An eine Frau

[173] Die wahre Ernte aller Dinge bleibt

Und blüht in hoher Luft wie lichte Zinken,

Das andere war nur da um wegzusinken.


Und irgendwie geheimnisvoll erträgt

Es unser Geist nur immer auszuruhen

Auf Gleitendem, wie die Meervögel tuen.


Wie führte uns verworrenes Gespräch

Verstellter Augen über öde Klippen!

Und unsere allzusehr beredten Lippen


Begierig, vielen Göttern Dienst zu tun!

Zu viele Schatten schwebten da verschlungen,

Und so sind wir einander zugedrungen


Wie dem Ertrinkenden das schöne Bild

Der weißen Bucht, das er nicht mehr gelassen

Erträgt, vielmehr schon anfängt es zu hassen.


Dies alles war nur da, um wegzusinken.

Es wohnen noch ganz andere Gewalten

In unserer Tänze namenlosen Falten.


Die Lider unserer Augen sind nicht gleich

Dem Fleisch der Früchte, und die jungen Mienen

Nicht einerlei mit Lämmern und Delphinen!


Und nur die Ernte aller Dinge bleibt:

So fand ich dich im Garten ohne Klippen,

Und großes Leben hing um deine Lippen,
[174]

Weil du an deiner Freundin losem Haar

Zu reden wußtest königlich wie eine,

Die wissen lernte, was das Leben meine.


Und hinter dir die Ebne niederziehn

Sah ich wie stille Gold- und Silberbäche

Die Wege deiner Niedrigkeit und Schwäche.

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 173-175.
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