lassen; wiewohl sie ob der Bibelsprache hielt.

Die Juden sah meine Mutter, wie Winckelmann die Antiquitäten an. Von getauften Juden war sie vielleicht bloß darum keine Freundin. Nie hatte sie bei einer Judentaufe Gevatter gestanden, obgleich sie gern bei Christenkindern dieses Pathenamt übernahm. Sie drängte sich recht zu Gevatterständen. Laßt die Kindlein zu mir kommen, sagte sie, und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes!

Wer beim ersten Gericht von Religionssachen spricht, ist ein Heuchler! – da denkt man an den Leib. Beim letzten Gericht vorzüglich beim Kuchen, wird in allen Gesellschaften von Religion des Mittags, von Erscheinungen des Abends gesprochen.

Das Gewissen, sagte sie, ist eine Saite, die nie ausgespielt wird.

Sie schrieb Christ mit einem X und Christenthum Xthum, und war eine so große Verehrerin vom Kreuz, daß, wenn gleich sie nicht mehr ein Kreuz schlug, wenn sie gähnte, sie doch alles und jedes ins X legte Z.B. Messer und Gabel. Die Eckartschen[80] Kamine waren ein Greuel in ihren Augen, weil das Holz hier nicht kreuzweise brannte. Sonst war Kaminfeuer ihr Leben. Mein Vater war auch dafür.

Zu früh, sagte meine Mutter, ist eben so zur Unzeit, als zu spät. Wer etwas zu geschwind sagt, weiß es, und weiß es auch nicht. Sie ging zwar etwas schnell; allein sie sprach so, wie man muß, nicht zu früh, nicht zu spät. Sie hatte sehr was Vernehmliches in der Sprache, eine klingende Stimme!

Sie war sehr für rasche Pferde, und da mein Vater gleicher Meinung war, so pflegte sie oft, wenn sie mit ihren vier Braunen fuhren, zu sagen: Feurige Rosse und Wagen. Es kann seyn, daß sie, bloß weil sie Dichterin war, rasche Pferde geliebt; indessen erwähnte sie nie des Pegasus.

Wer wird, sagte sie, einen Erzengel Gottes wirklich geheimen Staats- und Kriegsminister nennen? Kindliche Weisheit mit Scholastik verkaufen? Wisset ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig das ganze Gebäcke versäuret?

Sie glaubte sich, als Pastorin, wirklich im göttlichen Dienste. Die Schauspielerin arbeitet so gut als er. Eine Sängerin erhält oft ihren Mann. Eine Pastorin besorgt den kleinen Dienst, sagte sie, um meinem Vater zum Munde zu reden!

Ein Berg ist die eigentliche Kanzel Gottes! Christus der Herr, bestieg selbst eine dergleichen Kanzel, und predigte gewaltiglich.

Vernunft nannte sie Unterfutter! Oberzeug, sagte sie, muß Dichtkunst seyn, wenn es kleiden soll.

Sie konnte nichts Uebertriebenes leiden, und übertrieb selbst, wenn sie dergleichen Leute auf den rechten Weg leiten wollte. »Thut sie doch so keusch, daß sie Bedenken trägt, ein Söhnlein christlicher Eltern über die Taufe zu halten.«

Einen Unbeständigen bezahlte sie mit gleicher Münze. Im Mutterleibe, sagte sie, ist er am längsten gewesen. Wer hat aber[81] seine Mutter darüber befragt, ob sie nicht Beschwerde zu führen gehabt, daß er den Zaun brechen wollen, ehe es Zeit war?

Für die Augsburgische Confession war sie über alle Maßen. Herzlich konnte sie sich über einen curischen Candidaten freuen, der auf die Frage: woher sie Confessio Augustana hieße? antwortete, weil sie vom Augustino herkäme; warum nicht gar vom Kaiser Augusto, der eine Schatzung ausschrieb? Der Conversus war aus Augsburg, kein Wunder, daß, des Königs von Spanien unerachtet, alles mit dem Hieronymo a sancta fide so gut beigelegt, und ein für den Conversus so vortheilhafter Friede eingegangen ward.

Wenn meine Mutter zuweilen im heiligen Eifer war, sprach sie, wie sie selbst bemerkte, nach Prophetenart, die es auch, wie sie glaubte, so böse nicht gemeint hätten. Den folgenden Fluch hatte sie aus den Propheten ausgezogen; nie hat sie, ein Glied davon gebraucht. – »In der Stadt soll keine Mühle mehr gehen; keine Braut soll sich ihres Lieblings freuen; kein Richter soll einen Mord rügen; jede Erstgeburt verunglücken. Nie werde gesungen und gesprungen. Hülle und Fülle sey nirgend, weder im Tempel, noch beim Schmause. Lang werde den Tischgästen die Zeit, wie den Taglöhnern, und kein Mark sey auf ihrem Tische; in ihren Häusern rieche es nach eitel todten Leichnamen, die den Weihrauch nicht aufkommen lassen, wenn gleich ihn Aarons Hand wölbt. Wenn es donnert, ergreife den Einwohner eine Angst, wie eine Gebärerin, und niemand finde hier volle Genüge. Keine Creatur freue sich hier ihres Seyns. Der Vogel sitze länger, um seine Jungen zu brüten, und verlasse das Nest, ehe seine Nachwelt einen Flug gethan. Ein Schwindelgeist sey unter ihre Jugend ausgegossen, daß sie wie Trunkenbolde laufen, wie aufgeraffte Mittagsschläfer. Ihr Alter sey wie Rohr, das der Wind hin und her beugt! – Verzagtheit wohne in ihren Städten, und bei dem kleinsten Uebel recke[82] jeder seine Hand wie ein Ertrinkender, wenn er sie zum letztenmal reckt.« – Die Propheten, behauptete sie, fluchten schön und – wer lese nicht gern solche Flüche?

Eine feine Flucherin! Ich schreibe mir nichts hinter's Ohr, sagte sie, und that auch also. Ich habe mit keinem Menschen ein Hühnchen zu pflücken. Wahrlich! sie war ein schöner nordischer Maitag. Sie war nicht eine Fläche, die dem Auge nicht hinreichend Nahrung gibt! Ein Berg, eine Kanzel Gottes, grenzte an ihr Thal.

Einen Plan machen konnte sie nicht. Sie schlug nicht Alleen im Walde, sondern, nachdem es die Gelegenheit gab, hier und da einen Stamm. Zum ersten, besten Bahnbruch war sie nicht aufgelegt. Sie selbst aber wußte ein und aus.

Mein Vater war gleich mit einem Riß fertig. Meine Leser werden selbst so manche Abschnitzel von Entwürfen bemerkt haben. Gern aber mochte meine Mutter Plane hören, z.B. die Disposition meines Vaters von der Sonntagspredigt schon Sonnabends zu wissen, war ihr Leben. Mein Vater nannte es den Küchenzettel der Predigt. Meine Mutter war mit diesem Ausdruck höchst unzufrieden.

Sie sah sehr ungern, wenn irgend ein gemeiner Mensch ein Instrument spielte. Singen, sagte sie, muß jeder können; allein spielen nur der, wer Geld und Zeit hat. Sie glaubte, ein Reicher hätte unendlich mehr Zeit, als ein Armer, und man könne wirklich Zeit kaufen.

Sehet die Vögel unter dem Himmel, sie säen nicht, sie spinnen nicht, und darum singen sie doch, pflegte sie zu sagen.

Das Schreiben hielt sie in Absicht des gemeinen Haufens unnöthig, sogar schädlich, dagegen behauptete sie, müsse jeder Mensch sein Augenmaß excoliren, das heißt, setzte sie hinzu, zeichnen lernen, wenn nicht anders, so mit den Augen allein.[83]

Weder Hefen, noch Schaum. – Der alte Herr ist oft beides. – Sie goß alles ohne Schäumchen auf.

Ein Becher war ihr liebstes Geschirr; ein Halbbruder vom Kelch, sagte sie. Mein Vater war für Gläser.

Der Champagner war ein Stutzer unter den Weinen! Windbeutel nannte sie ihn. – In Pfingsten hieß er Geniewein.

Sie aß gern Honigseim, wie sie es nannte, zu deutsch Honigkuchen.

Sie hatte eine Weise, der Mode nicht ungetreu zu seyn; indessen brachte sie dabei etwas an, wodurch sie ihre curische Freiheit sich reservirte. Mein Vater, der Monarchenfreund, versicherte, daß sie eben diese Abweichung am vortheilhaftesten gekleidet hätte, und in Wahrheit, eine bloß modische Frau ist geputzt, eine, die, wenn es nöthig, sich selbst etwas vorbehält, hat Geschmack. Sie ging sehr reinlich. Wenn sie sich ungewöhnlich ankleidete, pflegte sie zu sagen: Wir brauchen Brod alle Tage; Geld aber nur alle Jahr.

Walt', ewiger Gott! Wie viel Vorliebe hat der Mensch doch fürs Sinnliche! Läßt er wohl das Kippen und Wippen? Und doch ist er schon hier im Stande, verklärt zu werden. Es gibt Seelen von Menschen! Geister von Menschen, sagt man nicht. Es gibt Gemüther, von denen man behaupten könnte, sie hätten keine Erbsünde; allein den meisten Menschen ist nicht um Sachen, sondern um Worte zu thun! Welch eine Thorheit! singt dein Vater, und das mit Recht! Nach dieser Fahr und Noth will ich dir lobsingen, Gott, meine Zuversicht, in deinem Heiligthum! Als ob Gott, dem Herrn, mit einer Handvoll Worte, mit einem Panegyrikus gedient wäre! Handlungen, das ist die eigentliche Art, mit Gott zu reden; das heißt, ihn im Geist und Wahrheit anbeten![84]

Das sind mir die rechten Pastores, die böse Hunde halten, und die Leute bloß ins Gebet einschließen! Sie hielt die Hunde für eine Beleidigung der Gastfreiheit.

Mein Sohn! schreibt sie mir gleich nach meiner Abreise, bald hätte ich mein Kind geschrieben, und das ist nicht Jüngchen, nicht Mädchen. Dieser Ausdruck schickt sich für keinen, als den Johannes, den Evangelisten, den Christus lieb hatte, mit dem er spielte. – Das war ein Kind, ein liebes Kind, im erhabenen Sinne. Wie ich den Johannes lieb habe! Was ich dir sagen wollte: Saul suchte die Eselin seines Vaters, und fand ein Königreich. Joseph träumte sich zum Herrn über ganz Aegyptenland, der nicht ein Kornjude, wie etliche wollen, sondern ein feiner Finanzminister ward. Es ist sehr gut, daß es dem Menschen nicht immer nach seinen Wünschen geht. Gott behält sich ein Votum bei ihm vor, und anstatt, daß ein Mensch betrübt seyn sollte, daß ihm ein Posten abgeschlagen wird, sollte er sich freuen, daß Gott der Herr sich in die Sache eingemischt. Wenn man die Zeit abwarten kann, wird Wasser in Wein verwandelt. Wer weiß, ob Horeb oder Gethsemane der beste Berg ist? Du willst in die Rathsstube, und weißt nicht, daß du in die Mördergrube gerathen würdest; du willst Geld, und bedenkst nicht, daß Geiz die Wurzel alles Uebels ist; du klagst über öftern Anfall von Kolik, und weißt nicht, daß, wenn der Stöhner nicht lange lebt, der Prahlhans gewiß nicht. Ich zittere vor einem großen Glück, wie dein Großvater selig. Wenn es recht warm gewesen, donnert und blitzt es. Da erzählt mir jüngst der Candidat mit den langen Manschetten, daß eine Glocke, die nicht fest genug hing, auf ein Mädchen von sieben Jahren gefallen, die unten spielte, und zwar so, daß sie sie bedeckte. Von solchem Glücke konnte dein Großvater nicht sagen: Das heißt Glück. Da hätte auch der Himmel fallen können, und nicht bloß eine Glocke. Dieß Mädchen wäre keine Frau für dich geworden.[85] Mag sie doch der Herzog heirathen, wenn er Lust und Liebe zum Dinge hat!

Bücher und Kinder kosten am meisten, und es ist unrecht, dem geistlichen Stande den Credit darüber zu benehmen. Die alten Prediger ließen etwas Bart zur Art stehen, und diese Weise, gar eben wäre so etwas in meinem Kram. Vielen unserer Candidaten würde es Mühe kosten, diesen Aufwand zu machen. Der Bart wird sich zeitig bei dir einfinden! Es ist kein ungebetener Gast, er sey willkommen!

Sobald du den Kopf auf einer Seite und nicht geradezu trugst, merkte ich gleich, du wärest verliebt. So trägt ihn der Verliebte. Du fingest an, in Tenor zu fallen. Gut, dachte ich, er hat das Weltbürgerrecht gewonnen. Ich wußte, mein Blick könne nicht fehlschlagen, und du wärest nicht gleichgültig gegen Minen. Mein Gott! aber wer konnte auch gleichgültig seyn! Wenn ich ihr kaum einen guten Morgen bot, da sie kam, mußte ich sie doch küssen, wenn sie ging. Viele Menschen lassen die Natur nicht zum Worte. Mine stand so mit der Kunst. Wahrlich, die Natur hat euch die Liebe gelehrt! – Laß sie nur Pfefferkraut sammeln, dachte ich! Was hat es zu sagen, wenn es beim Pfefferkraut bleibt? Ich Thörin! konnte ich denn nicht bedenken, zu dieser meiner Zeit, daß du die erste und letzte Geburt einer Dichterin wärest, und daß deine Einbildungskraft kein Stück Kleid bei dem, was es ist, lassen, sondern es in ein himmlisches Gewand umschaffen würde? Ich, die ich deines Vaters halber hebräisch lernte, ich konnte dieß alles nicht bedenken?

Meine Mutter, obgleich kein Wort ihr Kopfschmerzen machte, und sie Genie im Ausdruck war, trat doch der u und i Gerechtigkeit halber meinem Vater in Absicht der Stammworte bei. Diese waren ihr so ehrwürdig als ihre Ahnherren, die Superintendenten und Präpositi. Sie rieth, sich daran zu halten, um jedem Worte[86] seine Würde und Ehre zu geben. Ohne das ist alles nicht Fleisch, nicht Fisch, nicht gekocht, nicht gebraten. Soldat ist zusammengesetzt von Sold und That, sagte sie. Wer ums Lohn Dinge thut, thut sie der? fragte sie; denn sie hielt nicht viel auf Soldaten. Sie hieß sie gewöhnlich mit der heiligen Schrift Kriegsknecht. Die Bauern nannte sie lächelnd Bauherren.

Wenn gleich in Curland bloß der Bauern- und Ritterstand obwaltet, und der Literator der Rinnstein zwischen beiden ist, doch so, daß er sich mehr zur bäuerlichen Seite wendet, so meinte sie doch, das Mittelstück sey das beste.

Wie heißt das vierte Gebot?

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dirs wohl gehe und du lange lebest auf Erden!

Was ist das?

Ob denn nicht ein Autor auch ein geistlicher Vater sey? Gern sehe ich es, um den verlornen Sohn von Kunstrichter bei Gelegenheit, daß ich meiner Mutter die kindliche Pflicht erstattet, zur ähnlichen Schuldigkeit anzuweisen. – Mag er doch bei seinen Trebern bleiben!

Du aber, ruhe wohl, meine gute, liebe Mutter! bis der liebe jüngste Tag anbricht, bis zur Stunde, da es heißt: Steht auf! Du warst zur Wiedergeburt gewöhnt, wahrlich, du wirst wiederkommen! Ei, du Fromme und Getreue! du bist über wenig treu gewesen! Du wirst zu vielem kommen! Du warst reines Herzens, du wirst Gott schauen, du preisest Gott mit deinem Leibe und deinem Geiste, welche sind Gottes. – Was gesäet war in Schwachheit, wird auferstehen in Kraft! Eva aß und gab ihrem Manne auch davon, und er aß, und doch war Eva das Weib aller Weiber, die Mutter aller Lebendigen. Gute, einfältige, fromme Seele! Gott segne dich! Vergesse ich dein, so vergesse mein Herz meiner! Mein Vertrauter, der aus einem Becher mit mir trinkt,[87] sey ein Judas, der Gift unter meinen Kuß mische! In meiner Rechtssache spreche ein schielender, kleiner Bube aus einem Obergericht! Der in der Curländerin Sache sprach, richte auch meine Sache, wenn von Ehre und gutem Namen die Rede ist! Mit Thränen will ich ernten, was ich mit Freuden säete! Dein Mann, mein Vater, versplitterte oft das beste Stück Bauholz, woraus ein anderer eine Kirchenstütze gekannt hätte, wenn ers im gemeinen Leben brauchte. Er wechselte ein Schaustück eines Dürftigen halber, und auch du gabst, was du unterm Herzen hattest! – Wahrlich du warst kein Gras, das unter Steinen wächst, das keinen rührt, und wozu niemand sagt: Gott grüß dich! Eine grüne Taufwiese warst du, ein holdes Thal, das einen Berg zum Nachbar hat. Ein Lied im höhern Chor, ein Sonnabend, auf den der Sonntag folgt. Eine Glorie vom hellen Mondschein war hier dein Theil; dort bist du gekleidet in Sonne der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit war deine Aussaat und wird deine Ernte seyn. Keinem Worte hast du einen Zahn ausgestoßen, keinem einen bleiernen oder silbernen eingesetzt! Jedem Buchstaben, groß und klein, gabst du, was sein war. Sümpfe zu verurbaren, gemeine Seelen zu adeln, in den Schwachen mächtig zu seyn, so wie es Gott in dir war, das hieltest du für deinen Beruf. Du hattest richtige Läufe. Ruhe wohl! – Du hast deine Quarantaine vor der Ewigkeit richtig gehalten; – du bist eingegangen! Gott webe seine Hand über deinen Staub! Lebe wohl!

Daß Herr v. G. der ältere noch vor meinem Vater den Weg gegangen, den wir alle gehen werden, hat meine selige Mutter anzuzeigen nicht ermangelt. Freilich gehört Herr v. G. nicht so unmittelbar in diese Geschichte, und wäre es wohl Zeit, daß ich an mich selbst mehr dächte: soll man denn aber seinen Nächsten nicht lieben als sich selbst, und ist denn Herr v. G. der ältere nicht wahrlich unser aller Nächster? Je weniger man andere aus den[88] Augen setzt, je mehr sagt man von sich selbst – und damit ich mein Schwert in die Scheide stecke und meinen Lesern reinen Wein einschenke, so verlangt der nämliche Freund, der mich schon mehrmals in dieser Geschichte besuchte, den Herrn v. G. in Lebensgröße. So werd' ich ihn nicht darstellen können, weil ich Extrapost genommen; indessen doch hie und da ein Zug von diesem Naturmanne, der auch die Kunst nicht zum Worte kommen ließ, wie meine Mutter es Minen nachrühmt. Es ärgert mich jederzeit, wenn ich eine Vor- oder Nachrebe vollbracht habe, und doch kann ichs nicht lassen! Wer kann sich ohne guten Morgen und gute Nacht behelfen? In allen Sprachen wird es der lernenden Jugend zuerst beigebracht, und wer sich überhaupt ohne Vor- und Nachreden behelfen, oder wenn sie schon da sind, sie mir nichts dir nichts streichen kann, kann mehr als ich! Es ist so etwas von Erst-und Letztgeburt darin.

Damit meine Leser indessen gleich wissen, woran sie sich zu halten, so sey mir erlaubt, den Text zu verlesen, worüber gepredigt werden soll. Wahrlich, dieß ist auch der einzige Gesichtspunkt, aus welchem Herr v. G. zu nehmen ist.

Er und mein Vater hatten sich in zehn Jahren nicht besucht, wohl aber, so oft sie sich nur reichen konnten, mit Gedanken, Geberden, Worten und Werken (wiewohl alles in Ehren) gepfändet. Sie empfingen sich, da Junker Gotthard und ich zusammen gegeben werden sollten, wie die beiderseitigen Schwiegereltern gemeinhin am Hochzeitlager, so freundlich, daß nichts darüber war. Aber Pastor! sagte Herr v. G., nachdem sie in der freien Luft so manches gute Wort gewechselt, sind wir nicht ein Paar Verneinungen, ein Paar Nullen gewesen, daß wir uns und so manchen Realitäten sieben Jahre, wenns nicht mehr ist (es waren, wie ich nicht anders weiß, zehn, die vollkommene Zahl), den Rücken gekehrt?


[89] Aus einem Briefe meiner Mutter.


Ich habe, das weißt du, je und in alle Wege viel aus den Predigten deines Vaters gemacht, obgleich er nicht viel aus meinem Gesang, bis er mit Brand heimgesucht ward. Am liebsten hör' ich ihn, wenn er eine Casualpredigt hält. So ist mir die Predigt: Richtet nicht, noch immer in den Ohren ein süßer Schall, und hätt' er's bei den Liedern nicht versehen, dieser Sonntag wäre werth, in Gold gefaßt zu werden und Edelstein. – Ueber den Herrn v. G. hielt er eine Predigt trotz der: Richtet nicht; indessen war sie nicht für jedermann. Sein Text war aus dem einhundert neununddreißigsten Psalm und dessen dreiundzwanzigstem und vierundzwanzigstem Vers: »Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre, wie ich's meine, und stehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege!« Seine Predigt handelte vom Verstande und Herzen eines Christen, nicht, wie alles ist, sondern wie man's glaubt, daß es so recht, daß es so gut, so recht gut ist. – Auf den Glauben kommt's allein an. Mancher, der nicht Herr, Herr! gesagt hat, wird dort die beschämen, die Herr, Herr! des Morgens, des Abends und vor und nach Tische sangen und beteten. Nicht die Vater unsers, nicht die das Walt's machens aus, sondern die den Willen thun des Vaters Jesu Christi im Himmel, sind hier auf gutem, auf ewigem Wege. Da bekamen in die Länge und in die Quere, die sich über den Herrn v. G. aufgehalten, weil er lange nicht communicirt, und kein Kirchengänger gewesen. Es war deinem Vater nicht anzusehen, daß er sein ganzes Hebräisch vom Conversus hatte, und das heißt, eben nicht weit her. Er sagte uns Christenleuten so manches theure, werthe Wort, und wahrlich, mein Sohn, er hatte nicht Unrecht. Die Orthodoxie des Herrn v. G. will ich an seinen Ort stellen. Gott gebe, wenn es nicht zur Rechten ist, es wenigstens[90] nicht ganz zur Linken, sondern von der Seite sey. Der Herr v. G. bekannte und läugnete nicht. Ich bin keiner, sagt' er rein heraus, und ohne Sprichwort. Wenn man aber die jetzige neue Mode, Christen zu seyn, erwägt, die unsere jungen Herrn (Gott nehme dich in seinen Schutz!) von einigen Akademien, mitbringen; (Heil mit Königsberg und Göttingen für und für!) so könnt' es wohl heißen: dein Silber – zu reden aus Jesaias dem ersten Kapitel und dessen zweiundzwanzigstem Vers: »O Christenthum! dein Silber ist Schaum worden, und dein Getränke mit Wasser gemischt,« und aus dem drittem Kapitel, der siebenzehnte und vierundzwanzigste Vers: »Der Herr wird den Scheitel der Töchter Zion kahl, machen, und der Herr wird ihr Geschmeide wegnehmen.« Das heißt, er wird den Leuchter von der heiligen Stätte stoßen, und statt der feierlichen, hellbrennenden Kerze prasselt dann ein elendes Talglicht, zwar in einer gläsernen Form gegossen, schön von außen, allein doch Talglicht; dann wird Stank für Gutgeruch seyn, und ein loses Band für einen Gürtel, und eine Glatze für krauses Haar, und für einen weiten Mantel ein enger Sack; für Bibel und Gesangbuch allerlei Naschwerk und Marcipan, das süß auffällt, allein den Magen verdirbt.

In dieser Verstandes- und Herzenspredigt dachte dein Vater an den Herrn v. G. Es war wie vom Himmel gefallen. Ha! vermuthete man, da wird er die zehnjährige Entfernung aufdecken; da wird man erfahren, ob Rahel weiß oder braun gewesen; was für Federn Gabriel in seinen Flügeln gehabt; ob Adam mit einem Nabel versehen gewesen – wenn gleich der Text darnach nicht war! – Es war eine Stille, wo man das Wort fast in der Seele hören konnte. Die Frau v., die so tief zu seufzen gewohnt ist, daß die Wände es hören und wiederhallen, als wunderten sie sich drob! – still! ganz still! O mein Sohn! dein Vater ist ein feuerschlagender, geistreicher Mann! Schade! daß er sein Hebräisch[91] nicht aus der ersten Hand hat! und abermals Schade, daß man nicht weiß, wo er her ist! Sein Text ist Stahl und Feuerstein. Er schlägt, und es fallen Funken, des Küchenzettels unerachtet, den er über jede Predigt macht. Ich habe geweint bitterlich, und die ganze Kirchen- oder Trauerversammlung weinte so. Er schalt nicht, er drohte nicht. Er stellte dem es heim, der da recht richtet. Wenn ich doch schreiben könnte, was er sagte! Es war alles wie in Versen, so leicht, so schön!

»Laßt uns ungebeten an ein Mitglied einer benachbarten Gemeinde denken, dessen Erforschungs-, dessen Prüfungsjahre selig zu Ende gegangen, und der den ewigen Weg der Wahrheit und des Lebens angetreten! – Er kam nicht zu mir, so wie er's seit einiger Zeit öfters zu thun die gütige Gewohnheit hatte, sondern zu unserm Gotteshause! Er wollte unsern frommen Uebungen beiwohnen, ohne daß ich's zuvor wußte. Ich sprach ihn nicht, ich begrüßte ihn, allein von weitem, und siehe da! noch ehe ich meine Predigt anfing, hatte er seinen Lauf vollendet. Noch ehe ich Ja sagte, war er beim Amen. Er starb, wie ihr alle wisset, in den letzten Worten des christlichen Glaubens:


Nach diesem Elend

ist uns bereit

dort ein Leben in Ewigkeit.


Unvergeßlich wird mir jedes Wort dieses Umstandes seyn, so wie dieser Mann es einem jeden seyn muß, der ihn gekannt hat! – Er besuchte selten die Kirchen, und mußte in einer Kirche sterben! Ich sah den Aufstand, der unseres Vollendeten halber entstand; allein ich hielt seinen Zufall für einen solchen, der bei weitem nicht der letzte wäre.«

»Welch, eine Kluft zwischen Gottes und unsern Gedanken! Dein Wille, unser Vater! dein Wille ist geschehen. –«

»Er war – ich sage das Wort war, anstatt ist, zum erstenmal[92] und ich fühle es, es ist das erstemal, – er war mein Freund! Er war, ich, will mich an dieß Wort gewöhnen, er war ein Freund der Wahrheit, und ich kann hinzusetzen, ein Freund Gottes und der Menschen, nach seinem Bilde gemacht. – Gemeint hat er es gut, das wissen wir alle, mit Gott und Menschen. Was können leichte Wolken der Sonne schaden? Sie darf sich nicht vordringen, sie leuchtet ungesucht hervor, und jeder sagt: die liebe Sonne! Er dachte nicht, so wie wir, Freunde! Ihr wisset, daß er und ich uns darob wie Loth und Abraham trennten, und fiel etwas vor, was nicht ganz wie Loth und Abraham war, verzeihe es Gott! bei dem viel Verzeihung ist. Ich bekenne es frei, ich war bei dieser Trennung der Eiferer, und der Eifer thut nicht jederzeit, was recht ist. – Mein Trost ist, daß auch ich es gut meinte! O Gott, wie oft ringt meine Seele zu dir! Wie oft bete ich in meiner Einsamkeit, nur allein von dir gehört: Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre, wie ich es meine, und siehe, ob ich auf bösen, auch nur auf Irrwegen, bin, und leite mich auf ewigem Wege! Ich habe gethan, was meines Amtes ist. Thut, Freunde, auch, was das eurige ist. Ich wünsche ihm die Ruhe der Gerechten! Ihr deßgleichen. Gedenke an mich, wie ich gestorben bin; so wirst auch du sterben. Gestern war es an mir, heute an dir, das sey unser Geleitsspruch, wenn wir dieses Gotteshaus verlassen!«

Dieser Auszug bedarf keines Zusatzes. Kurz und gut war der Tod unseres theuern v. G. Eben so kurz soll auch meine Leichenrede seyn; ob so gut, kann ich nicht bestimmen.

Herr v. G. war ein sehr natürlicher Mann; alles, was er sagte, war mit der Hand geschöpfte Natur. Diogenes sah einen Knaben Wasser mit der Hand schöpfen, so wie unsere es mit dem Hute zu thun gewohnt sind, und setzte sich aus dem Besitz, seines Mobiliarvermögens, ohne solches publica legis auctione dem[93] Meistbietenden zu überlassen. Wenn die Natur Lehrer und Propheten sendet, sind es alle solche Wasserschöpfer! – Herr v. G. hatte eben da seine eigentlichen Collegia gehört. Er war aus Curland. Da, wo er geboren, waren schon sieben Herren v. G. geboren und gestorben; allein wahrlich kein v. G. seiner Art. Curland hat einen solchen Mann schwerlich aus seinen Mitteln gehabt. Mein Vater konnte sich nicht überzeugen, daß seine Vorfahren Curländer gewesen. Er ist, wie die Curländer seyn könnten, und wo sind v. G–s? Wie aber, wenn die Natur in einem Lande, wo Keckheit, Rauhigkeit, Trotz und Tyrannei unter dem Namen von Freiheit gang und gäbe ist, einen Mann, der ihrem edeln Bilde ähnlich wäre, recht mit Fleiß schaffen wollen? Wenn sie gedacht, laßt mich einen Curländer machen, ein Ideal?

Herr v. G. hatte, wie jeder Junker, seinen Hofmeister. Dieses war zum Unglück ein so ausgelernter Künstler, daß er wider die Landesgewohnheit viel todte Kenntniß besaß, die in der curischen Dunkelheit hell schien, so wie faules Holz gewöhnlich im Finstern. Unser Jüngling war seinem Führer am Verstande unendlich überlegen, dieser aber jenem an Sprüchen; und da der gute Goliath an dem Herrn Vater unseres kleinen Davids einen Verehrer gefunden, so war der junge Herr gezwungen, den Kürzern zu ziehen, seine Schleuder ungebraucht zu lassen, und sich höchstens mit einem verstohlenen Blick des Beifalls von seiner guten Mutter zu begnügen. Dieses edle Weib hatte die gerechtesten Klagen wider ihren Mann, besonders in puncto puncti. Auch außer dem puncto puncti nahm sich der alte Herr v. G. so manche schreiende Härte nicht übel, und befand sich dabei recht wohl. Fiel ja ein Gewissensbiß vor, so hatte der Hausarzt ein Recept von Sprüchen, die ihn auf der Stelle beruhigten. Arzt und Patient waren gleich kurzsichtig. Aus seines Vaters Hause ging unser seliger Mitbruder in die akademische Welt, ließ seiner[94] Denkungsart, die bisher Ziegel gestrichen, den freien Lauf und ward – Dreistdenker. Anfänglich war es nur, um das Großmaul, den theologischen Goliath, zu Gottes Erdboden zu bringen. Obgleich dieser Ausforderer in dem väterlichen Hause zurückgeblieben war und mit keinem kleinen Stein erreicht werden konnte, so war er doch unserm David so lebhaft, daß er mit einem kleinen Steinchen nach dem andern seine Stirn probirte. Dieser Steinwurf ward ihm eigen. Jung gewohnt, alt gethan. Die Gewohnheit ist eine andere Natur, hätte ich bald gesagt; allein in Wahrheit nicht die andere, sondern die erste, die eigentliche, die Natur selbst. Unser Seliger studirte Lebens- und nicht Schulweisheit, von der er immer der Nachfrage halber eine Kiste erhandeln können! Freilich, sagte er, hätte ich, und es thut mir oft leid, daß ich's nicht habe; allein wenn es mir wieder einfällt, daß alle die Raritäten so sehr der Mode unterworfen sind, als es kein Kopfputz meiner Frau ist, warum sollte ich? – Wahrlich! Gelehrsamkeit ist Weiberkopfputz; der erste unter den Gelehrten geht frisirt! – Pfui! da ehre mir Gott mein eigen Haar, wenn's gleich nicht kraus ist, wie die gute Pastorin es gerne sieht. Nicht war er in sich selbst verliebt; ist denn das die Natur? Läßt sie nicht die Kunst in ihre geheimsten Zimmer? – Hilft ihr nicht die galante Kunst beim Anziehen, bald hätte ich gesagt, reicht sie ihr nicht oft das Hemde; allein ist sie darum eine Buhlschwester? Mit nichten.

Alles, was Herr v. G. aus der zweiten und dritten Hand hatte, war ihm nur insoweit theuer und werth, als ein gutes Stück Natur darunter war. So konnte er sich über naiv und Laune nicht zufrieden geben, obgleich diese ganze Lehre viel Kopfputz enthält! Ich habe die Schule durchgelaufen, pflegte er zu sagen, spornstreichs, setzte er hinzu. Was thut's? Er hatte mehr beim Fenstereinwerfen und beim Ständchen, bei einer Professor-Cour,[95] und was weiß ich, wo mehr, gelernt, als hundert seiner Gesellen in den Collegien, die sich ärgerten, wenn jemand dem natürlichen Wink seiner Nase folgte, und sie mit dem Schnupftuch in der Hand störte. Da sehe ich noch so manchen Nachschreiber lebhaft, der gern dem guten Pastor nachgefragt hätte: Wer grunzt in der Gemeinde? wenn dieß Milchknäbchen nicht befürchten müssen, es würde ihn ein Spießgeselle angewiesen haben, seine weise Nase ins Heft zu stecken.

Herr v. G. behauptete, Gelehrsamkeit sey nur, um nachzuschlagen, und wenn man ein so gutes Lexikon in der Nähe hätte, wie mein Vater, so wäre nichts überflüssiger, als sich den Kopf mit Worten zu überladen, oder mit der Schale zu schöpfen!

Es gibt Schrift- und Redgelehrte, Sokrate und Platone, so wie es gehende und sitzende gibt. Ich mag deren keines. Zum Erfinden, sagt der Pastor, gehört Einfalt, kindische Einfalt! Selten ist ein Erfinder ein Gelehrter. – Wenn ich doch ja was seyn sollte, wollte ich ein Erfinder seyn. Da gibt's freilich Professoren, die sich auf ein Definitionchen so viel einbilden, als auf eine eingenommene Festung mit Sturm oder List! Die Thoren! Was hilft's, in schönem Porcellan jämmerliche Kost, ohne Geruch und ohne Geschmack? Was im krystallenen Pokal verschalter Wein? – Ein Definitionskrämer wird wahrlich kein Newton werden, obgleich auch dieser über die Offenbarung Johannis schrieb.

Herr v. G. las blutwenig! Wenn ich ein Buch lese, sagte er, lassen mich meine Gedanken nicht zum Worte kommen! Böse Gesellschaften verderben gute Sitten. Die Natur wollte ihn nicht verführen lassen! Die gute Mutter Natur! Bald hätte ich geschrieben, die gute Frau v. W. Ich habe mir immer eingebildet, so würde die Natur aussehen, wenn sie Menschenkindern zu Ehren sich in unsre Gestalt verlieben sollte. Sie wird es nicht.

Las Herr v. G. ja etwas, so mußte es leserlich geschrieben[96] seyn. Der Autor mußte, wie er sagte, ihn nicht breitschlagen oder zum Besten haben wollen. Mein Vater hatte ihm einige Stellen aus den Alten verdeutscht, und Herr v. G. war so gütig, sie ein Brennglas zu nennen, wodurch wir die Sonne an die Pfeife zögen. Er liebte nicht, mit Schriftstellern umzugehen. Die sich frisch und gesund lesen lassen, sagte er, sind, wie ich gehört habe, stockstill in Gesellschaft. – Man sagt ein Hephata nach dem andern, die Zunge wird nicht los. Herr v. G. selbst war, ehe er schrieb, noch schwieriger wie mein Vater; hatte er indessen die Feder einmal ergriffen, gings, seinem eigenen Ausdruck zufolge, wie aus der Pistole. Er strich so wenig, wie meine Mutter, und nie hatte er ein Blatt zerrissen, um es besser zu schreiben. Warum soll ich mich mit mir selbst schlagen? warum mich selbst herausfordern? Ich bin sehr für den Hausfrieden, das ist, für den mit mir selbst. Nie machte er ein Couvert; am liebsten schrieb er auf unbeschnittenem Papier. Gemeinhin schrieb er mit umgekehrter Feder; kehrt man denn nicht, sagte er, den Hut um, wenn die Sonne scheint? Die Ursache war, weil er nicht gern Federn schneiden machte, und da meinte ers denn so ehrlich mit jeder neuen Feder, daß sie bald unbrauchbar ward. Hermann schnitt ihm zuweilen Federn; allein gemeinhin waren sie ihm zu spitzig.

Plane, pflegte er zu sagen, kann man erzählen; Ausführungen reden von sich selbst.

Nie zog er seine Stiefeln um, wie andere ehrliche Leute. Schuhe hat er so wenig getragen, wie der König von Preußen.

Das Brod schnitt er sehr gerade. Schade! pflegte er zu sagen, daß es geschnitten werden muß! Was nur möglich war, aß er ohne Gabel und Messer. Hatte er zuweilen eine Mahlzeit, die er durchweg ohne dergleichen Mordgewehr, wie ers nannte, vollbringen konnte, so war sein Gratias an Gott desto inbrünstiger.

Er war hitzig; da möchte ich, sagte er selbst, gleich das Haus[97] zum Fenster hinauswerfen; allein wenn ich näher komme, sehe ich, daß das Fenster zu klein ist!

Die Feder gilt nichts, wenn sie zertreten ist, war sein Sprüchwort; warum er dieß Sprüchwort eben von der Feder entlehnt, weiß ich selbst nicht.

Jeden seiner Herrn Brüder hielt er drei Schritte vom Leibe. Nie ließ er sich zu nahe kommen; allein auch er kam keinem zu nahe.

Mit dem Künstler, Meister Hermann, sprach er wie Naturmann. Er fragte sich nie: was werden andere Leute sagen? allein er lebte wahrlich so, daß niemand von ihm auch nicht einmal etwas Böses denken konnte; darauf, fügte er hinzu, muß man es anlegen. Der Schmähsucht entgeht niemand. Selten wird ein Mann seyn, der so gleichgültig gegen das Urtheil anderer ist, als er war. Um von gewissen Leuten nicht gelobt zu werden, hätte er sogar etwas thun können, das er sonst nicht würde gethan haben!

Es gibt Krippenreiter in Curland, die es recht geflissentlich dazu anlegen, ihre Brüder in Versuchung zu führen, ihnen auf die Zähne zu fühlen; indessen nur alsdann, wenn die Zähne los sind, stoßen sie sie ihnen aus. Da hatte einer eine Ohrfeige erhalten und nichts dagegen vorgenommen, als gefragt: wie er diese Zweideutigkeit verstehen sollte? Das war sehr natürlich unserm v. G. ein Stachel im Auge. Der Thor! sagte er. Sieh den andern, der dich ansieht, wieder an, und sein Auge sinkt. Ziele nur, der andere wird wanken, wenn er Herz hat, und sich zurückziehen, wenn er keines hat. Umgekehrt, so wird ein Vers draus. Auf den Hohn: das Pulver scheint der Herr Bruder nicht erfunden zu haben, gleich den Trumpf: aber zu gebrauchen weiß ichs! Ich wette drauf, der Pulvererfinder wird sich in bester Ordnung zurückziehen!

Herr v. G., der standhafte Mann, blieb indessen gefällig.[98] Seine Lieblingsthiere waren Hühner, und nur nach ihnen folgten Hunde! Er überrumpelte niemanden; jeden ließ er zum Wort und beim Worte. – Keine Dissonanz in seinem Umgange; er war immer gestimmt – immer heiter.

In seinen Zimmern war ein eigener Geschmack, kein fournirter Tisch, keine Falschheit. – Keine Weste, wo hinten Leinwand war, wäre sie auch von Gold und Silberstück gewesen, ist je an seinen Leib gekommen. Von allem, was ihm gefiel, sagte er, es schmecke ihm: So schmeckte ihm ein Zimmer, dieser oder jener Freund. – Er behauptete, auch ein Zimmer habe seine Physiognomie, und aus der Schlafstube, oder vielmehr aus einer solchen, wo kein Fremder so leicht einen Zutritt hat, müßte man den Hausherrn beurtheilen.

Vom Trinken machte er mehr als vom Essen. Kalt aß und trank er am liebsten.

Das natürlichste, pflegte er zu sagen, ist, wie Diogenes zu essen, wenn man Hunger hat, ohne sich an Morgen und Abend zu binden. Gesünder würde man dabei seyn, auch älter werden; allein wir würden mehr einbüßen, als gewinnen. Das Essen und Trinken mit Wohlgefallen, weg wäre es. Löffel sind im Hospital erfunden. Alle flüssigen Sachen schwächen. – Für Kinder Milch, für Männer Käse.

An seine Gemahlin war er gekommen, wie man an vieles kommt. Sie soll außer der Weise schön gewesen seyn. – Wieder Natur am Herrn v. G. Des darf ich bitten wegen, hätte er sie geheirathet, sagte Herr v. G., da er in – zu Tische bat. Sie konnte, wenn sie wollte, allerliebst seyn, und gutherzig scheinen. Ist man es wirklich, wenn man so stolz, wie die Frau v. G. ist? Unser Freund hatte die beste Ehe von der Welt. Wenns zu arg kam, sagte er Punktum, und die gnädige Frau ging sehr freundlich ab, wovon wir alle einer Probe beigewohnt haben. Von ihm,[99] und nicht von ihr, hing es ab, ob einem in seinem Hause wie Herr oder Monsieur begegnet werden sollte. – Seine Liebkosungen waren immer mit Ungestüm. Frau v. G. befürchtete zuweilen, daß es ihr wie den russischen Weibern, wiewohl ohne ihr Zuthun, gehen würde, die aus Liebe von ihren Männern geschlagen werden. Wo der Herr v. G. geküßt hatte, war gewiß ein rother Fleck.

Sie pflegte von ihrem Manne, den sie im Herzen sehr hoch hielt, zu sagen: Er hätte Einfälle wie ein altes Haus; und wahrlich, er hatte Einfälle, nicht wie der lebendig todte Hermann, an dem man immer den Bocksfuß sah, sondern wie ein Mann, der alles gern beim rechten Namen nennt. »Er hat zwar,« sagte er von einem alten Geistlichen, der sich sehr viel zu gut that, »einen kahlen Kopf, wie Elisa; allein den Mantel hat er nicht von Elias geerbt.« Pastor! sagte er zu einem andern Seelsorger, Sie schlagen mit Moses um die Wette: jener auf den Fels, Sie auf die Kanzel; hier und dort kommt Wasser. Man hielt ihn für einen Feind der Geistlichen, und die Wahrheit zu sagen, seine alten Hauseinfälle trafen diese Herrn am meisten. Dieß war vielleicht eine geheime Ursache, warum mein Vater sich zehn Jahre von ihm entfernte.

Mein Vater hatte ihm seiner Hitze halber im Scherze angerathen, ich, du, er, wir, ihr, sie zu sagen, so wie er sich selbst vorgenommen hatte, panis, piscis, crinis, ignis, finis, glis in dergleichen Fällen zu brauchen; allein Herr v. G. konnte sich nicht ohne den Teufel behelfen. Es lüftet das Herz, so wie eine Prise ächter Curländer die Nase. Sein Argos hieß Satan. So wie meine Mutter kein i um seinen Punkt betrog, so sagte Herr v. G. nie, daß dich! So was, fügte er lächelnd hinzu, heißt den Teufel betrügen!

Er barbirte sich so, wie mein Vater, mit kaltem Wasser, oft mit Schnee, um etwas Seifähnliches zu brauchen. Wer warmes[100] Wasser an seinen Leib kommen läßt, ist aus Furcht des Todes ein elender Knecht seines Lebens. Herr v. G. war viel zu sehr ein freier Curländer, um beim Leben in Dienst zu treten.

Herr v. G. hatte sein Lebtag keine gewisse Eßstunde. Wenn gleich er leider! Mittag und Abend hielt, so wollte er wenigstens sich doch nicht auf Stunden einschränken lassen. Hierin mindestens wollte er frei seyn, wenn es nicht vollständiger angehen könnte. Dergleichen Regeln, und fast alle, pflegte er zu sagen, sind der Gemächlichkeit wegen da; wer Verstand und Willen hat, braucht keine dergleichen Kinderregeln. Grundfalsch war nie etwas, das er behauptete. Er hatte einen so treffenden Blick in Seele und Leib, daß man glauben mußte, es wäre alles regelrecht, was er sagte. Er war, wie wir wissen, ein Wurzelmann. Die Frau Gemahlin, die bei ihrem hohen Sinn nicht allemal einen hohen Ausdruck hatte, pflegte dieß zu übersetzen: er merke Mäuse. Jeder Mensch hat seine Manier, seine Natur im Sprechen. Herr v. G. besaß, wenn gleich nicht den treffenden Ausdruck meines Vaters, so doch einen wohlgemeinten, einen verständlichen. Gnade dem Gott, wer ihm mit Punkten und Clauseln kam, die man so und anders nehmen konnte; so was mochte er versäufen im Meere, wo es am tiefsten ist. Auf die Juristen war er übel zu sprechen; die besten, behauptete er, bemühten sich dem Kinde einen Namen zu geben; der Name ist ein Zaun, ein Schranken, bis dahin und weiter nicht. Gott hat keinen Namen.

Das natürlichste, was noch in der Welt ist, sagte Herr v. G., ist der Schlaf und Wasser. In Rücksicht des Wachens und Essens sind so viele Verstümmlungen vorgefallen, daß die eigentliche Natur zu finden ein Räthsel ist. Der Schlaf, in so weit die Träume von des Tages Last und Hitze abhängen, ist auch schon verfälscht, wenn man's genau nimmt. Wasser also ist allein aus dem Paradiese[101] übrig geblieben; Wasser ist das einzige unter allem Flüssigen was reinigt, setzte er hinzu.

Die vier Elemente, Feuer, Luft, Wasser, Erde, nannte er die vier Temperamente der Natur; – die fünf Sinne die Poststraßen zur Seele; ein Liebhaber der fünften Zahl hat darum fünf angenommen, mag seyn nach Anzahl der fünf Finger.

Unsere Sinne sind nicht gleichen Ursprungs, einige haben ihre Privilegia erschlichen. Geruch und Geschmack sind gekaufte Titel; kein Kind hat Geruch und Geschmack. – Freilich lernt es auch sehen, allein diese Lehre bekommt es aus der ersten Hand; durch wie viel Hände erhalten wir dagegen Geruch und Geschmack! – Kann es je heißen: Gott hat die Menschen aufrichtig gemacht, aber sie suchen viele Künste; so hier.

Das Herz war das Gesetz unseres theuren v. G., und wahrlich ein trefflicher Gesetzgeber, wenn es wie das v. G–sche ist!

Empfindsamkeit, pflegte er zu sagen, schützt vor Zügellosigkeit; allein was ist besser, zügellos oder weibisch?

Er glaubte, daß es Hand-, Mund- und Herzensworte gebe. Die Augen sind Filiale, pflegte er zu sagen, vom Herzen; die Füße von den Händen; der Mund hat keinen so nahen Bundesgenossen.

Sobald über Natur die Rede ging, war er unüberwindlich; in der Kunst war er gern Schüler! Selbst im Wortwechsel überrumpelte er keinen. Seinen Grundsätzen war er treu wie Gold; er war kein Prävaricator, kein zweier Herren Diener.

Die Hauptsache, worüber mein Vater und der Herr v. G. uneins geworden, waren freilich die drei Artikel des christlichen Glaubens; indessen stand der monarchische Staat hiemit in Verbindung, ohne an manche geheime Ursache zu denken, die nie ausbleibt. Herr v. G. glaubte, die christliche Religion und die monarchische Regierungsform arbeiteten sich in die Hand, und mochte ihn wohl der Umstand, daß mein Vater beides, Christ- und Monarchenfreund[102] war, zu diesen Gedanken gebracht haben. Ueberhaupt paarte er zuweilen Dinge, die, wenn man es genau erwog, wirklich ein Herz und eine Seele waren, wenn gleich niemand sie dafür gehalten. Ob nun zwar die christliche Religion dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist zu geben anordnet, so ist sie doch so wenig für die Monarchie, daß sie vielmehr das Reich Gottes einführen will.

Laßt euch mit den Menschen ein, sagte Herr v. G., sie klagen immer! Woher kommt's? Warum die Klagen über schwere Zeiten, die, seitdem der Cherub mit dem gezogenen Schwerte vor der Thüre des Paradieses auf die Wache gezogen, entstanden? Weil der Mensch sich frei fühlt und es nicht ist. – Recht, sagte mein Vater, Gottes Reich ist noch nicht kommen. Der Monarch ist einer! er trägt Gottes Bild in diesem besondern Sinne, und ist mehr als in einer Rücksicht, wenn er will, im Stande, sein Volk dem Reich Gottes näher zu bringen. Wenn er will, sagte Herr v. G.; wird er aber wollen? Wird er Gott dem Herrn seinen Stuhl abtreten und seyn wie unser Einer?

Wir sollten immer einfacher werden und uns in den Stand setzen, wenig zu brauchen; dadurch würden wir der Härte unserer Obern trotzen, gegen Mein und Dein gleichgültiger werden und allmählich zum Reiche Gottes kommen, welches nicht besteht in Essen und Trinken, sondern in Liebe.

In dem Gesetz: was du nicht willst, daß dir andere thun, thue ihnen auch nicht, liegt das ganze Criminal-und der größte Theil des bürgerlichen Rechts. Gott ehre mir unsere curischen Gesetztafeln! sie sind ziemlich im Kurzen! allein die Hülfsvölker – daß sich Gott erbarm! Wahrlich auch hier sollte das Reich Gottes näher kommen und der Mensch sich aufs Einfache zurückstimmen, denn in Wahrheit, überall ist nur Eins noth!

Wenn's so fiel, war alles trefflich. Sobald aber Herr v. G.[103] anfing, er wünsche, daß heute alle Könige Herzoge von Curland würden, und daß alle Armeen anstatt des Degens eine Sichel, und statt der Flinte einen Spaten zur Hand nehmen möchten, so fragte mein Vater: heute? und wenn Herr v. G. beim heute blieb und es sich nicht ausreden lassen wollte, so war Feuer in den Dächern. Wer hat etwas größeres gesagt als jener Primas: dem König ist die Krone nicht an den Kopf gewachsen, fing der Herr v. G. an, und mein Vater bat den Herrn v. G., Polen in Augenschein zu nehmen und zu bedenken, was Polen sey, und was es aller Wahrscheinlichkeit nach werden würde. Mag! ist doch Freiheit da, kann doch hier jeder Edelmann dem Regenten ins Gesicht sagen. Der Bucephalus ließ zwar den Alexander aufsitzen, allein ohne Zaum, den litt Bucephalus nicht! Wenn ich Edelmann wäre, erwiederte mein Vater, ich weiß nicht, ob ich gern Bucephalus heißen würde. Nicht? sagte Herr v. G., und doch war Bucephalus ein Curländer. – Bei weitem nicht, erwiederte mein Vater.


Mein Vater war ein Bienenfreund und Herr v. G. trieb seine Monarchenfeindseligkeit so weit, daß er sogar keine Bienen hielt, weil sie einen monarchischen Staat machten; dagegen liebte er Ameisen, von denen er behauptete, daß sie in der Freiheit lebten. Ist denn der Honig nicht süß? sagte mein Vater. Kostet er denn nicht den besten Saft den Blumen? erwiederte Herr v. G. Ist es nicht gesammelter Zoll und Accise, und wird nicht Zoll und Accise noch obenein mit einem widerlichen Gesumse genommen? Mich dünkt immer, ich höre die Bienen sumsen: Wir von Gottes Gnaden. Freilich ist die Biene militärisch, hat ihr Schwert bei sich, sticht; – allein wenn sie gestochen, wenn sie Krieg geführt hat, ist sie auch so matt und elend. – Und wenn uns die Ameisen bekriechen? fiel mein Vater ein. So[104] schüttelt man sie ab. – Die häßlichen Thiere! – Sind Curländer, sagte Herr v. G. Könnte seyn, mein Vater.

Staat ist ein so nothdringliches Mittel, den Menschen glücklich zu machen, daß man ohne dieß Mittel zu keinem Zweck kommen kann. Alles führt zum Staat, untere und obere Seelenkräfte, Seele und Leib, Bedürfniß und Leidenschaft, Hospital und Schauspielhaus. Die bürgerliche Gesellschaft ist auch eben darum sogar für Naturzweck von etlichen gehalten. Staat ist freilich Kunst, allein diese Kunst besteht aus zusammengesetzter Natur – und muß denn der Staat eben Monarchie seyn?

Ist nicht nur ein Gott? und wird nicht eher lieber Ein Gott der Erden dem Original weichen, sobald das Volk sich ans Unsichtbare gewöhnen lernt, als an so viele Götter?

Doch warum in spitzfindigen Reden und Antworten; ich will versuchen, meinen Vater in Eins zu bringen, und was stückweise über den monarchischen Staat vorfiel, in einen Ausbund vom Ganzen zu ziehen.

In der Vernunft, womit der Mensch ausgestattet ist, liegt Freiheit und Regel. Der Mensch ist frei, das heißt: der Mensch kann thun und lassen, kann wollen; der Mensch ist an eine Regel gebunden, das heißt: seine Willkür hängt vom Gesetz ab. Er hat Verstand; Verstand und Wille zusammengenommen könnte man die Vernunft heißen. Alle die Unterschiede, welche die Philosophen und Juristen (ehemals Nachbarn, jetzt fast völlig aus der Gemeinschaft gesetzt) unter Gesetzen machen, können sehr einfach werden, wenn nur nicht das Leichteste in der Welt dem Menschen so überschwenglich schwer würde. Es gibt eigentlich nur Naturgesetze, oder solche, welche aus der menschlichen Natur faßlich sind. Zwar haben auch Gesellschaften, Völker, Staaten Gesetze, die außer dieser Grenze zu liegen scheinen; allein wenn diese Gesetze anders, als aus der Natur des Menschen erklärt werden, so sind es nicht Gesetze, sondern[105] Unmenschlichkeiten, es sind Landplagen, ärger als Frösche, Heuschrecken. – Und auch ärger, als wenn die menschliche Erstgeburt unter die Soldaten genommen wird, fiel Herr v. G. bei dieser Gelegenheit ein.

Mein Vater hielt ein wenig an, und fuhr fort, ohne zu antworten: Der Mensch ist ein geselliges Thier, es ist nicht gut, daß er allein sey. Die Menschen werden nur Menschen, und können sich als Menschen zeigen, wenn sie in Gesellschaft treten. »Einer ist kei ner, ein Mensch ist kein Mensch,« würde meine Frau sagen; Ein Mensch aber ist kein guter Mensch. Nicht der Müßiggang, sondern die Einsamkeit ist die Mutter alles Bösen. Es ist indessen Grund und Folge; allein seyn und müßig seyn, ist ziemlich einerlei. Große Erfindungen selbst sind in Gesellschaft gemacht; alle Künstelei in der Einsamkeit. Gott allein ist Einer; hier gilt nicht, Eins ist keins. Der Verstand und der Wille eines einzelnen Menschen scheinen nicht zuzureichen, ein vollständiges menschliches Seyn auszudrücken; der Pluralis vom Verstand und Willen ist erforderlich, wenn der Mensch was auszurichten im Stande seyn soll. Der Staat ist der Mensch im Plurali; im Plurali indessen gilt eben das, was im Singulari gilt. Der Staat ist der vollkommenste, der die meisten Menschen hat, die wie Einer scheinen. Je volkreicher ein Land ist, je mehr scheint es sich dieser Probe eines wohleingerichteten Staates zu nähern. In Staaten, hab' ich gesagt, müssen auch die Gesetze aus der Natur erklärt werden, falls sie nicht ägyptische Plagen seyn sollen, und wenn ich hinzufüge, daß es Natur aus der ersten und Natur aus der zweiten Hand gäbe, so hab' ich mich näher bestimmt. Im Naturzustande, wo sich der Mensch ganz allein denkt, im Paradiese, ist er zwar ein Gott der Erde; allein so lange er so denkt, wie Adam und die zeitigen Adamskinder, wird er gewiß vom verbotenen Baume essen, und bei der Mühe und Arbeit und dem Schweiß seines[106] Angesichts, mit dem er sein Brod ißt, sich weniger bedauern, als in der Einsamkeit, wo der Müßiggang ihm eigen ist, wo er vielleicht länger lebt, und ohne viel Schmerz einschlummert, wo indessen gegen eine einzige Stunde jetzigen Lebens Tage und Wochen dieser Einsamkeit wie gar nichts sind. Was ist ihm solch ein Baum des Lebens? Er lebt hier auch im Singulari. Im Staate lebt der Mensch im Plurali. Zwar kann man sich einen Stand der Natur denken, und der erste bekannte Schriftsteller entwirft uns ein Bild im paradiesischen Adam von dem Naturstande, so wie der Stifter der christlichen Religion, der zweite Adam, ein Urbild des vollkommensten Menschen im Staate ist.

Wenn Feinde seines Namens behaupten wollen, Christus habe ein weltliches Reich stiften wollen, so ist's aus zwei Drittel Ursachen eher unglaublich, als glaublich; allein gesetzt, er wollt' es, so war es bloß, um die Menschen auf diesem Wege zu dem Ende des Vaterunsers, zu dem zu bringen, dessen allein das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit ist! Dahin ging er auf dieser Welt! und wenn die Menschen so stockblind waren, daß sie das Licht nicht sahen, das er ihnen anzünden wollte; wenn er in sein Eigenthum kam, und die Seinen ihn nicht aufnahmen, so ließ er uns wenigstens ein Vorbild, nachzufolgen seinen Fußstapfen. Es gibt eine doppelte Theokratie; die eine würde körperlich, die andere geistig zu nehmen seyn. Was ist glaublicher, als daß die Menschen über kurz oder lang zu allgemeinen Weltgesetzen kommen werden, wo jedem Staate sein bescheiden Theil angewiesen ist, und wo, wenn der eine weiter gehen will, er alle übrigen vereinigten Staaten wider sich hat? Dieß verbesserte Völkerrecht, möcht' es doch bald kommen! Wie weit näher wären wir alsdann schon dem Ende des Vaterunsers, als jetzo! Man könnte von dieser körperlichen Theokratie, von dieser Welt-Regierungsform sagen: es ist eine Heerde und ein Hirte; allein auch selbst alsdann ist noch alles leiblich! Geistlich[107] wird es seyn, wenn wir selbst diese allgemeineren Weltgesetze nicht mehr brauchen, wenn der göttliche Codex eintritt, wenn der Glaube an Gott schon alles in allem ist! – Um sich die Sache noch begreiflicher zu machen, kann man den Redegebrauch der Theologen beibehalten. So wie die Welt jetzt ist, könnte man sie das Reich der Allmacht nennen. Das Reich der Gnaden wäre die körperliche Theokratie, wenn die Menschen anfingen allgemeine Weltgesetze zu machen, wohin es gewiß kommen müßte, wenn der gemeine Mann zu mehreren Kenntnissen käme, als er jetzt hat. Das Reich der Herrlichkeit wäre jenes Reich der Möglichkeit, wo wir alles um Gottes willen thäten, – wo –

War es Wunder, um wieder auf den ersten Adam zu kommen, war es Wunder, daß die Natur ihm so wohl anstand? Adam kam aus den Händen des Schöpfers, er war die Blüthe des Naturstandes, zu Früchten kam es mit ihm nicht, er fiel als Blüthe ab. Schade! Er war allein und durfte sich vor keinem fürchten, und konnte jede Creatur durch Vernunft beherrschen.

Man kann sich einzelne Menschen denken ohne Gesetze, ohne Zäune, wie Götter auf Erden unter einander herumwandeln. Die Welt ist groß für alle; niemand darf dem andern vorbauen, zu solch einem Stande hat Gott den Menschen angelegt; allein dem Menschen fiel das Mein und Dein ein, wovon er erst nicht wußte; jetzt wird sein Stand ein wahrer Stand der Sünden, wissentlicher und unwissentlicher Schwachheits- und Bosheitssünden. Diese Erde, diese Menschenwelt, das läugnet niemand, ist jetzt noch in der Kindheit, hie und da ein Kopf. Eine Schwalbe aber macht keinen Sommer. Ich kann mir aber denken, daß der Mensch wieder zurückkommen werde, und zwar aus Grundsätzen zurückkommen werde, wo er ausging, daß zuletzt wieder die Welt ein Paradies seyn und jeder Mann Adam, und jedes Weib seine Rippe seyn werde. Das tausendjährige Reich, wovon so viele träumen,[108] liegt sehr verworren in diesem Gedanken, sehr verworren! kein Stein auf dem andern. Meine Beruhigung ist, daß alles, was möglich ist, auch wirklich sey oder werde. Warum wär' es sonst möglich? Die Gelehrten haben sich oft gestritten, ob der Mensch gesellig oder ungesellig sey? So oft die Gelehrten sich gleich vergebens gestritten, so ist doch diese Frage keine vergebliche. Jeder Mensch sucht selbst im Staat sich zu befreien; es ist seine Herzenslust, wenn er sich nur einigermaßen in Freiheit setzen kann. Jeder kluge Gesetzgeber muß gewisse Fälle dem Menschen anheimstellen, wo er frei seyn kann; sonst würde er zuverlässig auch den menschenfreundlichsten Landesherrn Tyrann heißen, und sich sein Joch abschütteln, so sanft, so wohlmeinend es ist. Dagegen würde der Mensch den größten Tyrannen ertragen, wenn er ihn nur hie und da im Freien ließe. Monarchen, die Religionsfreiheit einführen, können immer Zoll und Accise höher stellen. Der Geiz, der Sammlungstrieb, gehört auf diese Rechnung. Man ist ein Sklave, um einst frei zu werden; man dient als Soldat, um nicht als Bürger zu gehorchen; man ist Ehemann, man ist ein Sklave, um zu glauben, man sey frei. Selbst dieser so ausgeartete Trieb führt, oder könnte uns auf den Punkt führen, den Christus angab: er sey bei uns alle Tage bis an der Welt Ende; zu einer Theokratie, wo jeder dem andern läßt, was er hat, wo im erhabensten Sinn jeder für sich und Gott für uns alle ist; wo wir nicht messen und wägen, wo alles in den Tag hinein lebt. – Diese güldene Zeit, dieses mannbare Weltalter, wann wird es kommen? Wann die leibliche Theokratie, wann die geistliche das Reich der Gnaden und der Herrlichkeit? Amen! Komm du schöne Freudenkrone! singt meine Frau.

Dieß ist das Paradies aus Grundsätzen, das sich der Mensch selbst bauen kann.

Denkt man sich aber einen verwilderten Naturmenschen, der[109] gewiß in keinem Paradiese seyn wird, wenn es ihm nicht ein anderer gebauet hat, so kann er freilich Herr der Thiere seyn; allein wenn er seines Gleichen sieht, denen er die nämliche Vernunft, die nämliche Quelle zu Zwangsmitteln ansieht, so flieht er. Hobbes hat dem ungeachtet Recht, wenn er behauptet, daß der natürliche Mensch den Begriff von Botmäßigkeit und Herrschsucht in sich trägt. Herrschsucht, Tyrannei und Furcht sind sich so nahe verwandt, als möglich. Ein Grad mehr Furcht am andern zu erblicken, macht den Wilden nachdenkend. Jener läuft, dieser verfolgt ihn; jener verkriecht sich, dieser spürt ihm nach. Freilich, wenn sich jener umsehen, nur umsehen, nur hervorblicken möchte, würde dieser umkehren; allein da jener sich nicht umsieht, da er nicht hervorblickt, so wird dieser sein Meister. Aus Furcht wird er ihn beherrschen, damit er sich nicht mehr vor ihm fürchten dürfe. Im wilden Naturstande müßte man also den Herrn bloß als ganzen Menschen, die Unterthanen aber als verstümmelt, blind, krumm und lahm sehen. Mit der Zeit würde sich der Mensch besser kennen lernen; es würde dem herrschenden Scharfrichter leid thun, daß er diesem die Hand, jenem das Bein gelähmt, und man würde sich in Verbindungen mit einander setzen. Wenn sich gleich beim Anfange ein paar Warmherzige begegnen, sollte nicht, ohne den Weg durchs Hospital zu gehen, eine Gesellschaft zu Stande kommen? – – Der Stand der Natur ist ein Stand des Kriegs; allein der polizirte Staat ist es auch, bis wir zum Stande der Gnaden, zu allgemeinen Weltgesetzen kommen, welches der Vorhof zum Reiche Gottes im eigentlichsten Sinne ist. (Ich habe so manches Lobopfer ausgelassen, welches bei dieser Gelegenheit dem monarchischen Staate gebracht ward; indessen fand auch Hr. v. G –, der Freund und Feind meines Vaters, seine Rechnung bei dieser Deduktion.) Die Hauptfrage blieb mir: bringt die Monarchie oder die Freiheit am nächsten zum Reiche, oder, wie Herr v. G – es wollte, zum Stande der[110] Gnaden? – Im Naturstande denkt der Mensch darum nicht an Gesetze, weil er gar nichts denkt. Sich zu erhalten, sich fortzupflanzen, das würde das einzige seyn, was ihm auffallen und was ihn beschäftigen könnte. Es liegt alles in uns! Allein dieser Nähe unerachtet, wer würde es finden, wer es nur suchen? Tausend und abermal tausend Menschen im Naturstande würden auf keinen Buchstaben von natürlicher Religion und natürlichem Rechte fallen, wenn nicht die Gottheit es ihnen noch näher gelegt hätte. Die Gottheit kann sich Menschen nicht anders als durch Menschen offenbaren, und die bleiben Menschen, wenn gleich sie Gottes Menschen sind, getrieben vom heiligen Geist. Niemand hat Gott je gesehen; erhabene, große Menschen sendet Gott zu Menschen, um ihnen zu sagen, was sie gleich alle wissen, wenn es ihnen nur gesagt wird. Wir sind Alles und Nichts. Das Licht der Vernunft, das in uns ist, muß angezündet werden, sonst bleiben wir beständig Kinder der Finsterniß. Das natürliche Recht ist, so lange der Mensch nicht göttlich unterrichtet wird, das, was das römische Recht sehr treffend von ihm sagt: was die Natur allen Thieren lehrt. Die Kräfte, die der Mensch noch darüber hat, unterscheiden ihn vom Thiere. Selbst die Gesellschaft, die Vereinigung, die die Natur dem Menschen so sichtlich beibringt, indem seine Jungen weit später zu sich selbst kommen, als andere Jungen, fordert ihn zur Gesellschaft auf; allein wenn es auf einen Streit ankäme, würde ich denen eher beitreten, welche glauben, daß ein Ungefähr die Menschen zusammengebracht, und nicht die Vernunft. Selbst jetzt regiert wohl die Vernunft im Großen. Sie lebt so in bedrückter Kirche, daß man von ihr behaupten könnte, sie wohne in Höhlen, in Klüften, und doch darf man von ihr nicht fürchten, daß sie so ausarten würde, als die christliche Kirche, da sie ins Große ging, ausgeartet ist. Die Ausartung der Vernunft wäre Unvernunft.

Fast könnte man behaupten, daß die Menschen, nachdem sie[111] vielleicht durch ein Ungefähr zusammengebracht waren, auf die Vernunft gekommen, so wie man auf etwas kommt. Gott hat es ihnen offenbart. Es waren vielleicht erst positive Gesetze, ehe man an natürliche dachte. Der Grund der positiven Gesetze, wenn sie anders den Namen von Gesetzen verdienen sollen, ist so gut die Vernunft, als sie der Grund der natürlichen ist. Die Rechtslehrer machen einen Unterschied zwischen positiven, natürlichen und gemischten Gesetzen. Jedes Gesetz muß natürlich, oder, welches fast dasselbe ist, vernünftig seyn, so auch jede Offenbarung. Das Christenthum ist eine vernünftige, lautere Milch. Was vernünftigen Menschen Regeln vorzeichnen will, muß, dünkt mich, selbst vernünftig seyn; es muß sie überzeugen. Zwar läugne ich nicht, daß der Staat Anordnungen treffen könne, die sich nur aus dem Staat erklären lassen, und alsdann ist die Vernunft, auf den Staat angewendet, der Grund des Gesetzes. Wenn man die positiven Gesetze aus diesem Gesichtspunkte nimmt, wie ehrwürdig sind siel Sind sie nicht der moralische Katechismus des Volks? Wo ist solch ein Codex? Ich habe noch keinen von dieser Art gesehen.

Ich will mich nicht über die positiven göttlichen Gesetze auslassen. Die Frage: ob es allgemeine göttliche positive Gesetze geben könne? kann wohl keinem Streit unterworfen seyn, da es bei dieser Frage auf die Frage ankommt: ob es Gesetze gibt, die aus der Natur nicht zu erkennen, und die Gott außerdem dem menschlichen Geschlecht eröffnet hat? Gibts solche? Diese Frage ist streitig. Herr v. G. nahm das Wort: Streitig? sagte er. Unstreitig ists, daß es keine dergleichen gibt und gegeben hat und geben kann. Mein Vater fuhr fort:

Jeder Staat ist eine Theokratie. Gott ist nicht fern von einem jeglichen unter uns. In ihm leben, weben und sind wir. Das jüdische Volk behauptet, daß es im besondern Sinne Gottes Volk wäre, obgleich es sich am wenigsten als ein Volk Gottes unter allen[112] Völkern aufgeführt hat, und doch ist aus ihm allen Völkern Heil widerfahren.

Menschliche positive Gesetze heißen auch, und das mit Recht, bürgerliche. Das Volk selbst, oder der oder die, dem oder denen es das Volk überträgt, geben Gesetze. Hier gibts gemeine und Provincialgesetze. Ich wünschte, es wären keine Provincialgesetze. Was sollen sie, wenn sie nicht Polizei- und solche sind, wozu Boden und Sonne Gelegenheit gibt, und die aufs Mein und Dein wenig oder gar keinen Einfluß haben? Wir sind alle Kinder Gottes; alle Söhne der Mutter E de. Wir haben eine Sonne; wir sind alle Brüder. Alle Augenblicke der Wunsch: o wenn doch Gottes Reich leiblich und geistlich, das Reich der Gnaden und der Herrlichkeit, käme!

Es gibt Provinzen, die einem Herrn unterworfen sind, und in jeder Provinz sind andere Gesetztafeln. Ein Staat scheint kein Ganzes zu seyn, wenn er seine Gesetzbücher nach Provinzen zählt. Man sieht ihm Nabel und Zwirn an, womit er zusammengenäht worden. Er scheint nicht für sich zusammengeboren; die Vereinigung scheint nicht im Himmel geschlossen zu seyn. Wer liebt nicht selbst in seinem eigenen Hause eine Uebereinstimmung seiner fahrenden Habe? Wer hält nicht lieber Auction wenn er erbt, als daß er fremdes Gut und das seinige unschicklich zusammenbringt? Excipe! Wenn es Sachen sind, auf die man einen Accent legt, die einen Lieblingswerth haben.

Natürlich sind in einem so unübereinstimmenden, so zusammengerafften Staate die Bürger sich auch fremd; sie machen einen Staat im Staate; es kommt unter ihnen zu Anfeindungen, und am Ende wird dieser Staat wüste; keine Provinz, kein Stein bleibt bei einander. So gewonnen, so zerronnen!

Aber sagte Herr v. G. (das passende Wort zum aber wird freilich schwer zu finden seyn, ich für meinen Theil mag es nicht[113] suchen); aber sind denn die Fürsten von der Art, daß man glauben kann, sie wer den die Welt zum Gnadenreiche bringen? Noch scheint es nicht, erwiederte mein Vaters.

Je länger, je weniger! Herr v. G.

Ich zweifle.

Sie sind Tyrannen!

Desto besser!

Was zu hoch gezogen wird, reißt.

Nicht anders!

Und wenn es reißt, sind wenigstens zwei Enden!

Die man verbinden kann.

Durch einen Knoten!

Mein Vater setzte diese Allegorie nicht weiter fort. Herr v. G. fiel auf die Bemerkung meines Vaters.

Freilich, Pastor! fing er an, wenn uns die Vernunft wieder ins Paradies bringt, werden wir solche Narren nicht seyn, als unsere ersten Eltern! – Die Fürsten, fuhr Herr v. G. fort, thaten ehemals alles mit Bewilligung der Stände, darum Wir von Gottes Gnaden. Jetzt ist von allem dem nur der Pluralis übrig, der sogar gebraucht wird, wenn sie sich vermählen. Wir haben uns entschlossen, unser Beilager auf den und den – geliebt's Gott, zu halten. Wir sind durch die Entbindung unserer Gemahlin eines Thronerben wegen höchlich erfreut. – Als ob? fragte Herr v. G. so wie mein Vater bei einer andern Gelegenheit; allein mein Vater antwortete nicht:

»Ja wohl!«

Vielmehr war mein Vater der Meinung, dieß käme daher, weil sie den Menschen im Plurali, den Staat, vorstellten. Herr v. G. blieb bei seinem: als ob?

Theurer Naturmann, sagte mein Vater, die Wahrheit ist nackt.

Wir anders?[114]

Allein man gibt ihr ein Gewand.

Die Fabel thut's.

Niemand kann einen nackten Menschen aushalten. Das Nacktseyn hat so etwas Wildes, Anstößiges an sich, daß ich fast die Wahrheit selbst nicht nackt sehen möchte.

Zwar hatten die beiden guten Männer, Herr v. G. und mein Vater, bei der feierlichen Aussöhnung den Friedenspunkt mit berührt, daß des monarchischen Staates weder im Guten noch im Bösen gedacht, sondern er vielmehr in seinen Würden und Unwürden gelassen werden sollte; indessen war Herr v. G., dem zum Vortheil dieser Punkt verzeichnet war, der Erste, der ihn brach.

Die drei Hauptartikel des christlichen Glaubens indessen waren die Hauptsteine des Anstoßes!

Mein Vater verkündigte (wie meine Mutter versichert) das Wort Gottes rein und lauter, und ich muß noch hinzufügen (ich weiß nicht, ob es meinen Lesern von ihm gefallen wird?), daß er Lehrer und Prediger als Zunftverwandte ansah, die alles zu thun und zu lassen verbunden sind, was die Innung mit sich bringt. Unser Schild, pflegte er zu sagen, ist die Bibel. Wenn wir ein ander Buch aushängen, und eine andere Arbeit treiben, oder die uns angewiesenen Geschäfte nicht nach dem Zunftprivilegio einrichten, sind wir Pfuscher, Betrüger. Zwar gab mein Vater im Streite mit Herrn v. G. zu, daß, wenn jemand mit der Bibel eingeschlossen werden sollte, um daraus ein System herauszubringen, er nie das unsrige herausbringen würde, im Fall er nämlich nicht das mindeste von einem Katechismus gehört, und darin gegängelt worden. Was aus dem System des alten Testaments werden würde, wär' ich begierig zu sehen, sagte Herr v. G.; und was das System aus dem neuen betrifft, fuhr er fort, und mein Vater griff ein: so könnte es natürlicher, kindlicher und herzlicher ausfallen; ob aber in Hauptsachen von dem unsrigen [115] abweichend, weiß ich nicht. – Meines Vaters Losung war aut, aut; er war in keinem Stücke lahm, und da Herr v. G. nicht aufhören konnte zu spötteln und zu lächeln, und da nicht beten und dort nicht das Nachtmahl nehmen wollte; da er die Beichte für eine Art von Tortur schalt und die Geistlichen beschuldigte, sie wären Usurpateurs des Gewissens, und das Christenthum sey monarchischer Staat, eingetheilt in drei Provinzen: Papstthum, Lutherthum und Calvinismus; so konnte unter diesen beiden Männern kein Reich der Gnaden vorerst zu Stande kommen! Zwar, fuhr Herr v. G. fort, hätte die selbsteigene Schwere dieser den obersten Gipfel erstiegenen Monarchie und Tyrannei sie wieder zur Erde gezogen, wovon sie genommen war; allein – mein Vater ließ ihn nicht ausreden.

Alle solche Zwars und Alleins, solche Abweichungen zur Rechten und Linken konnte mein Vater nicht ertragen. Hören und Sehen verging ihm. Ein einzelner Mann (seinen sehr gesunden, natürlich edlen Verstand und Willen bei Seite), will sich wider die Kirche auflehnen; was würde man von mir denken, wenn ich fünf gerade seyn ließe, und einen Mann nicht miede, dem man sonst die Wahrheit zu sagen nicht füglich meiden kann? Er ist Lot in Curland. Ein Gerechter. Seine Gemahlin sey was sie wolle, hier kommt sie nicht in Anrechnung; allein er sey Lot in Beziehung auf Curland, nur nicht in Rücksicht auf mich, wenn ich den Abraham vorstelle. Willst du zur Rechten, so will ich zur Linken, willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, könne zwischen dem Herrn v. G. und mir nicht statt finden, wenn von der lautern Milch unserer Religion die Rede ist. Zwar will ich nicht richten; allein man muß doch hier, wie überall, auf einen Ausgang denken. Die Pluralität selbst, wenn ich dem Herrn v. G., diesem Naturmanne, einen Gefallen thun wollte, es drauf auszusetzen, würde für mich entscheiden. Zwar ist die Religion nicht mehr so ganz die Religion[116] Christi, sondern die christliche Religion; allein wenn gleich das Paradies verloren gegangen, so gibt's doch noch ein Reich der Gnaden und eines der Herrlichkeit in der christlichen Kirche.

Die Pfändungen, welche testantibus actis Vol. I. vorfielen, waren, wie aus allem diesem zu ersehen, lauter Religionskriege.

Der Brief, dem mein Vater zehn Jahre weniger einen Tag entgegengesehen, was könnt' er anders, als ein Glaubensbekenntniß in sich halten, das, wenn es gleich nicht aus Augsburg, wie der Conversus, war, jedoch Mit dem Versprechen begleitet ward, nicht von Religionssachen sprechen zu wollen, es sey denn der Belehrung halber, als wobei, wie es von selbst sich verstünde, Herr v. G. Schüler und mein Vater Lehrer wäre. Dieß waren die Vortheile, die meinem Vater schon in den Präliminarpunkten eingeräumt waren, wogegen sich Herr v. G. alle Anzüglichkeiten gegen den freien, und Lobreden auf den monarchischen Staat, verbat.

Die Punkte kosteten, bis die Sache abgeschlossen war, noch so manchen Kopfstoß. Der Vergleich kam allerliebst zu Stande. Diesen Brief, dessen l.c. Erwähnung geschehen, will mein Freund – – Kein Wunder, weil er auf den Herrn v. G. in Lebensgröße besteht. Gern, lieber Getreuer l Du weißt, dieß ganze Buch ist ein langer Brief an dich; allein du findest hier Vorhänge, die ich im Hause des Herrn v. G. nicht fand. Wer diese Vorhänge zugeschnitten und angebracht, weiß ich nicht. Vermutlich ließ Herr v. G. nach der Zeit sich näher durch meinen Vater belehren, und strich, was er anders einsah.

Die ganze Vorrede gestrichen.


Gott allein die Ehre.


Den historischen Wahrheiten geht es, wie den alten Leuten, je älter, je schwächer. Ich verdamme keinen, wenn er daran[117] zweifelt, was er nicht selbst gesehen; wenigstens kann ihm ein Zweifel dieser Art keinen Schaden noch Leides thun. Da es der Vernunft erlaubt ist, jede historische Wahrheit durchzuprobiren, so ist nichts gewisser, als daß die Sache, wenn nicht vor meinen sichtlichen Augen, so doch vor dem Auge meiner Vernunft noch einmal vorgehen muß, wenn ich sie gläubig annehmen soll.

Es gibt notwendige Hypothesen, wahrscheinliche Gewißheiten. Nichts ist ohne Praxis. Bei der Theorie kommt man nicht weit. Sie ist der Buchstabe; die Praxis ist das Leben!

Wollte Gott! es wäre ein Katechismus möglich, den ich sokratisch nennen würde, wo die Beantwortung und Frage, wenn man so sagen soll, in der Sache, nicht in der Person liegen, wo beide, der Frager und der Gefragte, an der Quelle wären und selbst schöpften! Solch ein Buch wäre freilich nicht zum Lesen, zum Auswendiglernen; allein es müßte ins Herz gebracht werden. Man frage nicht, wie? Gehen und reden ist schon eine halbe That. Ein Leser ist ein Tagedieb. Wir wollen den gemeinen Mann nicht an eine Studirstube gewöhnen, da käme er aus dem Regen in die Traufe.


* * *


Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erben. Zwar ist Gott der Herr mir unbegreiflich; allein er ist (damit ich mich kurz fasse, und doch so, daß ich mir wirklich etwas denke und nicht bloß einbilde, was gedacht zu haben) er ist der Inbegriff aller Moral, mit der zugefügten Gewalt, der Herr der Sonne und des Blitzes und Donners. Pastor! da kann kein Mensch was dawider sagen; dieses unendlich moralische Wesen nehme ich an. Mein Herz sagt es mir: Er ist, ich sehe ihn, ich höre ihn in allem.

Ich glaube an Gott, und glaube, daß man an einen Gott[118] in drei Artikeln glauben könne; ich glaube aber auch, daß ein einziger Artikel genug sey. Ich glaube, daß sich der Glaube ändern könne. Der Mensch besteht, wie man sagt, aus Geist, Seele und Leib, und Gott den Herrn kann man sich als Vater, Sohn und heiliger Geist vorstellen. Vielleicht ist der Geist die Vorstellung, die Gott sich von sich macht, vielleicht – –


* * *


Ich glaube an Gott, das heißt: ich bin ein Kind im Verhältniß gegen ihn, ein Bruder im Verhältniß mit meines Gleichen, ein Mensch im Verhältniß alles dessen, was ich außer mir sehen oder nur empfinden kann, alles, was lebt und nicht lebt, im Großen und im Kleinen, was weniger schätzbar angenommen wird, und was zur höheren Schätzbarkeit in der Welt, ich weiß nicht warum, gekommen ist. Ich gebrauche, was sichtbar und unsichtbar lebt (alles lebt), zur Speise, zum Getränk und zum mäßigen Vergnügen. Was drüber ist, halte ich strafbar. Ein Hauch Gottes, und so hat alles Leblose eine lebendige Seele. Was weiß ich, was ich war und was ich seyn werde. Die ganze Welt ist mit mir verwandt. Erbe bin ich und Erde werde ich, wovon ich genommen bin; denn der Mensch ist Erde, und soll wieder zur Erde werden.

Ich bin in der Welt Kind, Bruder, Mensch oder Herr; doch bin ich in meines Vaters Hause, wo viel Wohnungen sind, und wo mir nur das Muttertheil abgetreten ist, wo ich viele Brüder habe, und unter dem Auge des gütigsten, allein auch gerechtesten Vaters stehe, der mir das Vatertheil noch vorbehalten hat.

Ich glaube, das heißt, wenn tausend Schwarz- und Weißkünstler und Klugheitsgaukler auch kämen und sprächen: es ist kein Gott! so müßten und könnten mich doch diese Sprünge durch den Reif aus diesen Verhältnissen nicht herauslügen und trügen, da[119] schon die Wahrscheinlichkeit, selbst die Möglichkeit, daß er sey, und der eben hieraus fließende Glaube an ihn hinreichend ist, mich in den Verhältnissen als Kind, als Bruder, als Herr zu erhalten und zur strengsten Erfüllung der hiermit verbundenen Pflichten zu bringen.

So erkläre ich mir den Glauben, von welchem vielfältig in der Bibel geredet wird. Eine vollständige demonstrirte Gewißheit von dem Daseyn des Unvollkommenen würde mehr schaben als nützen, so wie die Gewißheit von meinem Tode; wenigstens ist mir die Demonstration von der Existenz Gottes nicht nothwendig, und ein lebendiger Glaube ist, die Sache genau genommen, mehr als eine Demonstration. Einen lebendigen Glauben nenne ich, der durchs Leben thätig ist; denn der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er todt an ihm selbst, wie die meisten Bücher, die nicht Gottesmenschen geschrieben haben, todt an ihnen selbst sind. Die Menschen müssen nie von Gott reden, ohne daß sie an ihre Pflichten gegen ihre Mitmenschen denken. Gott ist in allem und durch alles. In ihm leben, weben und sind wir. Er, der Originalgeist, der Geist im Ganzen. Die Natur ist die Seele.

Von Gott, dem unendlich moralischen Wesen, kommt alles her. Er ist, wie oben gemeldet, die Moral in origine. Die Schöpfung ist ein hingestellter göttlicher Gedanke, ein Buch Gottes! Bei uns sind die Gedanken Wasserblasen; beim lieben Gott eine Welt! – Dieß All verkündigt das Daseyn Gottes, und es gehört nicht Schulweisheit dazu, sondern bloß menschliches Gefühl, die Macht und Güte Gottes wahrzunehmen: und dieß: Er ist, zu verstehen. Würde der Verstand selbst den Kopf schütteln, das Herz spräche doch Ja. Der Gedanke, es ist ein Gott, ist der Anfänger aller bildlichen Poesie! Was schadet es also, ihr Herren Sophisten, daß man Flügel der Morgenröthe nimmt, wenn man von Gott spricht![120]

Alles versteht sich in der Natur, und diese Uebereinstimmung, diese Mitwirkung aller moralischen und physikalischen Kräfte, dieses Sichtbaren und Unsichtbaren in der Natur, sind die unbescholtensten Zeugen der göttlichen Weisheit. Was schadet die anscheinende Unregelmäßigkeit? Ist sie es? Und wenn sie es in meinem Wirkungskreise ist, kann dieser Mißlaut nicht ein feiner Triller im Ganzen seyn? – Der Pastor redet so von der Harmonie der Sphären, als hätte er diese Geistermusik gelernt, die anders klingt, als das Waldhorn. Ich habe seinem feinen Gehör viel zu danken; nichts lernt man leichter, als hören.

Ich hänge von Gott ab, und dränge mich recht, von ihm abzuhängen. Mein Gefühl überzeugt mich, daß ich als ein Mitwesen in der Reihe der erschaffenen Dinge, und zwar unter ihm stehe. Da darf der Pastor nicht gleich kreischen, er hätte als Monarchenfreund die Schlacht gewonnen! Der liebe Gott läßt einem jeden so seine Freiheit, als man sie nur in Curland haben kann. Ich bleibe in diesem Abhange noch immer ein curischer Edelmann, kann thun und lassen, was ich will; allein da Gott ein lieber, guter Gott ist, so ist mein Gefühl der Abhängigkeit die Mutter der Ehrfurcht, der Liebe für ihn, den Schöpfer, und des Gehorsams für seinen heiligen und allezeit guten Willen und dessen Gesetze; dieß heißt mit andern Worten, ich kann von Herzen sagen: Abba, mein Vater, dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel! – Ich thue ihn gerne, dein Gesetz hab' ich in meinem Herzen! Gottes Willen gern thun, heißt: Gott dienen!


* * *


Ich schwöre nicht beim Himmel, daß dich der Donner erschlüge! nicht bei der Erde, daß du den Hals brächest! Der Himmel ist Gottes Stuhl, die Erde sein Fußschemel.[121]

Ich liebe Gott mit einer besondern Liebe, über alles und in allem; meinen Nächsten liebe ich, wie meine ehrliche Haut.


* * *


So denken hab' ich gelernt. Nicht unmittelbar von Gott, sondern mittelbar von Gottesmenschen, von solchen, die sein Bild an sich tragen, im besondern Sinn. Diese Gottesverkündiger, getrieben vom heiligen Geist, dürfen nur den Wachsstock in mir anzünden, der schon da ist. Jeder hat seinen fertigen Wachsstock bei sich. Wie er gleich lichterloh brennt!

Wenn ich nicht einmal weiß, wie ich im Mutterleibe zum Menschen geronnen, wie ich Ich geworden, wie kann ich wissen, wie die Welt, wie Himmel und Erde entstanden und zum Stehen und Gehen gebracht sind?

Vom Pastor – in – hab' ich viel gelernt. Es ist zuweilen höchst nothwendig, nicht übereinstimmend zu denken. Die Wahrheit hat keinen größern Feind und keinen größern Freund, als die Uebereinstimmung. Es kommt nur auf Umstände an. Der älteste von den Gottesmenschen, von den Gefühlanzündern, hat uns die Erschaffung der Welt gemalt. Ein schönes Stück! Die neuen Maler sind Klecker gegen ihn. Es hängt vor meinen Augen zum ewigen Andenken das Bild eines Mannes, der außer göttlicher Kraft viel Menschenkenntniß besaß und sein Voll von Grund aus kannte. So wie aber die Maler ihren Namen in einer Schattenstelle gewöhnlich anbringen, so auch er bei dieser Schilderei! – Das kann man ihm lassen. Ich wenigstens stoße mich an diese Schattenstelle nicht. Wissen, wie die Welt gemacht ist, heißt: Gott seyn. Wie kann ein Endlicher hieß wissen, dieß fassen? Und würd' es ihm nützlich und selig seyn, zu wissen und zu fassen, wenn er es wissen und fassen könnte? Wir sehen dieß so leicht an, und es scheint wirklich so; allein alles, was recht schwer ist, sieht leicht aus. –[122]

Warum aber so weit hinaus? Gott weiß, ob der Mensch länger als zehntausend Jahr in seinem Kopf, in seinen Büchern tragen und beherbergen kann? Er wirb schwerlich selbst mehr Geschäfte fassen können. Wenn alsdann nicht ein seliger Kelch der Vergessenheit dem menschlichen Geschlechte gereicht wird, wie wird es aussehen? Die zehnte Zahl ist die Zahl mit beiden Händen, die vollkommenste, sagt der Pastor, mit welchem Friede sey jetzt und in Ewigkeit! Er ist ein guter Christ und ein braver Mann, und wenn ich das erste weniger bin, so glaub' ich doch ruhig und selig zu sterben, weil ich ihm in Letzten keinen Tritt weiche.


* * *


Jetzt sind dem Menschen Zurückgedanken allerdings noch zu gestatten; denn die Welt ist, nach Sethi Calvisii Kalenderberechnung, eben aus ihren Jünglingsschuhen. Daß sich der Mann verrechnet hat, ist durch mehr als eine Probe zu erweisen. Dem göttlichen Maler Moses geht dabei nichts ab – der war klug genug, im Anfang zu setzen, und die Jahrzahl dem Setho Calviso zu überlassen.

In Moses Schöpfungsgeschichte leitet dieser Führer in einer schönen Malerei geradesweges die Menschen überhaupt zur Wahrheit, und nicht, wie sein Volk, aus weisen Absichten, durch Wüsteneien bei der Nase herum; indessen ist nicht jeder Liebhaber von der Malerei, und der versuche, wie weit er durch's Licht der Vernunft gelangen werde? Die Geschichte Moses von Entstehung der Welt ist so abgefaßt, als sie dem Menschen vorgekommen seyn würde, wenn Gott die Welt vor seinen Augen hätte schaffen wollen. Dem Moses fiel vielleicht an einem schönen Morgen, da er früher als sonst aufgestanden war, ein: so würde es dir geschienen haben, wenn dich Gott der Herr auf die Schöpfung zu Gaste geladen, und dein Auge das Licht hätte vertragen können, das die Sonne[123] ansteckte! Dieser mosaische Gedanke war göttlicher Funke, der schnell zündete, göttliche Eingebung, die zum feurigen Busch ward! – Die ersten Kapitel im ersten Buch Mose, wie schön sie brennen! Es ist ein allerliebster Bibelmorgen! – Ganz aufrichtig gefragt: ist nicht sehr viel vom Morgen in der Schöpfungsgeschichte? Das Licht ist das Schimmerlicht, ehe die Sonne aufgeht, und so fortan! – Pastor! Sie haben mich immer damit ausgelacht; mögen Sie! – Eben so denk' ich (und, Zweifler, fass' in deinen Busen, du wirst's auch so finden), daß jeder Mensch den Stand der Unschuld, der Sünde, der Gnade, selbst belebt. Gott helfe uns zum Stande der ewigen Herrlichkeit! Nimmt man die Sache so, wie viel Weisheit, Stärke und Schönheit in allem! Da sieht man eine Hieroglyphe, die von allen Ecken und Seiten erklärungsfähig ist. Man findet nicht anstößig, daß Fische im Meer und Myriaden Welten paarweise wandeln. Malerei und Astronomie sind sich spinnenfeind! Beim Moses sind sie verwandt. Noch bis auf den heutigen Tag ist keine Entdeckung gemacht worden, wobei Moses zu kurz gekommen wäre. – Wer kann ihm die Göttlichkeit absprechen?

Ist, damit ich die nämliche Hieroglyphe auf die andere Art nehme, ist denn nicht jedes Kind, wenn es auf die Welt kommt, im Stande der Unschuld? Weiß es vom Mein und Dein? Fällt es nicht in den Stand der Sünden? Kann es indessen nicht erzogen und der göttlichen Absicht, das heißt, dem göttlichen Ebenbilde, näher gebracht werden? Muß der Mensch gleich oft im Streite seyn und im Schweiß des Angesichts über seine Leidenschaft kämpfen; kann er nicht auch siegen? Und was ist besser, die Hände in den Schooß legen und nicht wachen, nicht schlafen, oder beides recht von Herzen thun?

Ich komme wieder zum Anfange.


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[124]

Am Anfange, in einer neuen Weltperiode, oder auch am tiefern Anfange, am allerersten Anfange, war das menschliche Geschlecht so Eins, wie Einer. Das ganze Geschlecht war Adam, weniger einer Rippe, oder, und eine seiner Rippen. Welche göttliche Weisheit in diesem Bilde! Mann und Weib sind eins und verschieden. Es fehlt dem Manne, wenn er ein Weib hat, eine Rippe, allein dieser Verlust, wie reichlich ersetzt, wie reichlich, eben weil er ein liebes Weib hat!

Im Schlafe verlor Adam eine Rippe, und es ergibt sich besonders im Schlaf, wo so viel Bilder um uns herumgaukeln, wie nöthig dem Manne ein Weib sey.


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Vom Garten fing die Haushaltung an, nicht vom Ackerbau. Man aß eher Aepfel, als Brod. Jeder Mensch bebauete sich einen Fleck mit Bäumen und Kraut, niemand beneidete dem andern sein Gartenland, und niemand kam dem andern ins Gehege. Das Hirtenleben, das Schäferleben wird dem Ackerbau im ersten Buch Mose vorgezogen, und das mit Recht. Die Schäfer waren Kinder Gottes, die Ackerbauer Kinder der Menschen. Cain brachte dem Herrn ein Opfer von Feldfrüchten, Abel von den Erstlingen der Heerde. Cain gefiel dem Herrn nicht so wohl, der schon bei seinem Acker, bei seinem erarbeiteten Mein und Dein mit dem Gedanken umging, eine Stadt zu bauen, die er nach seinem Sohn Hanoch nannte; der Mörder der! So ging's! Erst ein Garten, dann zwei Wege, einer das Schäferleben, der andere Ackerbau. Beim Schäferleben war noch am wenigsten von Mein und Dein; allein beim Ackerbau, wo der Mensch der Natur weniger überläßt, wo er selbst Hand aus Werk legt, wie viel Mein und Dein! Vom Ackerbau bis zur Stadt ist nur so weit, als von Vater und Sohn, vom Mörder Cain und vom Hanoch. Noch jetzt thun[125] wir uns etwas zu gut, wenn wir vom Schäferleben, von der güldenen Zeit, träumen. Wir sehen das Schäferleben als den nächsten Grenzort zum Paradiese an.

Der Fall Adams ist der Fall aus der Natur ins Mein und Dein, wodurch Arbeit, Mühe, Schweiß des Angesichts, Uebermuth, Weichlichkeit in die Welt kam. Auch der Tod ist der Sold dieses Standes der Sünden, der aus Krankheiten besteht, welche aus einem unparadiesischen Leben entstehen, und womit der Tod jetzt gemeinhin verbunden ist. Vor diesem wäre der Mensch lebendig gen Himmel gekommen; er wäre in dieser Welt eingeschlafen und im Himmel aufgewacht.

Das läßt sich schön hören, lieben Freunde in dem Herrn! allein eingemachte Früchte sind auch nicht zu verwerfen, und eine vorhergegangene Krankheit, hat sie denn nicht ihren großen Nutzen? Macht sie uns nicht das so liebe Leben ekel? Ich habe schon oben gesagt: es ist gut, zu wissen, daß man wacht, und daß man schläft, und so könnte ich auch behaupten eben so gut sey es auch, zu wissen, daß man stirbt, und daß man lebt. Ist denn die Kürze des Lebens so etwas schreckliches? Ja, wenn das Wohlgehen mit dem langen Leben verbunden ist; wem geht's aber in der jetzigen argen, bösen Welt wohl, wo selbst in Curland ein Herzog ist? Ost lebt man darum so gern lange, damit man sich nicht den Vorwurf zuziehe, sein Leben verkürzt zu haben. Ein langes Leben scheint uns ein Testimonium des Wohlverhaltens gegen uns.


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Der Fluch, der die Weiber traf, gehört er nicht auf die Rechnung der Weichlichkeit und Verzärtelung? Weiber, die sich weniger verzärteln, empfinden von dem Fluch: »Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären,« noch bis diesen Augenblick wenig oder gar nichts, und wenn sie selbst, wie im Naturzustande, arbeiten[126] und sich nicht bloß vom Herrn General ernähren lassen, haben sie so gut ihren Willen, als die Männer. Eignen sich nicht viele Weiber diesen Eigenwillen, besonders im adelichen Stande, schon wegen ihres Eingebrachten zu? – Daß sich Gott erbarme! In seinem eigenen Hause ein Sklave seyn!

Der Stand der Unschuld, oder der Stand der ersten Natur, das Paradies, war ein Zustand, da der Mensch, so wie die Thiere, wandelte, nur daß ihn seine Vernunft zum Herrn über seine Schulkameraden machte! Der Mensch saß in Prima. Keinem Menschen fiel es ein, sich Grenzen abzuzeichnen. Eine Höhle, das war alles, was er nöthig hatte, und auf die war er so wenig neidisch, und hatte es auch so wenig Ursache zu seyn, daß niemand so leicht dem andern in den Weg kam. Er ging nackt und brauchte keine Kleider. Kleider sind eben das, was den meisten Zank unter den Menschen verursacht, denn sie sind beständig sichtbar; dagegen Speise und Trank, wenn es gleich Neid verursacht, ihn auch wieder dämpft, weil es nicht ins Auge fällt. Die Vernunft braucht Gesetze, sobald sie heranwächst. Diese Zäune, diese Grenzen brauchte auch das menschliche Geschlecht, da es mehr seine Stärke fühlte. Die Herrschaft über die Thiere brachte es zur Herrschaft unter sich. Die ersten Grenzzeichen waren Bäume; wer sie nicht achtete, war der Mensch. Das Weib reizte den Mann, der Kinder halber, an, die mit dem zugewiesenen Platz nicht auskommen würden, und so brach der Mensch die Grenze, und von diesem Zeitpunkt an lernte er aus der Sünde, aus der Grenzübertretung, das Gute und Böse erkennen, was er erst nicht kannte, da er vor diesem so in den Tag hinein lebte, Gott den Vater walten ließ, das Maul aufsperrte, wenn es regnete, und den Apfel nicht eher aß, als bis er halb faul vom Baume sich herabschlich. Da lobe ich mir, ein Sprindt zu suchen und den Apfel herabzuholen, ehe er natürlichen Todes so alt und schwach stirbt, daß er inwendig faul und auswendig[127] zusammengefallen ist. Freilich hätten die grenzstreitigen Parteien sehr leicht auseinander kommen können, wenn sie so klug gewesen, nur ein paar Schritte weiter zu gehen, wo sie eine vortrefflichere Gegend, eine Gegend voll Leben, kennen gelernt, und wo sie, ohne sich zu nahe zu kommen, hinreichend entschädigt gewesen wären. Sie durften nicht nach Amerika! – Mit dem rohen Adamsnaturstande ist's indessen so eine Sache! Zu ein paar Schritten weiter waren sie nicht zu bringen.

Der Stand der Sünde, der Stand, da aus Familien allmählig Staaten wurden, hat freilich sein vieles Böse an sich; indessen ist er doch auf der andern Seite nicht ohne sein vieles Gute. Der Staat ist wirklich ein Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses.


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Der Mensch ward feiner an Leib und Seele. Schande und Sünde ist's freilich, daß die Seele nicht wachsen kann, wenn nicht zugleich auch der Körper verzärtelt wird oder abnimmt.


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So geht's! Der Stand der Sünde bringt uns gerades Weges zum Stande der Gnaden. Durch den Pastor – bin ich zuerst auf diese Begriffe gekommen; indessen irrt er, wenn er des Glaubens ist, daß der monarchische Staat zum Stande der Gnaden eher, als der aristokratische und demokratische führen werde. Mit nichten! Der monarchische Staat ist vielmehr der Stand der wirklichen Sünden; die andern Staatenarten sind Erbsünde. Wenn der monarchische Staat erst zum höchsten Despotismus hinausgewachsen, kommt man wieder in's Freie; wogegen der freie Staat kaum den Namen des Standes der Sünde verdient. Durch einen sanften Schlaf kann man aus ihm zu den Seligkeiten des[128] Standes der Gnaden gedeihen; – man weiß nicht wie. Sie sehen, Pastor! wie weit ich in der Orthodoxie gekommen. Sie sind nur drei-, ich gar viergliedrig. Wenn Sie die theologische Distinktion vom Reich der Allmacht, Reich der Gnaden und Reich der ewigen Herrlichkeit zum Grunde legen, thue ich ein gleiches mit dem Stande der Unschuld, Stande der Sünden, Stande der Gnaden und Stande der ewigen Herrlichkeit. Die Sache genau genommen, hebt sich der Bruch und eins geht mit dem andern auf. Ich bin für Stände, Sie für Reiche. Ich wünsche den Stand der Gnaden, Sie das Reich der Gnaden, Sie sind ein Königischer, ich ein Curländer! – Den Stand der Gnaden würde ich fast so bestimmen, daß es in der ganzen Welt wie in Curland stände. – Außer diesen Banden, sagt der Apostel Paulus, und freilich muß Curland noch von vielen Ungnaden geläutert werden, ehe es ein wahrer Stand der Gnaden ist. Auf dem Wege dazu ist es. Wie sind wir denn unterschieden, Pastor? Sie wissen mehr als ich, und glauben mehr als ich. Ich weiß wenig, und glaube wenig. Sie haben ein Perspektiv ich mein leibliches Auge. Sie Schule, ich gemeines Leben! – Man ist nur so groß, als man gewachsen ist! – Sie denken verfänglich von Curland und Semgallen, und ich von der Schöpfung. Alles hebt sich. Wir sind beide im Jammerthal und werden beide gen Zion kommen. Wollen Sie noch mehr vom Stande der Gnaden?

Der Stand der Gnaden ist ein durch Vernunft gereinigter Naturzustand, nach welchem die Vernunft den Menschen regiert, nach welchem er ihre ewigen Gesetze verehrt, ihnen folgt, und wenn Klima und Denkart sich ihr Votum vorbehalten, so hält der Mensch auch dieß Votum, sobald es die Vernunft an Kindesstatt annimmt, oder ihm beitritt, in Ehren. – Kann man denn nicht bei leiblichen Kindern auch Kinder adoptiren! Auch noch eher, als der Mensch zu diesem Glücke des Standes der Gnaden gelangt, kann[129] er sich selbst in diesen Stand hinein denken, ihn sich so eigen machen, als wäre er wirklich schon da, und wenn das viele thäten, wie der Pastor und ich, ich wette drauf, Gottes Reich, wie der Pastor will, oder der Stand der Gnaden, wie ich will, käme einige Jahrhunderte eher als jetzt. Vor unserer Trennung war dieses Reich und respektive Stand der Gnaden in unsern beiden Wohnungen. Mein Weib bisweilen abgerechnet.

Auch noch, Geliebte in dem Herrn! auch noch ist der Mensch, wenn er will, wie im Paradiese. Er ist mehr drin, wie vorhin. Er setzt sich jetzt selbst herein, und erst kam er so dazu, mir nichts dir nichts. Erworbenes Brod schmeckt am besten, und bekommt auch so. Der Teppich der Erde ist mit den vortrefflichsten Kräutern angefüllt. Nur wir sind nicht mehr Schooßkinder. Wir müssen Hand ans Werk legen. Wie die Natur nur ein Kind hatte, da hielt sie's freilich auf dem Schooß; jetzt aber – was sollte sie mit so viel Tagdieben anfangen? – – – – Bloß das Gute kennen, Freund Pastor? Ist's denn so herrlich, oder ist's nicht besser, wie Gott wissen, was gut und böse ist, aus dem Paradiese in die Welt gehen, aus der bloß simpeln Unschuld zur Vernunft? Die vernünftige Unschuld ist was göttliches – allein jene rothbäckige, gemeine Unschuld, was hat sie denn für Reiz? Wüßte denn wohl Adam sich eine Talubbe (Schlafpelz) zu machen? Ich mag ihm keinen Namen beilegen, diesem Namengeber, denn wahrlich, er würde nicht sonderlich abkommen, wenn ich ihn taufen sollte.

Ist der Mensch denn nicht noch jetzt der Herr der Erde? Er ruft alle Geschöpfe mit Namen und kann ihnen Namen geben, sobald er ihnen nur ins Auge sieht, falls sie nämlich noch nicht benannt sind. Der Mensch verträgt alle Gegenden, und hat er einen guten Hund, das natürlichste Hausgesinde, das Gott dem Menschen zugeordnet hat, wie wir alle wissen, hetzt er Löwen wie Hasen, obgleich der Löwe Herzog unter den Thieren ist, als welches[130] ich ihm gar nicht streitig machen will. König mag ich, mit des Herrn Pastors Erlaubniß solch ein edles Thier nicht nennen. Wo ist denn Unkraut? Nirgends. Freunde, nur dann ist etwas Unkraut, wenn es nicht an der rechten Stelle steht, wenn es nicht gebraucht, sondern gemißbraucht wird. Dem Thoren ist alles Unkraut. Dem Weisen ist alles Kraut, alles ist ihm gut, was in der Welt ist; er macht's wie Gott der Herr, siehet an, was Gott gemacht hat, und es ist alles sehr gut.


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Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr wohl!


Was böse scheinet, ist Gewinn,

Der Tod selbst mein Leben!


singt Ihre Frau! Der Schein trügt. Das was böse aussieht, die Grundtriebe, womit der Mensch auf die Welt kommt, wie wickeln sie sich vortrefflich aus! Laßt sie nur wachsen, ohne an einen Stock zu binden. Laßt sie wachsen, wie Gott und sie wollen, und siehe da, es ist alles sehr gut! Die Menschenfurcht, die das Mißtrauen, den Geiz und andere Schand und Laster erreget, auch sie ist aus der unversiegenden Quelle alles Guten. – Welch eine Fülle der Weisheit liegt in allem verborgen! Eine Welt mit diesem Bösen ist besser als eine ohne solches. O welch eine Tiefe des Reichthums, beide der Weisheit und der Erkenntniß Göttes! Wie gar unbegreiflich, o Gott, mein Gott, sind deine Gerichte und unerforschlich deine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Rathgeber gewesen, oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder vergolten? Denn von ihm und durch ihn und in ihm sind alle Dinge! Ihm sey Ehre in Ewigkeit, Amen![131]

Was aus Gottes Händen kommt, ist eitel gut!


Ich nehme, wie er's giebet,


singt Ihre Frau, die anders rechnet als ich. In der Summe stimmen alle guten Menschen auf ein Haar! Thoren! – Ihr wollt Gott den Herrn meistern? Ihr wollt sticken und flicken wie die Pastorin sagt? Es ist nicht völlig regelmäßig, glaubt ihr? Und wißt ihr denn, daß sogar alles was über die Regel wegragt, was der Regel über die Schulter sieht, göttlich ist? – Man nennt das Geniezüge, die größer als die gemeinen, bekannten Regeln sind, und sagt zuweilen von einem Stück, wo doch zuweilen nur ein einziger gewagter Strich vorfällt: Ueberaus schön! Unvergleichlich!

Ein Gesicht, ist es bloß regelmäßig, kann es schön seyn aber nicht drüber. So war das Gesicht der Jungfrau Maria schön. Christus, der Herr, hatte einen Zug, der göttlich, der nicht regelmäßig war. – So und nicht anders seht die Welt an, und findet ihr dennoch Böses?


Was böse scheinet, ist Gewinn,

Der Tod selbst ist mein Leben!


Der Teufel selbst ist Gottes Staatsminister.

An die Vorsehung glauben, ist weit besser, als lauter gute Schicksale haben! Wir würden sonst gleichgültig gegen alles seyn. – Du denkst nicht an Gott? Wer lange nicht an ihn gedacht hat, scheut sich, ihm nahe zu kommen. Er fürchtet sich vor ihm. Unglück! Ist denn wirklich Unglück in der Welt? Die Künstelein, die Bedürfnisse, welche der Mensch so mühsam suchte, haben sein Unglück gemacht. Reichthum ist nichts Wesentliches. In der im Argen liegenden Welt sieht er zwar so aus, allein er ist es nicht. Gott der Herr würde ihn sonst nicht so vertheilt haben. Wer hat denn den Reichthum? Gemeinhin Leute, mit denen wir nicht tauschen würden. Christus war ganz und gar nicht für den[132] Reichthum, und da er wirklich an sich etwas Unnatürliches ist, wie schwer ist es, hier ein guter Amtmann Gottes zu seyn. Gott! wende den Reichthum, wende ihn von mir, wenn ich die Buchhalterei nicht verstehe, die vor dir gilt!


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So denken und nach diesen Grundsätzen handeln, heißt das Salz der Erde seyn, wodurch uns die Welt schmackhafter wird; das Reich oder den Stand der Gnaden beschleunigen, diesem Gnadenzeitpunkte Gewalt anthun. Hab' ich nicht viel von Ihnen behalten, Pastor?

Einen sehr großen Theil ist dieser Gnadenpunkt durch die Erscheinung Christi ins Fleisch herangerückt! – Daher heißen auch die Tage von den ersten Weihnachten: dieß ist die angenehme Zeit, dieß ist der Tag des Heils! – Und es mag es gesungen haben, wer da will, wahr ist's, daß durch Christi Herabkunft Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, und eben dadurch Ehre Gott in der Höhe entstanden!


Deß sollen wir alle froh seyn,


singt die Frau Pastorin, und ich singe es mit. Was wollen Ew Wohlehrwürden mehr?


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Dieß Singen und Singen bringt mich zur Behauptung, daß das alte Testament Poesie, das neue Prosa sey: so wie die Poesie eher als die Prosa gewesen. Garten, wie wir wissen, eher als Feld. Alles war im sogenannten alten Bunde Bild! Opfern ist ein sehr natürlicher Gottesdienst! Der Rauch geht hinauf, er trägt wirklich etwas ab, und zwar eben dahin, von wo so viele gute und vollkommene Gaben herabkommen. Seht nur, wie im Junius die Natur opfert! Das Opfer steigt hinauf, welches die Blumen dem himmlischen Vater bringen! Die Erstlinge des Frühlings! Wie[133] natürlich die ersten Menschen aufs Opfer gekommen! Es ist viel Poesie beim Opfer, sagten Sie, Pastor! Wahr! Weg mit dem Rauch aus der Schachtel des Apothekers! Laßt die Blumen opfern; wir wollen im heiligen Leben wandeln! – das Alter ist nicht so empfindsam als die Jugend. Es scheint, dieses sey die Folge der Vernunft. Einer jungen Frucht drückt man alles ein. Wozu dienen aber junge, unreife Früchte? Freilich schmecken unreife Stachelbeeren mit jungen Hühnern nicht übel; – allein sie müssen versüßt werden, und reif bleibt doch reif.


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Christus brachte die Menschen auf die Akademie, nachdem sie vorher in der Schule gewesen und oft Schulläufer geworden. Nie legte er es darauf an, ein weltliches Reich zu stiften. Hätte er's gethan, sagt selbst, wer kann es oft genug fragen, wäre es nicht gewesen, um das Reich Gottes näher zu bringen? Johannes und Jacobus ließen zwar durch ihrer Frau Mutter ein paar Plätze zur Rechten und Linken bestellen; allein Christus gab ihnen zur Resolution, ihr wisset nicht, was ihr bittet. Er war ein Jude, weil dieses Volk das einzige war, das mit so entsetzlicher Mühe zum einigen, alleinigen Gott, der ein Geist ist und nicht abgebildet werden kann, vorbereitet worden, sagen die Herren Theologen. Max seyn, auch nicht! Was geht mich das Warum an?

Wer kann einen Geist malen? Und wenn er nicht gemalt wird, wie es ein jüdisches Kirchengesetz war, wie schwer ist er von Menschen zu glauben, die nur auf das Augsichtbare zu sehen gewohnt sind? Man kann es sich kaum vorstellen, wie sehr das Menschengeschlecht von jeher zur Abgötterei geneigt ist. Christus nannte Gott den Herrn Vater, und wenn unsere Maler ihn als einen alten Mann bilden, kann es bleiben? Ist's verwerflich?

Wie eifrig Christus bemüht gewesen, die reine Erkenntniß[134] Gottes zu lehren, beweisen die Evangelisten, die unter uns gesagt, auch mehr hätten von Christo aufschreiben können. Es sind auch viel andere Dinge, die Jesus gethan hat, sagt Johannes, welche, so sie sollten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht begreifen, die zu beschreiben wären. Lieber Johannes! der Pastor und ich hätten sie begriffen; denn wir sind nicht von der Welt.

Moses kleidete die abstrakten Wahrheiten in Allegorien ein! So die Schöpfung in ein Frühstück; so die Quelle des moralischen Bösen in die Erzählung vom verbotenen Baum; so den Ursprung der mancherlei Sprachen in die Geschichte vom Thurmbau zu Babel. Christus, der Herr, war sehr entfernt von aller rückhaltenden, abergläubischen, spitzfindigen Lehrart, welche, voll Verachtung gegen alles Faßliche, gern in der Dämmerung ist. Er war das wahrhafte Licht, welches die Welt erleuchtete. Seine Lehre war eine Kinderlehre; allein man sieht es noch jetzt, wie groß sie sey! Er war wahrlich ein Gesandter Gottes, der in Gottes Schooß war und Gott verkündigt hat, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann. Seine Offenbarung, seine Verkündigung Hat der Vernunft die trefflichsten Dienste, so wie diese sie nach der Zeit und noch jetzt erwiedert. Seit dem Christenthum ist noch kein Philosoph gewesen, dessen Vernunft nicht von der Offenbarung geleitet oder bestochen worden! – Die guten, lieben Herren, den Pastor nicht ausgenommen! Man sollte Wunder denken, wo sie es her haben! Lies das neue Testament, geneigter philosophischer Leser! und du wirst finden, daß die Philosophie nichts weiter als Formalität, als Leisten, als Wörterbuch sey. Suche, so wirst du finden, klopfe an, so wird dir aufgethan!


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Christus forderte eine Reinigkeit des Herzens, die noch nie jemand vor ihm gelehrt hat. Der Mensch soll, des Glaubens[135] halber an Gott, und nicht aus Stolz, aus Gewinnsucht, seinen Obliegenheiten nachkommen. Es soll kein Wasser diesen Wein verderben; und ist sie denn nicht werth, die Tugend, daß man sie liebt? Hat sie denn nicht die glücklichsten Folgen, die bis in Ewigkeit dauern? Nichts vergeht ganz; alles, der Körper selbst, ist ewig. Und unsere Handlungen? Keine ist kinderlos; jede pflanzt sich fort, und oft wird aus einem Adam von Handlung eine ganze Welt! Lasset uns Gutes thun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir ernten ohne Aufhören! Ueber diesen Spruch hörte ich Sie predigen, lieber Pastor, und noch höre ich Sie, so wohl thut mir diese Predigt!


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Der Mensch ist auf der Stufe seiner göttlichen Natur nicht im Stande, so Herr seiner Handlungen zu seyn, daß er den moralischen Gesetzen völlig folgen könnte. Die Welt hat eine Beziehung auf unsere Seele und Körper, nachdem wir die Welt aus diesem oder einem andern Gesichtspunkte fassen. Bald so, bald so. Geht's uns schlecht, ist alles schlecht. Geht es uns wohl, so lächelt uns alles an. Zwar ist der Geist unabhängig vom Körper, und sagen wir also nicht: sein böser Geist, sein guter Geist, sondern sein böses Herz, sein gutes Herz. Wer kann den Geist indessen allen äußeren Antrieben entziehen? Diesen Geist, wer kann ihn heiligen, so wie Gott heilig ist? – wer kann ihn gewöhnen, bloß nach Grundsätzen der Vernunft zu handeln? Dieser Kampf des Geistes und des Fleisches ist der gute Kampf, den wir alle kämpfen. – Um mich indessen in einer für mich so höchst wichtigen Sache nicht in Ungewißheit zu lassen und mich von der Sentenz zu unterrichten, die Gott vor seinem Richterstuhl über jede meiner Handlungen ausspricht, gab er mir ein moralisches Gefühl.


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[136]

Vor Gott sind die Himmel nicht rein, und eine ganz absolute Vollkommenheit kann in keinem endlichen Wesen seyn. Etwas, das über die Schranken der Menschlichen Natur geht, kann der Schöpfer nicht fordern. Es gibt keinen allgemein guten und keinen allgemein bösen Menschen.


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Erbsünde ist vielleicht Bewußtseyn von natürlicher Freiheit, mit der wir alle auf die Welt kommen, vorzüglich ein Curländer. Die Herren Theologen nehmen sie anders. Ich lasse sie bei ihrer Freiheit; allein ich bestehe auch auf der meinigen. In dem Sinne, wie die Herren Geistlichen es nehmen, hat die Frau v. W. keine Erbsünde, und so kenn' ich viele ohne Erbsünde. – Was ist die Erbsünde nach der Meinung der Geistlichen? Ein Kind der Dogmatik. Der erste schlechte Erzieher, der sich entschuldigen wollte, erfand dieß Namenspiel.


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Wie kann sich aber der Mensch bei dem Bewußtseyn, gesündigt zu haben, beruhigen? Es gibt im eigentlichen Sinne nur Sünde wider seinen Nächsten. Wir sündigen wider Gott in so weit als wir unsern Bruder beleidigen. Die Liebe zu Gott hat keinen andern Beweis, als die Liebe zum Bruder. Die meisten Menschen glauben, den lieben Gott so behandeln zu müssen, wie einen vornehmen Herrn, obgleich Christus ihn als Vater dargestellt hat. Er hat sich uns zum Vater hergegeben. Wer hat sich aber nicht von Jugend auf angewöhnt Gott zu schmeicheln, den Herzenskundigen mündlich zu versichern, was uns nicht ums Herz ist, ihn mit den Lippen zu ehren, und die Seele, sein Gnadenwerk, von ihm zu entfernen?

Kurz, wer bemüht sich nicht, durch süße Reden Gott ums[137] Herz zu betrügen? Solch eine Führung halt' ich gerades Weges für Menschengebot und Menschentand. Wenn es mich angreift, schrei' ich aus. Ich bin zuweilen ordentlich bös' auf den lieben Gott und da wett' ich, das muß ihm lieber seyn, als wenn ich den Widerwärtigkeiten äußerlich begegne, wie einem Boten von ihm, und innerlich wünsche, daß dieser Abgeordnete zum T – wäre! – Ich bekenne es frei, daß ich nicht danken, nicht beten kann, wenn mich Unglück trifft. Wenn's donnert, ist der lustigste Vogel hypochondrisch, und wenn's ein schöner Morgen ist, wie jubilirt die ganze Schöpfung! Ueberhaupt denk' ich vom Gebet anders, als der Pastor, obgleich ich das meiste von seiner Meinung auf- und angenommen, und wohl eins mitbete, wenn's so die Gelegenheit gibt. Thor! Was kann denn dem göttlichen Wesen damit gedient seyn, daß du seinethalben die Augen verkehrst, dich krampfartig stellest, die Hände ins Kreuz hältst – des Sonntags so thust, als hättest du die Wache vor seinem Palast?

Mit diesen meinen Gesinnungen stimmt meine Hymne, die ich Gott dem Herrn beim Eingange dieses Aufsatzes angestimmt, und die mich zuweilen so anwandelt, daß ich mich kaum auf den Füßen halten kann. Ich springe, als wollt' ich gen Himmel springen, so ein alter, steifer Kerl ich bin. Eine Ader hab' ich mir dabei nicht verrenket. Da hab' ich zuweilen eine Hymnestunde, wo mir das Herz die Brust durchstoßen will. Hinauf will es, und alles um mich her hat dann eine allerliebste Stimme, alles singt melodisch: Gott allein die Ehre! Lachen ist ein Kranz, der gemeinhin sauren Wein anpreiset. Meine Freude braucht keinen Kranz – die Natur hat eine Wonnecirculation, die mich zu dieser Freude auffordert.

Was kann es dem lieben Gott helfen, wenn ich, dem lieben Gott zu Ehren, meiner begangenen Sünden halber einen Trauerrock anlege, mit Klötzen an den Füßen gehe? Das nenn' ich die[138] edle Zeit tödten und Sünden mit Sünden häufen. Anstatt Leib zu tragen um meinen Tobten, erzieh' ich meine übrigen Kinder und sage zum verstorbenen Sohne: ruhe wohl! Es besser machen, durch Schaden klug, wie neu geboren werden, ein ander Leben anfangen, das heißt Buße thun, und dieß führt die Vergebung der Sünden mit sich. Das Bewußtseyn einer guten That, wodurch wir uns am Morgen des neuen Lebens auszeichnen, vertreibt die vorige finstere Nacht der Sünden! – Es ist so, als wenn man ein frisches Hemd anzieht! – Ist die Sünde zu ersetzen; gilt vor dem Ersatz keine andere gute Handlung? Mit zinsenreichem Ersatz fängt sich das Werk der Bekehrung an. Ist aber diese Genugthuung nicht möglich, so nehme ich die Einbildungskraft zu Hülfe und stelle mir jemand dar, dem ich's vergelte, dem ich in des Beleidigten Namen Gutes thue, in eines Jüngers Namen ein Glas Wasser reiche. Gott, denk' ich, hat doch einmal einen vollkommenen Menschen gesehen, Jesum Christum, der gerecht ist. Wenn's auch mit dir fehlt hie und da, sey unverzagt; – und ich bin's auch! – Bete du nur zehn Jahre und gib der Wittwe nicht das Stück Weizenland wieder, um das du sie betrogst; wirst du Ruhe haben, wenn dich ein hitziges Fieber ergreift oder es sich sonst über deinem Haupte zusammenzieht? – Mit nichten. Die beste Cur ist eine gute Handlung, wodurch das Bewußtseyn in dir auflodert: dir sind deine Sünden vergeben. Dieß war das Recept, das Christus verschrieb, und wahrlich! es ist kein Kraut, kein Pflaster, was so heilet, wie dieß! – Viele Leute werden gesund, wenn sie ein Testament gemacht haben, und ich halte dieß für ein gewisseres Nothmittel, als das versparte Aderlassen. Sobald der Mensch ruhig ist, sobald er empfindet, seine Sünden sind ihm vergeben, so steht er bald auf und wandelt! – Pastor! Sie sagten einst, wie mich dünkt: man muß die Körpercur mit der Seelencur anfangen! – Die Hypochondrie ist gemeinhin eine im Gemüth stecken gebliebene[139] Sünde, die ich an mir selbst verübt. Gibt's denn Sünden an mir selbst? Freilich, denn ich bin mir selbst der Nächste; allein solche Sünden haben mir noch keine schwere Lebensstunde gemacht; ich leide ihrethalber die natürlichen Strafen. Ich sterbe ihretwegen täglich und suche mir durch Bewegung und ein Glas Wein die Gedanken zu vertreiben, wenn sie mir ins Ohr raunen: du bist ein Selbstdieb! Gottlob, ein Selbstmörder bin ich nicht! – Wer aber nie an sich selbst gesündigt, der hebe den ersten Stein wider mich! Ich bitte, den Herrn Generalsuperintendenten nicht ausgeschlossen, ich bitte!

Gott sey mir Sünder gnädig! Das war so herzlich als: Gott allein die Ehre!

Es gibt Seelen, die sich immer gleich und wie ein sanfter schöner Tag sind, wo es immer scheint, es wolle die Sonne hervor, es wolle regnen und es regnet nicht und es scheint nicht die Sonne! Ich habe auch dergleichen Tage gehabt. Man könnte sie heilige Tage nennen, und den, der sie zu leben versteht, einen, der geheiligt ist! Da komm einem, was da will, es regnet nicht, es scheint nicht die Sonne. Die Empfindung, daß uns alles, alles zum Besten dient, wirkt so stark auf unser Herz, daß wir innerlich und äußerlich ruhig sind! Da sieht man, so zu sagen, in allem Gott den Herrn. Jaget nach der Heiligung, sagt der Apostel, ohne welche wird niemand den Herrn sehen! Gott, laß mich so leben, so sterben!


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Leidenschaften sind Engel und können Teufel werden. Sie sind Beförderer, Mitwirker des Guten. Sie geben Spannkraft und Thätigkeit dem Müden, – Wärme und Leben dem Kaltgewordenen.

Wohl dem, der sich der Eigenschaften zu seinem eignen und zum Vortheil seines Nächsten bedient, der alles zu edlen Absichten[140] lenkt! Hat doch jemand gesagt, das Ungeziefer wäre bloß da, um die Faulen zur Arbeit zu treiben! – Daß dich doch die Mücke dafür stäche!


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Noch nie hat sich ein Mensch seiner Sünden als Sünden gerühmt. Er wollte vielmehr durch diese seine Offenherzigkeit den andern auf das Gute aufmerksam machen, was in diesem Bösen lag. Wer Böses von sich sagt, ist oft der feinste Lobredner auf sich. Man denkt, er wolle sich was Leides thun; allein er thut sich was zu gut, sowie sich niemand ums Leben bringt, der vor aller Welt Augen die Pistole ladet und laut ruft: auf mich! Wen er lieb hat, den züchtigt er, könnte man vom Menschen sagen, der übel von sich selbst spricht.


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Da Christus den großen Zweck seiner Sendung nicht erreichen konnte, sondern bei der evangelischen Lehre des Gnadenstandes, des Heilstandes nichts anders als Verachtung und den Tod selbst erduldete, so war es kein Wunder, daß seine Jünger, die so weit von ihrem Meister abstanden, ob diesem Werke verzweifelten, bis sie endlich, nach sehr geheimen Beratschlagungen, sich entschlossen, das Evangelium zu verkündigen, bis daß er käme, bis daß sein Reich käme und wir ihn wieder im Geist dargestellt sähen! – Ein einmüthiger heiliger Geist beseelte die Jünger so, daß sie das Werk anfingen mit Freuden, und für so eine gute Absicht Märtyrer zu werden kein Bedenken trugen.


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Obgleich Menschensatzungen die Religion Jesu so sehr verdunkelt, daß wenn Christus herabkäme, er die Christen nicht kennen[141] würde, sagt, ist sie nicht noch jetzt, so wie sie da liegt, vortrefflich? Ist sie nicht die einzige, die den Menschen zum Gnadenreiche, zum Stande der Gnaden zu bringen Kraft und Stärke hat? Ich hab' es anfänglich so nicht eingesehen; allein jetzt glaub' ich, daß in dieser Lehre Leben für diese und Seligkeit für die andere Welt liege.


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Die Jünger Christi waren ehrliche Kerls bis auf den Judas, der ihn verrieth. Petrus war feurig, Jacobus strenge, Johannes sanft. Keiner hat sich Schätze erworben. Wie lebten sie, wie starben sie? So lebt, so stirbt kein Leutebetrüger!

Vornehm werden wollen, heißt darauf ausgehen, daß man bewundert oder beneidet wird. Beides taugt nicht! Sich Glück wünschen, heißt andere kleiner verlangen als man selbst ist, andere auf seine Kosten unglücklich wissen! – Solche eigennützige, strafbare Wünsche sind geradenwegs dem Gnadenreiche Christi entgegen, wo kein Kronprinz, kein Königsbruder ist. Der Erste ist der Letzte, der Letzte der Erste; der Geringste der Vornehmste, der Vornehmste der Geringste. – Gegenseitige Gesinnungen bei seinen Besten zu bemerken mußte den Erretter, den Erlöser des ganzen menschlichen Geschlechts ganz natürlich zum Rückhalt gegen diese seine sonst guten Freunde bringen, welche die zwölf Stämme unter sich theilten und durchaus etwas vorstellen wollten! – War es Wunder? Wären wir in allen ihren Umständen besser gewesen? Ich glaub' es nicht. Christus nahm sie also wie Kinder, denen man durch Gleichnisse, durch Erzählungen auf den rechten Weg hilft; und sagt, Freunde! wenn Christus in Curland gewandelt hätte, wo doch alles von Freiheit spricht, wär' er nicht gekreuzigt? Sie, Pastor, sind eins mit mir. Was würde nicht im despotischen, im monarchischen Staate werden! Noch jetzt kann man Christi Absicht, so klar sie gleich da liegt, weder errathen noch ertragen. Man hält sie unmöglich.[142] Was aber bei Menschen unmöglich ist, ist es nicht bei Gott. Wie langsam geht's mit der wahren Erkenntniß Gottes und mit der Tugendübung! Wahrlich, Christus leidet noch – wie seine Worte gekreuzigt werden!


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Getrost!

Johannes, der Schooßjünger Christi, sah, da er ein hohes Alter erreicht hatte, ein, daß die Zwölfe nicht im Stande gewesen, dieses große Werk auszuführen; allein seine Hoffnung war noch fest! – Die Religion Christi war nicht Menschenwerk. Er half sich mit der Einbildungskraft da, wo er sich verlassen fühlte. In seinem Gesichte sah er einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrunde und eine große Kette in der Hand. Doch warum diese Züge von einem so ins Große gemalten Bilde? – Er ergriff das Erdenelend und band es tausend Jahr. Johannes, der es empfand, wie menschenunmöglich es sey, Christi Reich auf Erden zu verbreiten, ohne daß Tyrannei und Bosheit gefesselt würden, bildete sich ein: es sey also. Er stellte sich, um sich nicht zu vergessen, vor, daß die Märtyrer, die Zeugen Jesu, welche die Malzeichen an Stirn und Hand hätten, jetzt in diesen Gnadenstand eingehen und tausend Jahre mit Christo regieren würden! – Selig ist der und heilig, der Theil hat an der ersten Auferstehung, über solche hat der andere Tod keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und Christi seyn und mit ihm regieren tausend Jahr.

Der hat den Himmel auf Erden, dessen Lebenszeit in diese tausend Jahre fällt, wo man einsehen wird, was Christus und die Märtyrer beabsichtigt. Nach dieser tausendjährigen Regierung bildet sich Johannes wieder Tyrannei und Blutvergießen ein! Das Erdenelend wird wieder losgeschlossen; allein nach seiner Vorstellung[143] soll es nicht lange dauern. Hallelujah! Es kommt ein neuer Himmel, eine andere Denkungsart von Gott, eine neue Erde, andere Menschen. Da ist er! Ein immerwährender Stand der Herrlichkeit!

Ich, sagte Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne und hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da eine Hütte Gottes bei den Menschen und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk seyn, und er selbst Gott, mit ihnen, wird ihr Gott seyn, und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr seyn, noch Leib, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr seyn; denn das erste ist vergangen. Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe! ich mache alles neu; und er spricht zu mir: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß.

Amen! Amen!


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Meditiren, wie die Gelehrten es nennen, nachdenken, wie der gemeine Mann sagt, heißt in vielen Fällen: beten! – Wer das Gebet als einen Erzwang in Hinsicht der Sachen, die er bittet, ansieht, irrt sich; es ist nur die Connexion, in die man sich mit Gott setzt. Das Vaterunser kann jeder Mensch beten; wenn wir indessen, wenn Gott will, in den Stand der Gnaden und in den Stand der ewigen Herrlichkeit eingetreten, müssen wir ein anderes Gebet haben, nicht wahr, lieber Pastor? dazu uns Gott seine Gnade und seines Geistes Beistand, Stärke und Hülfe verleihen wolle! – Ja, Gott, der in uns angefangen hat das gute Werk, wolle es durch seinen heiligen Geist in uns bestätigen und vollführen bis auf den Introductionstag des Standes der ewigen Herrlichkeit bis[144] auf den Tag Jesu Christi. Getreu ist Gott, der euch ruft, wird's auch thun.

Ein Atheist ist der, welcher seinen Bruder nicht liebt, den er sieht! Selbstverläugnung ist Ersparung an sich selbst, um gegen den Nächsten freigebig zu seyn. Freude ist Danksagung. Wollte Gott, daß ich alle Menschen dieß zu üben bewegen könnte! Das würde heißen: sie beten lehren! Vergib deinem Bruder, vergiß nicht, daß du erst von den mehreren Pfunden, die Gott dir verlieh, Rechnung abzulegen verbunden bist, ehe du vor Gott treten kannst! – Vor Johanni bestellen die Leute ein Gebet beim Prediger, nah Johanni, sagt Gevatter Hans, will ich schon mit meiner Grete beten. Warum haben die gemeinsten Leute Neigung zu Spöttereien? Man sollte ihnen nicht mehr zu glauben aufgeben, als glaublich ist. Ein Thomas wirst alles über und über und sein Nachbar glaubt, was das Zeug hält, um mit Glauben dem Thun auszuhelfen! – Aufforderungen zu guten Handlungen sind nicht Handlungen selbst, das Geläute keine Predigt. Der Christ hat zwar seinen Stern am Himmel, wie die Weisen aus dem Morgenlande; allein er muß auch seine Lampe in der Hand halten, wie die fünf klugen Jungfrauen. Viele berufen, wenige auserwählt.


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Die Welt ist vorderhand nicht im Stande der Gnaden. Man muß sie so verbrauchen. Doch befinde ich mich unter Wesen, die mit mir zu einer Classe gehören, denen Gott Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat. Was ist billiger, als daß ich in Rücksicht dieser meiner geliebten Mitbrüder genau nah den Vorschriften verfahre, die uns der Wille unseres gemeinschaftlichen Urhebers vorgeschrieben hat? Im Worte Bruder liegen alle diese Pflichten zusammen. Bruder ist ein großes Wort Mich freut es[145] recht von Herzen, daß hieß Wort in Curland so gang und gäbe ist! – Zwar ist es in den meisten Fällen nur so da, der Mode halber, wie: hol dich –; indessen ist Rom nickt an einem Tage erbaut.

Durch die Geburt sehe ich mich in gewisse gesellschaftliche Verbindungen gesetzt, zu welchen ich zwar meine Einwilligung nicht mittelst eines deutlichen und aufrichtigen Jaworts beigetragen; hab' ich aber nicht Antheil an den gemeinschaftlichen Vortheilen genommen? Fordern mich also Gesetze des Staats, in dem ich lebe, auf, denen das Gewissen seine Stimme nicht entzieht, so bin ich schuldig, treu, hold und gewärtig zu seyn. Ich muß das Land, das mir Brod und Wasser gibt, nicht als eine Herberge ansehen, wo man sich oft länger als man wünscht, aufzuhalten verbunden ist, weil ein Rad gebrochen. Wessen Brod ich esse, dessen Lieb ich singe.

Gott aber muß man mehr gehorchen als den Men schen.

Die Religion im jetzigen Sinn ist der zweite Theil der Staatsverfassung. Sie ist die Ehegattin der Staatsklugheit. Ich bin nicht berechtigt, wider die Religion, die der Staat entweder als Mitregentin nimmt oder als Freundlingin schätzt, mir eine Verrätherei zu Schulden kommen zu lassen.

In dieser Rücksicht bekenne ich mich als ein Mitglied eines christlichen Staats zur christlichen Religion, in so fern derselben Lehrsätze meinen geprüften und als wahr anerkannten Grundsätzen, bei denen mein Gewissen präsidirt, nicht entgegen sind. Von dieser Oberrathsstube gilt keine Appellation nach Warschau.

Keinem will und werd' ich meine Grundsätze nahe legen. Nie würd' ich mit dem guten Pastor gestritten haben, wenn er nicht der Pastor in – und ich der wäre, der ich bin! Warum wir uns aber zehn Jahre abgesondert, begreif' ich nicht bis diesen Augenblick.[146] Luthers Schuhe, pflegten sie zu sagen, sind nicht allen Dorfpriestern gerecht.


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Ueber Vermögen fordere ich von meinen Untergebenen, sie mögen undeutsch oder deutsch seyn, keinen Schritt. Wenn Gott es mit den Ungerechten machte, wie sie mit ihren Schuldnern. – – –

Milchhaar wird auch braun oder schwarz, und wo ist denn eine Lust, die ihren Gift nicht bei sich trägt? Wo ist ein Mahl von reinem Wein voll Mark, darin kein Hefen ist? Wo eine Sünde ohne Strafe? Wüstenei ist in der Stadt. Das ist ein Text; wo er steht, weiß mein Hofmeister, den Gott tröste! am besten. Was ist aber richtiger, als Wüstenei in der Welt? Ein unverfälschtes Lachen gibt es nicht in der Welt. Jeder leidet, was seine Thaten werth sind. Der Weise rühmt sich eines Seelenvergnügens und wirft seinem Weibe aus Verdruß einen Porcellanaufsatz an den Kopf. Ein lautes Vergnügen hält man für Rausch. Sauer und süß essen Vornehme und Geringe, und wenn man ein rechtes Vergnügen beschreiben will, heißt es eine Thränenwonne. Die göttliche Traurigkeit, die Reue, die niemand gereuet, ist ein Beweis, daß Freude und Leid sich verhalten, wie Rosen und Dornen.


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Ich fühle zwar mich und meine Kräfte in gewissen Grenzen eingeschlossen, allein ich weiß auch, daß das Ende dieses Lebens nicht auch das Ende meiner ganzen moralischen Existenz sey; vielmehr hoffe und glaube ich, daß, wenn gleich mein Körper durch die Verwesung in seine ersten Theile aufgelöst und mit der übrigen Materie vermischt wird, ich dasselbe Ich und kein Fremder fortdauern werde.


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Die Vernunft ist ewig. Sie ist der Sitz des göttlichen Ebenbildes, und dieß sein Bild sollte Gott der Herr vernichten?[147]

Glauben, im gemeinen Leben, heißt, anderer Meinungen annehmen. Thun heißt nach seiner Ueberzeugung handeln.

Verstand haben heißt, etwas verstehen.

Leichtsinnig ist der, welcher alles leicht faßt; allein eben darum geht's hier herein, dort hinaus. Der Pastor sagt: ich wäre leichtsinnig; allein dieser Aufsatz selbst mag Richter seyn zwischen mir und ihm. Ist denn die Saat, die der Pastor ausgestreut, auf einen Felsen gefallen, wo, wenn es regnet, die Saat zwar keimen, ihr Haupt emporheben, allein nicht Wurzel schlagen kann, wie solches alles der alte Herr in Musik gesetzt hat? Ist die Saat in Rücksicht meiner auf einen so harten Boden gefallen, daß sie keinen Eindruck gemacht, sondern den Vogel zum gefunden Fraß und dem Wanderer zum Spiel gereicht? Wie der Wanderer sie da mit seinem Stabe aussprengt! Gehör' ich denn nicht zu den Seligen, die Gottes Wort hören und bewahren? Ein Schwärmer bin ich nicht, der alles gierig und heiß ißt und sich total den Magen verdirbt. Er kann die Zeit nicht abwarten.

Alles ist Geschichte in der Welt, und da kommt's freilich viel darauf an, ob ich selbst gesehen, selbst gehört oder mir von andern erzählen lassen, was diese andere gesehen und was sie gehört. Der hat ein Auge fürs Vergangene, der fürs Gegenwärtige. Man sagt, einige hätten es für die Zukunft. Ich meines Orts habe keinen von der letzten Art gekannt. Sie, Pastor, sehen das Gegenwärtige, als stünd' alles vor Ihnen.


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Wie lange kann es mit uns währen? So alt oder älter. Wir sind nicht von dannen, sondern warten auf unseres Leibes Erlösung.

Solang' ich hoffe, leb' ich, so lang' ich seufze, hoff' ich. Ich bin der festen Zuversicht, daß mein Tod mich nicht aus der Fassung bringen werde. Jetzt, in diesem Stande der Sünden zu leben,[148] wenn gleich Curland noch hie und da vermöge der herrschenden Freiheit mehr Aussicht zum Gnadenreiche hat, als ein ander Land, was ist's mehr als Wüstenei? Man stirbt jetzt des Erdenleidens wegen gern, wenn gleich Krankheit und Schmerzen uns den Tod verbittern. Im Stande der Gnaden wird man gern sterben, weil bei einer einfachen Lebensart die Krankheiten sich von selbst heben werden. Leicht ist der Tod immer. Alles ist leicht, nur das Leben nicht. Ein wahres Wort im Stande der Sünde. – Nur im Grabe hat der Mensch alles unter seine Füße gethan. Die sechs Seiten des Cubus sind nicht der ganze Inhalt unseres Seyns.


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Ob auf einem Berge mehr Kornähren oder Bäume stehen können, als auf dem ebenen Grunde? war eine Frage, die jetzt so klar beantwortet ist, als: wie viel macht zweimal zwei.


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Ich bin vielleicht sehr oft ein Ich gewesen. Man hat drei Reiche, das Mineral-, Pflanzen- und Thierreich, die könnte man, dünkt mich, Reich der Allmacht, Reich der Gnaden, Reich der Herrlichkeit nennen, besonders wenn man den Menschen als das letzte Thier in Erwägung zieht. Durch diese drei Reiche bin ich vielleicht schon durchgewandert. So wie ich leblos als Erde war, so hatte ich Saft als Pflanze, bis ich als Thier Blut bekam. Jetzt bin ich Mensch, bin Thier und Engel! – Die Seele ist Mittler zwischen Geist und Körper. Mein Geist denkt vernünftig, zusammenhängend allgemeine Wahrheiten; indessen ist mein Geist ein ausgelernter Geist. Kinder zeigen so wenig von allen diesen Menscheneigenschaften, daß einem jeden klugen Mann bange wird, wenn er sein Kind sieht. Kluger Mann, sag' ich, das heißt ein solcher, der die wenigste Affenliebe hat. Wer hat sie aber nicht? Gemeinhin der verzweifelt der Kluge auch im Verhältniß von sich auf den Kleinen:[149] ob je aus dem Kindlein was werden würde, und eben darum gerathen so selten die Kinder der Gelehrten. In der ersten Jugend wissen sie so viel, daß man gewiß glaubt, sie würden eher Magister werden als Leibnitz; allein sie bleiben bald stockstill stehen. – – Der Herr Vater gibt sie auf.

Vielleicht werd' ich noch ein paarmal verwandelt, ehe ich das Bewußtseyn meines ganzen Gewesens erhalte und die Kette übersehe, welche ich hinaufging. Mein Körper steht auf. Nichts wird ganz vernichtet. Alles, das geringste Stäubchen nicht ausgeschlossen, ist zu etwas gut! – Die Vernunft ist ewig! ewig! Sie ist der Sitz des göttlichen Ebenbildes; und hieß Bild sollte Gott der Herr vernichten?

Hiermit will ich diesen Aufsatz schließen, den man wohl schwerlich von einem Curischen von Adel erwarten sollte.

Daß Herr v. G. in seinem Aufsatze mancherlei von einem rechtgläubigen Vater angebracht, ist nicht zu läugnen; allein mein Vater nahm sich dieser wirklich ungerathenen Kinder nicht an, stellte alles Gott anheim, der recht richtet, und blieb bei seinem aut, aut. – Obgleich er, wie wir wissen, zugeben mußte, daß, wenn jemand mit der Bibel allein eingeschlossen würde, er gewiß nie unser Kirchensystem herausbringen würde; so war er doch, wie wir auch wissen, für die Zunftregeln, und wollte durchaus nicht weiter gehen, als sein Schild es besagte.

Dieser Aufsatz konnte also bei solchen Gesinnungen so wenig befriedigend für meinen Vater seyn, daß er ihn gewiß nicht ohne Beklemmungen seines Herzens gelesen haben wird.

Herr v. G. hatte ihm einstmals in einer großen Gesellschaft die Frage vorgelegt, was er wohl lieber aufgeben würde, die Bibel oder die natürliche Religion? So etwas zu fragen!

Herr v. G. konnte nicht aufhören, sich über die Unzulänglichkeit der evangelischen Nachrichten zu beklagen. Mein Vater erwiederte:[150] Freilich sind es fünf Gerstenbrode und ein wenig Fischlein, so die Evangelisten zurückgelassen; allein den Segen drüber gesprochen, so ist es hinreichend, daß viertausend Mann davon gespeist werden können, wenn sie auch noch so heißhungrig sind; und wie viel Körbe bleiben nicht noch für den Denker übrig!

Herr v. G. war, wie mein Leser sich's leicht vorstellen können, bei einer solchen Denkart ein Sokra tiker. Ich bin ein Christ, sagte mein Vater, mache mir eine Ehre draus, und alle Rechtschaffenen erkennen mich dafür.

Hier konnte man wohl mit Recht

als ob? und

ja wohl!

fragen und antworten.

Wenn ich noch mit einem Bausch- und Bogengespräch über den Sokrates dienen kann, welches über die zehnjährige Entfernung ebenfalls Licht zu verbreiten im Stande seyn dürfte, will ich's gerne.

Gehalten am Bausch- und Bogentage kurz vor der Tafel an dem schönen Tage, da wir, mein Vater und ich, nach – zum Herrn v. G. kamen, und zwischen beiden streitführenden Mächten ein Vergleich gesäet und begossen ward, wozu auch Gott das Gedeihen gab.

Wo wissen Sie denn, daß ein Sokrates in der Welt gewesen? fragte mein Vater; und zwar ein Sokrates eben so und nicht anders?

Aus seinen Früchten, antwortete Herr v. G., sollt ihr ihn erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen und Feigen von den Disteln? – Plato –

Suchte Ideale.

Und fand den wirklichen Sokrates! – Den Apostel der Heiden.[151]

Das war Paulus.

Nach Christi Geburt. Das Orakel versichert, Sokrates sey der weiseste unter allen Menschenkindern gewesen.

Σωκράτης ἀνδρῶν σοφώτατος, weil er nichts wußte.

Ist das verständlich?

Ich verstehe kein Griechisch.

Und ich dieses Orakel nicht. Zwar weiß ich den Unterschied zwischen Weisheit und Wissenheit – – –

Wer aus diesem Zeugniß folgert, ergo ist der der Allerdümmste, welcher viel oder alles weiß, Pastor! der verdient zur Strafe ewig mit einem umgewandten Kleide zu gehen.

Ich lasse kein Kleid kehren.

Ich auch nicht.

Sokrates –

Was sagte der Physiognomist von ihm?

Was Sokrates selbst sagte. Hüte dich vor dem, den Gott, gezeichnet hat, ist eine apokryphische Regel. Ist denn, Pastor! ein Sünder, der Buße thut, ist er nicht besser, als neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen?

Wahr! ein Prophet muß aber nicht häßlich, nicht schön seyn; so wie Wasser und Brod muß er in seinem Aeußern nach nichts schmecken. – Ὁ τοίνυν τοιούτῳ συνὼν σώματι, τίνα, ἡγούμεϑα, εἰχε ψυχήν. Hüte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat, ist freilich eine apokryphische Regel; aber können wir denn die Sinnlichkeit ablegen, und trauen wir wohl einer Seele, die so schlecht wähnt, Geschmack zu –? Niemand hat uns Christi Gestalt rein und lauter beschrieben, Weber Lukas, noch die heilige Veronika, und ich ärgere mich, wenn die Maler und Zeichenmeister sich um die Wette bemühen, einen Christus-Kopf darzustellen. Den werdet ihr nicht treffen, liebe Leutlein! Ein Marien-Gesicht, das lass' ich gelten, da wollte ich schwören, daß mein Weib einen Zug von ihr[152] hat. Mein Sohn lag in seinem vierzehnten Jahre ohne Hoffnung darnieder, und mein Weib, wie Maria des Herrn Mutter: ich bin des Herrn Magd, mir geschehe wie du gesagt hast. – Ich ehre den Sokrates.

Nicht so, wie ich!

Kann seyn, weil ich ein Christ bin.

Und wenn es Sokrates auch gewesen? Christus war er nicht; warum wollen Sie ihm aber den christlichen Glauben absprechen? Weil sie ihm die Hand nicht auf seinen Mondkalbskopf gelegt –

Sie spötteln.

Und Sie predigen!

Das that Sokrates auch.

Und schrieb nicht, so wie wir alle beide. Da sind wir wieder zusammen wie Mann und Weib!

Nur noch lange nicht eine Seele! Freilich besaß Sokrates etwas, das die Weisen seiner Zeit nicht hatten, was man einen Dämon, einen sokratischen Schutzengel nannte, und was nichts weiter als ein philosophisches Genie war. Genie und Dämon ist nicht viel auseinander.

Pastor! den Rabatt lass' ich mir nicht gefallen; kann denn nicht wirklich eine unsichtbare Gestalt –? Wußte denn nicht Sokrates Zukünftigkeiten?

Wie Sie und ich.


* * *


Zu Christo kam Nikodemus des Nachts; zu Sokrates der Euklides.

Aber Nikodemus, ein ehrbarer Rathsherr, maskirte sich nicht in Weibertracht.

Wie Sokrates starb!

Ist die Frage.[153]

Groß, Pastor!

Kann seyn.

Stehen Sie etwa des Hahns wegen an? Kommt denn nicht auch ein Hahn in der Passionsgeschichte vor?

Da Petrus Christum verläugnete.

Eben krähete auch jetzt ein Hahn, und Herr v. G. war still, kam aus dem Zusammenhang und machte ein Gesicht, als wollte er sagen: du hättest auch nicht krähen dürfen.

Mein Vater that, obgleich es schien, daß er wider den Sokrates war, ihm die bündigste Ehrenerklärung, sobald Herr v. G. nur nicht auf Kosten des Christenthums dem Sokrates lobredete. Es war unmöglich, daß Sokrates und mein Vater nicht gute Freunde seyn sollten.

Cicero, sagte er, nannte ihn den Adam der Philosophie, den Vater der Weisen, und das mit Recht, weil er die Sophisten seiner Zeit, die mit einem Wortkram von Scholastik geziert waren, so trefflich durch gemeines Leben, durch edle Einfalt in die Enge trieb. Geht's denn unsern Philosophen anders? Sind denn nicht die meisten, den Professor Großvater nicht ausgenommen, in Wortsünden empfangen und geboren? Haben sie nicht alle sophistische Erbsünde? Sokrates war ein Volksphilosoph, und so ist die Einfalt zu nehmen, die er frei von sich bekannte. Er fing nicht Fliegen in einem Spinnengewebe von Feinheit. Aus Hausmannskost bestand seine Mahlzeit. Was nützen denn Definitionen, wenn man das Wort versteht, und was hat man denn, wenn man ein ganzes Geschlechtsregister eines Worts gelernt hat? Thun die Philosophen viel mehr, als jener Landgeistliche, der seinen Bauern bei Gelegenheit des Evangelii vom reichen Fischzuge erklärte, was ein Netz sey. Das Dorf hatte große Fischerei.

Die Standrede, die Diogenes auf den Sokrates hielt, verhält sich freilich zu der des Hauptmanns unterm Kreuze wie beide Erblaßte[154] gegen einander. Er ist ein frommer Mensch und Sohn Gottes gewesen! – Meine Frau sagt: da zog die Erde den Tremulanten, sie bebte! – Da wurde das Haus des Entschlafenen der Himmel, mit Trauertuch ausgeschlagen. Es ward eine Sonnenfinsterniß, und hat meine Maria nicht Recht?

Diogenes sagt:


Πρῶτος μετὰ τοῦ μαϑητοὔ Ἀισχίνου ῥητορεύειν ἐδίδαξε, καὶ πρῶτος περὶ βίου διελέχϑη, καὶ πρῶτος φιλοσόφων καταδικασϑεὶς ἐτελύτα.


(Diogen. Laërt. I. 2. sect. 20.)


Herr v. G. verstand freilich kein Griechisch; wie konnte er aber auch verlangen, daß Diogenes seinetwegen deutsch oder lettisch lernen sollte? Beiläufig, sagte mein Vater, die drei Theile, in welche die Leichenrede des Diogenes zerlegt ist.

Sokrates war ein Herzensredner, ein Moralist und der erste philosophische Märtyrer.

Der erste? fragte Herr v. G. Der erste, antwortete mein Vater; denn wenn gleich in der Recension über diese Standrede bemerkt worden, daß Zeno noch vor dem Sokrates ums Leben gekommen, so starb doch Zeno nicht der Philosophie halber!

Die Schacher litten, was ihre Thaten werth waren. Zeno, als General, in Sachen seines Vaterlandes wider den Tyrannen Nearchus. Sokrates starb und καταδικασϑεὶς, durch ein Criminalurtel unschuldig verdammt.

Theurer Sokrates, du wolltest die Menschen zur Erkenntniß Gottes und seines Willens bringen; du wolltest die Menschen gehen lehren, die gen Himmel sahen und darüber das Bein brachen. War das dein Lohn?

Socrates primus philosophiam devocavit e coelo, et in urbibus collocavit et in domos etiam introduxit et coëgit de vita et moribus rebusque bonis et malis quaerere.[155]

Herr v. G. nahm meinen Vater bei der Hand, als wollte er sagen: ich verstehe auch nicht Lateinisch. Sokrates, fing mein Vater an, lehrte nicht, wie die Welt entstanden, wie sie vergehen würde; er wußte nichts von der Elektricität und ihren Wirkungen; er hätte Gott dem Herrn, wenn er ihn am ersten Weltmorgen zu sich geladen, keinen Rath gegeben, wiewohl etliche – er wußte nichts von Zeit und Raum, von bester und nicht bester Welt! – Leben lehrte er um froh zu sterben! – Er brachte die Philosophie in Stadt und Haus.

Lieber Pastor! sagte Herr v. G. Sokrates lehrte den Stand der Gnaden, er brachte die Philosophie in Stadt und Haus, das heißt: er wollte alle Gesetze heben und die Menschen so gesittet machen, daß sie über alle Gesetze wären. Er wollte nicht Recht sprechen, sondern ohne Recht sich behelfen lehren. Nicht also?

Mein Vater ließ sich nicht aus dem Concept heraus fragen. Wie trefflich sagt er der Pompadour seiner Zeit, der Theodora, da sie ihm vorrückte, daß sie ihm so manchen seiner Schüler weggeworben, er aber schwerlich einen, der bei ihr Handgeld genommen, abwendig machen würde: Dein Weg ist breit, der meinige schmal. Dein Weg geht bergab, der meinige bergauf. Die Welt aber vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes thut, bleibt in Ewigkeit.

Eine Frau hätte er nicht nehmen sollen, sagte mein Vater.

Eine Xantippe nicht, erwiederte Herr v. G.

Keine! mein Vater.

Sind sie wohl alle Xantippen? Die meinige hat, ihres schönen darf ich bitten unerachtet, etwas von ihr.

Die meinige keinen Zug.

Ein so häßlicher Mann, wie Sokrates, fuhr mein Vater fort, ohne daran zu denken, daß Herr v. G. kein Griechisch verstand, bei dem man fragen konnte: εἴ Σωκράτους ἐστί τις σιμώτερος,[156] band es mit zwei Frauen an; war das rathsam? Ein Mann, der zu den Füßen der Diotima die Kunst zu lieben und zu den Füßen der Aspasia die Kunst der artigen Beredsamkeit gelernt, mußte sehr leicht solche Ehefehler begehen! Wer hieß ihn denn hier Unterricht nehmen? Kein Weiser muß von einem Weibe lernen. Wer eine Mamsell gehabt, behält etwas Mamsellähnliches, wenn gleich er Feldmarschall wird. Das ganze schöne Geschlecht lehren, das kann der Weise! Sokrates hätte freilich das, was ihm am Körper abging, durch Seele in Rücksicht seiner Weiber ersetzen können und sollen. That ers denn nicht? Wer weiß es. Ist es denn so unrecht, daß er gesagt hat:


τοὺς μεν ἄνδρας τοῖς πόλεως νόμοις δεῖ πείϑεσϑαι

τὰς δε γυναῖκας τῶν συνοικούντων ἀνδρῶν ἤϑεσι;


Ist denn nicht der Mann der Gesetzgeber seines Weibes? Was kann ein Weib ohne Mann? Wäre ich Sokrates gewesen, würde ich freilich meine Philosophie im eigenen Hause zu üben angefangen haben: wer singt indessen nicht den andern Diskant, wenn die Frau Zeit und Stunde trifft und das rechte Lied? Ließ denn Sokrates sein Haus ohne Unterricht? Brachte er nicht Freunde ins Haus, ohne ein Dresdener Service und ohne zu den ersten Leckerbissen seiner Frau Geld gelassen zu haben?

Ich weiß, sagte Herr v. G., da kam er einst mit dem Euthydemus vom Fechtboden; die Frau Professorin, anstatt den Tisch zu decken, kehrte ihn um und um. Euthydemus, ungewohnt, gegen Weiber seine Stärke zu zeigen, wünschte vor Tische, eine gesegnete Mahlzeit. Nicht also, sagte der Herr Professor. That denn nicht jüngst eine Henne das nämliche, da ich das Vergnügen hatte, bei Ihnen zu essen? Mein Vater ließ den Herrn v. G., dem er ein- für allemal nicht gestattete sich des Sokrates anzunehmen, obgleich weder die Henne, noch der um und um geworfene Tisch der christlichen Religion Schaden oder Leides thun konnte, so unangehalten[157] nicht mit dieser Geschichte. Er zeigte sehr gelehrt, wie zwar Ὄρνις eine Henne bedeute, allein im gegenwärtigen Verstande schwerlich, und heißt denn ἀναστρέφειν τράπεζαν um und um kehren? Hier würde es um so weniger passen, da ich noch nie gesehen, daß eine Henne den Tisch umgekehrt. Die Geschichte, fuhr mein Vater fort, ist aus dem Plutarch – allein der gute Herr v. G. nahm ihn bei der Hand, kehrte den Tisch nicht um und um, sondern wußte meinen Vater so vortrefflich einzulenken, daß er fortfuhr, und die Wahrheit zu sagen, Herr v. G. hätte ihn nicht unterbrechen sollen. Hatte er denn nicht schon gewonnen Spiel? Die Grille, sagte mein Vater, da er wieder an Stelle und Ort war, schwirrt ein Abend-, die Lerche ein Morgenlied. Leidet man nicht Kamine und Kachelofen im Sommer? Leibnitz starb bei Barklais Argenis; ein anderer stirbt bei der letzten Oelung. Solange man der Seele nicht gesunde Triebfedern und den Adern frisches Blut einflößen kann, was ist zu machen? Lot blieb auch in Sodom gerecht. Herr v. G. wollte sagen, Abraham war aber auch sein Oheim; allein mein Vater ließ ihn nicht zum Worte, und wenn es wahr ist, daß Xantippe bei seinem Tode die bittersten Thränen vergossen, so ist sie mir lieber, als die Wittwe von Ephesus.

Ihr Philosophen heutiger Zeit, lernt hier vom Sohne einer Hebamme und eines Bildhauers Weisheit lehren, da euch doch das neue Testament nicht kunstgerecht ist. Sokrates that zwei Feldzüge, ward noch im hohen Alter atheniensischer Rathmann, ein Feind der Tyrannei und ein Freund seines Vaterlands. Er lehrte auf den Straßen und an den Zäunen, und catechesirte alle, die nur hören und antworten wollten, wogegen ihr nur Disputationen haltet.

Da fiel es ihm ein, daß er mit den Akademien Friede gemacht, und daß Junker Gotthard und ich reisefertig wären.

Sokrates hatte an den Sophisten die größten Feinde. Die[158] Schriftgelehrten hetzten den Aristophanes wider ihn auf, der ihn in einem Lustspiel lächerlich machte. Sokrates sah sich auf dem Theater; allein dieser große Selbstkenner kannte sich nicht, obgleich die Gallerie einmal übers andere: bravo! getroffen! rief, und dem Schauspieler klatschte. Wer im siebenzigsten Jahre durch Urtel und Recht stirbt, kann mit Wahrheit sagen, daß eben dieß Urtel die Natur schon über die gestrengen Herren Richter selbst ausgesprochen hätte. Unser Leben währet siebenzig Jahre.


* * *


Ich würde, geliebter Leser! diese Unterredung gerne unberührt gelassen haben; allein eben jetzt, da ich dieses schreibe, verfolgen mich ein paar Sophisten, Anytus und Melitus, die Gevattern von meinem Aristophanes sind. Ein seines Triumvirat! – Gott wird ans Licht bringen, was im Verborgenen geschehen, und den Rath der Herzen offenbaren, und dann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren! Amen! Komm, o schöne Freudenkrone! Amen!

Die Umstände des Todes unseres theuern v. G. will ich nicht wiederholen. Er wollte meinen Vater, seinen Freund, an einem Sonntage beschleichen und ihn predigen hören. Er kam öfters nach der Aussöhnung zu ihm: noch nie war er einen Sonntag da gewesen. Man sagt, Herr v. G. habe in der letzten Zeit die Bibel sehr fleißig gelesen und zu sagen die Gewohnheit gehabt: Wenn man etwas herausbringen will, muß man die Bibel selbst lesen. Minens Schicksal ging dir zu Herzen, theurer Naturmann! und dein Tod erschüttert meine Seele. Da mein Vater dem Herrn v. G. Minens Begräbniß, und bei dieser Gelegenheit auch vom hochgräflichen Todtengräber erzählte, konnte er nicht aufhören den Kopf zu schütteln. Zum Todtengräber hatte Herr v. G. keine Anlage. Bei Gelegenheit des Herrn v. G. sagte mein Vater in der[159] Hitze: Da haben wir Curland! – Nicht also, Pastor, sondern die Welt!

Herr v. G. stieg im Pastorat ab, und wäre bei einem Haar meiner gastfreien Mutter wegen her Mittagsmahlzeit zuvorgekommen. Sie bat eine Minute zuvor, als er sagen wollte: Diesen Mittag bin ich Ihr Gast, wenn Sie so wollen! – Er ging zur Kirche. Meine Mutter ordnete das Mahl an, und um Maria und Martha in Einer Person zu seyn, ging sie etwas spät in die Kirche, und um der Gemeinde kein Aergerniß zu geben, wie der Zöllner, unter den Glockenthurm!

Sie kam im letzten Wir, das sie nicht umhin konnte laut mitzusingen, so daß, wenn sie sich nicht besonnen hätte, wie sie unterm Glockenthurm wäre, sie eben so gut, als durch die Thür verrathen werden können, da sie meines Vaters Vaterland erschleichen wollte.

Von diesem lebte Herr v. G. nur noch wenige Reihen; denn bei den Worten: nach diesem Elend! schrie er auf, sank zur Erde und ward todt aus dem Kirchenstuhl getragen. Er fiel vorwärts. Mein Vater sah den Herrn v. G. in die Kirche kommen und wie er aus der Kirche getragen ward. Sein Text war: »Römer im achten Kapitel, der fünfunddreißigste Vers.« »Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst? oder Verfolgung oder Hunger? oder Blöße, oder Fährlichkeit, oder Schwert? wie geschrieben stehet: Um deinetwillen werden wir getödte den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe. Aber in dem allen überwinden wir weit, um deß willen, der uns geliebet hat.«

Bei diesem Text dachte mein Vater so manches Wort dem Herrn v. G. ans Herz zu legen, und da er seit st geraumer Zeit nicht ist seiner Gegenwart gepredigt, es dahin zu bringen, daß Herr v. G. in seinem Glaubensbekenntnisse noch so manche Reihe streichen[160] möchte. Wer kann auf der Kanzel mit euch aufkommen? pflegte Herr v. G. zu sagen. Ihr fragt und behauptet, und kein Mensch ist euch zu antworten und einzuwenden im Stande. Nichts ist unausstehlicher, als die Methode der Redner, zu fragen: Ist's nicht also? Was könnet ihr dagegen sagen, meine Freunde? Er nannte diese stumme Fragen, so wie es stumme Sünden gibt.

Der gute v. G., er ist allen Fragen entgangen. Er hat überwunden. Mein Vater schlug sich dießmal im eigentlichen Sinne mit seinen eigenen Worten. Wie doch immer der liebe Gott das Beste thut, so mußte er es vorzüglich bei dieser Predigt thun, da mein Vater ganz zerstreut war und nicht wußte, wie es mit seinem Freunde hinauswollte! –

Meine Mutter bemerkt, daß Herr v. G. kein Wort von allen drei Wir's mitgesungen, bis die Worte gekommen: nach diesem Elend, da wollte er, wie sie ihren sichern Nachrichten Zufolge schreibt; allein er konnte nicht. Es kann ihm auch wohl, schreibt sie, den ganzen Glauben über übel gewesen seyn. Wahrlich! liebe Mutter! am Ende des Glaubens war ihm wohl, sehr wohl! Ende gut, alles gut!

Auch berichtet sie, daß Herr v. G. ohne Klang und Sang, indessen wider seine öftere Aeußerung, nicht in die Erde gescharrt, sondern nach der Anordnung seiner Frau Gemahlin in dem Familiengewölbe beigesetzt sey. Gott schenke ihm, so schließt sie, eine fröhliche Auferstehung! Amen!

Ich weiß nichts hinzuzufügen, als daß die Frau v. W. sehr gerne, ihrem Gemahl zu Gefallen, des Herrn v. G. halber Trauer anlegte. Herr v. W. that so, als ob Junker Gotthard schon wirklich sein Schwiegersohn wäre. Beim Herrn v. W. blieb es bei der Trauer; allein seine Gemahlin war so betrübt, daß die Schmähsucht zum Glimpf und Namenbruch, wie meine Mutter sich ausdrückte,[161] Gelegenheit genommen hätte, wenn nicht vom seligen v. G. und von der v. W. die Rede gewesen. Herr v. G. hatte von jeher viel Freundschaft für die Frau v. W. bewiesen. In seinem Glaubensbekenntnisse stritt er ihr die Erbsünde im theologischen Sinne glatt ab. Gott schuf ihr Herz, pflegte er zu sagen, im stillen, sanften Mondenstrahle! Sein Finger ist kenntlich. Sie ist das Liebchen der Natur. Sie nascht ihr, wie ein frommes Lämmchen, aus der Hand! – Wie wahr! Und wer war ein treuerer Naturkenner, als Herr v. G.?

Meine Mutter versicherte, daß nie eine Trauer besser gestanden, als der Frau v. W. über ihren Freund! – obgleich, fügte sie hinzu, sie beide vor Gott noch keine Verwandten sind. Der Mensch denkt, Gott lenkt.

Noch einen Ausdruck aus meiner Mutter Nachricht, den Tod des Herrn v. G. betreffend. Sie bemerkte, Herr v. G. wäre zwar ein braver, allein kein kreuzbraver Mann; jenes sey ein Sokratiker, dieß ein Christ. – Warum ist er doch nicht in die Erde gescharrt, dieser brave Mann, dieser Naturmann!

Genug vom Herrn v. G., der bloß aus Nächstenliebe in diese Geschichte gekommen, der keines andern als des Gastrechts sich zu erfreuen gehabt. Gott schenke ihm eine fröhliche Auferstehung – und uns zu seiner Zeit eine selige Nachfolge!

Der Tod meiner Mutter bewog mich, mich wegen des Nachlasses meiner Eltern an einen Rechtsfreund zu wenden. Ich konnte und wollte nicht nach Curland. Meine Leser kennen meinen Bevollmächtigten, es ist der Protokollist, dem der gelehrte α – aufgab, nichts auf die Erde fallen zu lassen, was im Blutrathe über Minen vorfiel.

Ich statte dem Curator funeris hier öffentlich meinen Dank ab, ohne zu wissen, ob meine Leser diesem Danke in Rücksicht der[162] ihnen mitgetheilten Nachrichten beitreten werden. Ich wünschte es wohl –

Unter den mütterlichen Papieren, welche er mir übersandte, war ein Briefbuch, welches unser Gottfried meiner Mutter zugeschrieben. Dieß war der geheime Auftrag, den man dem Gottfried, da wir auf dem Gute des Herrn v. G. in Königsberg schliefen, eben so ansah, als es ihm anzusehen war, daß er geweint hatte. Es sey dieses Briefbuch unter den Abc-Beilagen die letzte. Mit welchem Herzen ich dieß Wort letzte niedergeschrieben, weiß Gott und mein Freund – – es.[163]

Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beilagen A, B, C. 3 Teile, Teil 3, Leipzig 1859, S. 1-165,268-269.
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