Auf eine übersendete nelcke

[74] C.H.v.H.


Du sendest mir das blut von deinem mund und wangen/

Und eine nelcke muß dein theurer bote seyn:

Ich schaue zwar das blut auf weissen feldern prangen;

Doch stellt die wärmde sich hier nicht als nachbar ein.

Die negel ehr ich zwar mit mehr als tausend küssen/

Ich bin dazu verpflicht/ sie kommt auß deiner hand;

Doch wil nichts feuchtes mir auf mund und lippen flüssen:

Was geist und wärmde heist/ ist ihr gantz unbekandt.[74]

Sie weiß mit honigthau mir nicht den mund zu netzen/

Sie kennt das schmätzeln nicht und diß was züngeln heist/

Sie weiß den purpur nicht auf meinen mund zu setzen/

Ich fühle nicht was mich auf meine lippen beist.

Sie weiß mir meinen mund nicht schlüpfrig aufzuschliessen/

Die feuchte kützelung kennt diese nelcke nicht.

Durch warmes böben kan sie keinen kuß versüssen/

Weil nässe/ geist und blut der nelcke stets gebricht.

Doch kömmt die nelcke mir nicht leichtlich aus dem munde/

Ich aber netze sie durch einen heissen kuß.

Ach freundin! Wünsche mir doch zeitlich diese stunde/

Da mich entzücken kan dein reicher überfluß.

Es reist mich aus mir selbst ein süsses angedencken/

Was mir vor höflichkeit dein kuß hat angethan.

Du wirst mir einen kuß bey dieser nelcke schencken/

Und zeigen/ daß dein mund mehr als die blume kan.

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte zweiter Teil, Tübingen 1961, S. 74-75.
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