Sterbelied einer Fliege

[9] Jeder Bettler ist ein König

In dem eignen kleinen Haus;

Tritt, daß du nicht werdest fröhnig,

Nicht aus deiner Grenz hinaus.

Rückert, Erbauliches

(Berlin 1838.) 2, 147.


Ich summte meine Lieder

Die Welt wol auf und nieder

In Hof und Hütte, Feld und Wald,

Vor Arm und Reich, vor Jung und Alt.


Ich ward der Welt vertrauter,

Ich summte laut und lauter

Heraus was mir im Herzen lag

Gar frisch und frei bei Nacht und Tag.[10]


Ich zog mit Sang und Schalle

Hier vor die Königshalle,

Und dachte: hört der König mich,

Wer ist wol glücklicher als ich.


Ich summt' herum im Kreise,

Ich summte manche Weise:

Der König unterstützt die Kunst,

Heil Ihm, mir wird des Königs Gunst!


Der König lag und ruhte,

Ihm war nicht wohl zu Muthe,

Er hörte meinen Sang nicht gern

Und schickte seinen Kammerherrn.


Der brachte mir zur Labe

Die schöne Ehrengabe:

»Der Sänger muß belohnet sein –

Komm, liebe Flieg', und trinke Wein!«[11]


Ich flog zum goldnen Becher,

Ein labegier'ger Zecher;

Ich trank, ich trank und – sank hinab:

O Königstrank! o Sängergrab!

Quelle:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Deutsche Lieder aus der Schweiz, Hildesheim/New York 1975, S. 9-12.
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