Wenn kühl der Sommermorgen

[147] Wenn kühl der Sommermorgen graut,

Vom Himmel rosig wie Heidekraut,

Wie rosige Blüte von Heidekraut

Die blasse Sichel niederschaut:


Dann gehen auf silbernen Sohlen da

Aus ihres Gartens Tor

Umgürtet mit Schönheit und Schweigen ja

Die jüngsten Träume hervor.


Sie gehen durch eine blasse

Leisrauschende Pappelallee,

Durch eine Heckengasse

Und durch den duftigen Klee,


Sie öffnen mit feinen Fingern leis

Am dämmernden Hause das Tor

Und gehen die kleine Treppe leis

Zu deiner Kammer empor,


An deinem Bette sie stehen lang

Und haben keinen Mut,

Auf deine Seele sie horchen bang,

Die siedet und nicht ruht.


Sie sind für dich gekommen, weh!

Du atmest allzu schwer,

Rückgehen sie beklommen, weh!

Hin, wo sie kamen her,

Hin, wo der Sommermorgen graut

Wie rosig Blühn von Heidekraut.

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 147-148.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gedichte 1891-1898
Gedichte. Dramen I. 1891-1898
Gedichte. Dramen I: (1891-1898)