Zweites Kapitel
Lebensansichten eines weltklugen Jünglings. Der Fluch des Lächerlichen. Der Zweikampf um der Braut willen. Verfehlte Nachtmusik und eingetroffene Hochzeit. Mimosa pudica.

[562] Eugenius war eben beschäftigt, einige Topfgewächse zu beschneiden, als Sever, der einzige Freund, mit dem er sparsamen Umgang pflegte, zu ihm hineintrat. – Sowie aber Sever den in seine Arbeit vertieften Eugenius erblickte, blieb er festgewurzelt stehen und schlug dann eine übermäßige Lache auf.

Das hätte auch wohl ein anderer getan, der weniger empfänglich für alles Bizarre als der joviale lebenslustige Sever.

Die alte Professorin hatte in aller herzlicher Gutmütigkeit dem Bräutigam die Garderobe des seligen Professors[562] erschlossen und sogar geäußert, daß sie es gern sehen würde, wenn Eugenius, wolle er auch nicht eben in den altmodigen Kleidern über die Straße gehen, doch von den schönen bequemen Morgenanzügen Gebrauch mache.

Da stand nun Eugenius in dem weiten mächtigen Schlafrock des Professors, von indischem, mit den buntesten Blumen jeder Art besäten Zeuge, eben eine solche hohe Mütze auf dem Kopf, auf deren Vorderseite gerade ein glühendes Lilium bulbiferum (Feuerlilie) prangte, und sah mit seinem Jünglingsgesicht in dieser Maske aus wie ein verzauberter Prinz.

»Gott behüte und bewahre,« rief Sever, als er sich endlich von seinem Lachen erholt, »ich glaubte, es spuke hier, und der selige Professor wandle, aus dem Grabe erstanden, unter seinen Blumen, selbst ein artiges Staudengewächs mit den seltsamsten Blüten! – Sage, Eugenius, wie kamst du zu dieser Maskerade?«

Eugenius versicherte, daß er in diesem Anzuge gar nichts Seltsames finde. Die Professorin habe ihm in ihrem jetzigen Verhältnis erlaubt, des verstorbenen Professors Schlafröcke zu tragen, die bequem und noch dazu von solchem kostbaren Zeuge verfertigt wären, wie es kaum in der ganzen Welt mehr aufzutreiben. Alle Blumen und Kräuter wären nämlich auf das genaueste der Natur abkonterfeit, und es gäbe in dem Nachlaß noch einige seltne Nachtmützen, die ein vollständiges Herbarium vivum ersetzten. Diese wolle er jedoch aus geziemender Ehrfurcht nur an besonderen Festtagen aufs Haupt setzen. Selbst der jetzige Anzug sei aber schon deshalb höchst merkwürdig und schön, weil der verstorbene Professor eigenhändig mit unauslöschbarer Tinte bei jeder Blume, bei jedem Kraut den richtigen Namen bemerkt, wie Sever sich durch näheres Beschauen des Schlafrocks und der Mütze überzeugen könne, so daß solch ein Schlafrock jedem wißbegierigen Lehrling zum herrlichen Studium dienen dürfte.[563]

Sever nahm die Nachtmütze in die Hand, die ihm Eugenius darreichte, und las wirklich in feiner, sauberer Schrift eine Menge Namen, z.B. Lilium bulbiferum, Pitcairnia angustifolia, Cynoglossum omphalodes, Daphne mezereum, Gloxinia maculata u.a.m. Sever wollte aufs neue ausbrechen in Lachen, doch plötzlich wurde er sehr ernst, schaute dem Freunde tief ins Auge und sprach: »Eugenius! – Wär' es möglich – wär' es wahr? – Nein, es kann, es darf nichts anders sein als ein possenhaftes albernes Gerücht, das der böse Leumund dir und der Professorin zum Hohn ausstreut! – Lache, Eugenius, lache recht derb, man sagt, du würdest die Alte heiraten?«

Eugenius erschrak ein wenig, dann versicherte er aber mit niedergeschlagenen Augen, daß allerdings wahr sei, was man spreche.

»So hat mich,« rief Sever in vollem Eifer, »so hat mich das Schicksal zur rechten Stunde hergebracht, dich wegzureißen von dem verderblichen Abgrunde, an dessen Rande du stehst! – Sage, welch ein heilloser Wahnsinn hat dich ergriffen, daß du dein Selbst in der schönsten Zeit verkaufen willst für ein schnödes Handgeld?« – So wie es dem Sever zu geschehen pflegte bei solcher Gelegenheit, er sprudelte auf, erhitzte sich selbst immer mehr und mehr, bis er zuletzt Verwünschungen ausstieß gegen die Professorin – gegen Eugenius und eben noch recht derbe Studentenflüche daraufsetzen wollte, als Eugenius ihn endlich mit Mühe dahinbrachte, stillzuschweigen und ihn anzuhören. Eben Severs aufbrausende Hitze hatte dem Eugenius seine ganze Haltung wiedergegeben. Er setzte nun dem Sever mit Ruhe und Klarheit das ganze Verhältnis auseinander, verhehlte nicht, wie die ganze Sache sich von Haus aus gestaltet, und schloß endlich mit der Frage, welchen Zweifel er wohl hegen könne, daß die Verbindung mit der Professorin eben ganz unbedingt sein Lebensglück machen werde.

»Armer Freund,« sprach Sever, der nun auch wieder[564] ruhig geworden, »armer Freund, in welches dichte Netz von Mißverständnissen hast du dich versponnen! – Doch vielleicht gelingt es mir, die fest geschürzten Knoten zu lösen, und dann, erst aus den Banden gerettet, wirst du den Wert der Freiheit fühlen. – Du mußt fort von hier!« »Nimmermehr,« rief Eugenius, »mein Entschluß steht fest. Du bist ein unseliger Weltling, wenn du zweifeln kannst an dem frommen Sinn, an der treuen Mutterliebe, womit die würdigste aller Frauen mich, der ich ewig ein unmündiges Kind, durch das Leben führen wird!«

»Höre,« sprach Sever, »du nennst dich selbst ein unmündiges Kind, Eugenius, zum Teil bist du es wirklich, und dies gibt mir Welterfahrnen das Übergewicht, das mir sonst die Jahre nicht zugestehen würden, da ich nur wenig älter als du. Magst du es daher nicht voreilige Hofmeisterei nennen, wenn ich dich versichere, daß du von deinem Standpunkt aus gar nicht vermagst in der ganzen Sache klar zu sehen. Glaube ja nicht, daß ich gegen die gute harmlose Absicht der Professorin den mindesten Zweifel hege, daß ich nicht überzeugt bin, sie will nur dein Glück, aber sie selbst, guter Eugenius, sie selbst ist in großem Irrtum befangen. Es ist eine alte richtige Bemerkung, daß die Weiber alles vermögen, nur nicht sich außer sich selbst heraus zu versetzen in die Seele des andern. Was sie selbst lebhaft empfinden, gilt ihnen für die Norm alles Empfindens überhaupt, und die eigene innere Gestaltung ist ihnen der Prototypus, nach dem sie das, was in des andern Brust verschlossen, beurteilen und richten. So wie ich die alte Professorin kenne in all ihrem Tun und Wesen, muß ich denken, daß sie nie heftiger Leidenschaft fähig war, daß sie jenes Phlegma von jeher besaß, welches die Mädchen und Frauen lange hübsch erhält, denn in der Tat noch jetzt sieht die Alte für ihre Jahre glatt und glau genug aus. Daß der alte Helms das Phlegma selbst war, wissen wir beide, und kommt nun hinzu, daß beide nächst der frommen Einfachheit[565] altvorderlicher Sitten eine recht herzliche Gemütlichkeit in sich trugen, so mußt' es eine recht glückliche, ruhige Ehe geben, in welcher der Mann niemals die Suppe tadelte, die Frau aber niemals die Studierstube zur Unzeit scheuern ließ. Dieses ewige Andante des ehelichen Duetts glaubt nun die Professorin mit dir in aller Gemächlichkeit fortspielen zu können, da sie dir Phlegma genug zutraut, um nicht plötzlich mit einem Allegro hinauszufahren in die Welt. Bleibt in dem botanischen Schlafrock nur alles fein still und ruhig, so ist es am Ende gleich, wer drinnen sitzt, der alte Professor Helms oder der junge Student Eugenius. O, es ist kein Zweifel, die Alte wird dich pflegen, dich hätscheln, ich bitte mich im voraus bei dir zu Gaste auf den herrlichsten Mokkakaffee, den je eine alte Frau bereitet, und sie wird es gern sehen, wenn ich mit dir eine Pfeife des feinsten Varinas rauche, die sie selbst gestopft, und die ich mit dem Fidibus anzünde, den sie aus zum Feuertode verdammten Kollektaneen des Seligen zugeschnitten und gekniffen. – Aber wenn nun mitten in diese Ruhe, die für mich wenigstens alle Trostlosigkeit einer menschenleeren Wüste hat, wenn nun in diese Ruhe plötzlich der Sturm des Lebens einbricht?« –

»Du meinst,« unterbrach Eugenius den Freund, »wenn böse Zufälle sich ereignen – Krankheit« –

»Ich meine,« fuhr Sever fort, »wenn durch diese Glasfenster einmal ein Paar Augen hineinblicken, von deren feurigem Strahl die Kruste schmilzt, die dein Inneres überdeckt, und der Vulkan bricht los in verderblichen Flammen« –

»Ich verstehe dich nicht!« rief Eugenius.

»Und,« sprach Sever weiter, ohne auf Eugenius zu achten, »und wider solche Strahlen schützt kein botanischer Schlafrock, er fällt in Lumpen herab vom Leibe, und wär' er von Asbest. – Und – abgesehen von dem, was sich in der Art Verderbliches ereignen kann, so lastet[566] von Haus aus in diesem wahnsinnigen Bündnis der ärgste aller Flüche auf dir, der Fluch, vor dem auch die kleinste Blüte des Lebens erkrankt und abstirbt – es ist der Fluch des Lächerlichen.« –

Eugenius verstand in seiner beinahe kindischen Unbefangenheit wirklich gar nicht recht, was der Freund sagen wollte; er war im Begriff, sich soviel möglich belehren zu lassen über die unbekannte Region, von der Sever schwatzte, als die Professorin hineintrat.

Über Severs Antlitz zuckten tausend ironische Fältchen, ein spitzes Wort schwebte ihm auf der Zunge. Doch als die Professorin mit aller gemütlichen Freundlichkeit, mit aller anmutigen Würde einer edlen Matrone auf ihn zutrat, als sie ihn mit wenigen herzlichen Worten, die aber recht aus dem Innersten strömten, bewillkommte als den Freund ihres Eugenius, da war weggetilgt alle Ironie, aller schadenfrohe Spott, und es war dem Sever im Augenblick, als gäbe es in der Tat Wesen und Verhältnisse im Leben, von denen der gemeine Weltsinn nichts wisse, nichts ahne.

Es sei hier gesagt, daß die Professorin beim ersten Anblick jeden seltsam wohltuend ansprechen mußte, dessen Sinn nicht verschlossen für den Ausdruck wahrhafter Frömmigkeit und Treue, wie er aus Albrecht Dürers Matronen spricht; denn einer solchen Matrone glich die Professorin ganz und gar. –

Also Sever verschluckte das spitze Wort, das ihm auf der Zunge schwebte, und selbst dann kam ihm der Spott nicht wieder, als die Professorin ihn wirklich einlud, da es gerade die Vesperzeit, mit Eugenius Kaffee zu trinken und Tabak zu rauchen. –

Sever dankte dem Himmel, als er wieder im Freien, denn die Gastlichkeit der alten Frau, der besondere Zauber der edelsten Frauenwürde, der über ihr ganzes Wesen verbreitet, hatte ihn so befangen, daß er in seiner tiefsten Überzeugung wankte. Ja, daß er wider seinen Willen glauben mußte, Eugenius könne in der Tat glücklich sein[567] in dem widersinnigen Verhältnis mit der Alten, das war ihm beinahe unheimlich und grauenhaft. –

Doch! – wohl geschieht es im Leben, daß eine ausgesprochene böse Ahnung eintrifft im nächsten Moment, und so begab es sich denn auch, daß sich schon andern Tages etwas kundtat von dem Fluch des Lächerlichen, dessen Sever erwähnt wie in feindlicher Verwünschung. –

Eugenius' seltsamer Bräutigamsstand war bekannt geworden, und so konnt' es nicht fehlen, daß, als er andern Morgens in das einzige Kollegium trat, das er noch besuchte, ihn alle mit lachenden Gesichtern anblickten. Ja, noch mehr, als das Kollegium geendet, hatten die Studenten bis auf die Straße hinaus eine Doppelreihe gebildet, die der arme Eugenius durchwandern mußte, und nun scholl's überall: »Gratulor, Herr Bräutigam – grüß' Er das liebe süße Bräutlein – hm! Ihm hängt wohl der Brauthimmel voll Geigen und Pfeifen u.s.w.«

Dem Eugenius stieg aus allen Adern das Blut mächtig zu Kopf. – Schon auf die Straße gekommen, rief ihm ein roher Bursche aus der Reihe zu: »Grüß' deine Braut, die alte –« Er stieß ein garstiges Schimpfwort aus, aber in dem Augenblick erwachten auch alle Furien des Zorns und der Wut in Eugenius, mit geballter Faust schlug er seinem Widersacher ins Gesicht, daß er rücklings überstürzte. Er raffte sich auf und erhob gegen Eugenius den dicken Knotenstock, mehrere taten ein Gleiches, da sprang aber der Senior der Landsmannschaft, zu der beide, Eugenius und der Bursche, der ihn beschimpft, gehörten, dazwischen und rief stark: »Halt! – seid ihr Straßenbuben, daß ihr euch hier prügeln wollt auf offnem Markt? – Es geht euch den Teufel was an, ob Eugenius heiratet, und wer seine Braut ist. Seine Braut hat aber Marcell verunglimpft, hier in unser aller Gegenwart auf offner Straße, und zwar so plebejisch, daß er den Schimpf mit Schimpf rügen durfte und mußte auf der Stelle. Marcell weiß nun, was er zu tun hat; rührt sich aber jetzt einer, so hat er es[568] mit mir zu tun.« Der Senior nahm den Eugenius unter den Arm und geleitete ihn nach Hause. »Du bist,« sprach er dann zu Eugenius, »du bist ein braver Junge, du konntest nicht anders handeln. Aber du lebst zu still, zu eingezogen, man sollte dich beinahe für einen Tuckmäuser halten. Mit dem Schlagen wird es nun nichts sein; fehlt es dir auch nicht an Mut, so hast du doch keine Übung, und der Prahlhans Marcell ist einer unsrer besten geübtesten Schläger, der setzt dich auf die Erde beim dritten Stoß. Aber das soll nicht sein, ich schlage mich für dich, ich fechte deine Sache aus; du kannst darauf bauen.« Der Senior verließ den Eugenius, ohne seine Antwort abzuwarten.

»Siehst du wohl,« sprach Sever, »siehst du wohl, wie meine Prophezeiungen schon jetzt sich zu bewähren beginnen?«

»O schweige,« rief Eugenius, »das Blut kocht mir in den Adern, ich kenne mich selbst nicht mehr, mein ganzes Wesen ist zerrissen! – Gott im Himmel! – welcher böse Geist flammte aus mir heraus in diesem wilden Jähzorn! – Ich sage dir, Sever, hätte ich eine Mordwaffe in der Hand, niedergestoßen in dem Augenblick hätt' ich den Unglücklichen! – Aber auch nie hat eine Ahnung diese Brust gehegt, daß es in dem Bereich des Lebens eine Schmach geben könne der Art!«

»Nun,« sprach Sever, »die bittern Erfahrungen treten ein.«

»Bleibe weg,« fuhr Eugenius fort, »bleibe weg mit deiner gepriesenen Weltklugheit. Ich weiß es, Orkane gibt es, die plötzlich hineinbrechen und im Augenblick zerstören, was lange sorgliche Mühe schuf. – O, mir ist es, als wenn meine schönsten Blumen zerknickt, tot vor meinen Füßen lägen.«

Ein Student forderte jetzt in Marcells Namen den Eugenius zum Zweikampf auf den andern Morgen. Eugenius versprach, zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein.[569]

»Du, der du niemals ein Rapier in der Hand gehabt, du willst dich schlagen?« so fragte Sever ganz erstaunt; Eugenius versicherte aber, daß keine Macht ihn abhalten werde, seine Sache selbst auszufechten, wie es sich gebühre, und daß Mut und Entschlossenheit das ersetzen würden, was ihm an Geschicklichkeit abginge. Sever stellte ihm vor, daß im Zweikampf auf den Stoß, wie er am Orte üblich, der Mutigste dem Geschickten unterliegen müsse. Eugenius blieb indessen standhaft bei seinem Entschluß, indem er hinzufügte, daß er im Stoßen vielleicht geübter sei, als man es glaube.

Da schloß ihn Sever freudig in die Arme und rief: »Der Senior hat recht, du bist ein braver Junge durch und durch, aber in den Tod sollst du nicht gehen, ich bin dein Sekundant und werde dich schützen, wie ich es nur vermag.«

Leichenblässe lag auf Eugenius' Antlitz, als er auf den Kampfplatz trat, aber aus seinen Augen flammte ein düstres Feuer, und seine ganze Haltung war fester Mut, die Ruhe der Entschlossenheit selbst.

Nicht wenig erstaunte Sever und ebenso der Senior, als Eugenius sich gleich als ein ganz guter Fechter zeigte, dem sein Gegner beim ersten Gange durchaus nichts anhaben konnte. Beim zweiten Gange traf den Marcell gleich ein geschickter Stoß in die Brust, daß er zusammenstürzte.

Eugenius sollte fliehen, aber nicht von der Stelle wollte er weichen, es möge über ihn ergehen, was es auch sei. Marcell, den man für tot gehalten, erholte sich wieder, und nun erst, da der Wundarzt erklärte, Rettung sei möglich, begab sich Eugenius mit Sever von dem Kampfplatz nach Hause. »Ich bitte dich,« rief Sever, »ich bitte dich, Freund, hilf mir aus dem Traum, denn in der Tat, zu träumen glaub' ich, wenn ich dich betrachte. Anstatt des friedlichen Eugenius stehet ein gewaltiger Mensch vor mir, welcher stößet wie der vortrefflichste Senior und[570] ebensoviel Mut und Gelassenheit hat als dieser.« »O mein Sever,« erwiderte Eugenius, »gäbe der Himmel, du hättest recht, möchte alles nur ein böser Traum sein. Aber nein, der Strudel des Lebens hat mich erfaßt, und wer weiß, an welche Klippen mich die dunkle Macht schleudert, daß ich, zum Tode wund, nicht mehr mich retten kann in mein Paradies, das ich unzugänglich glaubte den finstern wilden Geistern.« –

»Und,« fuhr Sever fort, »und diese finstren wilden Geister, die jedes Paradies zerstören, was sind die anders, als die Mißverständnisse, die uns um das Leben betrügen, das heiter und klar vor uns liegt? – Eugenius, ich beschwöre dich, laß ab von einem Entschluß, der dich verderben wird! – Ich sprach von dem Fluch des Lächerlichen, mehr und mehr wirst du ihn empfinden. Du bist brav, entschlossen, und es ist vorauszusehen, daß du, da nun einmal es unmöglich ist, das Lächerliche deines Verhältnisses mit der Alten zu vertilgen, dich wohl noch zwanzigmal schlagen wirst deiner Braut halber. Aber je mehr dein Mut, deine Treue sich bewähren mag, desto schärfer wird die Lauge werden, mit der man dich und deine Taten übergießt. Aller Glanz deines studentischen Heldentums verbleicht in der absoluten Philisterei, die die alte Braut über dich bringen muß.« –

Eugenius bat den Sever, von einer Sache zu schweigen, die unabänderlich in seinem Innern feststehe, und versicherte nur noch auf Befragen, daß er seine Fechtkunst lediglich dem verstorbenen Professor Helms verdanke, der als ein echter Student aus der älteren Zeit ungemein auf diese Kunst und überhaupt auf das, was in studentischer Sprache »Komment« heißt, gehalten. Beinahe jeden Tages habe er, schon der Bewegung halber, sich ein Stündchen mit dem Alten herumrapieren müssen, woher ihm denn, ohne daß er jemals den Fechtboden besucht, hinlängliche Übung gekommen. –

Eugenius erfuhr von Gretchen, daß die Professorin ausgegangen[571] und nicht zu Mittage, sondern erst am Abende nach Hause kommen werde, da sie gar vieles in der Stadt zu besorgen. Ihm fiel dieses deshalb ein wenig auf, weil es ganz aus der Gewohnheit, aus der Lebensweise der Professorin lag, das Haus auf so lange Zeit zu verlassen.

Vertieft in ein wichtiges botanisches Werk, das ihm eben erst zur Hand gekommen, saß Eugenius in dem Studierzimmer des Professor Helms, das nun das seine worden, und hatte in dem Augenblick alles Verhängnisvolle, das sich am Morgen begeben, beinahe vergessen. Die Dämmerung war schon eingebrochen, da hielt ein Wagen vor dem Hause, und bald darauf trat die Professorin in Eugenius' Zimmer. Er erstaunte nicht wenig, sie in dem vollen Staat zu sehen, den sie nur an hohen Festtagen anzulegen pflegte. Das schwere faltenreiche Kleid von schwarzem Moor, reichlich mit schönen Brabanter Spitzen besetzt, das kleine altertümliche Häubchen, das reiche Perlenhalsband, ebensolche Armbänder, der ganze Schmuck gab der hohen vollen Gestalt der Professorin ein gar herrliches, ehrfurchtgebietendes Ansehen.

Eugenius sprang auf von seinem Sitz, aber mit der ungewöhnlichen Erscheinung trat, selbst wußte er nicht wie, auch alles Unheil des Tages in seiner Seele hervor, und unwillkürlich aus der tiefsten Brust rief er: »O mein Gott!«

»Ich weiß,« sprach die Professorin mit einem Ton, der in erkünstelter Ruhe nur zu sehr die tiefste Bewegung der Seele verriet, »ich weiß alles, was seit gestern vorgegangen, lieber Eugenius, ich kann, ich darf Sie nicht tadeln. – Mein Helms hat sich auch einmal meinethalben schlagen müssen, als ich seine Braut, ich hab' es erst erfahren, als wir schon zehn Jahre verheiratet, und mein Helms war ein ruhiger gottesfürchtiger Jüngling, der gewiß niemandes Tod wollte. Aber es ist nicht anders, hab' ich auch niemals begreifen können, warum es nicht anders sein kann. Doch die Frau vermag ja manches nicht[572] zu fassen, was sich auf jener dunkeln Kehrseite des Lebens begibt, die ihr, will sie Weib sein und des Weibes Ehre und Würde behaupten, fern, dunkel bleiben muß, und mit frommer Ergebung mag sie daran glauben, was der Mann von der Gefahr jener Klippen, die er, ein kühner Pilot, umschifft hat, erzählt, und nicht weiter forschen! – Noch von anderm ist hier aber die Rede. – Ach, so sollte man, – ist die Sinnenlust der Jugend vorüber, sind die grellen Bilder des Lebens verbleicht, – denn das Leben selbst nicht mehr verstehen, sollte der Geist, ist er ganz zugewendet dem ewigen Licht, doch nicht das reine Blau des Himmels schauen können, ohne daß aus dem Pfuhl des Irdischen dunkle Wolken und Gewitter aufsteigen? – Ach! – als mein Helms sich um meinetwillen schlug, da war ich ein blühendes achtzehnjähriges Mädchen, man nannte mich schön – man beneidete ihn. – Und Sie – Sie schlagen sich für eine Matrone, für ein Verhältnis, das die leichtfertige Welt nicht zu fassen vermag, das nichtswürdige Gottlosigkeit mit frechem Spott begeifert. – Nein, das darf, das soll nicht sein! – Ich gebe Ihnen Ihr Wort zurück, lieber Eugenius! wir müssen uns trennen!« –

»Nimmermehr,« schrie Eugenius, indem er der Professorin zu Füßen stürzte und ihre Hände an seine Lippen drückte; »wie, meinen letzten Tropfen Blut sollt' ich nicht verspritzen für meine Mutter?« – Und nun beschwor er die Professorin unter den heißesten Tränen, zu halten, was sie versprochen, nämlich, daß der Segen der Kirche ihn weihen solle zu ihrem Sohn! – »Doch ich Unglückseliger,« fuhr er dann plötzlich auf, »ist nicht alles zerstört, all mein Hoffen, mein ganzes Lebensglück? Marcell ist vielleicht schon tot – in der nächsten Minute schleppt man mich vielleicht ins Gefängnis.« –

»Sein Sie ruhig,« sprach die Professorin, indem ein anmutiges Lächeln die Verklärung des Himmels auf ihrem Antlitz verbreitete, »sein Sie ruhig, mein lieber frommer[573] Sohn! Marcell ist außer aller Gefahr, der Stoß ist so glücklich gegangen, daß durchaus gar keine edle Teile verletzt sind. Mehrere Stunden habe ich bei unserm würdigen Rektor zugebracht. Er hat sich mit dem Senior Ihrer Landsmannschaft, mit den Sekundanten, mit mehreren Studenten, die bei dem ganzen Vorfall zugegen waren, besprochen. – ›Das ist keine gemeine alberne Rauferei‹, sprach der edle Greis, ›Eugenius konnte die tiefe Schmach nicht anders rügen und Marcell auch nicht anders handeln. Ich habe nichts erfahren und werde jeder Angeberei zu begegnen wissen.‹« –

Eugenius schrie laut auf vor Wonne und Entzücken, und hingerissen von dem Moment, in dem der Himmel selbst durch seine schönsten Freuden den frommen Sinn des begeisterten Jünglings zu verherrlichen schien, gab die Professorin seinem Flehen nach, daß ihre Hochzeit in ganz kurzer Zeit gefeiert werden solle.

Am späten Abend, als den Morgen darauf die Trauung in möglichster Stille gefeiert werden sollte, ließ sich auf der Straße vor dem Hause der Professorin ein dumpfes Murmeln und leises Kichern vernehmen. Es waren Studenten, die sich versammelten. Aufflammend im Grimm lief Eugenius nach seinem Rapier. Vor Schreck leichenblaß, war die Professorin keines Wortes mächtig. Da sprach aber eine rauhe Stimme auf der Straße: »Wollt ihr, so werde ich euch beistehn in dem saubern Ständchen, das ihr dem Brautpaar hier zu bringen im Sinn habt, aber morgen wird sich denn auch keiner weigern, mit mir ein Tänzchen zu machen, solange als er sich auf den Beinen aufrecht erhalten kann!« –

Die Studenten schlichen einer nach dem andern still fort. Eugenius, aus dem Fenster blickend, erkannte im Laternenschimmer sehr deutlich den Marcell, der mitten auf dem Pflaster stand und nicht eher wich, bis der letzte der Versammelten den Ort verlassen.

»Ich weiß nicht,« sprach die Professorin, als die paar[574] alten Freunde des verstorbenen Helms, die der Trauung beigewohnt, fortgegangen waren, »ich weiß nicht, was unserm Gretchen ist, warum sie geweint hat, wie im trostlosesten Schmerz. Gewiß glaubt das arme Kind, wir würden uns nun weniger um sie kümmern. Nein! – mein Gretchen bleibt mein liebes, liebes Töchterlein!« – So sprach die Professorin und schloß Gretchen, die eben hereingetreten, in ihre Arme. »Ja,« sprach Eugenius, »Gretchen ist unser gutes liebes Kind, und mit der Botanik wird's auch noch recht gut gehen.« Damit zog er sie zu sich hin und drückte, was er sonst beileibe nicht getan, einen Kuß auf ihre Lippen. Aber wie leblos sank Gretchen in seinen Armen zusammen.

»Was,« rief Eugenius, »was hast du, Gretchen? – Bist du denn eine kleine Mimosa6, daß du zusammenfährst, wenn man dich anrührt?«

»Das arme Kind ist gewiß krank, der feuchte kalte Dunst in der Kirche hat ihr nicht wohlgetan;« so sprach die Professorin, indem sie der Kleinen die Stirne rieb mit stärkendem Wasser. Gretchen schlug die Augen auf mit einem tiefen Seufzer und meinte, es sei ihr plötzlich gewesen, als bekäme sie einen Stich ins Herz hinein, aber nun wäre alles vorüber. –

6

Mimosa pudica – Sinnpflanze. Die vierfach gefingert gefiederten Blätter ziehen oder legen sich bei der geringsten Berührung zusammen.

Quelle:
E.T.A. Hoffmann: Poetische Werke in sechs Bänden, Band 6, Berlin 1963, S. 562-575.
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