Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer

[47] Er losch auf einmal aus so wie ein Licht.

Wir trugen alle wie von einem Blitz

Den Widerschein als Blässe im Gesicht.


Er fiel: da fielen alle Puppen hin,

In deren Adern er sein Lebensblut

Gegossen hatte; lautlos starben sie,

Und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen,

Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer

In eines Königs Aug gedrückt, Don Philipp

Mit Caliban als Alp um seinen Hals,

Und jeder tot.
[47]

Da wußten wir, wer uns gestorben war:

Der Zauberer, der große, große Gaukler!

Und aus den Häusern traten wir heraus

Und fingen an zu reden, wer er war.

Wer aber war er, und wer war er nicht?


Er kroch von einer Larve in die andre,

Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib

Und tauschte wie Gewänder die Gestalten.


Mit Schwertern, die er kreisen ließ so schnell,

Daß niemand ihre Klinge funkeln sah,

Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war

Vielleicht das eine, und die andre Hälfte

Gab einen süßen Narren oder Träumer.

Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier,

In dessen Falten alle Dinge wohnen:

Er holte Tiere aus sich selbst hervor:

Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel

Und einen schrecklichen, und den, und jenen,

Und dich und mich. Sein ganzer Leib war glühend,

Von innerlichem Schicksal durch und durch

Wie Kohle glühend, und er lebte drin

Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen,

Mit jenem undurchdringlich fremden Blick

Des Salamanders, der im Feuer wohnt.


Er war ein wilder König. Um die Hüften

Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht

Die Wahrheit und die Lüge von uns allen.

In seinen Augen flogen unsre Träume

Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel

Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser.


Hier trat er her, auf ebendiesen Fleck,

Wo ich jetzt steh, und wie im Tritonshorn[48]

Der Lärm des Meeres eingefangen ist,

So war in ihm die Stimme alles Lebens:

Er wurde groß. Er war der ganze Wald,

Er war das Land, durch das die Straßen laufen.

Mit Augen wie die Kinder saßen wir

Und sahn an ihm hinauf wie an den Hängen

Von einem großen Berg: in seinem Mund

War eine Bucht, drin brandete das Meer.


Denn in ihm war etwas, das viele Türen

Aufschloß und viele Räume überflog:

Gewalt des Lebens, diese war in ihm.

Und über ihn bekam der Tod Gewalt!

Blies aus die Augen, deren innrer Kern

Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen,

Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen

Und tötete den Leib, der Glied für Glied

Beladen war mit ungebornem Leben.


Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht?

Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust,

Bevölkert mit verständlichen Gestalten,

Erschließt aufs neu zu schauerlicher Lust?

Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten

Und starren nun bei seines Namens Klang

Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang.«
[49]

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Erste Reihe in drei Bänden, Band 1, Berlin 1924, S. 47-50.
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