Bitte um Erbarmung

Ich singe tauben Ohren,

Dein schönes Antlitz kennt mich nicht.

Hab' ich der Freundschaft süßes Licht,

Mein bestes Kleinod, ganz verloren?

Wird denn mein Tag zu düstrer Nacht?

Soll ich lebendig mich begraben

Und deiner Augen schöne Pracht,

Wo vormals Sonne war, jetzt zu Kometen haben?


Was sind es doch für Sünden,

Dafür ich peinlich büßen muß

Und aller Schmerzen Ueberfluß,

Als Uebelthäter, itzt empfinden?

Doch laß der Uebelthäter Recht

Mich, eh' ich sterbe, nur genießen,

Und mache, daß dein armer Knecht,

Was er verbrochen hat, mag vor dem Tode wissen.


Wofür hab' ich zu büßen?

Als Göttinn hab' ich dich erkannt,

Mein Herz als Weihrauch dir gebrannt

Und mich gelegt zu deinen Füßen.

Straft mich der Himmel oder du?

Dir hab' ich mich in mir verzehret;

Der Himmel stürmet auf mich zu,

Weil ich dir allzuviel und ihm fast nichts gewähret.


Ach, zürne nicht, Melinde,

Daß mir dies freche Wort entfährt!

Ein Sünder ist erbarmenswerth.

Du fühlest nicht, was ich empfinde!

Nicht lache, wenn dein Sklave fällt;

Du weißt, Verwirretsein und Lieben[4]

Hat allbereits die erste Welt

Mit Schrift, die nicht verlöscht, zusammen eingeschrieben.


Doch willst du Göttinn heißen,

Zu der dich deine Tugend macht,

So mußt du auch bei solcher Pracht

Dich der Erbarmung stets befleißen.

Reiß deinen kalten Vorsatz ein;

Nicht mache meine Noth zum Scherze!

Die Hölle lehret grausam sein;

Der Himmel, dem du gleichst, verträgt kein steinern Herze.

Quelle:
Auserlesene Gedichte von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Daniel Caspar von Lohenstein, Christian Wernike, Friedrich Rudolf Frhr. von Canitz, Christian Weise, Johann von Besser, Heinrich Mühlpforth, Benjamin Neukirch, Johann Michael Moscherosch und Nicolaus Peucker, Leipzig 1838, S. 4-5.
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