Der Regierungsrath

[74] Mel. Wolauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd.


Der Morgen graut, der Regierungsrath

Sitzt schon bei seinen Geschäften,

Ist ausgerüstet für Kirch' und Staat

Mit frisch erneueten Kräften.

Er denkt mit Freuden an seine Pflicht

Und schreibet einen neuen Bericht.


Er sitzet und sitzt in den Acten tief,

Hat Weib und Kinder vergessen,

Und hätte, wenn ihm die Frau nicht noch rief,

Sogar auch die Mahlzeit versessen.

Er setzt sich zu Weib und Kindern und spricht

Von nichts als von seinem neusten Bericht.[75]


Der Regierungsrath nimmt kaum sich die Zeit,

Mit Ruhe das Mahl zu verzehren,

Da sieht man ihn schon mit Geschäftigkeit

Zurück an die Arbeit kehren.

Zwar hat er gegessen, doch weiß er es nicht,

Er dachte nur stets an seinen Bericht.


Der Regierungsrath ist geladen zum Thee,

Doch denkt er an seine Pflichten:

Gern kann er auf Ball und Assemblee,

Concert und Theater verzichten.

Die Welt hat so große Genüsse doch nicht

Als ihm gewähret ein guter Bericht.


Der Regierungsrath und sein Aktenstoß

Sind ewiglich treu verbunden.

Beneidenswerthestes Menschenloos!

O selig verlebte Stunden!

Und wenn nun endlich das Herz ihm bricht,

So stirbt er an seinem letzten Bericht.

Quelle:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Deutsche Lieder aus der Schweiz, Hildesheim/New York 1975, S. 74-76.
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