Schönheit

[138] Fiebernd lag ich

Und es begehrten

Die lechzenden Lippen

Nach dem verwehrten

Kühlenden Trunk,

Und es verzehrten

Sich die kranken

Heißen Gedanken,

Lockende Qualen

Trüglich zu malen.

Murmelnder Quellen

Plätschern und Schwellen

Flüss'gen Crystalles

Silbernen Falles

Wallenden Sprudel,

Zischender Strudel

Staubende Schleier,

Ruhige Weiher,

Glitzernde Becken

In kühlen Verstecken

Fluten und schwinden

In wogendem Schwall

Ringsüberall.

Und es träumen

Die zuckenden Lippen

In wildem Genuß,

Wie sie es nippen

In schlürfendem Kuß,

Wie sie es trinken,

Darin versinken,

Wie es bespült,

Die brennenden Lider,

Kalt schauernd sich wühlt[139]

Durch die glühenden Glieder.

Aber nicht wieder

Seit ich gesundet

Find ich die mundend –

Süße Beglückung.

Wo ich auch trinke

Schale Erquickung

Beut mir die Quelle;

Und in der Welle

Murmelndem Rauschen

Kann ich die Töne

Nicht mehr erlauschen

Süßester Schöne,

Die zu erfassen

Damals der Seele

Schmachtende Kelche

Sich bebend erschlossen.

Du unser Sehnen,

Göttliche Schöne,

Die wir durch Töne

Zu rufen wähnen,

Gleichst du nicht jenen

Zaubergebilden

Die wir im wilden

Fieberverlangen

Herniederzwangen,

Die dort verwehrte

Lechzend begehrte,

Gleissend umschwebt

Und in gesunden

Prüfenden Stunden

Nebelnd sich hebt

Und uns zurückläßt

In der kalten

Elend-klaren

Oede des Lebens.

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 138-140.
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