Fünfter Band.

(1848 bis Frühling 1854.)

Zufriedenheit ist ein Vergnügen,

Das kann Philistern nur genügen –

Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.


Zufriedenheit ist Wunsch der stillen

Spießbürger ohne Kraft und Willen –

Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.


Zufriedenheit ist nur für Sklaven,

Die glücklich sind nur wenn sie schlafen –

Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.


Zufriedenheit ist Tod des Strebens

Und Stillstand alles freien Lebens –

Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.


Drum will ich bleiben unzufrieden,

Will kämpfen, kämpfen stets hienieden,

Ich kämpfe mit dem Tode noch!1


So sang ich mich hinein in das Neue Jahr 1848 und ahndete nicht, daß alle Welt unzufrieden mit ihren alten Zuständen sich anschickte, neue bessere zu erkämpfen. Ich lebte die winterliche Zeit[3] jedoch sehr friedlich und sehr zufrieden mit den Verhältnissen, welche mir durch die gütige Fürsorge meines lieben Freundes Rudolf Müller lieb und werth geworden waren. Ich konnte fleißig arbeiten. Der Besuch von Verwandten, Freunden und Nachbaren, der auf allen Gütern üblich ist zu jeder Jahreszeit, hörte auch bei uns nicht auf, aber er störte mich wenig, mitunter war er mir sogar angenehm.

Das Durchsuchen und Ordnen meiner Bücher machte mir viel Arbeit und ich konnte damals schon mit Recht darüber anmerken: ›Eine Geschichte meiner Bibliothek wäre zugleich eine Geschichte einer langen unnützen Quälerei.‹ Und doch mußte ich einmal wieder ans Ordnen gehen, wenn ich die vielen Bücher, Flugblätter, schriftlichen Sammlungen und Musicalien für mich nutzbar machen wollte. Sehr angenehm war mir die Beschäftigung mit den Volsliedern und meinen Aphorismen, die ich aus den Acten und Drucksachen der Zwecklosen Gesellschaft ausschrieb und zusammenstellte. Noch angenehmer jedoch, daß ich neue Lust am Dichten hatte, ich dichtete aber nur – Kinderlieder zu schönen Volksweisen. Sie erschienen nachher unter dem Titel: ›37 Lieder für das junge Deutschland. Vom Verfasser der »Unpolitischen Lieder«.‹ (Leipzig. W. Engelmann. 1848. 8°. 37 SS. mit eingedruckten Melodien).

Dr. Zarncke hatte seine Eltern besucht. Wir waren öfter beisammen und hatten Vieles besprochen. Er reiste den 12. Januar wieder nach Berlin.


[Dort trat er mit Bettina in Verbindung, welche noch immer mit dem Plane umging, den Erlös ihres Buches ›Ilius Pamphilius und Ambrosia‹ dazu zu verwenden, um die von Hoffmann für seine Bibliothek geforderte Kaufsumme von 2000 Rb. demselben sicher zu stellen. In seinem Briefe an Hoffmann vom 30. Januar 1848 spricht Zarncke die zuversichtliche Hoffnung aus, daß Ostern 1849, wenn die Buchhändlerzahlungen eingegangen sind, die 200 Rb. für Hoffmanns Bibliothek zur Verfügung stehen. In demselben Briefe theilt Zarncke mit, daß Bettina den zweiten Theil ihres Buches mit einem Aufsatz über Hoffmann beginnen wolle, und bittet daher den Dichter um nähere Angaben für diese Arbeit.]


Ich suchte nun Alles, was mir für Zarncke's Zwecke geeignet schien, zusammen und schickte es ihm schon den 3. Februar mit einem[4] langen Briefe, worin ich auf dieses und jenes noch aufmerksam machte. Daß ich damals schon damit umging, mein Leben zu schreiben, erhellt aus folgender Stelle: ›Beifolgende Sammlung theile ich Ihnen unter der Bedingung mit, daß ich nach nicht zu langer Zeit, also spätestens Anfang Aprils, Alles wieder erhalte, jedes Blättchen, jedes Zettelchen. Sie wissen, daß ich seit Jahren damit umgehe, selbst meine Erlebnisse zu schreiben. Da ich jetzt nicht weiß, was ich Alles dazu brauche, so muß ich das Gesammelte vollständig beisammen halten.‹

Da in dem Zarnckeschen Anliegen von meiner Poesie gar nicht die Rede war, so hatte ich mich darüber zunächst ausgesprochen und zwar also: ›In der ersten Zeit meines dichterischen Auftreten (1821) haschte ich nach jeder öffentlichen Aeußerung, ohne mich jedoch weiter dadurch bestimmen zu lassen. Das zeigt die Sammlung meiner Gedichte vom Jahre 1827. Da ich mich nie um die Journalistik kümmerte und früh schon eine amtliche Stellung einnahm, so war das schon Anlaß genug für die Tagesschriftsteller, mich als einen Unzünftigen schlecht zu machen und bei jeder Gelegenheit zu necken und zu zausen. Trotzdem hatte sich nach und nach die Journalistik zur Anerkennung bequemt und ließ sich im Jahre 1834, als meine Gedichte in einer neuen zweitheiligen Sammlung erschienen, zu einer Besprechung und Würdigung herab und beehrte mich sogar hie und da mit Lob.‹

›Meine ganze Poesie mußte damals und muß auch noch jetzt den Leuten wunderlich erscheinen. Sie ist reine Lyrik und dazu rein deutsche und will auch weiter nichts sein, unzertrennlich vom Gesang; sie hat sich allen Beziehungen auf das Ausland und das classische Alterthum von jeher fern gehalten, und verschmäht allen rhetorischen Prunk und allen sententiösen Wortschwall; sie knüpft historisch da an, wo die alte Volkspoesie in ihrer Blüthe war (16. Jahrhundert).2[5]

Meine Poesie in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit hat noch niemand zum Gegenstande besonderer Betrachtung gemacht und daran ist auch wol lange nicht zu denken. Vilmar wäre vielleicht am besten dazu geeignet, wenn ihn nicht seine politische und religiöse Richtung zu befangen machte. Einige Recensenten und Kritiker der neueren Zeit waren auf der rechten Fährte, lenkten aber da ab wo sie weiter gehen sollten, Rosenkranz und Hillebrand z.B. hätten leicht etwas Besseres, Treffenderes sagen können; andere ließen sich durch politische Ansichten gänzlich verblenden.‹


[Schon am 11. Februar meldet Zarncke, daß Bettina im zweiten Theil ihres Buches ausführlich über Hoffmann handeln und das Ganze dann dem König vorlegen will, um seine Theilnahme für den Dichter zu erwecken. Endlich liegt im Nachlaß noch ein dritter Brief Zarnckes vom 2. März 1848 über diese Angelegenheit vor. Hier zeigt sich bereits ein Umschwung, Zarncke klagt, daß auf Bettina gar zu wenig Verlaß sei, daß sie lieber in stündlich neuen Entwürfen herumvagiere, als etwas Bestimmtes energisch wolle. Weiter liegt über die Sache im Nachlaß nichts vor, und offenbar ist auch nichts erfolgt. Bei Bettina war vermuthlich das Feuer der Begeisterung schnell verflogen, und ihr Plan, wie so mancher andere, wurde nicht in die That umgesetzt. Vielleicht machte es auch der buchhändlerische Mißerfolg ihres Buches der Bettina unmöglich, Hoffmann in der angedeuteten Weise zu unterstützen.]


In der Mitte Februars machte ich einen Ausflug nach Wismar auf einige Tage, die ich im Kreise von Freunden und Bekannten sehr angenehm verlebte. Ich wohnte auch einer Sitzung des ›geselligwissenschaftlichen Vereines‹ bei. Dr. Haupt hielt einen Vortrag über die Reformbestrebungen auf dem meklenburgischen Landtag, worauf denn ein gemeinschaftliches Abendessen mit Trinksprüchen und Liedern folgte. Es ging nun einmal nicht anders: bei solchen Gelegenheiten mußte ich singen, einerlei ob gern oder nicht. Meine drei Lieder wurden mit Beifall aufgenommen, daß sie aber je zur Wahrheit werden würden, daran dachte niemand. So sang ich denn auch:


Der Sommer ist gekommen

Für das deutsche Vaterland.[6]

Frisch auf drum, deutscher Michel,

Jetzt nimm die Sens' und die Sichel!

Alle Welt fort ins Feld,

Frisch und froh wie ein Held!

Nimm die Sichel :|: :|: in die Hand,

Und schneide, schneid' und erndte!3


und es war ein altes Lied, schon vom Jahre 1843, paßte aber als ob es eben frisch gemacht wäre. Denn daß dies harmlose politische Leben seine Endschaft erreicht hatte, war vorauszusehen. Noch in Wismar erfuhr ich aus den Zeitungen schon von den Münchener Studenten-Unruhen und dem Umschwung der Dinge in Neapel.

Den 19. Februar war ich wieder in Holdorf. Mit wachsender Theilnahme verfolgten wir den Gang der Begebenheiten. Schon Ende Februars erfuhren wir von den Unruhen in Paris und den 1. März, daß der König der Franzosen fortgejagt und die Republik ausgerufen sei.

Die politische Aufregung war bei uns sehr groß und wurde durch die wichtigen Berichte der Zeitungen täglich gesteigert. Was bisher in Meklenburg geschah, schien uns zu wenig; wir wollten eine raschere, selbst mäßigen Wünschen genügendere Entwickelung. Leider waren damit unsere Freunde nicht einverstanden und einer meinte sogar, man müsse die Bewegung dämpfen. Am 14. März reiste ich nach Hamburg. Zunächst trieb mich dorthin der Wunsch, den politischen Nachrichten näher zu sein und auch die Volksstimmung kennen zu lernen. Ich fand Gelegenheit mit und bei meinen Freunden und Bekannten viel Neues zu erfahren, von Augenzeugen und aus Zeitungen. Am 19. März Mittags hörte ich zuerst von den Berliner Ereignissen und Abends nach 10. Uhr auf dem Bahnhofe die Bestätigung. Am 21. las ich den preußischen Amnestieerlaß und beschloß sofort meine Abreise. Den 22. besuchte ich noch Julius Campe. Er schenkte mir ein Exemplar meiner Unpolitischen Lieder und bemerkte dabei mit jener ihm eigenen unnachahmlichen wohlwollend lächelnden Miene: ›Die Unpolitischen Lieder sind jetzt Maculatur!‹[7]

Ich ging dann über Hagenow und Schwerin nach Holdorf. Ich fand einen Brief von Erk vor, der unter den frischen Eindrücken der Ereignisse vom 18. und 19. März geschrieben war. Darin heißt es denn unter anderm: ›Es ist eine schöne Zeit, in der wir leben. Kommen Sie zu uns und helfen mit Ihrem Rath und mit Ihrer Gesinnung, um das Vaterland zu stärken. Die Ruhe in Holdorf ist zwar schön, aber sie wird aufgewogen durch andere und viel wichtigere Rücksichten gegen das Vaterland. In Preußen sitzen jetzt viele Männer am Ruder, die Ihnen wohlwollen. Bedenken Sie, daß Sie noch eine Fülle von Kraft besitzen, die dem Vaterlande geopfert werden muß. Für Männer Ihrer Gesinnung ist es nicht mehr an der Zeit, sich als müßige Zuschauer zu geberden. Vereinigt müssen sie wirken, weil es noch Tag ist. Also heran, werther Freund, und gezeigt, daß Sie noch immer der Alte geblieben sind! Ein »grimmiges« Vivat steht Ihnen nicht mehr zu erwarten.‹

Bald darauf schrieb mir Diesterweg und lud mich ein, an der Nationalzeitung mitzuarbeiten. Den Tag nach meinem Geburtstage trat ich meine Reise nach Berlin an und traf am 5. April dort ein. Ich wunderte mich nicht wenig, daß Berlin, welches sonst durch sein buntes wühliges Leben und Treiben an eine Weltstadt erinnerte, so still und ruhig war, daß sich nirgend Soldaten, nirgend Polizisten und Gendarmen blicken ließen. Ich war bei Erk eingekehrt. Wir machten einen Spaziergang durch die Stadt. Ich glaubte noch Spuren von dem Straßenkampfe zu finden, es war aber wenig mehr zu sehen, hie und da Kugellöcher in den Wänden der Häuser. Der auch in den Zeitungen besprochene Brunnenpfeiler auf der Breiten Straße stand noch. Oben hatte eine Kanonenkugel eingeschlagen und unter der Oeffnung war aufgeklebt die Ansprache des Königs ›An meine lieben Berliner.‹

Ich blieb vier Tage, die mir aber in dem weitläufigen zeitraubenden Berlin wie Ein Tag vergingen. Ich besuchte Nauwerck und die Redacteure der Nationalzeitung Rutenberg und Zabel, und mit Erk Frau Bettina, die uns die lange Verfolgungsgeschichte ihres letzten Buches erzählte. Nachdem ich mit Erk die Herausgabe des Volksgesangbuchs gehörig besprochen und dann beschlossen hatte, reiste ich den 9. April ab und kam den 13. in Breslau an. Abends ging ich in den Löwenkeller. Wie war ich überrascht, als ich unter diese[8] Kellergäste gerieth! Ich dachte wirklich einen Augenblick, ich wäre in einen Revolutionsconvent gerathen. Junge und alte Leute von verschiedenen Lebensberufen, Bürgerwehrmänner mit Schlepp- und anderen Säbeln sprachen lärmend und laut ihre politischen Ansichten aus, keiner ließ den anderen recht zu Worte kommen. War das ein Lärm, ein Getöse! Ich kannte meine ›guttmittigen‹ Breslauer nicht wieder.

Am 15. April kam ich beim Staatsministerium ein um Wiedereinsetzung in meine Professur, in Folge des königlichen Amnestieerlasses vom 20. März, worin es ausdrücklich heißt: ›– und weil Ich die neu anbrechende große Zukunft Unseres Vaterlandes nicht durch schmerzliche Rückblicke getrübt wissen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen, die wegen politischer oder durch die Presse verübter Vergehen und Verbrechen angeklagt oder verurtheilt worden sind.‹ – Den Tag über hielt ich mich sehr zurückgezogen, den Abend besuchte ich mit Resch den Annakeller. Viele in der Gesellschaft, die sich plötzlich zu tapferen Fortschrittsmännern hinauf geschwindelt hatten, blickten auf mich in ihrem stolzen Selbstbewußtsein mitleidig herab.

In diesen Tagen sah man in Breslau an mehreren Straßenecken einen großen gelben Bogen angeklebt: ›Der Minister in der Hölle‹,4 illustriert. Ich war nicht wenig überrascht: das Gedicht war von mir, ich hatte aber an dieser Art von Veröffentlichung und noch dazu in jetziger Zeit nicht den mindesten Antheil. In Berlin hingegen glaubte man, das Gedicht sei jetzt erst von mir verfaßt und das Bild dazu von mir veranlaßt. Man konnte sich nicht denken, daß in einer Zeit, wo Wort und Bild erst wieder frei geworden waren, selbst die harmlosesten Menschen einen Kitzel verspürten, auch einmal etwas auszuführen was früher sehr strafbar gewesen wäre. Das Gedicht ist allerdings von mir in Breslau verfaßt, aber schon im Jahre 1842, und steht zuerst gedruckt in den ›Deutschen Liedern aus der Schweiz‹ 1842. S. 146, fällt also unter die Amnestie vom 20. März 1848. Aus sicherer Quelle habe ich später erfahren, daß gerade dieser Eckenanschlag ein Hauptgrund gewesen ist, mich nicht wieder anzustellen. Einem Minister in Amt und Würden sollte[9] es doch gleichgültig sein, ob sein früherer College in der Hölle oder sonstwo ist.

Abends besuchte ich den ›demokratischen Club.‹ Wie sehr Mancher von der Macht und dem Einflusse der Demokraten überzeugt war, das konnte ich aus manchen Aeußerungen abnehmen. So bemerkte mir einer, als ich sagte, ich hätte mich an das Staatsministerium wegen Wiederanstellung gewendet: ›Was? an das Ministerium? wozu? Besteigen Sie morgen das Katheder, lesen Sie, das ist eine vollendete Thatsache, und – Sie sind wieder Professor in Amt und Würden!‹

Denselben Abend wurden noch mehrere Katzenmusiken gebracht. Den folgenden Abend begnügte sich das Volk nicht mehr mit diesen zeitgemäßen Kunstleistungen, es tobte lärmend auf den Straßen umher und fing in seinem Uebermuth an, mehrere Bäckerläden zu stürmen und zu plündern. Erst um 12 Uhr ward es ruhig und um 1 wurden erst Soldaten sichtbar. Das was ich bis jetzt gehört und gesehen, war durchaus nicht geeignet, Vertrauen zu erwecken auf die Fähigkeit derjenigen, welche sich an die Spitze der Volksbewegung gedrängt hatten. Verstimmt über die schon jetzt von mancherlei Seiten gefährdete politische Entwickelung verließ ich Breslau.

Am 18. April war ich in Görlitz. Man beabsichtigte mir einen Fackelzug zu bringen. Das unterblieb, weil man erfahren hatte, daß ich dergleichen Kundgebungen, wie gut sie auch gemeint, doch in jetziger Zeit für unpassend hielt. Trotzdem fanden sich einige Sänger vor unserem Hause ein – ich wohnte bei Leopold Haupt – und brachten mir ein Ständchen.

Den andern Tag begab ich mich nach Berlin, kehrte bei Erk wieder ein, besprach mit ihm das Volksgesangbuch und setzte dann am 20. April meine Reise fort. Ich blieb nur wenige Tage in Holdorf, den 6. Mai war ich wieder bei Erk. Wir arbeiteten nun sehr fleißig an dem Volksgesangbuch, ich hatte keine Zeit mich um andere Dinge viel zu bekümmern. Hofrath Feiler, den ich zuweilen sah, gab mir Nachricht über den Stand meiner Anstellungs-Angelegenheit. Den 11. Mai erzählte er mir, der neue Cultusminister Graf Schwerin habe drei Räthen meine Sache übergeben und gesagt: ›Es versteht sich von selbst, daß er wieder angestellt wird.‹[10] Mit Herrn Jellinghaus von Magdeburg war ich öfter zusammen. Mit ihm ging ich in die Versammlung im Opernhause, wo unter dem Vorsitze von Prutz die Wahlcandidaten für Frankfurt aufgestellt werden sollten. Man bestürmte mich, doch auch aufzutreten, ich würde gewiß gewählt etc. Nachdem ich einige Augenblicke zugehört hatte, war meine Neugier befriedigt und wir gingen weiter.

Unser gemeinschaftlich begonnenes Buch war fertig. Am Tage der Eröffnung des deutschen Parlaments, 18. Mai, schrieb ich mein Vorwort. Erk wollte nicht auf dem Titel stehen. Ich konnte aber doch seinen Antheil nicht verschweigen und suchte seinen Verdiensten in der Vorrede gerecht zu werden. Das Buch erschien in kleinem Formate unter dem Titel: ›Deutsches Volksgesangbuch von Hoffmann von Fallersleben. Mit 175 eingedruckten Singweisen, und Nachrichten über die Dichter und Tonsetzer.‹ (Leipzig. Verlag von Wilh. Engelmann. 1848. SS.).

Den 20. Mai verließ ich Berlin. Vier Wochen war ich dann wieder in Meklenburg, meist in Holdorf. Schnelle erzählte mir viel vom Vorparlamente und von dem Funfzigerausschuß, dessen Mitglied er gewesen war. Ich kam öfter wieder nach Buchholz, und machte einen mehrtägigen Ausflug nach Hohenfelde. Sonst lebte ich in ländlicher Stille und arbeitete fleißig. Schon lange hatte ich daran gedacht, das deutsche Volksleben in Liedern darzustellen. Jetzt ging ich an die Ausführung. Ich suchte aus meinen gedruckten und handschriftlichen Liedern Alles hervor was in diesen Rahmen paßte. Ich ordnete dann die ganze Ausbeute nach den Jahreszeiten und suchte durch neue Lieder die Lücken auszufüllen. Es war für mich eine wohlthuende Beschäftigung, daß in diesen Tagen der Aufregung und Ermattung, während sich Andere mit der politischen Seite unseres Volkes abmühten, ich mich an seiner poetischen freuen und erquicken konnte.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin traf ich am 2. Juli in Fallersleben ein, hocherfreut daß ich endlich unangefochten meine Heimat und mein Geburtshaus wieder betreten durfte. Als ich eben angekommen war, führte man mich in eine Volksversammlung. Ich war nicht wenig erstaunt über die völlig verwandelten ehrsamen Spießbürger. Wenn sie sonst zusammen kamen und sich über das Wetter und ihre Tagesbeschäftigungen ausgesprochen hatten, setzten sie sich[11] an den Spieltisch und ihre ganze Unterhaltung drehte sich um's Spiel, und wenn das letzte Spiel gemacht, die Pfeife ausgeraucht und das Glas ausgetrunken war, ging jeder sehr befriedigt nach Haus. Jetzt hatte sich eine lebendige Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten aller Gemüther bemächtigt, man kam zusammen, las Zeitungen und besprach sich über die Tagesfragen und Neuigkeiten, es war eine Bürgerwehr und ein politischer Club entstanden, und der bisherige Gesangverein zu frischem Leben erwacht.

Am 15. Juli ging ich über Braunschweig nach Hannover. Um 10. Uhr brachten mir die Turner mit Fahne und Fackeln ein Ständchen, begleitet von einer großen Volksmenge. Ich freute mich sehr: es war eine öffentliche Antwort des Volkes auf die geheimen Umtriebe der hannoverschen Regierung gegen mich, aber freilich kein Schutzmittel gegen spätere Unbill. Ich dankte mit einem zeitgemäßen Spruche. Ich sprach sehr laut und deutlich, jedes Wort hallte wieder auf dem weiten Platze. Die Ruhe und Stille der vielen Hörer war so groß, daß ich selbst feierlich gestimmt und innig bewegt wurde. – Ich war dann auf einige Tage bei meinen Verwandten in Bothfeld, hierauf in Braunschweig, endlich abermals in Fallersleben. Den nächsten Sonntag (30. Juli) ging ich in die Kirche. Der Pastor nahm in seiner Predigt Bezug auf die Zeitverhältnisse und schloß mit einem alle Herzen sehr ergreifenden Gebete. Als ich heim kam, hatte sich eben die Bürgerwehr vor unserm Hause aufgestellt und begrüßte mich mit einem Hoch. Es war ihr Dank für das Wehrmannslied, das ich für sie gedichtet und gedruckt ihr verehrt hatte.5 Trotz dem vielen Erfreulichen, was ich erlebte, wurde die Erinnerung an meine Ausweisung immer wieder wach, die fünf Jahre der Verbannung aus meiner Heimat konnte ich noch immer nicht vergessen.6

Den 5. August nahm ich Abschied von den Meinigen. Die nächste Zeit bis zu Anfang Octobers war ich wieder in Meklenburg, meist in Holdorf. Nach so vieler Aufregung und Anstrengung suchte ich Ruhe und Stille, und ich fand beides. Auch glaubte ich hier die Entwickelung meiner Wiederanstellungssache besser abwarten zu können.[12]

Obschon ich der politischen Entwickelung Meklenburgs bisher viele Theilnahme gewidmet hatte, so hielt ich doch jetzt eine weitere Mitwirkung für übrig, meine Freunde nahmen sich der Sache eifrig an und erzielten an den meisten Orten ganz ihren Wünschen entsprechende Erfolge. Ueberdem betrachtete ich mich seit Erlaß der Amnestie wieder als einen Angehörigen des preußischen Staats und mein meklenburgisches Hintersassenrecht als erloschen. Dennoch betheiligte ich mich noch bei den Wahlen der Wahlmänner und der Abgeordneten.

Den 9. October reiste ich nach Berlin, um an Ort und Stelle meine Angelegenheiten besser zu betreiben. Am 10. gehe ich zu Ladenberg; obschon seine Sprechstunde ist, werde ich – nicht angenommen. Daraufhin überreicht am 11. October ein Freund meine Eingabe wegen Wiederanstellung dem Ministerpräsidenten von Pfuel. Noch denselben Abend erzählt mir Feiler aus den ministeriellen Verhandlungen, daß ich Wartegeld, wahrscheinlich mit Abzug von 100. Thlr., bekommen würde.

Am 20. October begab ich mich nun nach Meklenburg. In der Freude, daß ich doch etwas für mich erreicht hatte, kehrte ich nach Holdorf zurück, um es bald für immer zu verlassen. Nach einigen Tagen erhielt ich ein Schreiben des Cultusministers vom 20. October, wonach mir ein Wartegeld von 375 Thlr. zugesichert ward. Weil zur Erhebung dieses Geldes ein fester Wohnsitz in Preußen nothwendig war, so bereitete ich Alles vor zu meiner Uebersiedelung. Nach zehn Tagen hatte ich meine Sachen geordnet und eingepackt und am 30. October nahm ich von Rudolf Abschied.

31. October bis 27. November in Berlin. Auf der Bibliothek bin ich häufig und sehe die Liedersammlungen durch, außerdem vollende ich zu Hause das Verzeichniß der Compositionen meiner Lieder, welches in der ›musikalischen Zeitung‹ erscheinen soll.

9. November. Große Aufregung in der Stadt. Die National-Versammlung, vom König aufgelöst, tagt weiter. Um 12 Nachts besuche ich in Begleitung einiger Abgeordneten den Saal der National-Versammlung und setze mich auf den Präsidentenstuhl. Ringsum Alles still und leer. Sic transit gloria mundi.

10. November. Ich gehe erst nach 11. Uhr aus, als eben die Bürgerwehr zusammen getrommelt wird. Bald darauf ist von ihr das Schauspielhaus ringsum besetzt. Auf die Kunde: ›die Soldaten[13] kommen!‹, eile ich unter die Linden und sehe dann vom Opernplatze aus mir den Einmarsch der Truppen an. Darauf eile ich nach dem Gendarmenmarkt und finde einen Platz unter der Bürgerwehr oben auf der Treppe des Schauspielhauses. Drinnen tagt die National-Versammlung, draußen haben sich neben der Bürgerwehr Soldaten aufgestellt. Ein seltsames Schauspiel! Es finden Verhandlungen statt zwischen Wrangel und Rimpler, dem Bürgerwehr-Commandanten. Ich bleibe bis nach Sonnenuntergang, besuche die National-Zeitung und als ich von da zurückkehre, ist auf dem Gendarmenmarkte keine Bürgerwehr und kein Wrangel mehr.

18. November. Um 10 Uhr Morgens zur Civil-Pensions-Casse in der Hausvogtei. Aus dem Finanzministerium ist noch kein Anweisungs-Rescript eingelaufen. Ich gehe ins Finanzministerium, Soldaten wehren mir den Eingang. Nachdem ich nachgewiesen, was ich will, darf ich eintreten. Nach langem Warten wird mir die Anweisung zugestellt. Ich kehre zur Casse zurück. Man macht mir viele Schwierigkeiten, ich soll z.B. nachweisen, daß ich seit dem 20 März in Preußen gewohnt habe und dergleichen. Nach stundenlangem Hin- und Hergeschicke und Fragen werden mir endlich die 250 Thlr. ausgezahlt.

Es war mir jetzt unheimlich geworden: überall wo man ging, wohin man kam, Soldaten, Constabler und Gendarmen, überall Unmuth, Niedergeschlagenheit, Furcht und Angst. Ich sah mir noch einige Tage die Sache an und reiste ab, zunächst nach Köthen.

Den 27. November ging ich nach Leipzig und verweilte dort einige Tage, wozu ich mancherlei Anlaß hatte. Bussenius wünschte, daß ich eine neue Ausgabe meiner politischen Gedichte veranstaltete unter dem Titel: ›Zeitlieder.‹ Ob er den Verlag für sich oder für das Verlagsbureau (Arnold Ruge) übernehmen wollte, weiß ich nicht mehr. Ich ging darauf ein, meinte jedoch, daß ich nur in Holdorf, wo noch meine sämmtlichen Schriften zurückgeblieben wären, ein solches Unternehmen jetzt ausführen könnte.

Ueber Köthen begab ich mich nach Braunschweig (5. December). Der Ort hatte damals eine ganz besondere Anziehungskraft für mich. Er war mir freilich immer lieb durch die Erinnerungen an meine Jugend, und in den letzten Jahren lieb geworden durch die freundliche Anerkennung meiner Gesinnung und Dichtung. Was mich aber[14] jetzt mehr freute als alles das, war meine Nichte Ida zum Berge, die hier lebte. Sie wollte sich zur Clavierspielerin und Lehrerein ausbilden lassen, wohnte in der Pensionsanstalt von Fräulein Luise Grünert und ertheilte dort und in einigen Familien Clavierunterricht, während sie vom Herrn braun selbst Unterricht empfing. Ida war in diesem Lebensberuf auf eigene Neigung, mehr aber noch auf den innigen Wunsch und durch die Unterstützung der Frau Sturtevant gelangt, die sich durch liebevolle Theilnahme seit Jahren als eine Freundin von Idas Familie bewiesen hatte.

Vor zwei Jahren sah ich hier Ida zuerst. Durch ihr anmuthiges Wesen und ihr treffliches Clavierspiel erregte sie meine Aufmerksamkeit. Sie war ein junges hübsches liebenswürdiges Mädchen, das wie so manches andere mich im Augenblicke freute, dann aber, wenn auch nicht vergessen, doch nicht Sehnsucht in meinem Herzen hinterließ, sie durchaus wiedersehen zu müssen. Am 1. Juli dieses Jahres sah ich sie wie der. Sie sah in unendlicher Freude mir entgegen, eine Jungfrau in der Fülle der Jungend und mit einer lieblichen Anmuth und Selbstständigkeit in ihrem Wesen, dass ich erstaunt und entzückt war. Kein Wunder dass ich seitdem eine stille Sehnsucht nach ihr hegte.

Und so kam ich denn jetzt mitten im Winter nach Braunschweig und blieb hier sechs Tage. Wie sehr ich durch gegenseitige Besuche und Einladungen in Anspruche genommen war, so musste ich doch Ida jeden Tag sehen und sprechen. Ich fühlte, dass sie mehr geworden war als meine Nichte und ich schied endlich von ihr in dem frohen Gedanken, dass ich durch sie und mit ihr endlich ein Glück erreichen könnte, das ich oft gesucht, aber nie gefunden hatte.

Darum dachte ich jetzt ernstlicher denn je daran, eine Stellung zu gewinnen, die es mir möglich machte, einen häuslichen Heerd zu gründen. Ich ergriff jede Gelegenheit, welche mir Hoffnung dazu bot. Ich hatte aus guter Quelle vernommen, der Wolfenbüttler Bibliothecar Dr. Schönemann wolle seinen Abschied nehmen, weil er jetzt völlig erblindet seinem Amte nicht mehr vorstehen könne. Ich begab mich deshalb zum Minister von Genso und bat ihn, mich zu brücksichtigen, wenn es wirklich einmal dazu käme, dem Dr. Schönemann einen Nachfolger zu geben. Wir sprachen wol eine Stunde mit einander. Der Herr Minister war sehr freundlich, er meinte,[15] wenn einmal die Stelle in Wolfenbüttel erledigt wäre, so würde er meiner gedenken, und sagte zuletzt: ›Ich werde das also, was Sie mir mitgetheilt haben, als amtlich betrachten; es bedarf Ihrerseits weiter keiner Eingabe.‹

Den 11. Dezember kehrte ich nach Berlin zurück, um dort meinen bleibenden Wohnsitz zu nehmen. Daselbst erhielt ich aber sofort von der Polizei den Befehl, die Residenz binnen 24 Stunden bei Vermeidung der Verhaftung zu verlassen. So war ich am 14. wieder in Holdorf, ebenso zu meiner wie aller übrigen Überraschung. Ich lebte nun sehr still und zurückgezogen, arbeitete fleißig und wurde durch niemanden gestört: Rudolf war meist in Schwerin als Abgeordneter und seine Frau auf Reisen. Zu meinem Leidwesen war das Wetter fast unaufhörlich sehr unfreundlich, kalt stürmisch und an Spazierengehen in Feld und Wald war wenig zu denken.

Im neuen Jahre (1849) war meine wehmütige Stimmung eine nachhaltige, denn unsere Zustände wurden täglich trostloser. Obschon ich wenig Hoffnung mir machte, dass meine Ausweisung aus Berlin zurückgenommen würde, so schien es mir doch Pflicht, Alles dafür zu versuchen. Am 5. Januar wendete ich mich mit einem Gesuch an das Ministerium des Innern, ich drang jedoch nicht durch.

Ich arbeitete nun ruhig weiter, meist an der ›Walhalla‹, den 1000 deutschen Liedern mit Melodien, las Mancherlei, schrieb Briefe und dichtete. Nach dem lebendigen, freilich oft mehr auf-, als anregenden Verkehr des vorigen Jahres hatte ich mich nach Ruhe gesehnt, bald aber wurde es mir hier zu ruhig, zu einsam: bei dem steten Wechsel von Kälte, Schneegestöber und Stürmen war ich auf mein Zimmer beschränkt und hatte niemanden, dem ich mich hätte mittheilen können. Wie Ovidius (libr. trist. 3) konnte auch ich sagen:


Nullus in hac terra, recitem si carmina, cuius

Intellecturis auribus utar, adest.


Wie nothwenig mir zu meinem Dichten Theilnahme Anderer schien, geht aus meinen damaligen Aufzeichnungen hervor. Den 21. Januar schrieb ich: ›Wie anders, wenn nur ein einziges Wesen um mich, in meiner Nähe, das an meinen Freuden und Leiden, prosaischen und poetischen, leidlichen Antheil nähme! Ferner ist es ein wahres Bedürfnis für mich, singen zu hören. Es wird mir oft schwer, diesen Mangel zu ersetzen, ich verfalle dann in ein ordentliches[16] Singefieber, trommle und tanze dazu, daß jemand, der den Grund nicht weiß, und das alles auch nur aus der Ferne anhört, mich für verrückt hält.‹

Mit Ida unterhielt ich einen lebhaften Briefwechsel. Ich hatte ihr meinen Wunsch öfter schon mündlich ausgesprochen, sie möchte sich doch jetzt auch mit der Theorie der Musik beschäftigen, damit sie befähigt würde, selbst componieren zu können, auch empfahl ich ihr das Studium der Volksweisen.

Am letzten Januar schrieb ich ihr einen langen Brief und schloß: ›Ich entbehre es jetzt schmerzlicher als je, daß ich nicht selbst so viel spielen kann, daß es mir möglich wird, den Werth jeder Melodie sofort zu ermitteln. Meine Studien bringen mich nun einmal fortwährend ins Gebiet der Musik, ohne Musik kann ich nicht mehr leben. Wärst Du nur etwas in der Nähe, ich würde das schlechteste Wetter nicht scheuen, zu Dir eilen und Du müßtest dann mit Deinen langen Virtuosenfingern mir in einer Stunde viele hundert Melodien vorspielen! Ja, ich bin sehr allein und, wie ich gestern einer Freundin schrieb, nur auf eine Person beschränkt, mit deren Verkehr ich mich schon seit vielen Jahren begnügen muß, der ich jedoch immer neue Seiten abzugewinnen weiß, so daß mir meine Einsamkeit erheitert wird. Und diese Person ist meine Wenigkeit.

Die Poesie hat mich unter diesen traurigen Verhältnissen gerettet. Sie hat mich getröstet, erquickt, gestärkt und erhoben, daß ich am Ende doch noch kein Philister geworden. Nun, das wirst Du auch an meinem Briefe sehn.

Ich bin auch durchaus nicht niedergeschlagen durch den Umschwung, den auf Einmal die politische Entwickelung genommen hat. Die Idee der Freiheit wird trotz aller Reaction doch zur Verwirklichung kommen. Die Philister, die ihr bis jetzt noch entgegen sind und durch Masse, Geld und Aemter herrschen, sind doch auch nur von dieser Welt und der Teufel wird schon so gütig sein und sie gelegentlich holen.

Also Muth, meine Geliebte, und Geduld! Unser wird der Sieg und wenn auch nicht heute und morgen, so doch einmal.

Wann schreibst Du nun? Jetzt will ich doch mal sehn, ob Du Deine neue Würde als Dichtergeliebte behaupten, ob Du meine glühende Sehnsucht nach Dir mit wenigstens 8 Seiten erwiedern wirst!‹

Den andern Tag packte ich meine Bibliothek ein. Zwölf Kisten[17] wurden gefüllt, zugenagelt und mit Adresse und Nummern versehen. Erst am 3. Februar war ich mit diesem lästigen Geschäfte fertig. Ich nahm Abschied von Holdorf mit den Worten des Lamennais: ›L'exilé partout est seul.

Ida war durch meine Briefe in Verlegenheit gekommen und wußte nicht was sie darauf antworten sollte. Sie wendete sich deshalb an ihre ältere Schwester Alwine und diese schrieb ihr am 9. Februar:

›Daß Du Onkels Briefe mitgeschickt hast, hast Du sehr gut gemacht, und wenn er es wüßte, würde er gewiß nichts dagegen haben, daß wir sie auch gelesen, denn sie enthalten weder Sinn noch Worte, die auch nicht für einen Dritten wären. Ich habe Onkels Brief gleich verstanden, und es ist mir auch gar kein anderer Gedanke dabei gekommen, als daß er auf eine sehr liebenswürdige und trauliche Weise nach Dichterart darin scherzt, es liegt durchaus nichts darin was sowol Dein Herz als Dein ferneres Benehmen gegen ihn in Verlegenheit setzen könnte, es ist die Sprache einer reichen und schönen Dichterseele, die einen Gegenstand gefunden hat, wovon sie glaubt mit sich im Einklange zu sein und gleich ihr die zarte Sprache schöner Gefühle empfindet und versteht. Du kannst ihm ganz in einem solchen Tone antworten, wie er an Dich schreibt, schreib Dir das Motto »Scherz« ins Herz und schreib Alles was Dir Herz, Scherz, Witz und Schmerz eingiebt, hülle Alles in zarte Worte ein und Du wirst gewiß die richtige Antwort treffen.‹

Ida war unterdessen von mir benachrichtigt, daß ich sie abholen und mit ihr ihre Eltern besuchen wolle. Den 12. Februar traf ich in Braunschweig ein und den 14. kam ich mit ihr in Bothfeld an. Das Wetter war fortwährend schlecht, bald Regen, bald Sturm, bald Schneegestöber. Wir aber waren frohen Muthes und am Tage vor meiner Abreise war Idas Herz mein Herz geworden, und wenn wir auch nicht vor der Welt Braut und Bräutigam, so waren wir es doch für uns. Ida zu Liebe blieb ich noch zehen Tage in Braunschweig. Wir sahen uns täglich und es war mir erquicklicher bei ihr als sonstwo.

Ueberall wohin ich kam nichts als Politik und wieder Politik. Obschon noch Mancher in Hoffnungen auf eine schöne Entwicklung unserer traurigen Verwickelungen schwelgte, so konnte ich es doch nicht, ich war längst enttäuscht und sprach meine Verstimmung unverholen aus. Wie ich schon voriges Jahr ›Zwölf Zeitlieder‹ hier[18] bei F.M. Meinecke hatte drucken lassen, so ließ ich jetzt wieder ein ›Neues Dutzend‹7 nachfolgen. Es waren meist ältere Lieder, die mir aber jetzt erst recht zeitgemäß schienen. Ich war nicht mehr in Zweifel über unsere nächste Zukunft, ich sah schon vorher Alles zu klar, und sprach es am 1. März in meinem ›Trompeterstückchen‹8 aus. Ich dichtete seitdem sehr wenig: wie konnte man auch damals dichten? Vor der grauenhaften Prosa jener Tage mußte alle Poesie, aller Scherz und Humor verstummen.

Den 3. März begab ich mich nach Leipzig. Ich ging gleich nach meiner Ankunft zu Härtel (Firma: Breitkopf und Härtel).9 Ich erschrak nicht wenig, als mir Härtel das Heft meiner Lieder zeigte so ganz in demselben Zustande, wie ich es ihm übergeben hatte vor einigen Monaten. Dreimal, sagte ich, bin ich nun um dieses Heftes wegen hier! und die Sache ist noch nicht weiter gediehen u.s.w. Er versprach mir, er wolle noch heute mit Zöllner sprechen. Den folgenden Tag ging ich zu diesem. Was war da weiter zu sagen? Zöllner hatte auf Härtel und dieser auf Zöllner gewartet und so lag die ganze Arbeit in gutem Frieden. Er versprach, jetzt die Sache in Angriff zu nehmen. Wir einigten uns dann, daß unter dem Titel: ›Deutschland. Zwölf Lieder von H.v.F.‹ etc. 12. Compositionen für den vierstimmigen Männergesang erscheinen sollten: ›Den drei Männergesang-Vereinen Braunschweigs vom Dichter gewidmet.‹

Ich mußte jetzt wegen meines Wartegeldes nach Potsdam. Justizrath Pfeiffer in Berlin besorgte es mir. Dann zog es mich wieder nach Braunschweig. Ich miethete mir eine Wohnung bei einem Bekannten und wartete auf besseres Wetter. Auf einige Tage besuchte ich dann meine Heimat und meinen Freund Grete in dem benachbarten Vorsfelde, und fand mich zu Idas Geburtstage, den 11. April wieder in Braunschweig ein. Wenn auch der meinige dies Jahr ohne Feier vorüber ging, so sollte es doch nicht für mich der ihrige. Sie war auch recht erfreut, als ob sie ahndete, daß wir unsere beiden nächsten Geburtstage nicht mehr heimatlos, sondern glücklich vereint an einem eigenen Heerde feiern würden.[19]

Den anderen Tag reiste ich ab. Ich wendete mich denm Rhein zu, um auf seiner preußischen Seite einen Wohnsitz mir zu wählen. In Köln traf ich mit Freiligrath zusammen. Er hatte sich mit seiner Familie hier niedergelassen. Ich verlebte mit ihm hier und in Düsseldorf einige frohe Tage.

Die Rheinische Zeitung war als ›Neue Rheinische Zeitung‹ wieder ins Leben getreten, sie hatte aber eine Richtung eingeschlagen, die ich unter allen Verhältnissen nicht allein bisher bekämpft hatte, sondern immer zu bekämpfen für Pflicht und Ehre hielt. Ich gerieth mit Engels in heftigen Streit, wie er behauptete: ›Wir sind sehr weit, sind keine Deutsche, wollen keine Deutsche sein, wir sind Franzosen, unsere Arbeiter verstehen alle französisch, wir haben den Code Napoléon, wissen nichts von Feudalismus etc.‹ Dergleichen lächerlichen, wahnwitzigen Behauptungen konnte man damals leider oft begegnen. Viele die sich berufen fühlten einzugreifen in die Volksbewegung, waren außer Rand und Band gegangen, und statt aufzuklären, verwirrten sie sich und andere, als ob wir nicht schnell genug da wieder ankommen könnten, von wo wir ausgegangen waren.

Noch den letzten Tag war ich bei Freiligrath. Ich las ihm und seiner Frau meine Distichen vor, die unter dem Namen ›Spitzkugeln‹ erscheinen sollten. Beide waren sehr erfreut und meinten, ich dürfe aber ja keine zurücklassen.

Den 20. April setzte ich meine Reise fort und traf den 22. in Frankfurt ein. Der Zweck meiner Reise war, Itzstein zu sprechen und das Parlament kennen zu lernen. Beides erreichte ich. Der Eindruck, den die ganze Parlamentsgeschichte auf mich machte, war kein erfreulicher: es kam mir immer vor, als ob ein anfangs blühendes Geschäft jetzt in allmählicher Auflösung sich befände und die Firma würde nur noch eine Zeitlang so fortgeführt. Es ist manches schöne, aber mehr noch manches übrige Wort für die deutsche Einheit und Freiheit gesprochen, manches Lied gesungen, manches Seidel und mancher Schoppen darauf getrunken, und es hat doch nichts geholfen.

Am 30. April wanderte ich weiter. Ich hatte an dem achttägigen Stück Parlamentsgeschichte nicht schwerer zu tragen als an meinem Gepäck, nach drei Stunden war ich zu Mannheim in Itzstein's Wohnung. Hier wollte ich es abwarten, bis die Nationalversammlung[20] zu Frankfurt und der Landtag zu Carlsruhe geschlossen wären und Itzstein frei würde – er war an beiden Orten Abgeordneter –, um dann mit ihm auf sein Gut in Hallgarten zu gehen und dort den Frühling zuzubringen. Da trat die Badische Bewegung ein; es fing an unheimlich zu werden. Am 13. Mai spazierte ich bei sehr schönem Wetter in die Rheinschanze. Unterwegs viel Getümmel: Freischärler in wunderlicher Tracht und Bewaffnung, und neugierige Wanderer, Alles bunt durch einander. Ich ging dann in das Hauptquartier und traf die Leiter der kriegerischen Bewegung: Blenker, Diepenbrock, Doll. So ernst der Anlaß zu diesen Rüstungen war und so schrecklich die Folgen sein konnten, so erinnerte mich doch das ganze Thun und Treiben zu sehr an unsere Schützengildenfeste und Carnevalsaufzüge. Ich sah Leute in ärmlicher Ausrüstung mit alten Schleppsäbeln und ausgemusterten Gewehren, aber mit einer Würde einherschreiten, daß ich mich des Lachens nicht enthalten konnte. Die Aufregung war groß, aber keine Klarheit über ein einziges, gemeinsames Ziel. Dieselben Leute, die am Morgen Einheit und Freiheit, Grundrechte, Reichsverfassung schrieen, ließen Mittags das Kaiserreich, Nachmittags den Bundesstaat und Abends die Republik leben. Dennoch galt ich bei denselben für einen ihrer Parteigenossen und auf dem heutigen Spaziergange mußte ich es erleben, daß ich überall, wo man mich erkannte, mit einem Hoch begrüßt wurde.

Am 14. Mai war ganz Baden im Aufstande. Schon den Abend vorher war der Großherzog aus seiner Residenz geflohen, die Regierung beseitigt, das Heer abtrünnig geworden, der Landesausschuß hatte die Regierungsgewalt an sich gerissen und einen Aufruf erlassen. In Mannheim war große Aufregung. Die Soldaten schlossen sich der Volksbewegung an, und eine Bürgerwehr trat ins Leben.

Ich hatte genug an diesen gewaltigen Anstrengungen aller Parteien, Alles in Verwirrung zu bringen, um schließlich weder für sich noch für das Vaterland etwas zu erreichen. Es wurde ein schreckliches Trauerspiel vorbereitet. Ich mochte nicht als müßiger Zuschauer warten, bis es in Scene gesetzt war, und wie hätte ich mich betheiligen sollen? Meine Waffe war das Lied, und diese Waffe galt bei dem großen Haufen und seinen Führern, die nur mit roher Gewalt noch etwas auszurichten hofften, gar nichts mehr. Den[21] 15. Mai ging ich nach Darmstadt und blieb dort acht Tage. Bei Leske wurden meine Distichen gedruckt. Die Auflage war nur 700 Exemplare. ›Spitzkugeln. Zeit-Distichen von Hoffmann von Fallersleben‹. ^Selbst-Verlag des Verfassers. Darmstadt. 1849. In Commission bei C.W. Leske. 8°. 33 SS. 262 Nummern.)10

Vom 25. Mai bis 2. Juli in Geisenheim. Es that mir wohl, nicht mehr in unmittelbarer Nähe den Kriegslärm zu hören und in fortwährender Angst und Aufregung leben zu müssen. Auf den kleinen Kreis lieber Freunde und Bekannten beschränkt, hatte ich wenigstens Ruhe zu arbeiten und es blieb mir auch Zeit, in dem friedlichen schönen Rheingau allein umher zu wandeln und mir wieder gehören zu können. Freilich gab es denn immer noch Stunden, ja Tage, an denen die Aufregung groß war, wenn bedeutende Nachrichten einliefen aus Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Wien und vom Kriegsschauplatze. Aber auch außerdem hatte sich meiner eine Unruhe bemächtigt, die wie ein schleichendes Fieber mich quälte und täglich zu wachsen schien. Ich studierte fortwährend die Landkarte, aber ich wußte nicht wohin ich mich wenden sollte, es sah überall trostlos aus. Den 14. Juni schrieb ich an Ida: ›Ich bin noch immer hier und weiß auch in der That nicht für den Augenblick wohin. In den alten preußischen Provinzen, wo das barbarische Landrecht gilt, ist es jetzt für keinen nur leidlich Freisinnigen geheuer. Das Wenigste was ich zu befürchten habe, wäre ein Preßprozeß ... Ich werde also unter solchen Umständen so lange auf dem preußischen Gebiete, wo das rheinische Recht gilt, bleiben und die Entwickelung unserer verworrenen, und sich täglich mehr verwirrenden höchst traurigen Zustände abwarten ...‹

Denselben Tag ging ich mit dem Weinhändler Schultz von Rüdesheim hinüber nach Bingerbrück zum Weinhändler Euler, um dort eine Wohnung für mich zu miethen. Euler hatte in seinem Hause noch 28. Zimmer frei und wollte mir um ein Billiges den ganzen Stock ablassen, über den Miethpreis würden wir uns später schon einigen. Acht Tage später besuchte ich den Lehrer Weidenbach in Bingen. Ich las ihm meine neuesten Spitzkugeln vor und wir bestimmten, was davon einer zweiten Auflage einverleibt werden[22] könnte. Ende Juni war der Miethvertrag mit Euler abgeschlossen. Den 3. Juli verließ ich Geisenheim nnd hoffte eine Zeitlang bei Itzstein weilen zu können. Als ich von Oestrich aus schon den halben Weg nach Hallgarten hinauf zurückgelegt hatte, erfuhr ich, daß Itzstein noch nicht zurückgekommen sei. Ich ging aber doch hinauf, packte meine Sachen um, nahm das Nothwendigste mit und fuhr um 7 mit dem Localboot nach Bingen. Bei aller schönen Gelegenheit, ein angenehmes Bummlerleben zu führen, fand ich es hier denn doch sehr bald sehr langweilig. Ich wollte wieder mir ganz gehören und litterarisch thätig sein. Nachdem meine Wartegeldsquittung amtlich bescheinigt war, schickte ich sie an einen Freund in Berlin, um für mich das Geld zu erheben. Den 16. Juli ging ich abermals nach Hallgarten.

Ich war nun, wie ich es gewünscht hatte, wieder allein. Ich dichtete, las Mancherlei und machte Auszüge. Ich hegte noch immer die Hoffnung, daß dieser Tage Itzstein heimkehren würde, und seine Leute konnten es sich auch nicht anders denken, als daß ihr Herr täglich zu erwarten sei. Leider aber war Itzstein nach Auflösung der Nationalversammlung geflohen, ganz ohne Noth. Da las ich denn in der ›Freien Zeitung‹: ›Itzstein, dessen Geist gebeugt ist unter der Schmach des Vaterlandes, weilt am Genfersee – das alte weiße Haupt in der Fremde, von Deutschen ver trieben!‹

Erschrocken über diese traurige Nachricht, beschloß ich sofort meine Abreise. Ich ordnete nun meine Sachen, schrieb noch mehrere Briefe und ging den 26. Juli nach Bingen, blieb die Nacht dort und fuhr den folgenden Tag mit der Concordia nach Köln. Dort besuchte ich sofort Freiligrath und bewog ihn, mich nach Düsseldorf zu begleiten. Wir waren den Abend bei Schmitz mit einigen Bekannten und trotz Belagerungszustand recht vergnügt. Am andern Morgen ging ich nach Bielefeld und den 29. Juli kam ich in Bothfeld an. Ich trat in das Pfarrhaus ein mit der festen Absicht, Ida zu heiraten. Ich war heiter und voll Zuversicht, daß ich mein Ziel erreichen würde. Die Zustimmung der Eltern schien mir gesichert, nur hatte der Vater als Geistlicher Bedenken: nach den hannoverschen Kirchengesetzen durfte er eine eheliche Verbindung zwischen so nahen Verwandten nicht begünstigen, ja es war vielmehr Pflicht für ihn, dagegen zu[23] wirken, er mußte deshalb auch das Aufgebot und die Trauung ablehnen.

Es handelte sich also für mich nur noch um Ida. Ich betrachtete sie seit ihrer Zusage im letzten Frühjahre als meine Verlobte. Nach den Erforschungen, die ich jetzt hier anstellte, mußte ich leider schließen, daß sie sich nicht als Verlobte betrachtete und daß es überhaupt noch sehr fraglich sei, ob sie sich je zu einer Heirat mit mir verstehen würde. Ich eilte nun zu ihr selbst nach Braunschweig, und war vom 1.–4. August oft mit ihr zusammen.

Wie der Frühling nie ohne Kampf zu seiner Herrschaft gelangt, so sollte auch der Frühling meiner Liebe erst nach manchem Sturme in mein Herz einziehen. Ida konnte sich nicht finden in ein Verhältniß, das gar nicht mit ihren Jugendträumen und Wünschen übereinstimmte. Kein Wunder! sie noch so jung, ich so alt, sie voll berechtigter Ansprüche an das Leben, ich vielfach enttäuscht und nach dem Glauben der Menschen einer der abgeschlossen haben, schon fertig sein muß mit sich und der Welt. Sie dauerte mich – es war ein heftiger Kampf in ihrem Herzen um Ja und Nein, sie war traurig, aufgeregt und endlich sehr leidend. Noch ehe ich kam, hatte sie schon diesen Kampf begonnen und sich um Rath und Trost au ihre Schwester Alwine gewendet. Diese hatte denn auch versucht sie zu trösten, aber ihr auch zugerufen – und das war noch am 3. August: ›–Bedenke deshalb wol, was Du thust, indem Du ein Herz von Dir weisest, dessen ganzes Glück und Streben nur dahin geht, Dich glücklich zu machen. Ich kann nicht ohne Schmerz an Onkel denken. Du bist sein Anker, woran das ganze Glück seines Lebens hangt. Zerreiß ihn nicht so schnell diesen schwachen Faden, der Dein Herz noch an das seine fesselt!‹

Auch ich war heftig bewegt, es war mir oft als ob mir das Herz zerspringen wollte. Nachdem ich mich mündlich und schriftlich gegen sie ausgesprochen und sie mich von einem Tag auf den anderen vertröstet hatte, entschloß ich mich weiter zu reisen. Ich ging nach Fallersleben. Zwei Stunden nach meiner Abreise hatte sich Idas Herz mir wieder ganz zugewendet. Erst am folgenden Tage erhielt ich ihr Schreiben und am 7. August kam sie selbst und begrüßte als glückliche Braut den glücklichen Bräutigam. Im Kreise unserer Familie verlebten wir frohe Tage. Mein Leben war zur[24] Dichtung11 geworden und Ida ›war mein Taggedanke, war mein Traum.‹

Den 17. August verließ ich mit Ida meine Heimat. Wir blieben einen Tag in Braunschweig, packten ihre Sachen ein und fuhren den folgenden Tag nach Hannover. Unsere Sachen wurden auf einen Wagen geladen und wir traten unsere Wanderung zu Fuß an. Wir waren beide sehr heiter. Als mich zwei Handwerksburschen um eine Gabe ansprachen, sagte ich zu ihnen in halbernstem Tone: ›Was! ihr werdet doch von Euresgleichen nichts nehmen?‹ – Betroffen entschuldigten sie sich: ›Ach nein! ach nein!‹ – ›Nun, sagte ich lachend, es ist so böse nicht gemeint!‹ und beschenkte sie reichlich.

Im elterlichen Hause wurden wir froh empfangen und wir fühlten uns wohl und glücklich. Obschon meine Zeit sehr in Anspruch genommen wurde durch den Familienverkehr, durch Spaziergänge und Besuche, so blieb mir doch noch manche Stunde zu ruhigem Arbeiten. Schon lange hatte ich daran gedacht, die vielen Geschichten, Schnurren und Witze, womit ich mich und Andere zu ergötzen pflegte, in eine Form zu bringen, worin sie meinen Freunden und Bekannten wieder lieb und werth würden. Ich dachte mir eine Gesellschaft von Stammgästen, die sich jetzt, nachdem es gefährlich geworden, sich über Politik frei auszusprechen, auf harmlosere Weise unterhielten. Jedem besonderen Charakter sollten eben die demselben entsprechenden Geschichten in den Mund gelegt werden. Ich vertheilte den Stoff auf eine Woche, also sieben Sitzungen. Die Sache gedieh. So wie eine Sitzung fertig war, las ich sie des Abends vor. Die Theilnahme der Meinigen begünstigte mein Unternehmen und bald waren die sieben Sitzungen vollendet.

Nebenbei machte ich Studien zu einem ›Geburts- und Sterbekalender verdienstvoller Deutschen‹. Obschon ich später noch viel Fleiß und Mühe darauf verwendete, so konnte ich doch nie zum Abschlusse damit kommen, weil ich nur ganz sichere Nachrichten aufnehmen wollte. Ferner beschäftigte ich mich mit einem ›Hannoverschen Namenbüchlein‹, das ich aber erst später vollendete und drucken ließ.[25]

Jede litterarische Arbeit, die ins politische Gebiet hinüberstreifte und nicht mit der reactionären Richtung übereinstimmte, galt damals für regierungsfeindlich und konnte für ihren Verfasser von den schlimmsten Folgen sein. In Bingen wollte ich am 4. Juli mein fertiges Manuscript der 2. Auflage der Spitzkugeln dem Buchdrucker übergeben. Er kam von Rüdesheim herüber, mußte aber unverrichteter Sache heimkehren, denn kurz vor seiner Ankunft hatte ich das neue preußische Preßgesetz vom 20. Juni gelesen.

Meine angenehmste Thätigkeit war jedoch das Dichten. Ich suchte meine Liebe in Beziehung zu bringen zu den Jahreszeiten und der Gegend. Als ich zuerst in diesem Jahre wieder hier war, wollte es eben Frühling werden, und die Gegend hatte noch ihr altes Ansehn: überall Heidekraut, hie und da ein Busch, ein Baum. Jetzt war es Herbst und die Verkoppelung eingetreten, Alles war vertheilt und urbar gemacht, kein Busch, kein Baum, keine Heide mehr zu sehen bis an die stadthannoversche Gränze. Unter diesen Wandelungen entstanden meine ›Heidelieder‹.12

Auf diese erquickliche Poesie folgte nun eine sehr unerquickliche Prosa. Um allen gesetzlichen Bestimmungen in Betreff meiner Heirat zu genügen, mußte ich mich unterziehen allerlei Schreibereien, Reisen, Besuchen und Verhandlungen. Da meine Braut als Braunschweigerin betrachtet wurde, und auf sie die braunschweigischen Gesetze Anwendung fanden, so war ein Haupthinderniß beseitigt, nämlich daß der Oheim nicht seine Nichte heiraten darf. Nach vielen Wochen Hin- und Herschreibens und Reisens zwischen Braunschweig, Hannover und Bothfeld hatte ich denn endlich eine ganze Sammlung von Scheinen herbeigeschafft, theils für mich, theils für meine Braut, als da waren: Geburts- und Confirmationsschein, Heimatsschein, Aufgebotsschein von Waldalgesheim, elterlicher Zustimmungsschein, Heiratsconsens vom Minister von Ladenberg, und braunschweigischer Magistrats-Erlaubnißschein zur Trauung. Endlich mußte ich auch um Dispens vom kirchlichen Aufgebote einkommen.

Den 26. October gingen Ida und ihre Schwester Adele nach Braunschweig, um noch Vorbereitungen zur Trauung zu treffen. Den andern Tag folgte ich nach.[26]

Am 28. October fuhren wir um 11 Uhr in die Martinikirche. Pastor Adolf Klügel hielt die Traurede. Er hatte zum Texte genommen Ruth 1, 16: ›Wo du hingehest, da will auch ich hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.‹ Er sprach sehr schön, er wußte durch die Beziehungen auf mein Leben, die freilich sehr nahe lagen, aller Herzen zu rühren. In feierlicher und bewegter Stimmung endete für uns die heilige Handlung.

Frau Sturtevant, Idas mütterliche Freundin, empfing uns dann zum Hochzeitsmale, wozu sie noch Georg Fein nebst Frau eingeladen hatte. Wir waren sehr heiter. Zweimal trug ich das Abschiedslied an Frau Sturtevant13 vor.

Unter den Glückwünschen der Hochzeitsgäste nahmen wir Abschied und fuhren auf der Eisenbahn nach Hannover, wo ein Wagen bereit stand, der uns noch denselben Abend nach Bothfeld brachte. Frohe Herzen empfingen uns in dem festlich geschmückten Hause.

Das Wetter war für die Jahreszeit noch recht schön, und so beschlossen wir denn eine Reise nach Meklenburg zu meinen Freunden. Ida war ganz entzückt und gerührt über die freundliche Aufnahme, die wir dort überall fanden. Sie gewann sich aller Herzen durch ihr offenes, anspruchloses und heiteres Wesen und wußte dadurch und durch ihr Clavierspiel die Stimmung der Gesellschaft zu beleben und zu erheitern.

Am 19. November in Hamburg. Wir wohnten im Alsterhôtel. Obschon es recht unfreundliches Wetter war, so wanderten wir doch viel umher, besahen den Hafen, besuchten meinen Vetter F. Wiede in St. Paul und spazierten um das Alsterbecken. Das Leben und Weben einer Seestadt war neu für Ida und der wundervolle Anblick der Stadt, die sich in der Binnenalster spiegelt, machte einen gewaltigen Eindruck auf sie. Den andern Tag holte uns der Vetter ab. Wir besahen den Jungfernstieg, die Börse, fuhren durch den Hafen und speisten zu Mittag im Elbpavillon. Den dritten Tag waren wir wieder in Bothfeld. Wir dachten nun ernstlich an unsere Uebersiedelung nach Bingerbrück. Da unsere Wohnung dort noch[27] nicht eingerichtet war, so sollte ich vorher das Nöthige besorgen, Ida wollte dann mit ihrer älteren Schwester Alwine später nachkommen.

Am 30. November kam ich in Bingerbück an. Unser Wirth empfing mich sehr freundlich und führte mich in meine Wohnung ein. Ich dankte ihm, daß er mir meine Wünsche erfüllt und den allernöthigsten Hausrath und auch einige Wintervorräthe (Kartoffeln, Obst, Sauerkraut) und Feuerung besorgt hatte. Die nächste Zeit mußte ich nun noch manchen Weg machen für meine häuslichen und litterarischen Bedürfnisse. Ich gelangte wenig zur Ruhe. Als diese sich endlich einstellte, begann ich wieder geistig thätig zu sein. Ich holte mein Büchlein hervor, das ich den letzten Sommer vollendet hatte und arbeitete es um. Bei den vielen Geschichten, Schnurren und Witzen schien es, als ob ich das Unbehagliche meiner Lage vergessen hätte. Allerdings gab es Augenblicke, in denen ich mich recht freuen konnte, wenn ich im warmen Zimmer vor meinem Tische saß und hinausschaute in die schöne großartige Natur. Trotzdem wurde meine Unruhe und Sehnsucht täglich größer. In meiner winterlichen Einsamkeit schrieb ich mehrmals an Ida und bat sie flehentlich, sobald milderes Wetter einträte, sofort herüberzukommen. Während bei uns das Wetter ziemlich milde geworden, konnte ich nicht ahnden, daß bei Hannover die Kälte bis auf 20. gestiegen war.

Als die Dampfschiffahrt wieder eröffnet war, ging ich jeden Tag an den Rhein, um Ida zu empfangen. Am 22. December wurde wahr was auf Freiligrath's Petschaft: ein Amor unter Dornen ist mit der Umschrift umgeben: Après la peine le plaisir. Wie sich der Dampfer dem Strande näherte, winkten mir weiße Tücher zu, bald empfing ich freudevoll die Meinigen und führte sie nach Bingerbrück in unsere neue Wohnung.

Sie waren sehr überrascht von der prachtvollen und mannigfaltigen Aussicht aus unseren Fenstern. Da uns der ganze dritte Stock vermiethet war, so hatten wir nach allen Seiten hin etwas zu sehen: vor uns die Nahebrücke, der Scharlachberg, die Klopp, die Kirche mit einem Theil von Bingen, rechts die Straße nach Münster und die weite Ebene bis zum Donnersberge, links der Niederwald mit dem Ehrenfels, der Zusammenfluß des Rheins und der Nahe, und ganz links der Rupertsberg; hinter dem Hause der steile Bergweg nach[28] Weiler, daneben der Gießbach und rechts die Weinberge mit dem Rondel.

Ida erzählte viel von ihrer Reise, besonders von Köln, wie freundlich und liebenswürdig Freiligrath sich ihrer angenommen und sie zu allen Schönheiten und Merkwürdigkeiten geführt habe etc. Am zweiten Weihnachtstage machten wir einen Spaziergang zum Rondel. Der Weg führt auf der neuen Straße über den Rupertsberg hinauf. Ida und Alwine waren sehr entzückt über die prachtvolle Aussicht in den ganzen Rheingau bis Eltvill. Mit dem Troste, daß wenigstens die Gegend, die ich mir für unsern Aufenthalt ausgewählt hatte, den Meinigen lieb und werth war, trat ich in das Neue Jahr ein.

Am Neujahrstage 50 besuchte uns Freiherr von Reden. Seine gerade Haltung und der Ernst und die Ruhe in seinem Gesichte erinnerten mich mehr noch an einen Landsmann echt kalenbergischen Schlages als an einen Edelmann im Staatsdienste. Wir unterhielten uns über die Zeitereignisse und kamen dann auf das statistische Gebiet, womit er sich seit Jahren wissenschaftlich beschäftigt. Seine Mittheilungen über die Staatsschulden und die Kosten der stehenden Heere waren für mich sehr lehrreich.

Außer diesem Besuche hatten wir bis zu Ausgang des Frühlings weiter keinen, dessen ich noch besonders gedenken müßte. Wir suchten keinen Verkehr anzuknüpfen, wir waren uns selbst genug und hatten mit uns und unserm Hauswesen genug zu thun. Obschon Ida die ersten Wochen oft sehr leidend war, so suchte sie doch jeden gesunden Augenblick zu benutzen, die Haushaltung in allen ihren einzelnen Theilen unter der schwesterlichen Leitung kennen zu lernen. Es war sehr ergötzlich, sie in der Küche schalten und walten zu sehen, wie sie ihre ersten Versuche in der Kochkunst machte. Durch Lust und Fleiß brachte sie es bald zur Uebung und endlich zur Meisterschaft. Da wir doch nur wenig Hülfe von unserer Stundenfrau hatten, so entließen wir sie den letzten Februar und machten nun Alles selbst. Wir lebten wie die Hinterwäldler: wir holten uns die Milch vom Rupertsberge, trugen uns die Kohlen zu, ich hackte täglich Holz, und seit das Wasser auf dem Hofe schlecht geworden war und da das wilde Wasser im Postgarten sich nicht zum Trinken eignete, so spazierten wir täglich zur Quelle der Hildegard und schöpften uns dort zwei Krüge voll. Dies Wasser war so klar, daß Fremde, die es[29] schöpfen wollten, gewöhnlich zu tief mit dem Glase hinunter fuhren und sich dann den ganzen Arm benetzten. Auf den Wochenmärkten in Bingen kauften wir Gemüse und Fleisch. Schwarzbrot und Eier holten wir uns oft aus den benachbarten Dörfern. Semmelwecke bereiteten wir uns selbst und trugen sie zum Bäcker. Als ich eines Tages die beiden fertig gewordenen abholen wollte, machte die Frau Bäckerin ein bedenkliches Gesicht: ›Sie wollen sie also selbst tragen?‹ – ›Allerdings!‹ – ›Nun, meinte sie, das geniert einen großen Geist nicht.‹

So weit es meine Arbeiten erlaubten, nahm auch ich an diesen häuslichen Verrichtungen Theil. Eines Abends, als Ida und Alwine den ganzen Nachmittag gewaschen hatten, schloß ich alle Thüren ab, machte Feuer an, wusch auf, verlas Salat, schnitt Schinken auf, briet Kartoffeln, bereitete Spiegeleier, setzte Maitrank an und deckte den Tisch. Als Alles auf dem Tische stand, schloß ich die Thüren auf und ließ die hungrigen Wartenden ein und erquickte sie. Wir machten den americanischen Grundsatz ›Arbeit schändet nicht‹ zur deutschen Wahrheit. Bei Anderen wäre gewiß das Sprichwort zur Geltung gekommen: ›Hoffart muß Zwang leiden.‹

In den ersten Tagen des Januars war mein neuestes Buch fertig. Anfangs hatte ich ihm den Titel gegeben: ›Die lustige Gartengesellschaft‹, dann ›Der Nationalclub‹, und endlich ›Das Parlament zu Schnappel.‹ Ich wollte auch einmal Selbstverleger sein und die von Schriftstellern so sehr beneideten und so glänzend geschilderten Erfolge eines Verlags kennen lernen. Ich wendete mich an den Buchdrucker Dettmer in Rüdesheim. Nach kurzer Verhandlung wurden wir einig: für Satz und Druck zahlte ich ihm bei einer Auflage von 1000 Exemplaren 13 Fl., Papier lieferte ich. Schon in der Mitte Januars begann der Druck und den 29. März (am Charfreitag) war das große Werk vollendet: ›Das Parlament zu Schnappel. Nach stenographischen Berichten herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Bingerbrück. 1850. Selbstverlag. 8°. 256 SS.).

Freiligrath nahm großen Antheil an diesem meinem neuesten Büchlein. Da es mit dem Selbstverlag nicht recht gehen wollte, so bat ich ihn, doch bei seinem Verleger anzufragen, ob derselbe vielleicht geneigt[30] sei, den Vertrieb zu übernehmen. Im Juli schrieb mir Freiligrath und sendete zugleich ein Briefchen des Herrn W.H. Scheller (Schaub'sche Buchhandlung): ›Die gewöhnlichen Bedingungen sind folgende: Ich erhalte 50 Prozent vom Ladenpreise, dagegen trage ich alle Unkosten, wie Ankündigungen etc. Der Termin der Abrechnung würde Ostermesse 1851 sein.‹ Ich war damit einverstanden und schickte ihm in zwei neuen Kisten 1000 Exemplare. Noch ist keine Ostermesse für mich gekommen. Von den 1000 Exemplaren à 1/2 Rb. habe ich nie wieder etwas gehört oder gesehen. Das Einzige was ich von den mir zukommenden 333 Rb. 10 Sgr. hatte, waren einige Musicalien für Ida im Werthe von 4 Rb. 28 Sgr.!

Der Winter dauerte recht lange und schien uns hier fast noch schlimmer als in unserer Heimat: wir hatten Frost, Schnee, Sturm, endlich Thauwetter, Eisgang, Ueberschwemmung und Nachtfröste. In unserer großen dünnen Wohnung, die mit Thüren und Fenstern nur zu reichlich ausgestattet war, fühlten wir das Ungemach des Winters nur zu sehr und zu lange, so daß unser Humor oft nur unter Null stand. Während ich mich durch Dichten und Lesen zu erheitern wußte, fehlte Ida einer ihrer größten Lebensgenüsse: die Musik. Es hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, ein gutes Instrument zu kaufen, das zum Leihen angebotene entsprach nicht den bescheidensten Ansprüchen. Nun ward es aber Frühling und mit Sang und Klang, mit Duft und Blumen kam die Freude in unsere Herzen. Täglich, wenn es nur leidliches Wetter war, flogen wir ins Freie hinaus, überall fanden wir herrliche Aussichten, auf den Bergen, am Rhein, an der Nahe. Wir brachten immer die schönsten Blumen heim, auf unsern Tischen und vor den Fenstern standen immer frische Sträuße. Als das Wetter beständiger wurde, machten wir weitere Ausflüge nach dem Münsterkäppchen, Scharlachkopf, Niederwald, Rheinstein, Rüdesheim, Hallgarten, Johannisberg, Kreuznach.

Die Aussichten für den Verkauf meiner Bibliothek waren seit Bettinas Bemühungen nicht besser geworden, meine jetzige Lage aber forderte dringender wie damals dies theuere Besitzthum nutzbar zu machen. Den 1. März wendete ich mich an den Minister von Ladenberg mit der Bitte, den Ankauf meiner Bibliothek zu bewerkstelligen, für die Handschriften begehrte ich 1500 Rb., und die der Berliner Bibliothek fehlenden Werke wollte ich zu Preisen ablassen,[31] die ihrem Werthe und ihrer Seltenheit entsprächen. Zu Anfange Mais antwortete der Minister, der Herr Oberbibliothecar Pertz würde mit mir unterhandeln. Am 20. Mai traf dann von diesem ein Brief ein: er bot mir 1000 Rb. für die Handschriften und die niederländischen Bücher.

Ich war außer mir. Einem wohlhabenden, angesehenen, regierungsbeliebten und in seinen Augen anständigen Manne hätte der Herr Geh. Rath so etwas nie zu bieten gewagt, aber einem gemaßregelten, verfolgten, endlich wieder amnestierten armen Teufel wie mir konnte er mit vergnügter Aussicht auf Erfolg einen solchen Spottpreis bieten. Aergerlich über die vielen bisherigen zeitraubenden und kostspieligen und immer vergeblichen Bemühungen, meine Bibliothek zu verwerthen, entschloß ich mich endlich, dieser Quälerei ein Ende zu machen, zumal nun auch der letzte Versuch gescheitert war, ein höheres Gebot beim Herrn GR. Pertz zu erzielen, und schrieb ihm, daß ich sein Gebot annähme.

Unterdessen war unsere Sehnsucht sehr groß nach unseren Verwandten, und wir beschlossen eine Reise nach Bothfeld. Den 28. Juni gingen wir mit dem Dampfschiffe nach Köln und dann auf der Eisenbahn nach Hannover. Gegen Mittag waren wir in Bothfeld. Ich verweilte vierzehn Tage bei den Meinigen. So wenig die Natur bot, so gingen wir doch viel ins Freie und pflückten Blumen. Wenn wir zu Hause waren, wußten wir uns immer angenehm zu unterhalten: Ida sang und musicierte viel und ich beschäftigte mich mit litterarischen und sprachlichen Studien und dichtete. Oefter machten wir einen Spaziergang nach Hannover. Anlaß dazu gab es mehrmals die Woche: Ida hatte nämlich Unterricht im Generalbaß beim Musikdirector Anton Krollmann. Ich begleitete sie jedesmal und pflegte dann, während sie Unterricht hatte, Besuche zu machen.

Nachdem der Ankauf meiner Handschriften und niederländischen Bücher von Seiten der königlichen Bibliothek zu Berlin erfolgt war, mußte ich von Meklenburg aus die dort aufbewahrten in den Kauf begriffenen Bücher aussuchen, einpacken und nach Berlin senden.

Den 15. Juli trat ich meine Reise nach Meklenburg an. Den andern Tag war ich bereits in Holdorf. Meine elf Bücherkisten standen auf dem Kornboden. Ich ließ sie alle öffnen und begann dann meine Arbeit. Sie verursachte mir viel Kopfschmerzen, denn[32] der Raum war eng, dunkel und dumpfig. Nachdem ich die nach Berlin verkauften Bücher ausgesucht und wieder eingepackt hatte, wurden die übrigen neu verzeichnet und nachdem auch dies geschehen, ebenfalls wieder eingepackt. Den 22. Juli war ich mit diesem langweiligen Geschäfte fertig.

Den 8. August traf ich wieder in Bothfeld ein. Mehrere Tage konnte ich mich von den Strapazen der Reise nicht wieder erholen, und wurde schließlich noch recht unwohl und verstimmt. Obschon mich Ida durch Musik und Gesang zu erheitern suchte, so blieb doch bei mir wie bei den übrigen eine trübe Stimmung vorherrschend, die täglich durch traurige Nachrichten aus unserer Nachbarschaft genährt wurde: die Cholera wüthete im Göttingschen und Braunschweigschen und forderte noch täglich ihre Opfer. Endlich verstummte auch die Musik, Ida bekam einen schlimmen Finger und ward sehr leidend.

Ich suchte mich zu trösten in der Poesie, und so entstand denn in diesen trüben Tagen ›Des Sängers Trost.‹14 Wie wenig ich von der Gegenwart und nächsten Zukunft erwartete, darüber sprach ich mich klar aus, und mein letztes Lied15 vor der Abreise aus Bingerbrück war ein Zeugniß dafür. Ich dichtete jetzt Kinderlieder, Lieder für ein neues Geschlecht, denn von dem jetzigen erwartete ich nichts mehr.

Als Ida wieder wohl war und nach lieber langer Zeit zum ersten Male wieder spielte und sang, waren wir hocherfreut. Sie spielte mir mehrmals eine wunderschöne Melodie von Friedrich Burchard Beneken, wozu ich noch denselben Tag einen neuen Text16 dichtete.

Nachdem wir alle wieder wohl und munter waren und hätten abreisen können, war das Wetter hinderlich. So traten wir denn erst den 11. September unsere Heimreise an. In Bingerbrück fühlten wir uns bald wieder heimisch. Hatten wir im Frühling die Weinberge nur durchstrichen, um von dort aus neue schöne Aussichten zu gewinnen, so sollten sie uns jetzt noch andere Genüsse bereiten. Die[33] Trauben waren bereits reif und lachten uns überall an. Mit bewundernswerther Freigebigkeit führten uns unsere Nachbaren und guten Bekannten in ihre Weinberge nah und fern. Nicht allein, daß wir uns jedesmal satt aßen, wir wurden auch noch mit den schönsten Trauben beschenkt und brachten jedesmal in Taschen und Körben einen reichen Schatz heim. Dies Vergnügen wiederholte sich sehr oft bis zur Weinlese, wir besuchten wol an die zwanzig Weinberge, und hatten unsern Saal voll Trauben hangen bis in den December hinein.

... Mitte Decembers war ich mehrere Tage in Wiesbaden. Ich wohnte bei Dr. J. Schenckel. Wir und unsere Familien hatten sich schon im Sommer kennen gelernt und wechselseitig besucht. Schenckel war sehr wissenschaftlich strebsam und in mehreren Gebieten des Wissens gut bewandert und schriftstellerisch thätig. Er hatte seit Jahren an einer Blumenlese aus deutschen Dichtern des 19. Jahrhunderts gearbeitet, und biographische Nachrichten hinzugefügt, die ihm auf sein Ersuchen von mehreren Dichtern mitgetheilt waren. Sein Werk17 erhielt dadurch vor vielen anderen einen besonderen Werth, leidet aber wie alle übrigen in Betreff der Auswahl an großer Einseitigkeit. Schenckel war zum Ernsten und Elegischen sehr geneigt und in dieser Gefühlsrichtung pflegte er auszuwählen. An Geschick und besonders an Fleiß fehlte es ihm nicht, wol aber muß ich bezweifeln, daß er im Besitze der nothwendigsten Hülfsmittel war: ich, der ich doch gar nicht im Besitze einer derartigen Bibliothek war, konnte ihm Manches mittheilen was ihm noch nie zu Gesichte gekommen war. Die meisten Blumenleser haben oft gar keine Sammlung der Gedichte eines einzelnen Dichters gesehen, schaffen sich auch keine an und begnügen sich mit dem was ihre Vorgänger aus Musenalmanachen und Zeitschriften geschöpft haben. Wollten die Blumensammler kaufen, so würden sie den Schaden, den sie den Verlegern der Originalausgaben der Dichter anrichten, reichlich wieder gut machen.

Schenckel war sehr gefällig und nahm innigen Antheil an mir und meiner geistigen Thätigkeit. Er wünschte sehr, daß das was ich[34] eben schrieb, nicht allein erschiene und auch Anderen Freude machte, sondern auch etwas Geld einbrächte. Er führte mich nach Mainz zu Johann Baptist Wirth (Firma: J.G. Wirth Sohn), dem ich meine ›Liebeslieder‹ antrug. Er machte eine Berechnung und wir einigten uns: 1000 Exemplare und für jede Auflage 100 fl. Der Vertrag wurde doppelt ausgefertigt und unterzeichnet. Am Nachmittag waren wir wieder in Wiesbaden. Später verhandelte ich an Wirth mein Rheinleben, jedes Lied mit der Melodie für 1 fl.

Am 19. December reiste ich mit der Post von Wiesbaden bis Reichardshausen und ging dann zu Fuß nach Hallgarten hinauf. Itzstein freute sich sehr, zumal ich bei so schlechtem Wetter ihm nicht vorbeigegangen war. Ich fand Itzstein viel wohler als das letzte Mal und wieder lebensfroher. Als er mich aber den andern Tag nach Oestrich begleitete, fand ich denn doch, daß sein Geist sehr gestört war, die Unterhaltung wurde für mich sehr peinlich und der Abschied schwerer als jemals.

Seit der Winter begonnen, hatten wir viel schlechtes Wetter, Frost und Schnee, und manchen Tag einen so undurchdringlichen Nebel, daß wir aus unseren Fenstern kaum die Brücke sehen konnten. Wir suchten uns in guter Stimmung zu erhalten. Ida musicierte viel und suchte so sich und uns zu erheitern; seit Anfang Octobers hatten wir ein eigenes Instrument und so war einer ihrer Lieblingswünsche erfüllt. Schlimmer aber als das Wetter wirkte auf unser Gemüth die immer näher rückende Kriegsgefahr. Das Trauerspiel in Kurhessen war noch nicht zu Ende gespielt. Wir hatten viele Durchmärsche und mußten uns, obschon wir nur zur Miethe wohnten, doch mehrmals Einquartierung gefallen lassen. Ob es zum Kriege kommen würde, gegen wen und wofür? wußte eigentlich niemand. Der Wunsch aber, daß unsere Truppen zum Schutze des kurhessischen Volkes aufgeboten wären, war bei uns ziemlich allgemein.

Ich suchte mich geistig und leiblich zu beschäftigen, um jede unangenehme Stimmung zu bewältigen. Den 14. November schrieb ich in mein Tagebuch: ›Diesen Morgen ist ein großes, großes Fuder Wurzelstöcke angelangt. Ich werde nun fleißig Holz hacken und nebenbei dichten. Ich weiß nicht, welche Beschäftigung von beiden die zeitgemäßere ist.‹[35] Das Holzhacken war leider das Zeitgemäßere: denn die Rückwärtserei war wieder oben auf, nach allen Seiten hin thätig, und ließ es an Verdächtigungen, Verläumdungen, geheimen und öffentlichen Angebereien nicht fehlen; sie fand überall Freunde und Helfershelfer; alle Zeitungen, Zeitschriften, Wochen- und Flugblätter dienten bewußt und unbewußt der politischen Umkehr. Auch die Schreiber der Litteraturgeschichten stimmten plötzlich einen andern Ton an, als ob sie jetzt erst für Pflicht erkannt hätten, jeden Dichter schlecht machen zu müssen, der jemals ein freies Wort oder auch nur eine der herrschenden Partei mißliebige Ansicht ausgesprochen hatte. Daß auch ich diesen Herren jetzt ein willkommener Sündenbock war, läßt sich denken. Leute, die noch vor wenigen Jahren mir persönlich Achtung erwiesen, sich mir als meine Gesinnungsgenossen vorstellten, fielen über mich her wie über einen vogelfreien Sträfling.

Ich war oft sehr betrübt über so manche traurige Erscheinung der Gegenwart, dann aber auch wieder hoffnungsvoll und muthbeseelt, zumal wenn ich die vielen Soldaten über unsere Brücke hinüber und herüber ziehen sah. Da rief ich dann auch das Schillersche


Auf der Degenspitze die Welt jetzt liegt –

Drum wohl, wer den Degen jetzt führet!


und es war mir dann, als ob ich mich anschließen und mitmarschieren müßte, zumal eines Morgens, als ich mit Ida zum Fenster hinaus sah und ein ganzes Regiment in dem Augenblicke als es eben die Brücke betrat und gleichsam jenseits in Feindesland eindrang, mein Lied anstimmte: ›Morgen marschieren wir, ade, ade, ade, ade!‹ Diese kriegerische Stimmung kehrte oft wieder, und so dichtete ich denn Soldatenlieder, wozu ich Volksweisen benutzte oder auch eigene versuchte.

So kam das Weihnachtsfest heran und wir feierten es wie wir es seit unserer Kindheit nach heimischer Weise gewohnt waren: ein Weihnachtsbaum mit brennenden Lichtern, Flittern, vergoldeten Aepfeln und Nüssen beleuchtete die kleinen Geschenke, die wir uns einander bescherten, und wir aßen fröhlich zu unserm Kaffee den selbstgebackenen Kuchen.

Am Silvester-Abend sagten die Meinigen: ›Heute haben die Weiber die Herrschaft.‹ Gut. Da bereitete ich das Essen: ich kochte[36] Kartoffeln, machte einen schönen Puffer und sott dazu eine Frankfurter Wurst. Dann deckte ich den Tisch, brachte alle Gerichte herein und rief meines Erfolgs bewußt wie ein erfahrener Koch, der nicht erst Rumohr's Geist der Kochkunst zu kennen braucht: ›Es ist angerichtet!‹ Zum Nachtisch brachte ich noch Apfelschnitte, die ich in Butter, Mehl und Zucker gebraten hatte, und Alles war gut. Zu meiner größten Freude las ich in Idas Tagebuche: ›Silvester, dich habe ich immer sehr fröhlich gefeiert, aber nicht so innig ruhig, meines Glückes bewußt.‹

Das Neue Jahr (1851) begann für mich mit der Freude, daß nächstens meine Liebeslieder erscheinen würden. Diese Freude war um so größer als Ida seit Jahr und Tag diese Lieder so lieb gewonnen hatte.

Sie erschienen, die Johannalieder nebst einigen anderen, im Ganzen133, unter dem Titel: ›Liebeslieder. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. 16° 142 SS.)18 Zu ihrem Geburtstage überreichte ich Ida ein Exemplar mit einer Zueignung.19 Einige Wochen später folgten meine Rheinlieder: ›Rheinleben. Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. 8°. 35 SS.)20 – 20 Lieder mit in den Text gedruckten Melodien.

Unterdessen war uns unser idyllisches Leben sehr verleidet worden, namentlich durch unsern Wirth, der sich täglich wunderlicher und alberner gegen uns benahm und zuletzt ganz feindselig auftrat. Er wollte uns kündigen, ich kam ihm aber zuvor und kündigte ihm den 1. Februar. Allerdings lebten wir ja ganz glücklich unter uns und mit uns, wir fühlten aber doch, daß es in der gewohnten Weise nicht fortgehen würde und könnte. Die Gegend war freilich wunderschön, aber zu einem edlen genußreichen Leben gehören Menschen, die vielseitig gebildet, geistig angeregt und anregend sind, und unsere Theilnahme zu erwiedern sich bestreben. Die Leute hier waren gegen uns[37] ganz freundlich und nett, das ist aber Alles was sich von ihnen sagen läßt. Sie waren eben wie die Rheinländer, die leichten Sinnes,. vergnügungssüchtig und eingenommen für sich, meinen, weil der Rhein so schön, herrlich und vortrefflich, wären sie es auch, und es wäre gar nicht nöthig weiter auf der Welt etwas zu sein als ein Rheinländer, und mehr zu wissen und zu können als was nöthig ist um als anständiger Mann am Rhein zu leben.

Trotzdem wollten wir den Rhein nicht verlassen, wenn wir nur einen Ort fänden, der einigermaßen unseren Bedürfnissen entspräche. Die Wahl war uns eben so schwer, wie sie im vorigen Frühjahre Freiligrath geworden war, als er Köln mit einem anderen rheinischen Orte vertauschen wollte. Nachdem wir über verschiedene Rheingegenden Nachrichten eingezogen hatten, wählten wir Neuwied. Den 19. Februar fuhr ich mit Ida hinüber. Wir besahen uns eine Wohnung beim Oberlehrer Henckell und einigten uns über den Preis und die Einziehzeit.

Zum 1. Mai war unsere Abreise festgesetzt. Wir hatten bis dahin Zeit genug, bequem unsere Uebersiedelung vorzubereiten. Ich machte einige Ausflüge und nahm Abschied von Freunden und Bekannten im Rheingau, in Wiesbaden, Mainz und Bingen. Einen Theil unsers Hausraths verkauften wir, den übrigen übergaben wir einem Fuhrmann, unser Clavier nahmen wir mit auf's Dampfschiff. Den 30. April trafen wir nach einer nicht eben sehr angenehmen Fahrt in Neuwied ein.

Wenn man auf dem Rhein mit dem Dampfschiffe an Neuwied vorüberfährt und in die breiten geraden Straßen mit den eben nicht hohen Häusern sieht, dann ist es ganz verzeihlich mit Simrock auszurufen: ›Das moderne, regelrecht-nüchterne Neuwied!‹ Hat man aber erst einige Tage dort gelebt, so vermißt man recht gerne was die Romantiker an den alten Rheinstädten ebenfalls schön und herrlich finden. Es thut einem recht wohl, in den breiten, geraden, reinlichen Straßen zu wandeln, wo Platz genug ist für Menschen, Wagen und Pferde, wo das Auge nicht alle Augenblicke finsteren Gesichtern, Lungerern und Tagedieben in schmieriger Tracht, oft sogar in Lumpen begegnet, wo man nicht alle Augenblicke von verwahrlosten Kindern, verkommenen Strolchen und scheinheiligen alten Weibern angebettelt wird.[38]

Wenn Neuwied durch sein Aeußeres und wol auch sonstwie einer nordamericanischen Stadt ähnelt, so ist es doch durch und durch eine deutsche Stadt, die sich unter den Rheinstädten einen ehrenvollen Rang errungen durch seine Bildung und seinen Gewerbfleiß und sich vor allen auszeichnet durch wahrhaft christlichen Sinn gegen Andersgläubige und Andersdenkende. Friedlich wohnen hier mit und neben einander Reformierte, Lutheraner, Katholiken, Herrnhuter, Mennoniten, Quäker, Freigemeindler und Juden, eifrig bemüht, ihre geistigen und leiblichen Fähigkeiten zu entwickeln und für sich und Andere geltend zu machen. Der Geist des Stifters und der erften Ansiedler hatte sich auf ihre Nachkommen fortgeerbt, und so mußte Neuwied allmählich das werden was es jetzt ist.

Nachdem wir uns wieder häuslich eingerichtet hatten, wollten wir Land und Leute kennen lernen: wir machten Besuche bei einigen Familien und unternahmen manchen Ausflug in die Umgegend. Das Thal dehnt sich sehr weit aus und das Gebirge ringsum ist ziemlich fern. So aus der ersten Hand wie in Bingerbrück hat man die schönen Aussichten nicht, dennoch ist jeder etwas weitere Spaziergang ein lohnender. Wir wanderten nach allen Richtungen hin und fanden uns ganz befriedigt in der Mannigfaltigkeit der Aussichten, die hier größer ist als sie Bingerbrück gewährt; übrigens beschränkten wir uns vorläufig nur auf die rechte Rheinseite.

Am Nachmittage nach unserer Ankunft besuchte ich Fahr in Gesellschaft des Oberlehrers Henckell und einiger anderer Herren. Wir kehrten bei Hechtmann ein und begaben uns in den ›verlorenen Sohn‹, so genannt nach den Kupferstichen, welche die Geschichte des verlorenen Sohns darstellten und der einzige Kunstzierrat des kleinen Zimmers waren. Auf dem Tische stand ein Becher mit Fidibus. Ich entfaltete einige und bemerkte sofort, daß sie zu einem Stammbuche gehörten. Ich fragte den Wirth, ob er noch das Buch habe, woraus die Fidibus gemacht wären. Er brachte es, ich war sehr überrascht in dem erhaltenen Theile noch so viele berühmte Namen zu finden: Joh. Albert Fabricius, Michael Richen, Christian Thomasius, J.P. von Ludewig, Joachim Lange, Christian Wolf u.a. Das Stammbuch hatte einem jungen Theologen Namens Langerhans gehört, der das Hamburger Gymnasium besucht und dann in Wittenberg und Halle studiert hatte. Herr Hechtmann[39] schenkte mir das Büchlein und ich verehrte es später Sr. kön. Hoheit dem Großherzog von Weimar, der es dann der bedeutenden Stammbuchsammlung der Weimarer Bibliothek einverleibte.

In den ersten Wochen hatten wir Besuche gemacht bei einigen Familien, deren Umgang uns als wünschenswerth empfohlen worden war. Wie es aber bei manchen Dingen im Leben geht, so auch in der Wahl unseres Umganges: so etwas läßt sich nicht suchen, sondern nur finden. Nach und nach gestaltete sich für uns ein wechselseitiger angenehmer geselliger Verkehr, wir waren glücklicher im Finden als im Suchen. Die Ansprüche der Meinigen waren sehr mäßig, und um so anspruchloser sie auftraten, um so angenehmer war ihnen die freundliche Begegnung und das zutrauliche Wesen, das sie überall fanden. Bald fühlten sie sich heimisch und ich mit ihnen in Kreisen, die uns bald lieb und werth wurden und auch blieben. Es waren besonders die Familien Otto Remy, Piel, Gilbert, Radermacher, Henckell, Major Wever, Colonius, Schadt, in Heddesdorf Wilhelm Buchholtz und Julius Ingenohl, und Ludovici auf der Aubach, ferner Rector Götz, Dr. Goldfuß, Karl Remy und Maler Gapp.

So sehr auch unsere Uebersiedelung meine gewöhnliche Beschäftigung unterbrochen hatte und wie zeitraubend auch anfangs unser neue gesellige Verkehr war, so machte sich doch bald der Trieb geltend nach geistiger Thätigkeit, und so war ich denn früh genug wieder mitten im Dichten und wissenschaftlichen Arbeiten. In freudiger Hoffnung begrüßte ich in den letzten Tagen des Mais meine dichterische Stimmung:


O tausend Dank auf's Neue,

Dank dir, du Sangeskunst,

Für deine Lieb' und Treue,

Für deine Gnad' und Gunst!21


Den 20. Mai erhielt ich die Correctur der letzten Bogen meiner Heimatklänge. Bald darauf erschienen sie: ›Heimathklänge. Lieder von Hoffmann von Fallersleben‹. (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. 8°. V. 52 SS.)22 – 46 Lieder, denen ein[40] ›Nachweis einiger Melodien und Compositionen‹ beigefügt war. Anfang Julis sendete mir Brockhaus die Revision meiner Soldatenlieder. Auch sie erschienen bald nachher: ›Soldatenlieder von Hoffmann von Fallersleben. 20. Lieder mit Melodien, theils ein-, theils mehrstimmig.‹ (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. kl. 8°. 36 SS.)23. Unterdessen hatte ich eine neue Sammlung von Soldatenliedern vollendet und abermals meist Volksweisen dazu benutzt. Herr Gustav Flügel, Musikdirector am Seminar, war mir bei den Melodien behülflich und lieferte zu einem Liede eine eigene Composition.

Mehr als je fühlte ich in meiner jetzigen Lage die Nothwendigkeit, mir durch Schriftstellerei etwas zu verdienen, größer aber als je waren die Schwierigkeiten. Früher war ich im Besitze ausreichender Hülfsmittel, jetzt sah ich mich beschränkt auf einen kleinen Vorrath der nothwendigsten Bücher und es bot sich in der Nähe für meine Studien nichts dar als die Schulbibliothek in Coblenz und die Universitäts-Bibliothek in Bonn.

Eines schönen Tags machte ich einen Ausflug nach Bonn. Welcker erlaubte mir, nach Neuwied mitzunehmen was ich für meine Zwecke fände. Als ich den anderen Tag mich nach diesem und jenem Werke erkundigte, war es entweder gar nicht da, oder beim Buchbinder, oder ausgeliehen. Mit leeren Händen kehrte ich heim und hatte von meiner Reise nichts weiter als daß ich den Mittag bei Simrock speiste, den Abend bei Ritschl in seiner Gesellschaft mich befand und den andern Morgen mit Venedey frühstückte.

Den 31. Juli wurde ich auf dem Kreisgerichte als ›Zeuge‹ (wie es in der Vorladung hieß) vernommen. Es wurde mir ein ›Deutsches Liederbuch von Hoffmann von Fallersleben‹ in einer 2. Auflage: ›Leipzig. Verlagsbureau (Arnold Ruge) 1850‹ vorgelegt, und man fragte mich, ob ich dies Liederbuch herausgegeben. Ich erklärte, daß ich gar keinen Antheil daran hätte; die drei hier vereinigten Hefte wären im Literarischen Comptoir in Zürich gedruckt, als Eigenthum an Ruge übergegangen und schon im Jahre 1848 durch obigen Titel zu einer Sammlung vereinigt worden. Zum Beweise dafür konnte ich glücklicherweise die erste Auflage vorlegen, worin[41] die Gassenlieder, Salonlieder und Hoffmannschen Tropfen mit ihren ursprünglichen Titelblättern von Jahre 1845 vorkamen. Der Richter nahm das zu Protocoll, und ich war entlassen. Schwerlich galt diese richterliche Vernehmung dem neuen Verleger, es schien mehr auf mich dabei abgesehen zu sein. Schon in Bingerbrück hatte ich mich der besonderen väterlichen Huld des Herrn Oberpräsidenten von Kleist-Retzow zu erfreuen, die sich jetzt, seit ich ihm näher gerückt war, öfter und deutlicher kund gab.

Im August begann ich die neue Ausgabe des Reineke. Die Berliner Bibliothek sandte mir dazu meine Vergleichung des Dresdener Exemplars des Reineke vom Jahre 1517. Ich arbeitete sehr fleißig und war am 21. September fertig. Gegen Ende dieses Jahrs war der Druck vollendet: ›Reineke Vos. Nach der Lübecker Ausgabe vom Jahre 1498. Mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterbuch von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zweite Ausgabe. Breslau 1852. Grass, Barth & Comp. Verlagsbuchhandlung (C. Zaeschmar.) 8°. XXVI. 223 SS.)

Während ich auf diese Weise für unsern Haushalt, der jetzt kostspieliger geworden war, etwas zu erwerben suchte, wollte auch Ida ein Gleiches thun: sie fing an in befreundeten Familien Clavierunterricht zu ertheilen und freute sich, daß sie eine liebgewordene Kunstthätigkeit mit Erfolg wieder ausüben konnte.

Die Fortsetzung meiner Horae belgicae lag mir sehr am Herzen. Leider hatte ich mich alles Stoffes vor Jahren entäußern müssen und die Benutzung meiner ehemaligen Hülfsmittel, jetzt alle in der königlichen Bibliothek zu Berlin, war weitläufig und kostspielig. Dennoch kam ich jetzt in diesen ruhigeren Tagen immer wieder auf meine niederländischen Studien zurück, und so führte mich die Poesie hinein: ich fing nämlich an altniederländisch zu dichten. Die Freude über jedes gelungene Lied war immer wieder die Geburt eines neuen, und so entstanden ihrer 28, die ich dann wie alte Lieder behandelte und mit sprachlichen Anmerkungen versah. Am 10. October schrieb ich dazu eine Einleitung.

Um diese Zeit erschien die zweite Sammlung mei ner Soldatenlieder. Erk hatte mir einen Verleger besorgt und die Melodien redigiert. Um nicht gewisse Leute davon abzuschrecken, hatte ich meinen Namen weggelassen. ›Soldatenleben. Lauter schöne neue Lieder für Schützen und Musketiere, für Jäger und Canoniere, für Husaren,[42] Ulanen, Dragoner und Cürassiere, für den ganzen Wehrmannsstand in unserm lieben Vaterland. Mit Singweisen.‹ (Berlin. 1852. K.W. Krüger's Verlagsbuchhandlung. 16°. 34 SS. 22 Lieder.)24

In den letzten Tagen des Novembers erhielt ich einen Brief aus Leipzig, der mich sehr überraschte.


[Der Advokat Schellwitz in Leipzig, dessen Hülfe Hoffmann im Jahre 1842 gegen Hoffmann und Campe in Anspruch hätte nehmen wollen (vgl. Ges. W. Bd. VII. S. 314) machte ihm das Anerbieten, ein Wörterbuch der deutschen Sprache herauszugeben, welches der leipziger Buchhändler J.J. Weber in seinem Verlage erscheinen zu lassen beabsichtigte. Die Uebernahme dieser Arbeit wäre für Hoffmann wohl eine lebenslängliche Versorgung gewesen. Doch stellte der Buchhändler zwei Bedingungen: 1. sollte der Herausgeber seinen Aufenthalt in Leipzig nehmen und 2. sollte er ein beigefügtes Programm und den von Weber bereits entworfenen Plan des Werkes in den wesentlichsten Punkten anerkennen und befolgen.]


Wenn ich zwanzig Jahre jünger gewesen wäre und genügende Fähigkeit, Lust und Ausdauer zu einem solchen weitschichtigen, schwierigen Werke mir zugetraut hätte, so würde ich, selbst in der drückendsten Lage, aus ein solches Anerbieten nie eingegangen sein, ich würde mir meine Freiheit in der Wahl meiner Arbeit behauptet und nie zu einem Lohnarbeiter selbst des anständigsten Buchhändlers mich verstanden haben. Jetzt war nun erst gar kein Gedanke daran, auch im Traume würde mir nicht eingefallen sein, jemals gegen die Grimms ein gleiches Werk zu unternehmen oder mich auch nur dabei zu betheiligen, im Gegentheil, ich hatte bisher zu Grimm's Wörterbuch gesammelt und hoffte auch ferner mein Scherflein dazu beizutragen. Ich lehnte sofort nach Ankunft des Briefes das Anerbieten dankend ab. Wenn ich mich recht erinnere, so bemerkte ich: ›Man kann den Grimms wol nach-, aber nicht vorarbeiten.‹

Große Freude war in Coblenz, als sich die Nachricht verbreitete, Gräfin Rossi würde ihre Vaterstadt besuchen. Die Freude steigerte[43] sich zum Jubel, als sie kam und ihre Mitwirkung zu einem Concerte von Seiten des Musik-Instituts zum Besten der Armen zusagte. Das Concert war am 16. December 1851. Leider konnte ich nicht zugegen sein. Es wäre auch für mich ein hoher, seltener Genuß gewesen. Mein Freund Justizrath Kopp, Vorsteher des Musik-In stituts, hatte mich gebeten, ein Lied zu Ehren der Künstlerin zu dichten. Ich hatte dazu eine Mendelssohnsche Melodie (zu: ›Wer hat dich, du schöner Wald‹) gewählt. Es wurde noch denselben Abend nach dem Concerte am Trierschen Hofe vom Männerchor des Musik-Instituts mit Instrumentalbegleitung gesungen.25 Ein weithin schallendes Hoch, vom Oberbürgermeister ausgebracht, und der laute endlose Jubel des Volks zogen die hochgefeierte Sängerin aus Fenster; gerührt von diesen Huldigungen dankte sie herzlich ihren lieben guten Landsleuten.

Den folgenden Tag verweilte sie einige Stunden in Neuwied. Eingeladen von dem Vorstand der Kleinkinderschule sang sie hier in einem Concerte zum Besten dieser Anstalt zwei Lieder. Der Vorstand hatte mich gebeten, der Künstlerin zu Ehren ein Gedicht zu verfassen. Ich erfüllte diese Bitte. Das Gedicht26 war einer schönen Melodie von Luise Reichardt unterlegt und sollte im Concerte selbst gesungen werden. Da sich aber niemand getraute es vorzutragen, so unterblieb es. Was ich, ohne je die Sängerin gehört zu haben, darin ausspreche, ward nachher meine innigste Ueberzeugung und bewährte sich auch mir das bekannte ›Der Sänger ein Seher.‹

Als die Gräfin den Saal verlassen wollte, wurde ich ihr vorgestellt. Freundlich und bewegt sagte sie: ›'Ich habe mich unendlich gefreut über Ihr schönes Lied gestern Abend in Mainz (sie meinte: Coblenz). Ich habe Ihnen schon selbst schreiben wollen.‹ – ›Es wird mich recht freuen, wenn ich ein Andenken von Ihnen habe, und wenn es auch bloß Ihr Name ist.‹ – ›Ich werde Ihnen jedenfalls noch schreiben.‹ – ›Nun, fuhr ich fort, so nehmen Sie denn auch dies zum Andenken an!‹ Und somit überreichte ich ihr ein Exemplar der eben mir zugekommenen ›Sontagsfeier.‹27 Eine Abschrift dieses[44] Liedes, zierlich geschrieben und von allen Mitgliedern des Vorstandes der Kleinkinderschule unterzeichnet – war ihr während des Concertes in einem Blumenkörbchen überreicht worden.

Die Heimatklänge waren spurlos vorüber gegangen, wie es bei der allgemeinen stumpfsinnartigen Stimmung nicht anders zu erwarten war. Ueberdem wurde nun noch eine öffentliche Besprechung von Seiten der Behörden verhindert. Der Verleger hatte ein Exemplar der Heimatklänge nebst dem Rheinleben an die Blätter für literarische Unterhaltung eingesendet. Die Besprechung war auch erfolgt am 20. December in Nr. 132. Brockhaus zeigte dies an, jedoch mit der Bemerkung: ›Betreffende Nummer ist mir leider nach erfolgter Ausgabe in den wenigen noch vorhandenen Exemplaren mit Beschlag belegt worden, so daß ich bedauern muß, sie augenblicklich als Beleg nicht beifügen zu können.‹ Die Beschlagnahme würde sicherlich nicht erfolgt sein, wenn der Dutzend-Re censent mich nur tüchtig heruntergemacht hätte; das aber that er nicht, sondern sprach sich (S. 1199) recht wohlwollend aus.

Das neue Jahr (1852) begann ich mit dem festen Entschlusse, eine neue Ausgabe meiner Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit zu veranstalten. Bei den vielen Nachträgen, die ich selbst gesammelt hatte oder der Güte meiner Fachgenossen verdankte, hielt ich die Arbeit nicht für so schwierig. Bald aber stellte sich heraus, daß sie es war: eine völlige Umarbeitung schien mir nothwendig, und dazu war viel Zeit und Mühe erforderlich, so wie eine längere Benutzung einer großen Bibliothek. Trotzdem arbeitete ich ruhig weiter und dachte: kommt Zeit, kommt Rath.

Am 12. Januar nahm ich theil an der Liedertafel, die mich vor vier Wochen mit ihrer Ehrenmitgliedschaft beehrt hatte. Es wurde ein Chor eingeübt aus Kreutzer's Falschmünzern, die Solis sang Herr Tappenbeck sehr schön. Ich war recht angenehm angeregt und bekam wieder einmal Lust, eine Oper zu schreiben. Den andern Tag entwarf ich schon den Plan, meine Hoffnung auf guten Erfolg war jedoch nur gering, in meinem Tagebuche bemerkte ich: ›An der Ausführung wird die Sache wol scheitern. Hätte ich einen tüchtigen Componisten hier! Sicherer ich hacke Holz; da ist der Erfolg nie zweifelhaft, wenn auch noch so viel Mühe aufgewendet werden muß.‹[45]

Am 22. Januar war meine Oper fertig. Weil sie in Deutschland und Amerika spielt, so gab ich ihr den Titel: ›In beiden Welten.‹ Einige Tage nachher las ich sie vor in einer Abendgesellschaft. Man war recht erfreut darüber, meinte aber, was ich später immer wieder hören mußte, der Text sei für eine Oper zu gut, und warum? weil man sich einen Operntext nicht anders denken kann als unsinnig und gemein.

Während meiner Arbeit am Kirchenliede überzeugte ich mich täglich immer mehr von der Nothwendigkeit einer Reise nach Göttingen, und so entschloß ich mich denn bei dem ersten guten Tage dahin abzureisen. Das Wetter war wochenlang sehr schlecht, fortwährend Wind und Regen. Als nun der erste ruhige heitere Tag kam, trat ich meine Reise an. Den 6. Februar war ich bereits in Düsseldorf.


[Dort besuchte Hoffmann Robert Schumann und überreichte ihm den Text seiner Oper, in der Hoffnung, daß dieser sich bereit finden würde, dieselbe zu componieren. Aber so sehr Schumann den Text lobte, so erklärte er doch, sich mit der Composition nicht befassen zu können. Einen ähnlichen Mißerfolg trugen Hoffmanns Versuche bei anderen Musikern davon.]


10. Februar – 2. März in Göttingen.

Schon den Tag nach meiner Ankunft bezog ich eine Studentenwohnung, die mir Adolf, Idas Bruder, verschafft hatte. Ich richtete mich sofort häuslich ein und begann zu arbeiten. Die Bibliothek bot mir reichlichen Stoff, zumal in einer hymnologischen Sammlung, die wenig bekannt auf der Gallerie im historischen Saale aufbewahrt wird. Mein Hauptaugenmerk war auf das Kirchenlied gerichtet, nebenbei berücksichtigte ich jedoch auch andere Dinge. Ich hatte meine altniederländischen Lieder mitgebracht und dachte daran, sie hier drucken zu lassen. Eines Tages bot ich sie Herrn Vogel (Dieterichsche Buchhandlung) an. Wir einigten uns und der Druck begann sofort, nachdem ich dafür eine neue saubere Abschrift gemacht hatte. Noch während ich hier war, erschien mein Büchlein als Pars VII der Horae belgicae und mit dem besonderen Titel: ›Loverkens. Altniederländische Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Göttingen. Dieterich. 1852. 8°. VI. 46 SS.)28[46]

Den Tag vor meiner Abreise schrieb ich an Ida: ›Die Zwecke, meines Hierseins habe ich so ziemlich alle erreicht: ich habe litterarischen Verkehr angeknüpft, die Bibliothek ganz gehörig benutzt, ein ganzes Buch drucken lassen und eine ziemliche Anzahl Bände meines großen Büchervorraths verkauft. Ich reise mit einer gewissen Befriedigung weiter.‹ – Wetter und Wohnung waren überdem nicht geeignet, mir meinen Aufenthalt zu verlängern, und so reiste ich den 3. März mit der Post ab. Der Morgen war kalt, die Reisegesellschaft schweigsam. In Alfeld stieg ein Schulinspector ein. Wir unterhielten uns bald sehr lebhaft. Er hätte gerne gewußt, wer und was ich wäre. Ich gab mich nicht zu erkennen. Mich ergötzte sehr, daß er so bald nicht dahinter kam. ›Man weiß nicht recht, wohin man Sie bringen soll: bald scheinen Sie ein Landwirth, dann wieder ein Kaufmann zu sein, dann erzählen Sie so von der Göttinger Bibliothek, daß man Sie für einen Gelehrten halten muß etc.‹ Endlich hatte er das Räthsel gerathen. Auf dem Posthofe in Hannover trat der Herr Schulinspector an mich heran: ›Es giebt im Hannoverschen einen kleinen Ort, der heißt Fallersleben – kennen Sie den wol?‹ Ich reichte ihm lächelnd die Hand und sagte ihm Lebewohl.

3. März – 1. April in Bothfeld. Ueber meinen vierwöchentlichen Aufenthalt will ich Einiges aus meinem Tagebuche und der Erinnerung folgen lassen.

5. März. Nach Hannover. In der königlichen Bibliothek finde ich das älteste katholische Gesangbuch vom Jahre 1537 und leihe es mir. Ich besuche dann Gödeke, den ich als ich das vorige Mal in Hannover war nur flüchtig kennen lernte. Er war anfangs etwas feierlich, dann aber wurde er allmählich traulich, und ich war sehr überrascht, als ich mich in mei nen bisherigen Ansichten über ihn sehr getäuscht fand. Er bot mir seine ganze Bibliothek zur Verfügung und diese Bibliothek war für meine Studien sehr bedeutend.

6. März. Wieder nach Hannover und nur bei Gödeke. Er empfiehlt mir den Buchhändler Rümpler zum Verleger; durch Unternehmungsgeist und geschmackvolle Ausstattung seiner Verlagswerke zeichne er sich aus vor vielen seiner Collegen, und rechne es sich zur Ehre an, auch gediegene wissenschaftliche Werke zu verlegen.

8. März. Ich besuche Rümpler und verhandle mit ihm über die zweite[47] Ausgabe der Geschichte des Kirchenlieds und eine Miniatur-Ausgabe meiner Gedichte. Den folgenden Tag verhandeln wir weiter, aber erst den 15. einigen wir uns über einen Vertrag. Unterdessen sind meine Bücher aus Meklenburg angekommen. Ich habe die nächsten Tage viel zu thun mit Aussuchen und Ordnen. Adolf hilft mir. Wir haben 1112 Nummern geschrieben und in die Bücher eingelegt. Manches habe ich in Göttingen und Hannover verkauft, Manches zurückbehalten, den Rest übergebe ich Rümpler und schicke ihm später den Preiskatalog.

Den 22. März nehme ich die neue Auflage der Gedichte in Angriff, den 31. vollende ich sie und überantworte sie Rümpler.

Am 6. April war ich wieder in Neuwied. Auf den ersten Ostertag (11. April) fiel Idas Geburtstag. Wir feierten ein Doppelfest. Ida, von uns und ihren neuen Freundinnen beglückwünscht und beschenkt, war sehr erfreut und gerührt. Zu den mancherlei Geschenken, womit ich sie überrascht hatte, fügte ich noch ein Gedicht: ›Neuer Frühling, neues Leben.‹29 Zu den Freuden des Tags kam für mich noch eine unerwartete. Noch ehe sich unsere Abendgesellschaft einfand, hatte ich die Grundzüge entworfen zu einer neuen Oper. Ich hatte diesmal meinen Stoff nicht aus der Gegenwart, sondern aus der Vergangenheit genommen und zwar nach einem alten Liede30: ›Der Graf von Rom‹ oder ›Der Graf im Pfluge‹, und letztere Ueberschrift für meine Oper gewählt. In den nächsten Tagen ging ich an die Ausführung und am 17. April war meine Oper vollendet.

Schon in Bothfeld hatte ich fleißig an einem Hannoverschen Namenbüchlein gearbeit. Ich benutzte dazu drei auf einander folgende Jahrgänge des Hannoverschen Adreßbuches (1849. 50. 51.). Ich wollte jetzt das Büchlein vollenden. Die Arbeit war bei aller Ergötzlichkeit und Anregung doch mitunter sehr langweilig durch das oft wiederholte Durchlesen des Adreßbuches und das viele Nachschlagen in allerlei Wörterbüchern. Um dabei den guten Humor nicht zu verlieren, machte ich einige Namen-Hexameter und Namen-Lieder, z.B.:


[48] Schiweley. Brumm. Kuckuck. Laux. Hummel. Rummel. Sanitzka.

Jerasch. Benjamin. Kiek. Schnuphase. Spanier. Hurkuck.

Boedeker. Blievernicht. Schlu. Stock. Stille. Wanke. Tovote.

Klinck. Klapp. Klopp. Prasuhm. Pretzsch. Pampel. Nottes. Malortie.


Melodie: freut euch des Lebens


Meyrose. Kuemmel.

Finck. Geier. Stieglitz. Strauss.

Pfannkuche. Rindfleisch.

Specht. Elster. Gauss.


Kohl. Stuempel. Wurst. Pabst. Vette. Frass.

Bierschwale. Glaeser. Kanne. Maas.

Hengst. Wallach. Kracke. Bock. Schaaf. Wolf.

Hundt. Hase. Jaegers. Wehmuth.


Bald darauf erschien das Büchlein unter dem Titel: ›Hannoversches Namenbüchlein. Einwohner-Namen der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover, nach ihrer Bedeutung geordnet und erläutert von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 8°. XVII. 66 SS.) Wenn auch mein Büchlein nicht in so manchen Kreisen freundliche Aufnahme gefunden hätte, so würde ich mich doch getröstet haben, Einem Manne hatte es große Freude gemacht, nämlich dem es gewidmet war: ›Karl Gödeke zur Erinnerung an die Märztage 1852 in Hannover.‹


Neuwied, 21. Mai 1852.


Herrn Professor Tydeman

in Leiden.


Hochgeehrter Freund!

Ihre neuliche Anfrage durch Johannes Müller hat mich unendlich gefreut: ich sehe, daß Sie leben, wohl und munter sind und meiner noch gedenken.

Zehn Jahre (von 1840 an) habe ich ein sehr bewegtes Leben geführt. Die Sehnsucht und Hoffnungen des deutschen Volkes habe auch ich mit zu verwirklichen gestrebt, und dafür viel leiden und dulden[49] müssen. Aber selbst die jüngsten Ereignisse haben mich nur betrübt, nicht gebeugt, und ich bin meinem Vaterlande nie untreu geworden und kann es auch nie werden. Es steht höher als sein augenblickliches Geschick und ich glaube fest an seine schönere Zukunft, wie Sie ja aus meinen neulichen ›Heimathklängen‹ (Mainz bei Wirth) sehen können.

Meine Errungenschaft vom Jahre 1848 ist meine Rehabilitation mit einem mäßigen Wartegelde. Seit dem lebe ich verheirathet an dem schönen Rhein in stiller Zurückgezogenheit den Meinigen und der Poesie und Wissenschaft: ich singe und dichte, forsche, schreibe Bücher, spaziere, hacke Holz und pflücke Blumen. Unser Leben ist sehr einfach und doch ganz nach Wunsch: wir erfreuen uns einer wunderschönen Gegend und eines angenehmen geselligen Verkehrs. Neuwied zeichnet sich vor fast allen kleinen Rheinstädten durch seine Bildung aus. Für meine Studien gewährt es freilich wenig, ich habe aber Bücher genug und kann von Bonn und Coblenz Manches bekommen. Zu wissenschaftlichen Werken fehlt mir freilich Vieles, denn leider war ich gezwungen, meine bedeutende Bibliothek nach und nach zu verkaufen. Ich kann jedoch das Beste und Seltenste daraus immer benutzen: ein großer Theil ist in die königliche Bibliothek zu Berlin gewandert und Vieles auch in die Göttinger. Zur Vollendung größerer wissenschaftlicher Arbeiten muß ich gewöhnlich eine Reise machen und so war ich denn zum Behufe einer zweiten Ausgabe meiner ›Geschichte des deutschen Kirchenliedes‹ noch neulich (Februar und März) vier Wochen in Göttingen und vier in Hannover. Die Ausbeute war so lohnend, daß ich den Entschluß faßte, sobald es meine Familienverhältnisse nur gestatteten, abermals auf vier Wochen nach Göttingen zu gehen und die wunderbar reiche Bibliothek, die jetzt jedes Jahr bloß für Bücheranschaffen 8000 Thaler zu verwenden hat, mit Muße zu benutzen.

Daß ich der niederländischen Sprache und Litteratur fortwährend meine Aufmerksamkeit zugewendet habe, beweisen die beiden letzten Theile meiner Horae belgicae: die P. VII. erschien 1845, die P. VII. 1852. Ich hätte gern den seit vielen Jahren vergriffenen ersten Theil neu herausgegeben, dazu wäre aber eine Reise nach Holland und Belgien unerläßlich nothwendig, und dazu habe ich keine Mittel. Das Reisen in beiden Landen ist zu kostspielig und[50] auf eine so gastliche Aufnahme wie früher darf ich jetzt nicht mehr rechnen, denn die meisten meiner alten lieben Freunde sind wol längst heimgegangen. Ich werde jedoch an meiner Sammlung altniederländischer Volkslieder ruhig fortarbeiten; sie ist viel reicher und bedeutender als die von Willems und wird allen Freunden des Volksgesangs eine sehr willkommene Gabe sein. An eine Unterstützung von Seiten des Auslandes denke ich nicht. Meine neuesten Erfahrungen haben mich wieder belehrt, daß Deutschland immer noch das Land alles wissenschaftlichen Bücherverlags ist. Während man in Belgien die Pars VII. nicht einmal umsonst drucken wollte, erhielt ich in Göttingen dafür soviel Honorar, daß ich damit meine ganze bisherige Reise bestreiten konnte.

Den Rest meiner früheren Bibliothek habe ich aus Meklenburg nach Hannover kommen lassen, 11. Centner! Ich hätte gern Vieles daraus behalten, theils aber ist der Transport zu kostspielig, theils weiß ich die Bücher nicht unterzubringen. Ich habe mich deshalb entschließen müssen, sie an den Meistbietenden zu überlassen. Ich sende Ihnen heute zugleich das Verzeichniß und wünsche, daß die Maatsch. van nederl. letterkunde ihren reichen Schatz daraus noch vervollständigt.

Grüßen Sie alle meine alten Freunde wo Sie deren noch finden recht herzlich! und senden Sie mir recht bald Ihre verheißenen Mittheilungen ...

In alter Liebe und Treue

Ihr H.v.F.


Unterdessen war es Frühling geworden und das anmuthige Wetter lockte uns hinaus, wir lustwandelten viel im Freien. Trotzdem verließen mich meine rheumatischen Schmerzen nicht, ich war sehr leidend und mitunter so verstimmt, daß ich zum Arbeiten völlig unfähig war. Dazu kam nun noch ein stiller Kummer, den ich nicht auszusprechen wagte. Ida erwartete täglich ihre Niederkunft. Der Tag der Entbindung (30. Mai) kam. Sie mußte viel ausstehen, kämpfte aber ritterlich. Als sie hörte: ›Das Kind ist da!‹ küßte sie mich und rief. ›Nun ist eine neue Welt für mich aufgegangen!‹[51] Unter Freudenthränen ging ich in mein Kämmerlein und suchte meine Gefühle in einem Gedichte31 auszusprechen.

Leider wurde unsere Freude nur zu früh getrübt: unser Kind hatte ein Leiden mit auf die Welt gebracht, das unheilbar war und ihm nur ein kurzes Leben noch gönnen ließ. Die Teilnahme aller uns befreundeten Familien war groß und blieb uns unvergeßlich. Unser armes Kind! es schwebte immer zwischen Tod und Leben. Mit Angst und Betrübniß gingen wir dem Sommer entgegen. Was mich sonst hätte erfreuen müssen, ließ mich gleichgültig. Wenn ich sonst an einem schönen Tage draußen im Freien wandelte, wie war mein Herz froh, als ob alle Blumen und Vögel mich begrüßten und die blauen Berge mir freundlich winkten. Jetzt weinte ich und sprach leise die Worte Calderon's so vor mir hin:


Was ist Leben? Hohler Schaum,

Ein Gedicht, ein Schatten kaum!

Wenig kann das Glück uns geben;

Denn ein Traum ist alles Leben,

Und die Träume selbst ein Traum.


Ich hätte so gerne fleißig gearbeitet, aber ich war zu wenig gesammelt und zu oft gestört; ich konnte mich nur mit Dingen befassen, wozu keine geistige Anstrengung erforderlich: ich schrieb die von mir gesammelten Wörter ab, ordnete sie alphabetisch und klebte sie auf. Daraus wählte ich dann für die Grimms einige zu den Buchstaben A und B gehörige aus und schickte sie ein. Ich hatte es nicht gewagt, einen Brief beizulegen, sondern nur ein Blättchen mit den Worten aus ›Markus Hüpfinsholz (von Meusebach), Geist aus meinen Schriften‹ S. 57.

›Wie aller Stillstand im Guten Rückgang ist, also auch in der Liebe, aber (nach einer von mir nicht zuerst gemachten Bemerkung) nicht nur in der Liebe, sondern auch im Hasse. »Nicht bloß die Liebe, sondern auch der Haß ist veränderlich und beide sterben, wenn sie nicht wachsen.« Da nun aber einer menschlichen Seele der Nachtgedanke, daß ihr Groll ewiglich wachsen solle, (wir dürfen es hoffen) gewiß unmöglich ist; so sollte auch keine dergleichen sich vornehmen,[52] auch nur auf einen Monat, auf eine Woche, auf einen Tag, auf eine Stunde zu zürnen und hassen.‹

Am 24. Juni antwortete Jacob Grimm auf meine Zusendung:


Lieber Hoffmann.


Die schriftzüge der adresse waren von bekannter hand, Ihr brief und die zusendung bewegte und rührte mich, ich habe keinen groll auf Sie, und was zwischen uns getreten war hat mir oft leid gethan. Ihr herz wird noch so sein wie es war als Sie mich zur zeit des glorreichen studentenauszugs nach Witzenhausen in Cassel zuerst aufsuchten. was nun übel oder unrecht war wollen wir vergessen sein lassen. mich freut, daß Ihnen nach so mancher bedrängnis der mut und die arbeitslust nicht sinkt und daß nachdem Sie die meisten gesammelten bücher verkaufen mußten, Sie von neuem sammeln und Sich daran freuen können. die geschickten auszüge sind willkommen und brauchbar, einige darunter kamen schon zu spät, da das zweite heft bereits gedruckt ist; die beiträge für die nächsten buchstaben werden Sie schon etwas früher zufertigen. Dank auch für Reinecke und das liederheft, und Gott befohlen. –


Um diese Zeit war denn endlich der Druck meiner Kinderliedersammlung vollendet worden: ›Die Kinderwelt in Liedern. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mainz. J.G. Wirth Sohn. 1853. 16°. 224 SS.)

Ich war mit der Ausstattung wenig zufrieden, Papier und Lettern ließen viel zu wünschen übrig und doch sollten letztere Jungferlettern sein! Wie stattlich nahm sich dagegen die neue Ausgabe meiner Gedichte aus, von der ich schon 20 Aushängebogen in Händen hatte!

In den letzten Tagen Junis trat mir meine neue Oper wieder sehr nahe. Ich wollte gern einmal das Urtheil einer Sängerin darüber hören und wendete mich deshalb an Frau Gräfin Rossi, die eben zur Cur in Ems sich aufhielt.


[Am 2. Juli besuchte Hoffmann sie in Ems und las ihr seine neue Oper ›Der Graf im Pfluge‹ vor. Die ganze Entwickelung derselben gefiel ihr sehr gut, und sie meinte, wenn das Stück gut componirt wäre, so würde es von großer[53] Wirkung sein. Einen Componisten konnte sie dem Dichter aber nicht verschaffen, und daher erreichte Hoffmann auch bei ihr seine Absicht nicht.]


Den 6. Juli wurde unser Töchterchen getauft. Gevatterinnen waren Johanna Henriette Gräfin Rossi, Fräulein Maria Radermacher und Frau Friederike Sturtevant. Die Taufe verrichtete der Pastor Reck. Es war für mich sehr rührend wie der alte würdige Mann so herzlich sprach und so viel Schönes an die Namen Johanna Maria Friederike knüpfte. Mir war sehr traurig zu Muthe. Gegen Abend schrieb ich in mein Tagebuch: ›Wenn ich das Kind so sehe mit seinem lieben Gesichte, worauf der Frieden des Himmels ruht, und ich muß denn doch wünschen, daß es bald stirbt, damit es von seinen Leiden erlöst und vor größeren bewahrt wird, – dann will mir das Herz brechen und ich fühle so recht tief, daß ich ein armer schwacher Mensch bin. Nun, wie Gott will!‹

Den 30. Juli zum Sängerfeste nach Düsseldorf. Unter anderen treffe ich den Musikdirector Dr. Gotthard Wöhler von Greifswald; ich lese ihm meine Oper vor. Er ist geneigt, sie zu componieren, er wünscht nur, daß ich vorher noch Einiges darin ändere. Ich bin dazu bereit. Er verspricht mir, mich in den ersten Tagen der nächsten Woche zu besuchen, wir wollen dann Rücksprache nehmen in Betreff der Oper, ich soll bis dahin nur den Text mit den neuen Aenderungen in Ordnung bringen.

Auf der Rückreise treffe ich in Bonn an der Landungsbrücke viele Studenten und eine Musikbande. Mit klingendem Spiele und entfalteten Bannern marschiert der Zug aufs Dampfschiff. Jubel und Böllerschüsse vom Ufer und vom Schiffe. Ich sitze am Vordertheile und kümmere mich wenig um das was um uns vorgeht. Nach einer Weile werde ich abgeholt und unter lautem Jubel in die Mitte der Studenten geführt. Man reicht mir ein großes Trinkhorn und ich muß den Willkomm trinkend erwiedern. Alles bestürmt mich, mit nach Rolandseck zu gehen und den 25-jährigen Stiftungscommers mitzufeiern. Ich sage endlich ja und mache nun Alles mit. Oberhalb Rolandseck steigen wir aus und ziehen feierlich mit Musik zu Groyen. Wir nehmen Platz in den Rebenlauben und freuen uns der wunderbar schönen Aussicht. Nach einiger Zeit ertönt der[54] Ruf: ›Der Kaffee wird serviert!‹ Ei, Donnerwetter! denk' ich, serviert! hier geht's fein her, und – so war's auch.

Bei Anbruch der Dämmerung ladet ein Trompetentusch zur Festtafel ein. Der Saal ist hübsch geschmückt mit Blumen- und Laubgewinden und grünweißschwarzen Fahnen, vor jedem Gedecke stehen zwei Flaschen Wein, worauf Fähnchen mit den westfälischen Farben. Das Ganze macht einen freundlichen Eindruck. Es folgt die Begrüßung der Mitglieder, ein Hoch auf alle Anwesenden, auf die Westfalia etc. Musik, Reden und Lieder wechseln mit einander, dazwischen manches Hoch. Ungeheuere Heiterkeit. Endlich kommt nach altem Brauch der Landesvater dran. Ich glaubte, meine Mütze gut geborgen, bald aber bemerke ich sie auf dem Haupte meines Nachbars und dann auf dem Schläger aufgespießt. Erst gegen 3 Uhr kommen wir zu Bette, und obschon ich nicht schlafe, so bin ich doch um 6 frisch und munter im Garten. Nachdem wir gefrühstückt stegreifern wir eine Musikbande: ich spiele den Triangel, andere folgen nach mit Geige, Baß, Trompete, Waldhorn etc., und so ziehen wir hinab und bringen der Wasserheilanstalt ein Ständchen. Dann muß ich noch einen Abschiedstrunk trinken. So wie das Dampfschiff in Sicht ist, eile ich an den Rhein. Ich erreiche es zu rechter Zeit, sage meinen Begleitern Lebewohl und segele wohlgemuth nach Neuwied.

Die nächsten Tage beschäftigte ich mich mit mei ner Oper ›In beiden Welten‹. Ich arbeitete sie um, um sie zeitgemäßer d.h. hofbühnengerechter zu machen. Täglich erwartete ich Wöhler, er kam nicht, und ich habe auch später nie wieder etwas von ihm gehört und gesehen.

Dagegen war mir am 10. August eine andere große Freude beschieden. Als wir Abends von einem Spaziergange heimgekehrt waren, besuchte uns Professor M. de Bries von Groningen Die Meinigen waren nicht wenig überrascht, einen so lebendigen jugendfrischen Holländer und noch dazu einen so liebenswürdigen holländischen Gelehrten vor sich zu sehen. De Vries war eigens hier ausgestiegen, um mich zu begrüßen. Er erzählte viel von Holland, von meinen alten Freunden, dem jetzigen Zustande der niederländischen Sprachwissenschaft und in wie gutem Andenken ich dort stehe. Es war in Berlin bei den Grimms gewesen, um sich mit ihnen näher zu[55] besprechen über das große holländische Wörterbuch, das von ihm unter Mitwirkung von holländischen und belgischen Gelehrten herausgegeben werden sollte. Wir verplauderten bei einem Glase Rheinwein einige Stunden sehr angenehm. Ich schenkte ihm ›Zur Erinnerung an Neuwied‹ die zweite Ausgabe meines Reineke und wünschte ihm ein herzliches Lebewohl.

Seit Jahr und Tag hatte ich mich schon mit dem Theophilus beschäftigt, ich war ziemlich weit gediehen, konnte mich aber zu einem Abschluß meiner Arbeit noch nicht verstehen, ich wollte noch erst die Urschrift vergleichen. Ich wendete mich nach Trier, erhielt aber zur Antwort, daß keine Handschriften ausgeliehen würden. Ich reiste daher selbst nach Trier und vollendete in wenigen Stunden die Vergleichung des Theophilus. Den folgenden Tag (21. August) mache ich einen Spaziergang um die halbe Stadt. Als ich zurückkehre, sagt man mir, ich solle zur Polizei kommen. Ich gehe sofort hin. Herr Polizeidirector Zillgen fragt mich nach allem Möglichen, Vor-, Zunamen, Alter, Religion, ob verheirathet, wieviel Kinder, wen ich kenne, u. dgl. Endlich frage ich ihn, ob meinem Hierbleiben etwas entgegenstehe? Er antwortet: nein, und ich empfehle mich.

Sonntag 22. August. Ich bleibe auf meinem Zimmer. Um 11 tritt der Polizeicommissar Bergmann ein mit noch einem Polizisten: ›Ich muß Ihnen anzeigen, daß Sie aus Mangel einer Legitimation binnen. 24 Stunden die Stadt zu verlassen haben.‹ Ich speise zu Mittag, zahle und gehe mit leichtem Gepäck zum Thore hinaus. Draußen setze ich mich in einen Omnibus, fahre für 1 Sgr. eine weite Strecke und gehe dann an der linken Moselseite zu Fuß weiter. Im Fährhause Schweich gegenüber übernachte ich.

Montag 23. August. Früh munter, um das Dampfschiff nicht zu versäumen. Kaum bin ich reisefertig, so erscheint der Herr Bergmann mit dem Bürgermeister von Schweich. Der arme Mann hat mich die ganze Nacht gesucht, während ich in süßem Schlafe lag. ›Ich habe den Auftrag, Sie nach politischen Schriften zu untersuchen.‹ Gut. Ich öffne meine Reisetasche und hole ein Stück nach dem anderen hervor: Hemd, Jacke, Strümpfe, dann die vor 32 Jahren in Trier genommene Abschrift des Theophilus und die Abbildung der Porta nigra. ›Sie haben auch eine Brieftasche.‹ Auch die lege ich vor mit allen einzelnen Zettelchen. Die ›politischen Schriften‹ sind einige[56] preußische Cassenanweisungen, einige Reisenotizen, einige Kinderlieder, ein paar bezahlte Rechnungen und ein Postschein. Endlich findet er noch einen angefangenen Brief, der mit folgenden Worten endigt: ›Das Thal lag wunderschön beleuchtet vor mir und ich sang eben so froh wie vor 32. Jahren:


Auf den Bergen lebt man frei,

Da giebt's keine Polizei.‹


Das große Werk ist vollendet und ich kann frei meiner Wege gehen. Ich besteige das Dampfschiff, welches eben ankommt. Es hat sich um eine Stunde verspätet, weil es wegen der Fahndung auf mich eine Stunde später abfahren mußte. Ich werde von allen Seiten freundlich begrüßt.

Ueber die mir zugefügte Unbill führte ich weiter keine Beschwerde – was hätte ich auch von einem Kleist-Retzow erwarten können? Dennoch blieb ich eine Antwort nicht schuldig, sie erfolgte schon am 25. August in dem Gedichte:


›Ich bleib' in meinem Vaterlande.‹32


Wir hatten wieder recht trübe Tage: unser Kind sehr krank, wir in Angst und Kümmerniß und selbst sehr leidend. Unsere Freunde boten Alles auf, uns zu zerstreuen. Wie an trüben Tagen ein Sonnenblick uns erfreut, so kam zuweilen ein freudiges Ereigniß mitten in unser Leid. Den 21. September trafen die ersten gebundenen Exemplare der neuen Auflage meiner Gedichte ein, sehr schön ausgestattet: ›Gedichte von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1835. 16°. 446. SS.).

Ich war wieder recht fleißig: den 1. October vollendete ich den Theophilus, die nächste Zeit machte ich Studien zur Geschichte des Kirchenliedes und zur Fortsetzung meiner Horae belgicae. Die Trierer Ausweisung konnte mich nicht weiter verstimmen: die ganze deutsche Presse hatte sich mißbilligend darüber ausgesprochen. Mit größerer Lust schrieb ich jetzt die gesammelten Beiträge zum Grimmschen Wörterbuche ab, ich war sehr froh, daß endlich zwischen den Grimms und mir ein freundliches Verhältniß angebahnt war, Jacob hatte sich ja in seinem Schreiben sehr freundschaftlich ausgesprochen. Ich setzte voraus, daß Wilhelm wenn nicht von derselben doch von[57] ähnlicher Gesinnung beseelt war. Das war aber ein Irrthum. Ich erhielt folgende Zuschrift:

›Von der Rümplerschen Buchhandlung ist mir in diesen Tagen das Hannöversche Namenbüchlein im Auftrag des Verfassers zugeschickt worden: ich bitte Herrn Professor Hoffmann solche Zusendungen nicht weiter zu veranlassen. Für mich ist die Erinnerung an die Vergangenheit zu herb, als daß ich in das erste ungestörte Verhältnis zurückkehren könnte.

Berlin 30. September 1852.

Wilhelm Grimm.‹


Diese Erklärung mußte mich um so mehr schmerzen, als ich an der Veranlassung ganz unschuldig war. Ich hatte allerdings Herrn Rümpler gebeten, das Namenbüchlein an die Grimms einzuschicken aber nur Ein Exemplar. Nachdem mir Wilhelm Grimm nicht wie Jacob geschrieben hatte, würde ich es nie gewagt haben, an jenen je eine Zeile zu richten oder etwas einzusenden. Bei solchen unangenehmen Ueberraschungen pflegte ich dann wol ins Freie zu gehen und Blumen zu pflücken, oder ich nahm die Axt, spazierte hinab auf meinen Gartenfleck, den ich von meinem Nachbar gemiethet hatte, und hackte Holz, bis ich in Schweiß gerieth. In meinem Tagebuche heißt es denn auch wol: ›Holz gehackt und die Welt verachtet.‹

Am 9. December besuchte ich die Bonner Bibliothek, lieferte einige Bücher ab und sah die deutsche Litteratur und das Fach der Hymnologie durch. Ich traf mit Dr. Oscar Schade zusammen, den ich schon von Berlin her kannte. Er lud mich zu sich ein und wir unterhielten uns mehrere Stunden. Er erzählte von seinen deutschen Studien, zunächst wollte er den Veldeke herausgeben, dann nach Wien gehen und magyarisch und slavisch treiben etc.

Den 18. und 19. December in Hallgarten. So groß erst meine Freude war, als ich Itzstein wiedersah, so wurde sie doch bald getrübt. Er schien mir allerdings wohler und ruhiger als bei meinem letzten Besuche, bald aber erfuhr ich, daß seine Geistesschwachheit seitdem nur noch zugenommen hatte. Innig gerührt und weinend nahm ich Abschied von dem Manne, dem ich für so viele Beweise wahrhaft väterlicher Theilnahme dankbar bin, und mit Wehmuth verließ ich den Ort, der mir durch so manche Freude lieb und unvergeßlich ward und geblieben ist. Erst bei meinen Freunden in[58] Rüdesheim, Schultz und Reuter, fand ich meine heitere Stimmung wieder und verlebte mit ihnen zwei frohe Tage, die sich würdig anreihten an meine alten frohen Rheingauer Tage. Den 22. December war ich wieder in Neuwied.

Bei meiner Ankunft wurde ich angenehm überrascht durch den Theophilus, den mir in einigen Exemplaren Herr Rümpler geschickt hatte. Die viele Mühe, die ich dem Buche zugewendet, war nun durch eine nachhaltige Freude belohnt worden: ›Theophilus. Niederdeutsches Schauspiel aus einer Trierer Handschrift des XV. Jahrhunderts. Mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterbuch von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Erster Druck. Hannover. Carl Rümpler. 1853. 8°. XIV. 86 SS).

Den anderen Tag traf ein Brief von Jacob Grimm ein. Nachdem mir Wilhelm Grimm erst neulich einen Absagebrief geschrieben und sich jede Zusendung meinerseits verbeten hatte, dankte sein Bruder Jacob für die neuliche und erfreute mich mit einer freundlichen Zuschrift und einer werthvollen Beilage ›Ueber den Ursprung der Sprache.‹ Seinen Wunsch: ›Treten Sie frohgemuth ins Neue Jahr!‹ suchte ich bestens zu erfüllen.

Zum neuen Jahre (1853) hatten wir Besuch: Herr Dr. Schade war von Bonn herübergekommen. Er schien sich bei uns und in unsrer kleinen Wohnung zu gefallen, er war vergnügt und unterhielt sich gerne, er sprach sich sehr freimüthig über Alles ans und suchte sich angenehm zu machen, er war nie verlegen um schöne Redensarten und Schmeicheleien. Als ich ihm meine neuesten Gedichte vorgelesen hatte, sagte er: ›Solche kann keiner aller lebenden Dichter machen.‹ Wenn wir auch keinen Werth auf dergleichen Artigkeiten und Lobspenden legten, so glaubten wir doch, daß sie Aeußerungen einer gutmüthigen Natur wären. Am Neujahrsabend wurden wir aber schon einer anderen Ansicht. Wir waren zu einer Gesellschaft eingeladen, wohin uns auch später Schade nachfolgte. Er gerieth hier bald mit einem der Anwesenden so heftig an einander, daß eine sehr langweilige unerquickliche Streiterei entstand, wodurch die vorher heitere Stimmung der Gesellschaft auf längere Zeit getrübt wurde.

Den ganzen Januar arbeitete ich sehr fleißig an der Geschichte des Kirchenliedes und der Fortsetzung der Horae belgicae. Von[59] Berlin hatte ich mir meine beiden früheren niederländischen Liederhandschriften kommen lassen und eine Abschrift des wichtigsten Theils derselben vollendet. Ich hoffte jetzt für meine hymnologischen Studien noch Manches von Bonn und Köln. Den 30. Januar trat ich meine Reise an.

1–13. Februar in Köln. Dort besuchte ich Dr. Eberhard von Groote und wurde sehr freundlich empfangen; er lud mich ein, bei ihm zu bleiben. Ich entschloß mich schnell und blieb, und so verlebte ich denn mit ihm und seiner Familie vierzehn sehr angenehme Tage.

Groote freute sich sehr, daß wir uns in demselben Fache litterarischer Thätigkeit begegneten. Er war ein begeisterter Verehrer der alten lateinischen Lieder seiner Kirche, er pflegte die ihm besonders lieb und werth gewordenen in stillen Stunden früh Morgens und Abends zu singen, und widmete dieser ganzen kirchlichen Dichtung große Aufmerksamkeit. Er hatte sich eine alte Sammlung geliehen, eine prachtvolle Handschrift vom J. 1358 ›ecclesiae Mariae ad gradus‹ und die schönsten Lieder daraus abgeschrieben. Als er sah, wie eifrig ich mich mit der Hymnologie befaßte, verehrte er mir seine Abschrift. Er war überhaupt sehr mittheilend, alle seine Handschriften und Bücher stellte er mir zu beliebiger Benutzung. Einen noch größeren Dienst erwies er mir aber dadurch, daß er mir die Wallrafschen Bücher zugänglich machte.

Der Carneval war um die Zeit in vollem Gange, aber ich kann nicht sagen, daß ich an Allem was ich sah und hörte einen sonderlichen Geschmack hätte finden können. Die hanswurstliche Hochzeit, die am Faschingsmontag durch einen großen Wagenzug dargestellt wurde, war so matt, daß auch nicht die bescheidensten Ansprüche Befriedigung hätten finden können. Der einzige Witz war noch, daß Louis Napoleon erschien. Er fuhr aber kaum hundert Schritte, da hieß ihn die Polizei seinen kaiserlichen Schnurbart abnehmen und mit seinem Zettel heimfahren.

Am 14. Februar nahm ich Abschied vom Grooteschen Hause. Ueber den Erfolg meiner Reise und die genußreichen Stunden war ich sehr erfreut und dankerfüllt. Um einen Beweis dieser Stimmung Herrn von Groote zu geben, widmete ich ihm eine kleine Schrift, die mir besonders zur Kenntniß der Latinität des Mittelalters nicht[60] unwichtig schien: ›Epistola Adami Balsamiensis ad Anselmum. Ex codice Coloniensi edidit Hoffmannus Fallerslebensis. Neowidae.‹

Nach meiner Rückkehr traf ich Ida wohl, aber still und betrübt: unser Kind war sehr krank. Den 17. Nachmittags athmete es nur noch leise, der Tod lag ihm schon auf dem Gesichte. Am Abend spät wurde es an den Gliedern nach und nach kalt. Ich saß au meinem Tische und schrieb meine zweite Oper ab. Bei den Worten:


Dann, o Tod, mag's morgen sein,

Ruhig, ruhig harr' ich dein –


hörte ich auf. Ida mußte mir versprechen, zu Bette zu gehn. Wir gingen. Kurz vorher hörten wir nur noch, wie unser armes Kind einige Klagetöne ausstieß, es waren seine letzten. Um 1 Uhr war es sanft auf Agnes Schoß entschlafen.

Den 18. in der Dämmerung standen wir auf. Ida hatte schon lange gewacht. Sie wollte in die Küche, wo eben Agnes war. Da hörte ich einen lauten Schrei. Ida! Ida! schrie ich. Endlich kam sie, das Blut strömte ihr aus der Nase hervor. Es war ein schrecklicher Augenblick. Wir gingen in mein Zimmer und weinten uns aus. Vergebens versuchte ich zu arbeiten. Später besorgte ich das Begräbniß.33 Den andern Morgen in aller Frühe geleitete ich unser Kind zu Grabe. Merkwürdig, bald nachher starben alle drei Pathinnen Marias, Gräfin Rossi in Mexico, Frau Friederike Sturtevant in Braunschweig und Maria Radermacher, erst seit Kurzem verheirathet, in Coblenz.

In diesen trüben Tagen sehnten wir uns beide, Ida und ich, fort aus unserm häuslichen Elende in die Heimat zu unseren Verwandten. Da aber das Wetter noch sehr unbeständig und unfreundlich war, so wollten wir unsre Reise erst im Mai antreten.

Da machte ich nun allein noch einen Ausflug zu meinem Freunde Conrad Wolff, der mich so oft und dringend zu sich nach Crefeld eingeladen hatte. Den 26. März traf ich dort ein und verlebte vierzehn sehr angenehme Tage. Ich fühlte mich bald recht heimisch unter Conrads vielen Verwandten und Freunden.

Zu meinem Geburtstage wurde ich beglückwünscht und beschenkt.[61]

Auch die löbliche Polizei wollte diesen für mich wichtigen Tag nicht vorübergehen lassen ohne ein Zeichen ihrer Aufmerksamkeit: sie fragte nach meiner Legitimation und erhielt meine Paßkarte, die mir dann nach einer halben Stunde wieder zugeschickt wurde. Leider konnte ich Idas Geburtstag (11. April) nicht daheim feiern und so sendete ich ihr denn noch von hier aus einige erfreuliche Geschenke und ein Lied.34 Bald darauf kehrte ich nach Hause zurück.

Den 12. Mai traten wir die langersehnte Heimatreise an und noch denselben Tag spät Abends erreichten wir Bothfeld.

Sobald ich mich von der Reise erholt, fing ich an zu arbeiten. Hannover gewährte mir wider Erwarten reiche Ausbeute für meine hymnologischen Studien: durch die Gute des Dr. Gödecke und des Senators Culemann und aus der königlichen Bibliothek wurden mir Quellen zugänglich, die bisher wenig oder gar nicht benutzt waren. Als ich so glücklich war des ältesten katholischen Gesangbuchs von Vehe habhaft zu werden, faßte ich den Entschluß, es noch während meines Bothfelder Aufenthalts herauszugeben. Herr Rümpler war sofort zum Verlegen bereit, wie er sich denn auch geneigt zeigte, den Verlag der neuen Ausgabe meiner Geschichte des Kirchenliedes zu übernehmen. Schon den 19. Mai begann der Druck. Ich mußte nun wegen der Correctur und der Benutzung der Bibliothek oft nach Hannover, und wenn ich mich dort auch bei Rümpler und Gödeke einige Stunden erholte, so wurde mir doch der Weg, zumal bei schlechtem Wetter, meist immer sehr beschwerlich.

Zum Weiterforschen auf dem hymnologischen Gebiete schien mir ein längerer Aufenthalt in Göttingen nothwendig. Mein Entschluß war schnell gefaßt und ausgeführt. Noch vor meiner Abreise aus Bothfeld erschien mein Buch: ›Michael Vehe's Gesangbüchlin vom Jahre 1537. Das älteste katholische Gesangbuch. Nach dem Exemplar der königlichen Bibliothek zu Hannover herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1853. 8°. 117 SS. mit einer Nachrede S. 122–138).

1. Juli – 2. August in Göttingen.

Dem Dr. Ellissen, Professor Höck und Professor Schweiger bin ich zu vielem Danke verpflichtet; sie gestatteten mir die freieste Benutzung der Bibliothek und durch ihre gütige Vermittelung[62] wurde mir die Einsicht der Helmstedter Handschrift des Theophilus ermöglicht. Ich war nun sehr fleißig, manchen Tag arbeitete ich zwölf Stunden. So anstrengend das Suchen, Ausschreiben, Nachsehen und Ausarbeiten war, so lohnend wurde es doch von Tage zu Tage, und nach vier Wochen hatte ich die Hälfte der neuen Ausgabe meiner Geschichte des Kirchenliedes vollendet und zur zweiten Hälfte umfangreiche Vorarbeiten gemacht.

Ich erfreute mich daneben eines angenehmen, anregenden und lehrreichen geselligen Verkehrs mit alten Freunden und Bekannten; Höck, Wilhelm Müller, Unger, Wehner; sie ließen es nicht an Aufmerksamkeiten fehlen, sie luden mich zu Spaziergängen und Abendessen ein und es ging immer recht traulich her. Bei und mit Wilhelm Müller verlebte ich manche angenehme Stunde, schon durch unsere gemeinschaftlichen Studien standen wir uns nahe; er nahm großen Antheil an meinen Arbeiten. Gieseler und Redepenning besuchte ich zuweilen; die Nothwendigkeit, in kirchengeschichtlichen und liturgischen Dingen mich Raths zu erholen, führte mich zu ihnen.

Eines Abends begegneten mir auf dem Heimwege von einer Gesellschaft' einige Studenten. Ich wich ihnen aus und steuerte auf mein Haus zu. Da rief einer: ›H.v.F.! den müssen wir haben!‹ und sofort faßten mich zwei unter und schleppten mich in ihre Kneipe. Es waren Braunschweiger und Hannoveraner. Sie kamen von einer fröhlichen Sitzung, hatten jeder eine Flasche Rheinwein in der Hand und wollten nun die Sitzung fortsetzen. ›Nein, ich bin auch heute gar zu glücklich, sagte der Studiosus Leo Meyer, daß ich Sie nun persönlich kennen lerne! Nein, wahrhaftig, ich bin zu glücklich!, Meyer erzählte mir nun, daß er am Donnerstag mir einen Blumenstrauß auf dem Rohns geplündert habe, um eben zwei Fräuleins ein Andenken an mich zu verschaffen. – Die Leute waren recht nett und ich konnte mir schon diese nächtliche Beehrung gefallen lassen. Meyer ist ein fleißiger Schüler Müller's und ein hoffnungsvoller deutscher Philologe.‹35

Am vorletzten Tage Julis kündigte mir Ellissen an, einige meiner Freunde und Verehrer wollten mir ein Abendessen geben und er lüde mich dazu ein. So gut gemeint das war, so schien mir doch[63] die Sache mißlich; ich äußerte meine Bedenken, ich sähe es lieber, davon abzustehen, man könnte sich und mir Unannehmlichkeiten bereiten. Ellissen erklärte: ›Wir sind ganz unter uns, es soll ja gar kein Festessen sein, es betheiligen sich nur gleichgesinnte Männer der Universität und Bürger der Stadt.‹ So nahm ich denn die Einladung an.

Am 1. August Abends 7 Uhr holte ich Höck ab und ging mit ihm nach der Landwehrschenke hinaus. Nach und nach fanden sich die Theilnehmer ein, es mochten ihrer 50 sein, viele Bürger, die meisten Mitglieder des Magistrats, mehrere Professoren und andere Universitätsangehörige, als Gast der Obergerichts-Assessor Planck, der zum Besuche seiner Eltern in Göttingen verweilte. Gegen 9 Uhr gingen wir zu Tische. Gute Musik, gutes Essen, freundliche Gesichter. Das Hoch auf mich erwiederte ich mit einem auf Deutschlands schönere Zukunft. Dann erfolgte ein Hoch auf Planck, wofür er mit einem Hoch auf die hannoversche Verfassung dankte. Ich brachte dann ein Hoch aus auf Höck und die Göttinger Bibliothek. Höck ließ die Bürgerschaft und Universität hoch leben, Ellissen die Frauen, worauf ich dem Mann! ein Hoch brachte und noch viele Lebehochs folgen ließ. In heiterster Stimmung endete das Abendessen und wir traten befriedigt um 2 Uhr den Heimweg an. Die Nacht war heiter wie wir.

Den 3. August reiste ich ab. Ich hatte die Absicht, nur noch wenige Tage in Bothfeld zu bleiben, um die Durchsicht meines Manuscripts der Geschichte des Kirchenlieds zu vollenden.

5. August. Ich stehe um 5 auf und arbeite. Um 8 Uhr tritt der Regierungsrath Hagemann mit dem Ober-Polizei-Controleur Duve in mein Zimmer und kündigt mir an, daß er auf höheren Befehl meine Pariere untersuchen und mir meine sofortige Ausweisung aus dem Königreiche Hannover anzeigen müsse. Jetzt beginnt die Untersuchung und dauert wol eine Stunde: Alles wird besehen, durchwühlt, gelesen, nichts bleibt unverschont, sogar mein freundschaftlicher und Familienbriefwechsel, mein Tagebuch, mein Ausgabe- und Einnahmebüchlein, meine Brieftasche und das Verzeichniß meiner Briefe. Letzteres wird als verdächtig zurückbehalten, es findet sich darin mehrmals der Name Wirth (als ob das der schon 1848 gestorbene J.G.A. Wirth sein könnte!).[64]

Während der Untersuchung fragt meine Frau: ›Bin ich denn nun auch ausgewiesen?‹ – ›Nein, Sie nicht, Sie können so lange bleiben als Sie wollen.‹ – ›Von dieser Erlaubniß werde ich durchaus keinen Gebrauch machen, Herr RR., ich werde, sobald ich meine Sachen gepackt habe, das Land verlassen und meinen. Manne folgen.‹ – Als der Herr RR. einen ihrer Briefe lesen will, sagt sie: ›Erlauben Sie, der Brief gehört mir: bei mir ist ja keine Haussuchung,‹ und nimmt den Brief an sich.

Ich packe schnell meine Sachen zusammen und spaziere mit meinem Schwager nach Hannover. Rümpler ist sehr erstaunt: ich überreiche ihm das Manuskript, wir speisen zusammen, und um 2 Uhr fahre ich mit dem Courierzuge nach Bückeburg. Herr Duve begrüßt mich als ich eben einsteige und wünscht mir eine glückliche Reise, worauf ich nur erwiedere: ›Gleichfalls.‹36 Am folgenden Nachmittag empfing ich Ida mit ihrer Schwester am Bahnhof. Noch vor Mitternacht reisten wir ab und kamen den 7. August in Neuwied an. Die bückeburger Regierung hatte also nicht nöthig den Wunsch ihrer hannoverschen Collegin zu erfüllen, mich doch auch aus Bückeburg auszuweisen.

Schon den 9. August begab ich mich zum Herrn Landrath von Runkel, um mich über das Verfahren der hannoverschen Regierung zu beschweren. Er meinte, das Beste würde sein, wenn ich ihm in einer schriftlichen Eingabe meine Erzählung wiederholte, er würde dann dieselbe an den Herrn Oberpräsidenten von Kleist-Retzow einschicken. Noch denselben Tag machte ich die Eingabe. Und was war der Erfolg derselben? Der Herr Landrath von Runkel mußte die mir von ihm ausgestellte Paßkarte mir durch den Bürgermeister abfordern lassen. Herr Polizeidirector Wermuth in Hannover behielt Recht.

In den ersten Tagen Septembers hatten wir den Besuch des Herrn Brahms. Es war schon Dämmerung als er eintrat. Meine Frau war sehr verwundert, als sie die kleine, schmächtige, jungenhafte Gestalt mit der seinen Kinderstimme vor sich sah und sich ihr Herr Johannes Brahms, der talentvolle 20jährige Tonkünstler von Hamburg[65] vorstellte. Vor einiger Zeit war er erst in der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹ in die Musikwelt eingeführt durch Robert Schumann, der von ihm wie von einem Messias sprach, welcher der Kunst ein neues Heil bringen und das vollenden würde was er (Schumann) angestrebt hätte. – Den andern Tag machten wir mit ihm einen hübschen Ausflug nach Rheineck und Brohl. Wir waren alle sehr lustig. Brahms erzählte uns viel aus seinem Leben und von seinen musicalischen Studien und wie es gekommen, daß er körperlich so unentwickelt geblieben sei. Er hatte viele Lieder von mir componirt, ich weiß nicht, ob er etwas davon veröffentlicht hat.

Im October hatte ich bereits die Freude, die ersten 15 Bogen meiner Geschichte des Kirchenliedes im Druck vollendet zu sehen. Für die Mischpoesie (die lateinisch-deutsche Dichtung) hatte sich der Stoff so angehäuft, daß ich beschloß, daraus ein besonderes Büchlein zu machen. Unterdessen war auch die Fortsetzung des Theophilus fertig geworden und bald gedruckt. Sie erschien unter dem Titel: ›Theophilus. Niederdeutsches Schauspiel in zwei Fortsetzungen aus einer Stockholmer und einer Helmstädter Handschrift. Mit Anmerkungen von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. IV. 93 SS.)


[Ende October erhielt Hoffmann von einem Freunde, dem Bonner Privatdocenten Dr. Schauenburg die Nachricht, daß Bettina vieles eingeleitet habe, um Hoffmann die Stelle eines Oberbibliothecars in Weimar zu verschaffen; sie beabsichtige, sich persönlich an den Großherzog zu wenden. Diese Kunde bestätigte ihm bald darauf Dr. Schade, der ihm mit beredten Worten das Angenehme einer derartigen Stellung schilderte und seiner Freude Ausdruck gab, gemeinsam mit dem Dichter dort wirken zu können. Denn Schade hoffte, ebenfalls in weimarschen Diensten ein Unterkommen zu finden.]


›Die Botschaft hör' ich wol, allein mir fehlt der Glaube.‹ Mit diesem Gedanken kam ich nach Bonn. Ich unterhielt mich viel mit den Briefstellern und bedauerte ihre Leichtgläubigkeit, eine Bibliothekstelle wäre in Weimar gar nicht erledigt und das Ganze käme mir vor wie eine Erfindung, wie sie nur in dem wohlwollenden Herzen einer Bettina grünen und blühen könnte. – Da kam sie[66] eines Tages selbst. Wir sprachen viel über Weimar. Schade griff die Sache auf und verfolgte sie weiter, ich kümmerte mich nicht weiter drum.


[Bettina reiste dann selbst nach Weimar und wandte sich persönlich an den Großherzog. Wie Schade am 3. December meldete, stand die Sache ausgezeichnet. Schade wartete nur auf eine Antwort der Bettina, um selbst nach Weimar zu reisen und durch seine Gegenwart die Angelegenheit zu fördern und womöglich zum befriedigenden Abschluß zu bringen. In der Freude seines Herzens widmete Hoffmann ihm seine Schrift ›In dolci jubilo Nun singet und seid froh‹. Mitte December reiste Schade nach Weimar. Gleichzeitig erhielt jedoch Hoffmann von anderer Seite weniger günstig lautende Nachrichten.]


Den 20. December schrieb ich in mein Tagebuch: ›Die schönen Tage von Weimar sind nun vorüber und – es bleibt wahrscheinlich beim Alten.‹ Trotzdem hatte ich den festen Entschluß gefaßt, Neuwied zu verlassen. Die Gründe dazu waren eben keine neuen. Schriftstellern mußte ich, das war mein Beruf, meine Neigung, leider aber auch mein Nebenerwerb; dazu gehörten viele Hülfsmittel, die ich mir hier nur durch Reisen und Briefwechsel verschaffen konnte, und beides war mühsam und kostspielig. Ich dachte also an einen Ort, der mir in dieser Beziehung Erleichterung gewährte, und weil ich eben keinen andern wußte, so war mir Weimar schon recht, und in einer Beziehung wünschenswerth. Ich hoffte dort nicht weiter so wie hier polizeilich beaufsichtigt zu werden und schwachen Leuten einen Vorwand zu geben, mich zu meiden. Daß in Coblenz über mein hiesiges Thun und Treiben Buch geführt wurde, stand mir außer allem Zweifel und wurde mir auch später aus sicherer Quelle bestätigt.

Der Christabend war heuer kein fröhlicher für uns. Als Ida mich in Thränen fand, fragte sie: ›Was weinst Du?‹ – ›Lies!‹ und sie las das Gedicht an unser Kind,37 das ich eben niedergeschrieben hatte.[67]

Mit wenig Hoffnung, aber viel Muth und Arbeit trat ich das neue Jahr (1854) an. In den nächsten Tagen hatte ich die zweite Hälfte meiner Geschichte des Kirchenliedes vollendet. Am 11. Januar brachte ich mein Manuskript zur Post, ging dann an den Rhein und wartete so lange bis der Postbote glücklich am drübigen Ufer angelangt war; im Rhein trieb noch immer viel Eis und die Ueberfahrt war sehr erschwert.

Schade hatte mir bisher noch keine Mittheilung zukommen lassen über den Erfolg seiner Weimarischen Reise. Den 13. Januar schrieb er mir von Bonn:

›... Ich hatte, auf des Großherzogs Pläne eingehend, die Proposition gemacht, wir wollten beide zusammen, Sie und ich, die geplante Zeitschrift für Deutsche Sprache und Literatur in Weimar arbeiten, daneben noch ein literarhistorisches Taschenbuch und einen Musenalmanach ins Werk setzen. Zur Unterstützung, damit wir nicht zu hohes Redactionsgehalt zu nehmen brauchten um das Werk leichter ausführbar zu machen, sollte der Großherzog einem Jeden von uns ein Jahrgehalt von 500 Rb. zusichern, vorausgesetzt daß Sie Ihr preußisches Wartegeld behielten. Sie hätten also gegen 900 Rb. gehabt und konnten dafür gut leben. Es war für Sie keinerlei Stelle offen und Sie würden dann noch Großherzogl. Weimarischer Hofrath geworden sein. Der Großherzog war geneigt, sehr geneigt aus den Plan einzugehen und ich habe Alles aufgeboten, etwaige Besorgnisse zu zerstreuen, die man in Bezug auf Sie haben könnte wegen Ihrer politischen Vergangenheit. Sie hätten keinen besseren Fürsprecher haben können ....‹

Ich war sehr erstaunt, daß der Herr Doctor so ohne Weiteres für mich und über mich und am Ende mich selbst verhandelt hatte. Ich hatte ihm durchaus keinen Auftrag gegeben, ja sogar mich noch in einem Briefe am 15. December gegen alle derartigen Bemühungen für mich entschieden ausgesprochen, freilich hatte dieser Brief ihn nicht mehr in Bonn getroffen.

Unterdessen arbeitete ich rüstig fort. Den 18. Januar vollendete ich mein 13. Neuwieder Buch, die Pars X. der Horae belgicae und am 22. erhielt ich die letzte Correctur der Pars IX., die auch unter dem Titel erschien: ›Altniederländische Sprichwörter nach der älteste Sammlung. Gesprächbüchlein, romanisch und flämisch.[68] Herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. 99 SS.) Den folgenden Tag sendete ich das Manuscript der Pars X. an Herrn Rümpler. Nebenbei vollendete ich die Abschrift der Sprichwörter des Antonius Tunnicius v.J. 1513.

Am 22. Januar erhielt ich aus Bonn die besten Nachrichten über die Weimarische Angelegenheit. Ich entschloß mich hinüberzureisen. Schade sprach mit großer Freude und Selbstzufriedenheit über seine Weimarische Reise und die glänzenden Erfolge seiner Bemühungen. Er legte mir dann das Schreiben des Herrn von Schober aus Weimar vor.


[In demselben war ausgesprochen, daß der Großherzog es gern sehen würde, wenn Schade in Weimar im Anschluß an die Göthestiftung, welche in Weimar ins Leben gerufen werden sollte, eine litterarische Zeitschrift begründe. Der Großherzog wollte diese durch eine Summe von tausend Thalern jährlich unterstützen. Hoffmann wurde in diesem Schreiben von Schobers nur als Mitarbeiter Schade's an dieser Zeitschrift in Betracht gezogen; seiner Uebersiedelung nach Weimar wurden Bedenken wegen seiner Vergangenheit entgegengesetzt.]


Ich las und erklärte, daß ich daraus nicht eingehen könnte: von mir wäre ja nur nebenbei die Rede, zu einer Zeitschrift würde ich mich nur schwer verstehen, ich hätte an meiner ›Monatschrift von und für Schlesien‹ für das ganze Leben genug, auch wünsche man nicht einmal, daß ich in Weimar wohne etc. Da wurde Schade stutzig, er gab mir die Versicherung, er habe Sr. königl. Hoheit erklärt, er würde nie ohne mich nach Weimar gehen, auch habe er Herrn von Schober geantwortet, er müsse erst mit mir Rücksprache nehmen und würde dann selbst an den Großherzog schreiben. Dadurch freilich bekam die Sache für mich eine andere Wendung, und da ich das Schreiben des Herrn von Schober nicht als endgültige Entscheidung Sr. königl. Hoheit betrachtete, so erklärte ich mich vorläufig zur Theilnahme bereit.

Daß Schade die Bettinasche Idee für sich ausgebeutet und sich selbst zum Knotenpunkte dieser Weimarischen Beförderungsaussichten gemacht hatte, wurde mir immer klarer. In Folge des Schoberschen Briefes hatte er sich sofort verlobt, und noch den 22. Januar einen[69] Artikel in der Kölnischen Zeitung veranlaßt, in dem nur von seiner Berufung nach Weimar die Rede war.

In den nächsten Tagen benutzten wir die Morgenstunden zu Besprechungen über das was wir gemeinschaftlich für die Göthestiftung in Weimar leisten wollten. Diese Stiftung schien eine Lieblingsidee des Großherzogs zu sein, aber was königl. Hoheit Alles damit beabsichtigte und hineinzuziehen wünschte, war uns nicht klar. Auch kannten wir nicht, was Liszt vor einigen Jahren darüber veröffentlicht hatte.38 Wir dachten uns also selbst eine solche Stiftung und empfahlen unsere Ansichten in einigen Protokollen dem hohen Ermessen Sr. königl. Hoheit. Vorläufig verpflichteten wir uns, jährlich drei verschiedene Werke herauszugeben:

1. Weimarische Zeitschrift für deutsche Sprache und Litteraturgeschichte,

2. Weimarisches Taschenbuch für deutsche Litteraturgeschichte, und

3. Weimarischer Musenalmanach.

In den letzten Tagen des Januars schickte Schade unsere Vorschläge auf drei Bogen ein nebst einem acht Quartseiten langen Briefe, Alles sehr sauber geschrieben. Auch ich fügte noch einen Brief hinzu, worin ich Se. königl. Hoheit bat um die Genehmigung, Hochdenselben die Geschichte meines Kirchenliedes widmen zu dürfen.

Um diese Zeit erhielt ich zwei Briefe von Bettina aus Berlin.


[Sie forderte Hoffmann aus, eine Eingabe an den König zu richten und um die Erlaubniß zu bitten, sein Wartegeld in Weimar oder Wolfenbüttel39 verzehren zu dürfen. Sie sprach sich ferner darüber offen aus, daß sie früher und auch jetzt noch beim Großherzog von Sachsen nur darauf hinzuwirken suche, daß Hoffmann eine Stellung an der weimarischen Bibliothek erhalte, woraus offenbar hervorging, daß der Plan einer litterarischen Zeitschrift erst von Schade in diese Verhandlungen hineingetragen worden war. In diese neue Angelegenheit sich einzumischen, wies Bettina zurück, da sie von einem Litteraturblatt nichts verstände.][70]


Schon den 6. Februar erfüllte ich Bettinas Wunsch und schrieb an den König, war aber fest überzeugt, daß ich abschlägig beschieden werden würde.40 Da ich in Bonn keine Antwort von Weimar abwarten mochte, so beschloß ich abzureisen. Am 8. Februar kehrte ich zurück in den Frieden meiner Häuslichkeit und zu meinen stillen erfreulichen Arbeiten. Gleich nach meiner Ankunft kündigte ich meine Wohnung. Wir waren dadurch der Nothwendigkeit, uns nach einem andern Wohnorte umzusehen, näher gerückt. Jetzt wurde aber die Ungewißheit, worein wir versetzt waren, von Tage zu Tage peinigender. Von Weimar kam weiter keine Nachricht als die Anzeige des Herrn von Schober vom 15. Februar, daß der Großherzog die Widmung meines Buches ›mit Vergnügen genehmige.‹ Da verschloß ich mich nach Bonn zu gehen, um Schaden zu bestimmen mit mir zusammen nach Weimar zu reisen und so eine Entscheidung herbeizuführen.

Schade war bereit, nach einigen Tagen aber schrieb er mir auf. Ich trat nun allein die Reise au, den 4. März traf ich in Weimar ein. Bald nach meiner Ankunft im Erbprinzen zum Hofrath Sauppe, Direktor des Gymnasiums. Er bittet seine Freunde Preller und Schöll herüber zu kommen. Da alle drei Hofräthe sind und Beziehungen zum Hofe haben müssen, so spreche ich von meinen Angelegenheiten und erbitte mir ihren Rath. Sie meinen, es sei wol das Beste, wenn ich etwas Schriftliches von Sr. königl. Hoheit erlangen könnte. Wir bleiben bis 1 Uhr ganz heiter beisammen.

5. März. Audienz beim Minister von Watzdorf. Ich trage ihm offen mein Anliegen vor. Er äußert sich sehr wohlwollend, wünscht aber ganz aus dem Spiele zu bleiben, er betrachtet die Sache als eine rein persönliche des Großherzogs. Wir kommen auf mein Verhältniß zu Preußen. Der Minister hat in Berlin angefragt und zur Antwort erhalten, man habe nichts gegen meine Uebersiedelung nach Weimar, übrigens warnt er mich vor einer Theilnahme an politischen Dingen.

Des Nachmittags führt Sauppe mich auf den Weg nach der[71] Altenburg zu Liszt. Als wir vor der steinernen Treppe am Wäldchen Abschied nehmen, ist mir so eigen zu Muthe, als ob ich von allen Weimarischen Hofräthen schiede, denn daß Liszt näher dem Großherzoge stand als jene, wußte ich bereits. Liszt empfing mich wie einen alten Freund. Wir sprachen uns über die Göthestiftung aus und unsere daraus bezüglichen Vorschläge an den Großherzog, die dieser nur Liszt mitgetheilt hatte. Ich lese einige Gedichte vor zum Champagner. Die Fürstin von Wittgenstein erscheint; auch sie ist sehr erfreut über meine Lieder. Liszt wird den Großherzog um eine Audienz für mich ersuchen und vorher noch selbst mit ihm sprechen.

6. März. Um 12 Uhr auf der Bibliothek. Preller legt mir die Handschriften- und Incunabeln-Verzeichnisse vor. Ich finde ein handschriftliches Liederbuch vom J. 1537, worin nebst einigen deutschen herrliche niederländische Volkslieder, wie ich's sehr bald herausfinde, trotzdem daß die Handschrift sehr schlecht geschrieben ist.

Um 5 zur Tafel bei der Fürstin von Wittgenstein. – Um 7 fahre ich mit Liszt ins Schloß. Der Großherzog erst etwas ernst, dann heiter, gesprächig, theilnehmend. Wir sprechen über litterarische Dinge, die Göthestiftung, unsere Zeitschrift u. dgl. Als ich des Weimarischen Musenalmanachs erwähne, ist er begierig, einige dafür bestimmte Gedichte zu hören. Ich lese mehrere meiner Lieder. Er ist sehr erfreut und thut seinen Beifall in Einem fort kund: ›Vortrefflich, herrlich, schön, wunderschön!‹ oder sich an Liszt wendend: ›Charmant, très-beau, superbe!‹ ›Noch einige!‹ Und ich fahre wieder fort. Zuletzt übersetze ich noch mein altniederländisches Scheidelied41 und überreiche ihm die Loverkens (Pars VIII. der Horae belgicae), nachdem ich die Entstehung derselben erzählt habe. – Nach einer Stunde fahren wir zur Altenburg zurück. Ich bin mit Liszt allein und wir besprechen meine Angelegenheit. Um 12 begleitet er mich nach Haus.

7. März. Ich miethe mir eine Wohnung und schreibe an Ida. Mittags bei Schöll, nachher mit ihm spaziert. Später besucht mich Liszt. Den Abend bin ich bei Sauppe.

8. März. Liszt erzählt mir, wie sich der Großherzog über mich geäußert habe und daß er uns beide morgen um 9 erwarte. –[72]

Mittagsessen auf der Altenburg: Frau von Schorn mit ihrem Sohne, er französische Gesandte Graf Talleyrand, Prediger Steinacker, Musiker Peter Cornelius. Nach Tische lese ich meine Oper, dann spielt Liszt drei Stücke, später lese ich noch einige Lieder. Viele Schüler Liszt's haben sich nach und nach eingefunden. Alles in heiterer und dankbarer Stimmung. Um 11 Uhr heim.

9. März. Kurz vor 9 kommt Liszt und holt mich ab ins Schloß. Der Großherzog empfängt uns sehr freundlich. Er spricht sich über sein Verhältniß zu der beabsichtigten Zeitschrift ganz bestimmt aus; er bewilligt dem Unternehmen 1000 Rb. jährliche Unterstützung. Nach einer Stunde entläßt er uns. Er recht die Hand mit den Worten: ›Ich vertraue Ihnen, und das ist viel gesagt.‹ – Befriedigt eile ich in den Gasthof, mache mich reisefertig und fahre zum Bahnhof hinaus. Den Abend spät komme ich in Mainz an, den andern Tag erreiche ich Neuwied.

Ida war hocherfreut, daß sich die Weimarische Angelegenheit endlich so entwickelt hatte, daß wir getrost unsere Uebersiedelung ausführen konnten. Besonders lieb war ihr Liszt's große Theilnahme, an ihm hoffte sie mit mir würden wir eine gute Stütze haben; sie hatte mir schon nach Bonn geschrieben, daß ihn Freiligrath ›einen edelen Menschen und unsern vielfach gebildetsten Künstler‹ genannt habe.

Den 16. März kam Schade. Wir einigten uns über alles auf unsere Zeitschrift Bezügliche, auch über den Inhalt des ersten Heftes und über einen Verlagsvertrag, den ich dann Herrn Rümpler mittheilte. Schon nach einigen Tagen erfolgte eine zustimmende Antwort. Die Zeitschrift sollte jedes Jahr in vier Heften oder zwei Bänden erscheinen unter dem Titel: ›Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Litteratur und Kunst.‹

Den 1. April wiederholte Schade seinen Besuch. Wir besprachen die Richtung des Jahrbuchs. Wenn ich glaubte mit ihm völlig im Reinen zu sein, so fühlte ich mich plötzlich weiter vom Ziele ab als je. Als wir am dritten Tage von einem Spaziergange zurückgekehrt waren, äußerte er sich dermaßen, daß ich ihm erklärte, wenn er bei solchen Ansichten beharrte, so wollte ich mit dem Jahrbuche nichts zu thun haben. Wir geriethen heftig an einander. Nach einiger Weile lenkte er ein und der Friede war wieder hergestellt.[73]

Als ich am Abend allein zu Hause war, lebten alle Gespräche mit Schade wieder auf. Es war mir, als ob solch ein litterarisches Compagnie-Geschäft mit ihm unmöglich wäre. Ich beschloß, vom Jahrbuche zurückzutreten und ihm morgen (4. April) brieflich meinen Beschluß mitzutheilen, denn, dachte ich, besser wir scheiden jetzt in Frieden und Liebe als daß wir später in Zank und Haß mit einander brechen. Schon am dritten Tage erhielt ich ein langes Schreiben von Schade voll von Vorwürfen, Betheuerungen, Versprechungen, Vorsätzen und Vorschlägen. Da durch letztere eine gemeinschaftliche Wirksamkeit ermöglicht war, so nahm ich sie an und sendete ihm einige Gegenvorschläge ohne auf den übrigen Inhalt seines Briefes einzugehen, weil ich doch von jeder näheren Erörterung nichts Ersprießliches erwartete.

Die Unklarheit, die mit unserer Weimarischen Angelegenheit verwachsen war und blieb, war die Quelle aller Streitigkeiten unter uns und schließlich unseres Zerwürfnisses; sie gab den Mißgünstigen steten Anlaß und Gelegenheit, feindselig und hindernd zu wirken gegen uns und gegen Alles was wir wollten und thaten. Unklar war und blieb die Göthestiftung, unklar unser Verhältniß zum Großherzog und zum Jahrbuch. Daß unter solchen Umständen überhaupt noch etwas zu Stande kam, ist ein Wunder, und ein größeres, daß ich bei dem vielen Aerger und Verdruß meinen guten Humor behielt und nie die Lust verlor zum Arbeiten und Dichten.

Den Tag vor Ostern (15. April) ward mir eine große Festfreude: ich erhielt die letzten Correcturbogen meiner beiden letzten Neuwieder Bücher, die noch vor Ende dieses Monats erschienen, Pars X der Horae belgicae, auch unter dem Titel: ›Niederländische geistliche Lieder des XV. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Handschriften herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. 256 SS.) – ferner: ›Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zweite Ausgabe. Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. XI. 540 SS.)42 Hiemit schloß meine litterarische Thätigkeit in[74] Neuwied. Ob auch davon der Herr Oberpräsident von Kleist-Retzow Notiz genommen? Schwerlich! es dürfte eher in den Coblenzer Präsidialacten bemerkt sein, daß ich das 15. Seidel Bier bei Gieser getrunken als daß ich das 15. Buch in Neuwied vollendet hätte. Statt einer Fortsetzung der Horae belgicae lag mir jetzt mehr am Herzen, die vergriffenen Theile (P. I. II. und VII.) neu herauszugeben. In Deutschland war das nicht ausführbar, zumal in Betreff des ersten Theiles, ich entschloß mich also zu einer Reise in die Niederlande, um an Ort und Stelle umfassende Studien zu machen.

Den 22. April verließ ich Neuwied. Ich fuhr mit einem niederländischen Dampfboot bis Rotterdam. Den 24. traf ich in Leiden ein. Es war mir höchst angenehm, daß ich bei de Vries wohnte: ich konnte ungestört arbeiten, seine treffliche Bibliothek benutzen uns hatte Gelegenheit mich öfter als es sonst möglich gewesen wäre mit ihm zu unterhalten. Den Tag über pflegte ich zu arbeiten, Abends war ich dann immer in Gesellschaft alter Freunde und neuer Bekannten.

Den 1. Mai in Amsterdam. Den Nachmittag bin ich zu Alberdingk Thijm eingeladen. Nachdem ich seine Bücher durchmustert, gehen wir zu Tische. Zugegen sind seine Schwester und der Dichter W.J. Hofdijk. Wir unterhalten uns viel über Volkslieder und Volksweisen. Da ich höre, daß die Schwester musicalisch ist, so bitte ich sie uns etwas vorzutragen. Wie erstaune ich, als sie ein altes Lied singt, und ich erstaune noch mehr, als ich endlich merke, daß es eins meiner altniederländischen Lieder ist. Es folgen noch drei, alle vier im alten Volksstile componiert von ihrem zweiten Bruder. Ich bin hocherfreut und wünsche den Componisten kennen zu lernen. Es wird sofort zu ihm geschickt, er kommt und ich danke ihm für den Genuß, den er mir und uns allen bereitet hat. Jos. Alb. Alberdingk Thijm hat später sehr hübsch unsere erste Maitagsfreude erzählt und die vier Lieder mit den Melodien in Steindruck beigefügt.43

2. Mai um 7 Uhr zur Familie Kemper. Mevrouw K. mit ihren beiden Töchtern empfängt mich sehr herzlich. Ein Wiedersehen nach 33 Jahren! Ich bin tief bewegt, mir ist als ob mir eine Geisterstimme zuflüstert Göthe's Zueignung zum Faust: ›Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!‹ Ich suche meine wehmüthige Stimmung[75] zu verbergen, aber es will mir nicht gelingen. Wir nehmen wieder Abschied, und wol jetzt für immer. Meielis Bild, wie es lebendig vor mir stand, so begleitete es mich auf meiner Reise. Und wie ich heimgekommen war, da widmete ich ihr, der ich so manches Lied gesungen, noch einen letzten Liederkranz44.

3. Mai. nach Leiden zurück.

4. Mai. Fleißig gearbeitet: ich mache Auszüge aus dem Haarlemer Liederbuche, das mir ein Antiquar geliehen hat, und bereite mich vor zu meinem Vortrage in der Matschappij der nederl. Letterkunde. – Rümpler schickt die fertig gewordenen Theile der Horae belgicae, Pars IX. und X. Beide überreiche ich de Vries, erstere ist ihm gewidmet. Er ist sehr erfreut.

5. Mai. Um 8 Uhr Abends in die Vergadering der Maatschappij. Die Mitglieder der Gesellschaft haben sich zahlreich eingefunden. Unter ihrer großen Theilnahme halte ich einen Vortrag über die Weimarische Handschrift der niederländischen Lieder.

Am 6. Mai reise ich von Leiden ab; am 7. in Gent. Nachdem ich mich etwas erquickt, besuche ich Prudens van Duyse. Der Mann ist sehr freundlich und gefällig, wie er es mehrmals mir in früherer Zeit schon bewies. Man hält ihn für einen großen Dichter; ob er sich selbst dafür hält, weiß ich nicht, ich weiß nur, daß er der fruchtbarste vlämische ist: er zeigt mir einen ganzen Schrank voll seiner eigenen Gedichte.

8. Mai. Gut geschlafen, aber doch sehr angegriffen, die gestrige Reise war zu anstrengend. – Van Duyse holt mich ab. Wir besuchen die Bibliothek und dann Snellaert. Der treue Freund unsers Willems ist sehr erfreut und bietet mir bereitwilligst seine Liedersammlung zur Benutzung an. Ich sehe sie denn auch gleich durch, leider ist meine Ausbeute wider Erwarten unbedeutend. Nach Tische besuchen wir Blommaert, den fleißigen Herausgeber altniederländischer Dichtungen. Er verehrt mir viele seiner Werke.

9. Mai. Mit Snellaert nach Brüssel. Ich besuche die königliche Bibliothek. Im Lesecabinet stelle ich zwei Scheine über Handschriften aus, ich bekomme nichts und auch die Scheine nicht einmal zurück. Man weist mich in die Handschriftenabtheilung. Ich sehe mir Einiges[76] an. Unterdessen finden sich ein Snellaert, David, Bormans, de Ram. Ich freue mich schon, im Laufe des Tags mit ihnen zusammen sein zu können. Umsonst. Sie gehen zu einer Sitzung, um über die Herausgabe der Werke Jac. van Maerlant's zu verhandeln. Sie empfehlen sich und überlassen mich meinem Schicksale.

Wenn in der Fremde ein Deutscher nicht weiß, was er für den Augenblick beginnen soll, so thut er wohl daran, in die erste beste deutsche Buchhandlung zu gehen. So mache ich es denn auch jetzt: die Herren Kießling, Schnee und Comp. sind sehr freundlich und einer von ihnen führt mich in angenehme Gesellschaft. Unter den Landsleuten ist auch der Dr. Adam Pfaff, ein jugendfrischer, geistreicher, freiheitsliebender echter Deutscher. Er ist sehr erfreut mich persönlich kennen zu lernen und möchte so gern etwas thun, um mir Brüssel recht angenehm zu machen; er bittet mich, morgen doch noch zu bleiben, er wolle mir den ganzen Tag widmen. So lieb wie sonst ein solches Anerbieten gewesen wäre, so muß ich es doch ausschlagen, ich habe für dies Mal genug, meine Unruhe ist zu groß und mein Gasthof zu unerquicklich, so daß ich singe wie jener gefangene Geselle:


ic en wil der niet meer nae Groenendal gaen

ende horen den nachtegael singen,


und den andern Tag abreise.45

Fußnoten

1 Gedruckt in: Deutsches Volksgesangbuch von H.v.F. (Lpz. Engelmann. 1848) Nr. 177 mit der Volksweise eines Liedes, das also beginnt: ›Zufriedenheit ist mein Vergnügen.‹


2 Niemals habe ich geglaubt, es noch zu erleben, daß ein Litterarhistoriker diese Ansicht oder auch nur eine ähnliche in Bezug auf meine Poesie aussprechen würde. Um so mehr muß es mich überraschen, daß sich jetzt nach vielen Jahren Vilmar, dem die Kritik gründlich selbständige Studien, seinen Blick, geistvolle Auffassung und frische, lebendige Darstellung zugesteht, und den man bei seinem religiösen und politischen Standpunkte doch gewiß nicht einer Parteilichkeit für mich zeihen kann, daß sich derselbe Vilmar in seinem neuesten Buche: ›Handbüchlein für Freunde des deutschen Volksliedes‹ (Marburg 1867) S. 81 ff. über meine Landsknechtslieder in diesem Sinne ausspricht.


3 Gedichtet zu Mannheim am 25. August 1843; in die Ges. W. nicht aufgenommen; es findet sich u.a. im ›Deutschen Volksgesangbuch von H.v.F.‹ (Leipzig. 1848. Nr. 35).


4 Ges. W. Bd. IV. S. 254. 255.


5 Ges. W. Bd. V. S. 73. 74.


6 Dieser Empfindung entstammt das Lied: ›So muß' ich fliehn aus meiner Heimat.‹ Ges. W. Bd. I. S. 61. 62.


7 Vgl. Ges. W. Bd. V. S. 73–81 und S. 343. Anm. 13.


8 Ges. W. Bd. V. S. 77. 78.


9 Das Folgende aus einem Briefe an Ida vom 10. März 1849. – Das Liederheft ›Deutschland‹ ist trotz wiederholter Zusagen Härtels überhaupt nicht erschienen.


10 Die ›Spitzkugeln‹ sind in die Ges. W. noch nicht aufgenommen, sondern für einen beabsichtigten 9. Band zurückgelegt.


11 Damals entstanden die ›Idalieder‹. Ges. W. Bd. II. S. 3–5 und S. 394. Anm. 1.


12 Ges. W. Bd. II. S. 6–8 und S. 394. Anm. 2.


13 Ges. W. Bd. VI. S. 49.


14 Ges. W. Bd. I. S. 171.


15 ›Wie Nachtigallen sangen‹ – Ges. W. Bd. V. S. 141. 145.


16 ›Nur ein Wandern ist das Leben‹ – Ges. W. Bd. I. S. 84.


17 Es erschien unter dem Titel: ›Deutsche Dichterhalle des neunzehnten Jahrhunderts‹. 1–3. Bd. Mainz. Kunze. 1850. 1851. ›Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage, herausgegeben von Dr. F.C. Paldamus‹ erschien 1855. 56.


18 Die Johannalieder stehen nach einer neuen, vom Dichter später getroffenen Anordnung in Ges. W. Bd. I. S. 323–388 (vgl. ebenda S. 403. Anm. 71.)


19 ›Wenn dich mein Arm so fest umschlungen hält‹ – Ges. W. Bd. I. S. 104.


20 Ges. W. Bd. III. S. 60–68 und S. 285 Anm. 12.


21 Ges. W. Bd. I. SS. 66. 67.


22 Ges. W. Bd. V. S. 129–138 und S. 348. Anm. 33.


23 Diese und die folgende Sammlung Soldatenlieder (unten S. 42. 43.) finden sich neben anderen in den Ges. W. Bd. III. S. 163–197 (vgl. S. 289. Anm. 32.)


24 Vgl. oben S. 41. Anm.


25 ›Sei gegrüßt mit Sang und Schall!‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 52.


26 ›Wie singst du so süß und lieblich‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 52. 53.


27 Sontagsfeier von Hoffmann von Fallersleben. Musik von Luise Reichardt. Neuwied. Verlag von F.J. Steiner.


28 Bisher in die Fes. W. noch nicht aufgenommen, sondern für einen neunten Band zurückgelegt.


29 Ges. W. Bd. I. S. 105


30 Uhland's Volkslieder. 1. Bd. S. 784–794.


31 ›Kein König gab mir einen Orden‹ – Ges. W. Bd. I. S. 106.


32 Ges. W. Bd. III. S. 249. 250.


33 Von demselben Tage stammt das Gedicht: ›Dein Leben war Ein Leiden‹ – Ges. W. Bd. I S. 109.


34 ›Wie lächelst du so froh mir zu!‹ – Ges. W. Bd. I. S. 109, 110.


35 Aus einem Briefe an Ida.


36 Diese Auswetsung gab H. Veranlassung zu dem Gedicht. ›In des Sommers milden Tagen‹ – Ges. W. Bd. V. S. 153.


37 ›Kein Christbaum wird ihr mehr beschieden‹ – Ges. W. Bd. I. S. 110.


38 De la Fondation-Goethe à Weimar. Lpz. Brockhaus 1851. 162 SS. Vgl. Blätter für lit. Unterhaltung 1851. S. 497–501.


39 Vgl. oben S. 15. 16.


40 Das geschah denn auch nach vier Wochen. Der Minister von Raumer zeigte mir den 6. März an, daß der König meine Immediat-Vorstellung vom 6. Februar ›ohne Allerhöchste Genehmigung‹ an ihn habe abgeben zu lassen geruhet.


41 ›Vaer wel, vaer wel, mijn soete lief‹ – Horae belgicae. P. II. 1833. S. 155. 156.


42 Als Beilage dazu kann betrachtet werden das schon früher fertig gewordene Büchlein: In dulci iubilo nun singet und seid froh. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Poesie von Hoffmann von Fallersleben. Mit einer Musikbeil. von L. Erk. Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. IV. 128 SS.


43 De Dietsche Warande 1. jaarg. blz. 269. 270.


44 Vgl. die Sammlung ›Leiden und Liebe‹ – Ges. W. Bd. II. S. 16–19 und S. 395. Anm. 5.


45 Hoffmann veröffentlicht am Schlusse des 5. Bandes der Lebensgeschichte seine beiden Opern: ›In beiden Welten‹ und ›Der Graf im Pfluge‹, deren Entstehung er in diesem Bande erzählt hat.


Quelle:
Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben. Zwei Teile, Teil 2, Berlin 1894, S. 77.
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