Das Mädchen und der Tod

[161] Dies flüssig grüne Gold heißt Gift und tötet.

Wie gut es riecht: wie wenn der wilde Wind

In den Akazienbäumen irr sich fängt,

Dann geht man still im Mond auf weichen Blüten ...

Vielleicht ist Totsein solch ein lautlos Wandern

Durch fremde leere Länder ohne Schlaf,

Auf stillen Brücken über grüne Wasser

Durch lange schwarze, schweigende Alleen,

Durch Gärten, die verwildern ...

Und endlich komm ich an das Haus des Todes:

Im großen Saale ist ein großer Tisch

Aus grünem Malachit; den tragen Greifen.

Da sitzt der Tod zu Tisch und läd mich ein

Und Pagen viel mit feinen schmalen Händen

Und Schuh'n aus schwarzem Samt, die lautlos gleiten.

Die tragen wunderbare Schüsseln auf:

Ja, ganze Pfauen, Fische silberschuppig

Mit Purpurflossen, in den feinen Zähnchen

(Die sind vergoldet) stecken Lorbeerreiser

Und Trauben mit goldrotem Rost und offen

Granatäpfel, die auf weichen Kissen

Von frischen Veilchen leuchten, und der Tod

Hat einen Mantel an aus weißem Samt

Und setzt mich neben sich

Und ist sehr höflich ...

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 161-162.
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