Fünfter Akt


[557] Zimmer Mariannes. Nicht zu hoher, sich breit erkerartig zurückbauender Raum mit einer alten, schon halb verblaßten Seidentapete: Rosen in allen möglichen und unmöglichen Farben auf schwarzem Grund. An den beiden vorspringenden Mittelwänden, über kleinen Konsoltischchen, auf denen bunte Porzellangruppen stehn, zwei Porträts: Mariannes Großeltern als junges Paar. Dahinter, rechts und links, schräg, unter verhängten Fenstern, zwei Sofas. In der letzten Hinterwand, ebenfalls verhängt, eine große Balkontür. In den beiden Seitenwänden ebenso Türen. Die rechts etwas mehr nach vorn, die links etwas mehr nach hinten. Rechts ein Glasschränkchen mit allerhand altmodischem Kunstgerümpel, ganz im Vordergrund links ein Kamin, in dem ein Feuer verglimmt. Auf ihm eine Uhr. Davor, wieder schräg gegen ihn gestellt, ein Lehnstuhl, neben dem ein runder Polsterhocker steht. In der Mitte ein Schreibtisch, auf dem eine elektrische Lampe brennt. Vor ihm ein Sessel. Von der Mitte der Decke ein Blumenkronleuchter aus Porzellan. Sämtliche Möbel Chippendale. – Marianne, aus ihrem starren Ohnmachtsschlaf noch nicht erwacht, mit dem Rücken halb gegen den Kamin, im Lehnstuhl.


GEORG während der Vorhang aufgeht, vor ihr halb auf den Knieen; sie dabei umschlungen haltend und den Kopf in ihrem Schoß; fernes, leises Großstadtgeräusch, Auto; aufblickend und ganz verzweifelt nach der Kaminuhr. Noch vor Mitternacht! Noch vor ... Aufstehend und noch verzweifelter. Aeh! ... An der Erde, aufgeklappt und offenbar von ihm selbst hingeworfen, ein geschriebnes Buch erblickend, das er mit der Fußspitze, ergrimmt, noch weiter von sich stößt. Mm! ... Es aufhebend und auf den Tisch schleudernd; erbittert. Luder! ... Aufhorchend; von draußen, ziemlich eilig, Schritte; Dufroy durch die Tür rechts. Nun?

DUFROY sofort, besorgt, zu Marianne rüber. Wie geht s?

GEORG verbissen; achselzuckend. Noch immer dasselbe! Vollkommen apathische Lethargie und nicht imstande, auch nur ein Glied zu rühren![558]

DUFROY nach einer kleinen Pause; Uhr in der Hand; ganz »Arzt«. Puls ... absolut normal und regelmäßig! ... Die Uhr wieder einsteckend. Mir unbegreiflich! ... Wäre ich nicht selbst mit Zeuge ihres Zusammenbruchs gewesen ...

GEORG unterdrückt-erregt. Ich weiß ... du kannst Bestimmtes nicht aussagen! Aber ... Nervös-unruhiger Blick nach der Kaminuhr, den Dufroy auffängt.

DUFROY achselzuckend; ähnlich, wie vorhin Georg. Akute, zentrale Lähmung des gesamten Cerebrospinalsystems! Kehrt der Willensimpuls wieder ...

GEORG der ihn nicht ausreden läßt; ironisch-bitter. Er kann aber auch ebensogut ... Wieder, von Dufroy abermals bemerkt, Blick nach der Kaminuhr.

DUFROY unwirsch. »Kann!« ... Bei dem für den Moment nicht bedenklichen, verhältnismäßig zufriedenstellenden und keineswegs lebensgefahrdrohenden Zustand der Kranken?

GEORG verstimmt-finster. M! ... Nach den Feuerresten im Kamin. Ob wir noch einige Scheite ...? Während Dufroy an den Thermometer tritt, der neben der Tür links hängt. Nachts Leicht nach der verhängten Balkontür und den Fenstern hin. und nach diesem plötzlichen Wettersturz ...

DUFROY der die Skala inzwischen abgelesen; Geste. Hinlänglich genügend! ... Außerdem ... Ähnlich, wie eben Georg. hat sich inzwischen auch wieder die Temperatur draußen ...

GEORG wieder nach der Kaminuhr. Bald Zehn! Sich seiner Gewohnheit gemäß in Gang setzend. Noch zwei Stunden und ...

DUFROY von ihm nach der Uhr und wieder zurück. Was siehst du denn immer ...?

GEORG noch verbissner. Vielleicht auch nur noch ...

DUFROY wie vorhin. Du tust ja, als ob von dieser Uhr ...

GEORG kurz nach ihm zurückgedreht. N? Bitte?

DUFROY noch gesteigert. Als ob Leben und Tod von ihr abhinge!

GEORG abweisend-ungeduldig. Wie soll von einer Uhr ...

DUFROY noch immer von ihm nach der Uhr. Du hast in dieser kurzen Zeit bereits dreimal ...

GEORG ihn unterbrechend; ausholend. Willst du mir als Mediziner ... nach bestem Wissen und Gewissen ... also mit andern Worten[559] möglichst objektiv ... eine dich vielleicht etwas sonderbar anmutende, mich aber im Moment ... theoretisch interessierende, kleine Frage beantworten?

DUFROY ganz erstaunt-überrascht. Seit wann ... wenn du etwas ... von mir, oder durch mich zu wissen wünschst ...

GEORG ihn wieder nicht erst ausreden lassend; ähnlich wie vorhin. Kann die Einbildung ... daß man mit Ablauf einer bestimmten Frist ... ich, oder ein andrer ... sagen wir zum Beispiel sterben muß ... könnte eine solche Einbildung ... für mich, oder den betreffenden andern ... deiner Meinung nach ...

DUFROY der seine Frage längst begriffen; da Georg jetzt einen Augenblick stockt. Den gewünschten, oder befürchteten ... je nachdem ... Erfolg, oder Effekt haben! Selbstverständlich! Wenn dies schwerwiegende Resultat durch eine entsprechend ausreichend starke Selbstsuggestion im voraus gewissermaßen schon antizipiert war!

GEORG in seiner Sichvergewisserung weiter. Auch, wenn der Betreffende über den Eintritt, oder Ablauf dieser Frist absichtlich getäuscht, irregeführt, oder im Unklaren gelassen wird?

DUFROY mit größter Bestimmtheit. Auch dann! Denn er wüßte ... durch sein Unterbewußtsein ... gewissermaßen posthypnotisch ... trotzdem ...

GEORG wieder auf und ab; brüsk. Unsinn! Torheit!

DUFROY unwillig. Wenn ich dir doch aber sage ...

GEORG noch herber und härter. Torheit!!

DUFROY Achselzucken; fast verletzt. Ein Fall, wie er in unsrer neueren Psychopathik ...

GEORG heftigst. Torheit!! ... Wie überhaupt alles und jedes, was über das Niveau und den Horizont des einfachsten, simpelsten Pfahlbürgers, Spießers und Trottels ...

DUFROY ungehalten. Erst interpellierst du und fragst du mich ...

GEORG in seinem Satz, Dufroys Einrede gar nicht berücksichtigend, noch gesteigert weiter. Auch nur um einen Millimeter ...

DUFROY auffahrend, ihn unterbrechend. Gestatte! Verzeih! ... Georg wieder stehngeblieben und einen Moment von neuem nach der Kaminuhr blickend; Dufroy, unwillkürlich, ebenso. So wenig ich mir in meiner momentanen Lage ... die ich als eine Deroute[560] und als ein Debacle in jeder Beziehung und unter jedem Gesichtspunkt empfinde ... und namentlich auch nach der ... Ganz besonders betont. mehr moralischen Seite ...

GEORG mit dem Versuch, ihn zu unterbrechen. Was ...

DUFROY in seiner Selbstanklage, noch peinlichst- schmerzlicher, weiter. Nach der mehr moralischen Seite hin tief menschlich vor mir empfinden muß ...

GEORG erst jetzt mit seiner Unterbrechung zu Rande kommend. Was kannst du dafür, wenn deine entartete Tochter ... Pferdegetrappel.

DUFROY der eine solche Entlastung vor seinem Gewissen nicht verantworten kann. Ich weiß nicht ... ob nicht ... vielleicht auch mich ...

GEORG der auf diese »Verteidigung« nur »gewartet« zu haben schien; losbrechend. Und »vielleicht« gar etwa auch noch mich und ...

DUFROY schnell-vorsichtig. Ich erhebe gegen keinen ... irgendeine Anklage, oder ... einen Vorwurf ... und will die Tote ...

GEORG seltsam durch die Zähne. Die »Tote«!

DUFROY noch behutsamer. Die dich ... und uns alle ...

GEORG ingrimmig in seinem Satz weiter und mehr und mehr seine Selbstbeherrschung verlierend. Die, ehebrecherisch, ehr- und pflichtvergessen, deinen und meinen Namen in den Kot getreten hat, die mit sich schamloser als eine Dirne verfuhr und die gegen ihre Kinder wie eine Wölfin wütete, nun auch noch gar ...

DUFROY ihm ins Wort; um ihn zu beruhigen. Es ... fällt mir ja doch ... wie gesagt, nicht im geringsten ...

GEORG noch maßloser; seinen Gang wieder aufnehmend. Ich lehne es prinzipiell ab und weise es meilenweit von mir, über diese exemplarischste und mustergültigste aller Frauen, Töchter und Mütter auch nur mit einem Wort oder einer Silbe ...

DUFROY ihn unterbrechend. Was dir niemand ... Was dir keiner ... Sich zusammenraffend und auf seine ursprüngliche Abwehr wieder zurück. Jedenfalls so wenig mir im Augenblick ... ich möchte fast sagen, auch sogar schon rein intellektuell verblieben ... ich für meine Person wünschte mir nicht, mit einem solchen »Niveau«, oder »Horizont«, wie du das nennst ...

GEORG ungeduldig; ihm seinen Satz schließend. Begabt, bedacht, oder[561] behaftet zu sein! Ich bewundre und beneide jeden, dem sein Bauch, sein Nabel, oder seine Epidermis ...

DUFROY durch diese extravagante Ausdruckweise Georgs, hinter der er etwas wie einen verkappten Angriff auf sich wittert, verletzt; protestierend. Ich muß gestehn, eine derartig geistige Ueberbescheidenheit in meiner eignen, persönlichen Selbsteinschätzung ...

GEORG wieder stehngeblieben und ihn messend; dabei – ebenso, wie auch Dufroy bereits während der ganzen Zeit – ab und zu nach Marianne rüber und vergeblich bemüht, seinen Ton etwas zu dämpfen. Glaubst du, schmeichelst du dir, bist du bis in dein Tiefstes und Innerstes davon durchdrungen, dich ziert ... im Eigentlichsten und Letzten, auf das es ankommt ... um derentwillen die Philosophien, Ideeenlehren und Gedankensysteme aller Völker und Zeiten sich schon von jeher, wie bösartige, wütende, bluthungrige Bestien, gegenseitig zerfleischten, negierten und auffraßen ... und dem allein zu Liebe die Menschheit seit Jahrtausenden, wie maniakalisch, ihre bunten, kaleidoskopisch blödsinnigen, himmelragenden Tempel, Bethäuser und Kirchen baut ... ein andrer Horizont oder Gesichtskreis, als ihn der alte, biedre Schäfer Hans, Jochen Humpelbein ...

DUFROY empört. Erlaube!

GEORG in seinem Satz, als hätte Dufroy ihm diesen erst gar nicht unterbrochen, noch sprudelnder, weiter. Da so oben, etwa bei Ritzebüttel rum, oder auf der Lüneburger Heide, hinter seinem blauen Flauschrock, oder der erste, beste Talglichtfabrikant in Tuttlingshausen, Treuenbrietzen, oder hier Kurze, verächtlich-hastige Kopfbewegung irgendwo hinter sich. in euerm beliebten Stralau- Rummelsburg, nicht ohne eine gewisse Würde, jedenfalls aber mit Stolz und Genugtuung, unter seiner weißen, mit drei, eng zusammensitzenden, festlichen Perlmutterknöpfen bespannten Weste fühlt?

DUFROY mit aller Kraft sich zur Ruhe zwingend. Du schwelgst mal wieder in einer exaltierten, krampfhaft übertriebnen, grausamen Farbenfreudigkeit in Worten ... Abbrechend und markiert »überlegen«. Für mich immer ein Zeichen ... Wieder nach der Kaminuhr blickend, nach der dies ebenso wieder auch Georg getan.[562]

GEORG der sich wieder in Gang gesetzt. Energisch tüchtiger, handfester, mannhafter, Königlich preußischer Artillerieleutnant hätte ich bleiben sollen! Stünde ich vielleicht längst schon an der Spitze meines Regiments, und wenn es dann an ein frisches, fröhliches Bataillieren ginge ... Wieder Blick – von Dufroy, wie immer, mit einem ebensolchen registriert – nach der Kaminuhr.

DUFROY ihn unterbrechend; entrüstet. Barbarei!

GEORG in seinem Satz, noch gesteigert, weiter. Was, wie die Dinge nun mal liegen, über kurz oder lang unter allen Umständen kommen wird und kommen muß ... Wieder nach der Kaminuhr.

DUFROY gereizt; ebenso. So laß doch dies permanente ... Sich unterbrechend und sofort weiter. Du hättest dich in deinem früheren Beruf nie ...

GEORG immer heftiger; noch fortwährend sich steigernd; jetzt, einen Augenblick, rechts vom Schreibtisch, auf den er, gegen Dufroy gewandt, unwillkürlich die ersten Rhythmen klopft. Ich beklage den Tag und fluche der Stunde, Wieder auf und ab. als ich vollständig verblüfft und ganz perplex über die sich mir plötzlich und wie mit einem Ruck entschleiernde Lösung eines mathematischen Problems von einer solchen Schwierigkeit, Kühnheit und Phantastik, daß ich eigentlich beinah nur wie im Scherz, zum Spiel und aus Übermut es unternommen und gewagt hatte, mir eine Aufgabe von einer derartig abenteuerlichen Unerhörtheit überhaupt auch nur zu stellen ...

DUFROY schnell; durch Georgs Eröffnung, trotz der momentanen Situation, ganz interessiert- überrascht. Ich höre das von dir heute ...

GEORG in seiner wütenden Selbstzerfleischung, seinen Satz noch mal aufnehmend, immer fanatisch- exaltierter weiter. Als ich, verführt, und wie geblendet und behext durch diese mir gleichsam wie von einer fremden Hand und Intelligenz Dufroy nervös-unmutige, unwillkürlich Einspruch erhebende Geste. aufs Papier geschleuderte Erleuchtung, Eingebung und Inspiration, auch schon fast im selben Augenblick, rein instinktmäßig und ohne es mir überhaupt noch erst weiter zu überlegen, mein Abschiedsgesuch an das Oberkommando aufsetzte!

DUFROY seine Atempause benutzend. Woran du recht getan! So sonderbar, eigenartig und seltsam mir auch ...[563]

GEORG in seinem Stiehm, ungebrochen, weiter. Und so bin ich denn schon damals, ohne daß mir bis heute an die bloße Möglichkeit einer solchen Verstrickung auch nur der geringste Verdacht, die entfernteste, leiseste Idee, oder der kleinste, bescheidenste, minimalste Gedanke aufgetaucht wäre, von einer dunklen, dämonischen Macht, Dufroy wieder nervös-unmutige Geste, ähnlich wie vorhin. die uns widerstandslos zwingt, vor der Menschenwille nichts vermag, und gegen die es keine Wehr und keine Waffe gibt ...

DUFROY unwillig. »Dunkle dämonische ...«

GEORG noch eigensinnig-unterstrichner. Keine Waffe gibt, in diese Bahn gestoßen worden, die mich von Jahr zu Jahr ... Wieder Blick nach der Kaminuhr.

DUFROY der diesen Blick wieder registriert. Du kannst einen ja ganz ... Abbrechend und sofort weiter. Es hätte dich nie befriedigt! Du wärst auf die Dauer so wie so ...

GEORG auf Dufroys Worte, die für ihn leerer und inhaltsloser als das ausgedroschenste Stroh sind, gar nicht achtend; letzte, verzweifeltste Steigerung; den ersten Iktus wieder auf den Schreibtisch klopfend. »Wissenschaft!!« ... Mit einem Schmetterlingskäscher nach den Plejaden schlagen! Sandkörnchen um Sandkörnchen, von allen Seiten, mühsam, zu einem tausendtürmigen Bau von Babel zusammenkärrnern, der nach wenigen Generationen schon, kaum daß er noch im Rohsten über seine ersten, dürftigsten Stockwerke gediehen, immer wieder regelmäßig, von sämtlichen Ecken her, in sich zerbirst und zerbricht! Gott und den Teufel, als überwundne Überflüssigkeiten, für ein unmögliches Paradoxon, für einen dualistisch-antithetischen Widerspruch in sich selbst erklären und sich gleichzeitig ohnmächtig damit zufrieden geben, daß dann derselbe Nonsens, daß dann die konforme Unmoral, nur noch vermyriaden- und verunendlichfacht, sich durch alles Geschehn und durch alle Dinge zieht und nun glücklich bis in die letzte, winzigste Lebenszelle und bis in das fernste, flüchtigste Weltatom klafft!

DUFROY nickend; grade in diesem Augenblick äußerst unvorsichtig auf sein altes Lieblingswort von heute früh zurückkommend. »Ignorabimus!«[564]

GEORG rechts vorn wieder stehngeblieben; durch die Zähne vor sich hin; fast knirschend. »Ignorabimus!!« ... Aufblickend und dabei wieder auch nach der Kaminuhr; Geste; beide Arme rechts und links weit von sich. Du siehst ... Auto.

DUFROY von der Uhr nach Georg und wieder zurück. Ich sehe, wie du fast unausgesetzt und in einem fort ...

GEORG ihn unterbrechend; noch gesteigert; nun auch auf sein Wort von heute früh zurückkommend. »Lieber krepieren und ein verfaulender Hund sein ...«

DUFROY Geste; mißbilligend. Man braucht doch nicht deshalb ...

GEORG erbittert-verbissen; fast wie mit innerster Genugtuung. So weit wären wir nun!

DUFROY noch schärfer. Man muß nicht aus einem Extrem ...

GEORG stark, schwer; das Los, das ihm prophezeit worden. »Du wirst ... nachdem alles um dich zertreten sein wird ... nachdem dich alle verlassen haben ... nachdem du den Glauben ...«

DUFROY bewegt-erschüttert. Mein ... Sohn!

GEORG noch immer sich steigernd. Das könnte nun bald ...

DUFROY zwischen Georgs Verzweiflung und der seltsam auffälligen Unruhe, mit der er immer wieder die ganze Zeit über nach der Uhr geblickt, plötzlich irgendeinen dunklen Zusammenhang vermutend; letzte, besorgt-schmerzliche, fast angstvolle Eindringlichkeit. Ich ... warne dich! Eine Einbildung ... Jetzt unwillkürlich, einen Augenblick selbst nach der Kaminuhr. eine Selbsthypnose ... Nochmal. eine Autosuggestion von einer derartig drückenden Schwere ... Da Georg in diesem Moment plötzlich, wie durch irgend etwas erschreckt, nach Marianne rüberblickt. Nichts! ... Es ist alles ...

GEORG sich wieder in Gang setzend. Wie man sich auch dreht, wohin man sich auch wendet, was man auch unternimmt, beginnt und anstellt, immer wieder dieselben, gleichen, schwindelnden, schwarzen, unübersteigbaren Porphyrwände!

DUFROY mit dem Versuch, dem Verzweifelten, soweit ihm dies möglich ist, Trost einzusprechen. Du kannst ... und solltest, trotz alledem, froh sein ... daß du deine Erkenntnis ...

GEORG sarkastisch-bitter. »Erkenntnis!«

DUFROY noch in seinem selben Satz; in seinem »Trost« weiter. Durch den[565] ungemeinen Fleiß, mit dem du in diesen letzten, trüben Jahren ... die, wie ich jetzt einsehe ... und dir gewiß Unterstrichen- betont. nicht leichten Herzens zugeben muß ...

GEORG wieder, einen Moment, stehngeblieben und ihn unterbrechend. Also auch dich ... auch dich ... habe ich mit meinen unsinnigen ...

DUFROY wie vorhin. Daß du dein Wissen, und überhaupt ... dein ganzes Weltbild ... in diesen Jahren immerhin ... und sei s auch nur um etwas ... vertieft, erweitert und bereichert hast ... während ich ... Abbrechend; stumme, schmerzliche Geste.

GEORG wieder auf und ab; zum Teil jetzt auch hinterm Schreibtisch; von neuem sich steigernd. Ich bedaure jede Sekunde, mir tut es leid um jede Minute, die ich an diesen hohlen, ins absolut leere Nichts mündenden, mörderischen Irrwahn in meiner idiotischen, sträflichen, jämmerlichen Sucht nach dem, was du so hochtrabend »Erkenntnis« nennst, verschwendet habe! Eine streng sich aufbauende, überzeugend sich entwickelnde, tadellosgefugte Klimax transzendentalphysiologischer Untersuchungen und metapsychischer Experimente, die mit zwingendster, unerbittlichster Logik und Folgerichtigkeit, wie ich dies jetzt eigentlich und von Rechts wegen vor mir selbst einzuräumen, zu behaupten und zuzugestehn, absolut genötigt, gehalten und verpflichtet wäre, plötzlich in der haarsträubenden Offenbarung gegipfelt hat, daß eine seit Jahr und Tag Tote, Dufroy sich auf die Lippen beißend, gequält abwehrende Kopf- und Handbewegung. zuerst noch unsichtbar, dann leibhaft, hinter einer trügerischen, phantastisch täuschenden, diabolisch irreführenden Maske, zuletzt gar, sämtlichen uns von ihr in die Hände gespielten Symptomen und Indizien nach zu schließen, als die infernale, höllische, Fleisch und Bein gewordne Verkörprung aller niedrigen, hämischen, giftgeschwollnen Heimtücke, Hinterhältigkeit und Bosheit ...

DUFROY der sich vor den Kopf gefaßt, starr vor sich hin. Und ... das ...

GEORG daraufhin sofort, unwillkürlich und aus Mitleid mit ihm, die Angegriffne, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade und für einen kurzen Moment, entlastend, in seinem rasenden Satz in unvermindertem, ja sogar eher noch beschleunigtem Schnellzugstempo[566] weiter. Wesenszüge und Charaktereigenschaften, die der Lebenden doch von uns niemand, und nun gar noch bis zu diesem Grade zugetraut hätte, in allerhöchsteigenster Person und Gestalt, in diesem Hause hier, fast ein Triennium lang, Dufroy immer entsprechende, nervös abwehrende Gesten. ihr Wesen getrieben haben muß, und zwar anscheinend schon gleich und von vorneherein in der mir gradezu unfaßlichen Absicht, für eine ihr in Wirklichkeit und de facto noch nicht einmal angetane Schmach oder Unbill eine aber auch jeglicher Berechtigung und Billigkeit bare, mit dem ausgesucht teuflischsten Raffinement eingefädelte, infamst durchgeführte Rache zu verüben, eine solche Untersuchungsreihe mit einem derartigen Resultat ... das widerstrebt meinem allerinnersten Empfinden! Das geht gegen das einfachste Einmaleins und A-b-c! Das stößt jede Annahme, Ansicht und Vorstellung um, die wir uns Menschen, unsrer menschlichen Natur entsprechend, notgedrungen von einer letzten, höheren, synthetischen Harmonie des Weltganzen machen! Das kann nicht stimmen! Da muß irgendwie ... methodologisch ... Die Kaminuhr in diesem Moment, schnell und silbern, Zehn; beide nach ihr blickend.

DUFROY während die Uhr noch schlägt; achselzuckend. Wenn dieser dürftige ... Anthropomorphismus ...

GEORG der seinen unterbrochen Gang wieder aufgenommen; die Uhr hat ausgeschlagen; neu einsetzende Steigrung. Unser bestes ... Sehnen schreit nach Gerechtigkeit! Aus diesem gemeinen, schmutzigen Tohuwabohu, in dem wir alle beschlammt bis an den Hals waten ... verlangt es ... selbst den Besudeltsten und Beschmiertesten ... nach einer läuternden, regenerierenden, seelischen Transmutation und Wiedergeburt, nach einem erlösenden, sühnenden Entsündigungsbad, nach einer fleckenlosen Reinheit! Wenn auch schon längst nicht mehr in dieser, so doch in irgendeiner fernen, tröstenden, oft nur wie durch einen dunklen Traum erhofften und erahnten, imaginären andern Welt!

DUFROY fast mitleidig. Ja, du lieber ...

GEORG noch seelischer. Jedem Schmerz, in unumgänglich nötiger Wechselwirkung, nach einem letzten, tiefsten, innersten Empfindungsgesetz[567] in uns, aus einem uns bereits seit Urbeginn immanenten, weit über unsern Verstand und unsre Sinne gehenden, ultraimperativen Muß heraus, entspricht eine Freude! Jedem Negativum ein Positivum, jedem Minus ein Plus, jedem Relativen ein Absolutes, jedem Diesseits ein kompensierendes, alles Irdische wieder wettmachendes, ausgleichendes Jenseits! Grade hierfür, grade für diese vielleicht fundamentalste aller menschlichen Fordrungen, die jeder fühlt, von der keiner absehn kann, ob er will oder nicht, und mit deren Erfüllung der ganze Zwiespalt, der durch all unser Sein und Denken geht, wie mit einem einzigen Zauberschlag für alle Ewigkeit überbrückt und gelöst sein würde, grade für diesen Komplex und seine triumphierende Gewißheit, auf die alles in diesen drei schweren, mühseligen, kummervollen Jahren uns hinwies, die, wie durch plötzlich zerflatternde Nebel, uns oft schon ganz nah und fast greifbar schien, und deren wir uns mit jedem Tag, mit jeder Tatsache und mit jedem neuen Experiment immer sichrer wurden, hätte ich durch diesen heutigen Schluß und Abschluß den unbedingt zuverlässigen, durch nichts mehr umstoßbaren, endlichen Nachweis erwarten dürfen! Und statt dessen ... Abbrechend; wieder nervös-hastiger, verzweifelter Blick nach der Kaminuhr; Auto.

DUFROY der diesen Blick wieder registriert hat. Du predigst Axiome und ... vorsintflutliche Grundsätze, die wir, wie ich glaube, zu unser aller Glück und Heil ...

GEORG grimmig-kurzer Nasal-Gaumenlaut. Käh!

DUFROY in seinem Satz – von der Weisheit dessen, was er selbst predigt, durchdrungen – weiter. Auch unsrer modernen, neuzeitlichen Welt- und Naturbetrachtung ...

GEORG ungeduldig, ihn unterbrechend. Die siebenundsiebzigtausend Kilometer vor der Grenze dessen, was ihr kouragiert eisenfresserisch und miles gloriosushaft »das Unerkennbare« nennt, mit Pauken und Trompeten, sowie sämtlichen Mitrailleusen, Dromedaren, Sichelwagen, Scheinwerfern und Elefanten blutdürstig haltmacht, schon seit mehr als drei Menschenaltern längst ... Verächtlich-wegwerfende Geste.

DUFROY dem dieser Abschluß seines Satzes noch nicht genügt; von[568] Georgs bissiger Art angesteckt, mit dem Bemühen, ihn noch zu übertrumpfen, sofort weiter. Mit Haut und Haaren, um in deinem anmutig liebenswürdigen, Funken und Farben prasselnden Jargon weiter- und fortzufahren, und einschließlich aller Backzähne, wie der Walfisch den Jonas, oder der Jonas den Walfisch ... In dem Gefühl, sich in seiner Periode jetzt verheddert zu haben, und um sich wieder ans ihr rauszuretten. kurz und gut und gut und kurz, ich schlage vor, daß wir unsre beiderseitigen Streit- und Redebeile ...

GEORG der ihn wieder nicht erst ausreden läßt, kataraktartig. Weil du fühlst, weißt, merkst, einsiehst und dich innerlich nicht dagegen wehren kannst, daß ich mit meiner Argumentation ... so unvermeidbar siriusweit drumherum und inkommensurabel ungefähr und fahrlässig ich mich auch ausgedrückt haben mag ... doch im Zentralinnersteigentlichsten Recht habe!! Recht, Recht, Recht!!

DUFROY achselzuckend-skeptisch; dann auch seinerseits die große Wortkanone auffahrend, Georg an unbarmherzig-umständlicher Genauigkeit nicht nachstehend und ihm auch im übrigen in keinem Punkt etwas schenkend. »Recht!« Ein Postulat, dessen letzte Wurzel lediglich in einem ... meinetwegen allgemeinen Gemütsbedürfnis steckt ... eine Fordrung, eine sittlich-moralische Fordrung, mit der in unsrer Welt so gut wie nichts zu kongruieren und übereinzustimmen scheint ... ein Wunsch, ein sehnsüchtig menschlicher, bloßer Wunsch, dessen dermaleinst hoffentliche oder vermutliche Erfüllung sich nicht im Entferntesten beweisen, bewahrheiten oder auch nur wahrscheinlich machen läßt ... und dem jetzt und nun auch dieses nachmittäglich heutige, frappierend befremdliche, seltsam roh und brutal abstoßende Schluß- und Endresultat aller deiner bisherigen, einschlägigen, betreffenden Experimente und Bemühungen, wie du dies in denkbar größter Klarheit und unbarmherzig schneidendster Schärfe ja eben erst selbst hervorgekehrt hast, wieder direkt diametral und konträr feindselig entgegensteht ... ein solches, wenn auch an und für sich vielleicht noch so begreiflich verzeihliches Gefühlsverlangen und Seelendesiderat als erste, unentbehrbar tiefstunterste Grund-conditio sine qua[569] non, als Anfangs- und als Ausgangspunkt einer sich angeblich exakt nennenden Forschungs- und Untersuchungsreihe zugleich und gleichzeitig gesetzt und aufgestellt ... eine Deduktion, die synchronistisch und koinzidierend eine Induktion sein möchte und umgekehrt ... ein derartiger Widerspruch in sich, eine solche contradictio in adjecto ... verzeih, entschuldige, nimms mir nicht übel, aber da komm ich als Logiker, als Mensch, der bloß mit seinem Hirn denkt, als erster, bester Durchschnittsdummrian und Einfaltspinsel, dem zwei nicht gleich drei und sieben nicht gleich fünf ist ... bei hervorragendstem Willen, so sehr und so gern ich dir den Gefallen auch tun möchte, und wenn du mich auf den Kopf stellst ... nicht mehr mit! ... Falls du mir also nicht für ... und anstatt ... deiner schön geschwungnen Gefühlsornamentik ... einige ... sagen wir Gründe ...

GEORG der jetzt nicht noch länger an sich halten kann; ihn nicht mehr weiter- und ausreden lassend. Gründe! Gründe! Für den Tatsachenverhalt, daß ein Kreis bloß rund und ein Quadrat bloß viereckig sein kann, für eine Wahrheit, Zuversicht und innerlichste Gewißheit, die irgendwelcher Gründe überhaupt gar nicht erst bedarf, für eine Selbstverständlichkeit, die sich von selbst versteht, Gründe!

DUFROY einer solchen »Argumentation« gegenüber jeden »Kampf« als völlig aussichtslos aufsteckend. Wenn du nicht mehr als analysierender Naturforscher, sondern nur noch ... als neodogmatisierender Kirchenvater ...

GEORG der plötzlich wieder nach der Uhr geblickt, stehngeblieben; auf einmal, wie von einem innern Schreck gepackt, nach Marianne rüber. Wenn sie uns nur nicht ... plötzlich vor der Zeit ...

DUFROY ganz perplex. Vor welcher ... »Zeit?«

GEORG der sich bereits wieder in Bewegung gesetzt; wie mit aller Gewalt wieder innerlich etwas von sich weisend. Quark! Blödsinn! Verrücktheit!

DUFROY ihm nachblickend. Du mußt doch für deine schließlich mehr als auffallende ... Unruhe und Nervosität ...

GEORG ausweichend, gequält-heftig. »Unruhe!« »Nervosität!« Nimmt dich die nach diesem entzückenden Jubel-, Wonnen- und Freudentag,[570] bis zu dem uns eine liebend besorgte, weise, allgütige Vorsehung, wie mit zarten, behutsamen, unsichtbaren Samtpfötchen, gestupst, gestoßen und gestreichelt hat, wunder?

DUFROY der sich durch Redewendungen von solcher Allgemeinheit nicht beirren läßt; bald nach ihm, bald nach der Uhr. Ich beobachte nun schon die ganze Zeit, wie du fast unausgesetzt nach dieser Uhr ...

GEORG jetzt, ohne sich in seinem Gang dadurch aufzuhalten, wieder, zweimal, ebenfalls nach dieser. Eine Uhr, wie jede andre! Über dem barocken Zifferblatt ...

DUFROY da Georg, mitten in seinem Satz, plötzlich abgebrochen; ähnlich. Gewiß! Gewiß! Nun ja! Hm? Und?

GEORG wie vorhin; in seinem Satz, immer bissiger, weiter. In abgeschabt blauem Sternenmantel, eine porzellanerne, blind thronende Schicksalsgöttin, rechts Eros, links Thanatos ...

DUFROY kopfschüttelnd. Du kommst mir bald wirklich ...

GEORG noch immer auf und ab; fast als ob er sich bereits über ihn belustige. Das Ganze unter Brüdern und noch heute gut und gern bei jedem Antiquar ...

DUFROY ihn unterbrechend. Du wirst mich durch diese ablenkende ...

GEORG in seiner Taktik plötzlich ganz und gar umschwenkend; andrer Tonfall; beinahe drohend. Es käme mir durchaus ... ratsamer und in deinem Interesse vor ...

DUFROY als hätte er nicht recht gehört; ganz überrascht. »In meinem ...?«

GEORG in dem Gefühl, mit seiner versteckten Andeutung bereits zu weit gegangen zu sein; sich schnell verbessernd; noch in seinem selben Satz; prononciert-heftigst. Oder auch in unser aller ... wenn du mich mit dieser ewigen, fortgesetzten Anfragerei ...

DUFROY vor seinem Ton sich mit aller Gewalt nochmals bezwingend. Du sollst dich über mich ... gewiß nicht ... Nur ...

GEORG abbrechend; andres Thema; entsprechende Kopfbewegung nach der Tür rechts. Und da oben? Dein andrer Patient? Bei dem du fast die ganze Zeit ...

DUFROY darauf widerstandslos eingehend, um ihn, wie er das Gefühl hat, nicht unnütz noch mehr zu quälen; resümierend nach Marianne hin. Ich zittre und fürchte, wie gesagt, nicht sowohl für ... Geste, allerbedenklichst. Aber Onkel Ludwig ...?![571]

GEORG froh, das Gespräch, das für ihn bereits mehr als unerträglich geworden, in dieses, wie er glaubt, neutrale Fahrwasser gesteuert zu haben. Ich hörte noch grade ... als ich Marianne durch das chinesische Zimmer trug ...

DUFROY da Georg, der ihn nicht angeblickt, schon wieder stockt; ihm über Onkel Ludwig die erwarteten Details gebend. Der plötzlich blitzgleich über ihn hereingebrochne, schmerz- und qualvolle Anfall, kaum daß ich die Tür hinter euch zugemacht und mit meiner ersten Untersuchung eben beginnen wollte, war ein so maßlos heftig abnormer, daß ich ehrlich froh war, als ich deinen Diener, der von irgendeiner Besorgung ... die du ihm ... wie es schien, Entsprechende, leichte Kopfbewegung nach links. unten nebenan ... kurz vorher aufgetragen hattest, grade durch den Garten kam ...

GEORG kurz, zweite Silbe betont. Hm, hm!

DUFROY in seiner indirekten Frage weiter. Offenbar nach dir suchend ...

GEORG noch immer nicht reagierend. Soso!

DUFROY wie vorhin. Und allem Anschein nach nicht ganz damit einverstanden, dich nicht mehr vorzufinden ...

GEORG ihn noch immer nicht anblickend. Ich hatte – den Mann ...

DUFROY da Georg bereits wieder stockt. Ich ... fragte mich erstaunt ...

GEORG plötzlich einen Augenblick in Schuß kommend und sofort wieder aufhörend. Ich hatte ihn nur einige Häuser hier weiter ...

DUFROY argwöhnisch drängend-besorgt. Doch nicht etwa ...?

GEORG ähnlich wie vorhin. Mit ein paar flüchtig hingeworfnen Zeilen ...

DUFROY ebenso. Zu deinem einzgen Freund und ehmalgen ...?

GEORG den Satz ärgerlich schließend. Regimentskameraden Usedom geschickt! Ja!

DUFROY nach einem kurzen Moment entsetzten Schreckens; Auto. Du hast somit ... dein Versprechen ...?

GEORG scharf, jeden Vorwurf zurückweisend. Ich habe mein Versprechen, daß die Knallerei morgen früh ...

DUFROY nachdrücklichst, in seinem Satz schnell weiter. Unter keinen Umständen ...

GEORG wie Dufroy, nur namentlich die ersten vier Worte noch unterstrichner. Von meiner Seite provoziert werden würde, wortwörtlich, wie ich es dir auf dein Andrängen und deinen wiederholt[572] eifrigst besorgten, schwiegerväterlichen Wunsch hin schließlich gegeben, auch ebenso, das heißt also wortwörtlich, gehalten, und nun bitte ...

DUFROY sich vergewissernd. Darauf kann ich mich ... felsenfest ...

GEORG einen Moment stehngeblieben und fast wieder seine Selbstbeherrschung verlierend. Du machst mich ...

DUFROY wie von einer schwersten Sorge befreit; aufatmend; ihm nachblickend. Gott sei Dank! Wenigstens ... Das Übrige verschluckend und in seinem unterbrochen Bericht weiter. Ich war jedenfalls aufrichtig froh ... daß ich auf diese Weise einen Menschen zur Verfügung hatte, den ich schleunigst nach meinem Morphiumbesteck schicken konnte! Erst nach der dritten Injektion ...

GEORG ungeduldig. Es dauerte ja beinah zwei Stunden ...

DUFROY zustimmend nickend. Bis wir ihn endlich und schließlich ... Wir hatten Mühe und Not, ihn bei seinem schweren Riesenkörper und in diesem Zustand ... Wieder entsprechende Kopfbewegung nach rechts. auch nur die beiden Treppen raufzuschaffen!

GEORG noch immer auf und ab. Und deine definitive, ungeschminkte, endgültige Diagnose?

DUFROY achselzuckend. Leider ... noch sehr viel und erheblich schlimmer ... als ich es selbst nach dieser grauenhaften Attacke ...

GEORG nervös-unmutig. Es war eine Fahrlässigkeit von ihm sondergleichen, dich nicht schon längst ...

DUFROY über seine Unterbrechung hinweg. Heilung ... oder auch bloß ein operativer Eingriff ... in diesem vorgerückten Stadium ... und bei seinem, ja doch nun schon beinah biblisch hohen Alter ... vollkommen ausgeschlossen! Weitrer Verlauf ein unaufhaltbar schauriges Martyrium mit täglich sich mehrenden, steigenden Kreuz- und Leidensstationen erster Güte! Lebensdauer ... na, sagen wir aber auch im alleräußersten Schlimmstfall ... höchstens ... nur noch zwei bis drei Monate!

GEORG einen Augenblick wieder stehngeblieben und zu ihm rüber. Du hast ihm doch ... selbstverständlich nicht ...

DUFROY gekränkt-abwehrende Geste; einen Moment fast verletzt. Aber ich bitte dich! Wo er an seinem bißchen, kümmerlichen Dasein[573] und Existieren ... wenigstens bislang und bisher ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Erste unabweisbare Pflicht meines traurigen Metiers! ... Er ahnt jetzt natürlich trotzdem und dennoch, wie es um ihn steht, fragte und klagte in seiner Gebrochenheit und bei all seinem Jammer immer wieder durch nach Marianne und liegt nun, da er sich durchaus nicht ins Bett packen lassen wollte, durch seine dreifache Dosis, wie ich hoffe, für heute und bis auf weitres vorläufig beruhigt, Kopfbewegung rechts oben nach der Decke. in seiner alten, ehmaligen Jungensstube mit den kindlich bunten, grün schablonierten Laubenwänden auf dem dir ja bekannten, Gott sei Dank sattsam und genügend umfänglichen Kattunsofa!

GEORG der von neuem stehngeblieben. Hoffentlich ... Wieder, unruhig, nach der Kaminuhr. kommt er uns nicht ...

DUFROY der erst jetzt das Buch bemerkt hat, das Georg vorhin auf den Schreibtisch geworfen; da der sehr schöne Lederband keinerlei Aufdruck zeigt, plötzlich lebhaft beunruhigt. Was ist das?!

GEORG ihm »mit Wonne« die betreffende Aufklärung versetzend. Eine erquickende, herzerfreuliche Kostbarkeit ... die ich vorhin ... Sich bückend und aus dem Papierkorb vor der Schreibtischecke rechts einen zusammengesetzten, dunkelblauen Knaul Packpapier hebend, den er sofort wieder zurückschleudert. aus diesem Papier gewickelt!

DUFROY der das Papier wiedererkannt; noch ganz starr. Das kleine Päckchen ... war versiegelt ... und Marianne bat uns ausdrücklich ...

GEORG hinterm Schreibtisch rechts; verbitterst. Grade deshalb! ... Das aus groben, beschimpfendsten Insulten, spitzfindigst ausgeklügelten Verdächtigungen und krassen, grundlosen, abgeschmacktesten Beschuldigungen zartsinnig zusammengesetzte, unfreiwillige Selbstporträt Mariettes!

DUFROY dem noch immer »die rechten Worte« fehlen. Ja, ja, aber nachdem ...

GEORG in seinem Ausbruch, noch gesteigert, weiter. Angefangen und begonnen mit dem ersten Tag, an dem ihre lächerliche, maßlose, durch nichts gerechtfertigte Eifersucht auf Marianne unser ganzes, beiderseitiges Verhältnis zu unterminieren begann, und[574] plötzlich jäh abgebrochen an jenem lieblichen, siebzehnten Märzabend, dessen Rätsel ...

DUFROY sich endlich zusammenraffend. Nachdem Marianne dies aber doch gewünscht, hättest du unter keinen Umständen ...

GEORG ihn wieder unterbrechend; von neuem. Es war mehr als unklug von ihr, mir die Lektüre dieses herrlich aufschlußreichen, holdselig anmutigen Geheimdokuments, aus übertrieben nobler, hochherziger Rücksichtnahme auf ihre Schwester, nicht schon bereits längst und damals zu gönnen ...

DUFROY heftig. Sie hat es dir auch jetzt ...

GEORG allernachdrücklichst, ohne sich durch Dufroys Einrede auch nur im geringsten stören zu lassen, in seinem Satz weiter und ihn zu Ende führend. Als sie den süßen Saffianband in diesem unheimlich umfangreich diskreten, ehemals alt-brodersenschen Erb-, Hausrats- und Familienstück ... vor Jahr und Tag schon, wie ich vermute, und zu ihrem eignen, höchstwahrscheinlich nicht geringen Entsetzen und Schrecken plötzlich entdeckte und vorfand!

DUFROY mit dem nochmals vergeblichen Versuch, ihn ... seiner empörten Entrüstung, wenn auch nicht zu widerlegen, so doch wenigstens aufzuhalten. Du ... konntest unmöglich ...

GEORG unveränderte Stellung; Dufroy nach wie vor schärfst frierend; durchaus noch immer sich steigernd. Hätte es jetzt eines solchen letzten, ausschlaggebenden Faktums und Residuums, mich von meiner überflüssig sentimentalen Erinnrung an diese ... Das Wort will ihm kaum über die Lippen; aber als es ihm gelingt, sich über die »zerschmetternde« Wirkung, die es auf Dufroy macht, »freuend«. Megäre ... endgültig zu heilen und zu befreien, überhaupt noch bedurft, dieser sprühende Haß auf eine ganz und gar vollkommen Unschuldige, der aus jeder Seite schlägt, diese permanente, monomane, gradezu pathologische Böswilligkeit, mit der jede meiner Handlungen prinzipiell und systematisch mißdeutet wurde, mit der jedes Wort, das ich gesprochen, in sein diametrales Gegenteil verdreht steht, so daß ich mich jetzt kaum selbst noch zurechtfinde, dieses ganze ... mixtum compositum aus empörender, häßlicher Ungerechtigkeit, sinnloser, einfältigster Voreingenommenheit und kindischem,[575] törichtstem Unverstand ... hätte mehr als vollauf genügt ...

DUFROY stark; sich vor die Brust schlagend. Die Schuld ... die letzte Schuld ... an allem, was dich betroffen ... die Schuld ... daß nun auch Marianne hier ...

GEORG gereizt-ungeduldig. Wer sagt ... oder wirft dir vor ...

DUFROY letzte, überzeugteste, schmerzdurchschüttertste Steigrung. Trage ich!! ... Nur ich!! ...Ich ganz allein!!

GEORG der ihn beim besten Willen nicht gleich versteht. Willst du so gut sein ... und mir erklären ...

DUFROY in seiner freiwilligen, rückhaltlosen Selbstanklage, fast wie befriedigt sich vor Georg endlich so bekennen zu dürfen, weiter. Du hättest dein Schicksal ... nie an dieses Unglückshaus gekettet ... nichts hätte sich ereignet ... alles wäre dir erspart geblieben ... wenn ich nicht vor fünfunddreißig Jahren ... allen vernünftigen, sachlichen Erwägungen und Gegengründen zum Trotz, aller Einsicht zum Hohn, trotzdem mein Innerstes mich davor warnte ... Mariettes und Mariannes Mutter ...

GEORG dem es jetzt plötzlich über die letzte, innerste, nobelste Struktur seines Schwiegervaters wie Schuppen von den Augen fällt; trotzdem, oder vielmehr grade dadurch im Moment stärkst sarkastisch. Oder wenn anno Eins unser aller Urvater Adam nicht aus purem Leichtsinn, Unverstand, oder aus Versehn ...

DUFROY Georgs momentane Seelenstimmung begreifend, wenn auch durch seine Worte nicht grade angenehm berührt. Ich kann deine großmütige Absolution ...

GEORG ehrlich. Du kannst sie ruhig ...

DUFROY in seiner Selbstverurteilung noch entschiedner. Ich kann ... und werde mich von diesem ... Verbrechen ...

GEORG unwillig abwehrend. »Ver ...«

DUFROY sich noch steigernd. Verbrechen, verübt und begangen aus krassester, unverzeihlichster Eigensucht, weichmütig rührseligster Willensohnmacht, Widerstandsunfähigkeit und Schwäche, von diesem charakterlosen Ideeenverrat, dieser apostatischen Abtrünnigkeit von mir selbst, vor meinem eignen, innerlichsten Gewissensforum nie freisprechen!

GEORG wieder, da er sieht, daß er nach dieser Richtung nichts gegen[576] ihn ausrichten kann, diesmal hinterm Schreibtisch, auf und ab. Für deinen struggle for life-Standpunkt ... für deine modern mitleidslose Doktrin ... vom forschen, freien, braven, frohgemuten, naturgewollten Kampf aller gegen alle ... dieser Weltausdeutung, die dich zu nichts verpflichtet ... eine zartnervige Skrupelhaftigkeit, für die ich dir mit dem Hut in der Hand ...

DUFROY versöhnlich; in dem Bestreben, zu Georg endlich wieder die alte Brücke zu finden. Wir haben harte Worte gewechselt! Und ich mag denn auch ... tatsächlich ... noch mal ... und zum zweitenmal in meinem Leben ... damals ... als ich dir meine erste Tochter ...

GEORG peinlich-hastig. Es hat wirklich ...

DUFROY eifrig-hartnäckig. Als ich dir meine erste Tochter ... ohne es zu wissen, jedenfalls aber, ohne es zu wollen ... und schließlich nur ... auf das damals wiederholt eindringliche Flehen Mariannes selbst ...wie du dies nanntest, »unterschlug« ...

GEORG gequält. Wozu jetzt ...

DUFROY von neuem. Ich mag damals ... Abbrechend, offen-herzlich. Liebster Junge! ...

GEORG durch seinen Ton »getroffen«; wie in seelisch äußerster und letzter Abwehr vor sich selbst; zermartert ausbrechend. Häng dein ... Herz an nichts!

DUFROY sich trotzdem dadurch nicht in seiner so aufrichtig und ehrlich gemeinten Milde zu ihm beirren lassend; eindringlich stockend-weich. Wäre es nun nicht doch ... zwischen uns angebracht und am Platz ...

GEORG der ihn nicht anblickt; nicht fähig, dem sich so andauernd und redlich um ihn Mühenden einen Korb zu erteilen. Gewiß! ... Und es war von mir ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Wenn du aber glaubst ... daß dadurch das Geschehne ...

DUFROY eindringlich, überzeugt. Es handelt sich nicht mehr ... um das Geschehne ... Impulsiv nach Marianne rüber. sondern vielleicht ...

GEORG schneidend, fast höhnisch. Optimistisch, wie immer!

DUFROY da die Uhr in diesem Moment Viertel schlägt und Georg, hinterm Schreibtisch rechts plötzlich stehngeblieben, wieder wie[577] verstört nach ihr rüberblickt; von ihm nach der Uhr. Du scheinst dir wahrhaftig ... einzubilden ...

GEORG scharf. Bitte, was?

DUFROY wie vorhin. Daß das Leben Mariannes ...

GEORG da Dufroy jetzt einen Augenblick zögert. Ja? M?

DUFROY noch tadelnd-vorwurfsvoller. Nur noch nach Stunden ...

GEORG der sich wieder in Bewegung setzt; seinen Satz ihm schließend. Oder gar bloß noch nach Minuten zählt! Das kannst weder du ...

DUFROY einfallend; es mit dem Satz Georgs ebenso machend. Noch ich wissen! ... Nur daß ich als Arzt ... Nach Marianne hin. auch nicht den geringsten Grund sehe ...

GEORG hinterm Schreibtisch rechts wieder stehngeblieben; ganz überrascht-erstaunt. »Nicht den ...?« Draußen, beide haben unwillkürlich aufgehorcht, seltsam plumpe, stapfende Schritte. Nanu? Durch die Tür, an der es polternd getastet, schwankend-schwerfällig, in Haltung und Aussehen fast eines Betrunknen, Onkel Ludwig; von ihm zu Dufroy rüber. Ich denke ...

DUFROY ganz erregt-entsetzt auf ihn zu und die Tür hinter ihm schließend. Du sollst dich doch schonen!

ONKEL LUDWIG der sich an seinem Stock nur mit Mühe aufrecht hält; brubbelnd vor sich hin. »Schonen!« ... »Schonen!« ... Nach der Tür zurück. Wenn sich da oben ... Entsprechende, »drehende« Geste. alles um einen ...

DUFROY besorgt-ungehalten. Es wäre für dich wirklich angebrachter und besser ...

GEORG der sich nicht von seinem Platz gerührt; noch verstärkt nach Marianne rüber. Du kannst hier unmöglich ...

ONKEL LUDWIG wie blöde ihn anstarrend. »Un ...?«

DUFROY fast aufgebracht. Allein schon mit deinen drei Morphiumeinspritzungen im Leib!

ONKEL LUDWIG der sich erst jetzt, ganz bestürzt, im Raum umblickt. Das ...?

GEORG noch immer an seinem Platz; anderer Tonfall; begütigend. Also nun laß dir hübsch zureden und ...

ONKEL LUDWIG wankend und fast in Gefahr zu Boden zu stürzen. Das ... Rosenzimmer!!

DUFROY ihn mit beiden Händen fest aufrecht haltend; erbittert durch die Zähne. Herr des ... Himmels![578]

GEORG schnell ebenfalls zugesprungen. Auch das noch!

ONKEL LUDWIG mit der zitternd ausgestreckten Rechten, plötzlich wie irrsinnig, nach dem kleinen Schrägsofa links; »a« kurz. Da!

DUFROY zornig. »Da!« ... Was?! ... Wo?! ... »Da!«

ONKEL LUDWIG noch gesteigert. Da!!.. Da!!

GEORG der sofort gestutzt hat; noch »ahnungslos«; von beiden nach dem betreffenden »Indizium«. Ein Polstermöbel, wie ...

DUFROY peinlichst; sich bereits vollkommen darüber klar, was jetzt in Onkel Ludwig vor sich geht. Lieber ... Georg ...

ONKEL LUDWIG vage, sich wie durch die Luft schlotternde Gesten nach der Ecke links. Die Tür steht auf ... das Licht ... das ... Licht ...

DUFROY der ihn mit Gewalt wieder zu sich bringen will. Ruck dich zusammen!

ONKEL LUDWIG wie vorhin. Das Licht ... fällt quer ...

DUFROY zu Onkel Ludwig; mit einem irritiert- scheuen, halb wie entschuldigenden Blick nach Georg rüber. Du ... siehst ...

ONKEL LUDWIG noch immer, als ob er das Gesprochne vor sich sähe. Fällt ... quer ...

DUFROY heftig. Du siehst, was nicht da ist!

GEORG der das offenbar stärkst persönlich gefärbte Interesse Dufroys, dessen ganze Art zu dem Delirierenden eine sonst ungleich mildere und nachsichtigere wäre, längst bemerkt und entsprechend bei sich registriert hat; trotzdem, mit Rücksicht auf den Moment, ihm zur Hilfe kommend. Die Tür ist zu ... die Ecke liegt im Halbdunkeln ...

ONKEL LUDWIG dem die heftigen Worte Dufroys erst jetzt ins Bewußtsein dringen. Was nicht ...?

DUFROY noch heftiger; wieder, unwillkürlich, ähnlich wie vorhin, Blick nach Georg rüber. Was nicht da ist!

ONKEL LUDWIG sich vor die Stirn fassend; halb nach der Tür rechts zurück. Wie ... bin ich ... denn bloß ...?

GEORG ungehalten, scharf. Hat dich der Diener ...?

DUFROY noch erregter. Ich hatte ihm doch ausdrücklich anbefohlen ...

ONKEL LUDWIG triumphierend. Den hatt ich längst ... Sich aufruckend, Geste. Wenn der mir nicht ...

DUFROY ihn beruhigend. Du darfst dich nicht wieder ...

ONKEL LUDWIG von neuem, wenn auch nicht mehr ganz so verstört und aus[579] allen Fugen wie vorhin, nach der Ecke links zurück; allerschwerst; nachgrollend. Die eigne ... Mutter!! Die eigne ...

DUFROY zu Georg, von dem er fühlt, daß jetzt die letzten Worte ihm den fraglichen Zusammenhang, wenn natürlich auch nur im bloßen Umriß und ungefähr, verraten haben müssen. Laß ihn! ... Er weiß in seinem phantastischen ... Rausch-Stadium ...

GEORG dem nichts daran liegt, Dufroy, dem er als Mann nachfühlt, die Situation noch peinlicher zu machen. Aber ... selbstverständlich!

ONKEL LUDWIG noch immer in seinem Dusel. Seit meinem dreizehnten Jahr ...

DUFROY gequält. Schrecklich!

ONKEL LUDWIG sich nieder umblickend; über Marianne dabei weg, als sähe er sie garnicht. Habe ich diesen Raum ...

DUFROY der die seelische Folter, unter der er leidet, kaum noch ertragen kann. Hörst du nicht endlich ...

ONKEL LUDWIG hartnäckig. Nich mehr betreten!

GEORG ungeduldigst ablehnend, um die Sache damit zu erledigen. Familiengeschichten! Was uns die jetzt ...

ONKEL LUDWIG nickend, allerschwerst, als ob sich Abgründigeres garnicht sagen ließe. »Familien«-Geschichten!!

DUFROY zu Georg rüber; Blick nach dem Sessel vor dem Schreibtisch. Es bleibt uns nichts übrig ...

GEORG zornigst-verbissen; nach dem Hintergrund zu sich wieder in Bewegung setzend. Herrlich!

DUFROY zu Onkel Ludwig; veränderter Tonfall; ihn mit beiden Händen leitend. Du wirst müde sein! ... Komm! ... Setz dich!

ONKEL LUDWIG jetzt im Sessel, den Dufroy ihm zurechtgerückt. Da oben ... so allein ... so allein mit seinen ... grausigen, gräßlichen, gräulichen Gedanken ... Wer ...

GEORG schärfst; sein Gestammel unterbrechend. Glaubst du, daß wir hier, trotz deines sogenannten »Rosenzimmers«, Wieder, wie schon so dutzendfach vorhin, Blick nach der Kaminuhr. auf Rosen gebettet sind?

ONKEL LUDWIG die Hand vor der Stirn; wie um dahinterzukommen, was Georg damit wohl meint. »Rosen?« ... »Rosen?!« ... Weshalb und ... warum grade ...?

DUFROY neben ihm links; jetzt, einen Moment, nieder etwas nervös-ungeduldig;[580] mit einem Blick nach Marianne rüber. Du scheinst völlig vergessen zu haben, daß ...

ONKEL LUDWIG noch immer nichts kapierend. Daß ... Daß ...? ... Plötzlich im Lehnstuhl die regungslose Kranke erblickend; erstickt-gurgelnder, sich jäh überkippender Kehllaut. Hhäh?! ... Vorgebeugt, wie um sich besser überzeugen zu können, daß ihn nicht wieder eine Vision äfft. Marianne?!!

GEORG noch immer hinterm Schreibtisch, jetzt etwas rechts, auf und ab. Und zwar noch immer und genau so, Wieder Blick nach der Kaminuhr. wie vor zweieinhalb Stunden!

ONKEL LUDWIG vergeblich bemüht, in seinem umnebelten Hirn das seinem Gedächtnis Entglittne sich wieder zu rekonstruieren. »Wie vor ...?« War ich denn ... ganz ...?

DUFROY ihm dabei behilflich. Die paralysierende Wirkung des dir injizierten Narkotikums hatte dich für einige Zeit eingeschläfert, und du kommst nun aus deiner halben Betäubung allmählich ...

ONKEL LUDWIG als ob seine Zunge noch wie gelähmt wäre. All ... m ... mählich ...«

GEORG dem diese ganze »Operation« schon wieder bedeutend zu lange dauert, Dufroys Satz schleunigst fortsetzend. In diese herrliche Wirklichkeit wieder zurück, die wir Bevorzugteren ... Wieder nach der Uhr; Pferdegetrappel.

ONKEL LUDWIG noch immer nicht imstande, sich aus sich rauszuheddern. »Die wir ...«

DUFROY gereizt; von Georg nach der Uhr. Du brauchst wahrhaftig und wirklich nicht ...

GEORG noch gesteigert. Nein, nein! ... »Wahrhaftig und wirklich nicht!« ... Seinen Blick wiederholend. Ich weiß!

DUFROY nervös-mißbilligendes Achselzucken. Du ...

GEORG das Wort »weißt!« ihm schnell abknappend. Schon gut! Schon gut!!

ONKEL LUDWIG der jetzt versucht, sich nach Marianne rüber von seinem Sessel zu erheben. Mein alter ... elender ... niederträchtiger Korpus ...

DUFROY Geste; abwehrend. Du ... kannst ...

ONKEL LUDWIG wie vorhin. Ist mir so schwer ...

DUFROY noch nachdrücklich-bestimmter. Du kannst ihr nichts nützen![581]

ONKEL LUDWIG ganz hilflos-»unglücklich«. Ich muß doch ... dem armen Kind ...

DUFROY jetzt hinterm Lehnstuhl bei Marianne. Sie ist vollständig bewußtlos, ahnt von uns dreien hier nicht das Geringste und wird morgen um diese Zeit, wie ich zuversichtlich hoffe, vorausgesetzt, daß keine Komplikation eintritt ...

GEORG sarkastisch-bissig. »Vorausgesetzt!«

DUFROY zu ihm rüber; erbittert. Aber ganz selbstverständlich vorausgesetzt!

ONKEL LUDWIG die Augen angstvoll auf Marianne. Man ... merkt ja ... kaum ...

DUFROY ihren Zustand noch weiter erläuternd. Atmung schwach, Respirationsfrequenz etwas herabgesetzt, aber sonst und im Übrigen ... Hat ihre Linke, die wie leblos über die Armlehne hängt, etwas erhoben und läßt sie nun wieder fallen.

ONKEL LUDWIG ganz erschüttert-entsetzt. Die ... Hand! Die ...

DUFROY überzeugt-sicher; jede, wie er glaubt, übertriebne Besorgnis ihm zu zerstreuen versuchend. Für dich als Laien natürlich beängstigend, für mich als Arzt ...

ONKEL LUDWIG der auf Dufroys Worte, die ihm seinen schrecklichen, visuellen Eindruck nicht ausreden, oder auch bloß verwischen können, kaum hört, noch gesteigerter als vorhin. Wie ... tooot ...!

GEORG schnell, hart, ohne nach ihm hinzublicken. Sprich keinen Unsinn!

DUFROY zu Georg; Onkel Ludwig entschuldigend. Du lieber Gott, wenn ...

ONKEL LUDWIG noch immer sich steigernd und zu Marianne rüber; mit heimlich in seiner Stimme aufsteigenden Tränen. An mir altem ... morosen ... abgebrauchten Krüppel ... liegt ja nichts mehr! ... Aber du ... du ...

GEORG der den alten Weimerian in diesem Augenblick zu allen Teufeln wünscht; einen Moment stehngeblieben und zu ihm rüber; auffahrend-heftig. Es hat doch wahrhaftig jetzt keinen Zweck ...

DUFROY fast empört. Beruhige dich!

GEORG der sich wieder in Gang gesetzt. »Beruhige!!« ... Wieder Blick nach der Uhr. »Beruhige!!« ... Uhr. Jede Minute, die verstreicht, jede Sekunde, die verrinnt ... Uhr; es hat in diesem Augenblick, irgendwo unten, laut geschellt, und alle, Georg wieder stehngeblieben, horchen auf.

ONKEL LUDWIG noch mit dem Ohr nach der Tür. Die ... Hausglocke??

DUFROY zu Georg rüber. Jetzt? ... Nach der Uhr. Fast um ...?[582]

ONKEL LUDWIG von einem zum andern. Wer ... kann das ...?

GEORG der schnell wieder nach der Uhr blickt. Einen Augenblick! ... Bereits auf dem Weg nach der Tür. Ich werde sofort ... Bevor er diese hinter sich schließt, zu den übrigen zurückgedreht. Ihr gebt auf Marianne acht!

DUFROY immer noch ganz starr, zu Onkel Ludwig rüber. Mitten ... in der Nacht ...? Wo euch doch sonst ...

ONKEL LUDWIG dem, wie es scheint, der plötzliche Glockenlaut vorhin in sein Hirn etwas wie Klarheit gegossen. Wenn das nicht mit diesem ... verdammten, diesem ... Schlingel und Strick, diesem ... malefikanten Lotterbuben ... den ich euch noch dazu selbst ...

DUFROY dessen Gedanken unterdessen bereits nach der gleichen Richtung gearbeitet. Du ... meinst?

ONKEL LUDWIG halb zu Dufroy halb nach der Tür. Ich kenne doch ... Georg? ... Das kann ... nur ...

DUFROY beschwichtigende Geste mit der erhobnen Linken und unwillkürlich halb auf Spitzzehen nach der Tür zu. Erlaube!

ONKEL LUDWIG sich von seinem Sitz aufrappelnd. Das ... kann nur ...

DUFROY einen Moment nach ihm zurück. Du solltest ruhig ...

ONKEL LUDWIG jetzt bereits ebenfalls auf dem Weg nach der Tür. Ich bin jetzt wieder ... ganz ...

DUFROY bevor er die Tür leise aufklinkt. Aber daß er uns ja nicht ...Von unten, ans dem Hausflur, deutlich: – »N Abend, lieber Usedom!« ... »N Abend!« ... »Erledigt?« ... »Wenn du vielleicht einige Minuten ...« »Bitte, tritt näher!« Die Tür wieder schließend; mit vor überraschter Entrüstung beinahe zitternder Stimme; von Onkel Ludwig nach Marianne rüber und wieder zurück. Major von Usedom!

ONKEL LUDWIG zornig-triumphierend. Hatt ich ... recht?!

DUFROY erregt auf und ab. Georg hat mir fest und heilig versprochen ... Auto.

ONKEL LUDWIG ihm nachblickend; dabei schwer auf seinen Stock gestützt; sehr bestimmt. Er hat dir ... nur versprochen ...

DUFROY empört; seine ihm so im Prinzip bestrittne Behauptung noch verstärkt. Schon allein mit Hinblick auf Marianne!

ONKEL LUDWIG der sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen läßt; hartnäckigst. Ich stand dabei und habe ... deutlich ...[583]

DUFROY dessen Erregung noch fortwährend wächst; einen Augenblick jetzt nach ihm zurückgedreht. Er hat mir in die Hand versprochen, seinen Gegner auf keinen Fall für morgen früh ...

ONKEL LUDWIG ihm wieder ins Wort; seines erneuten Triumphs über ihn bereits sicher. Und wenn der Austrag ... erst morgen ... abend steigt?

DUFROY wieder von ihm abgekehrt; ärgerlich. Das hab ich doch natürlich ...

ONKEL LUDWIG achselzuckend. Was du ... »gemeint« hast ...

DUFROY ihn nicht mehr anblickend; in seiner ganzen Art jetzt, ohne daß er es ahnt, ähnlich wie vorhin Georg. Ich halte es für barbarisch und mit meinem sittlichen Empfinden nicht vereinbar, einen Menschen ...

ONKEL LUDWIG grimmig; noch immer auf seinen Stock gestützt. So!

DUFROY in seinem Satz, sich noch steigernd, weiter. Und mag er mir in ... egoistischer Skrupellosigkeit selbst das Allerschlimmste angetan haben ...

ONKEL LUDWIG der ihn nicht aus den Augen läßt; noch grimmiger. So!!

DUFROY auch jetzt wieder, kaum von ihm unterbrochen, noch immer sich steigernd. Zumal, besonders und noch obendrein, wenn ich überzeugt bin, wenn alles in mir bis in die letzte Faser davon durchdrungen ist, wenn mein ganzes Innre es gradezu wie eine Art fatalistische Gewißheit verspürt, daß sein Leben in meiner Hand liegt, daß ich nur zuzuknallen brauche, um ihn vor mir niederbrechen zu sehn, und daß er, überzeugt und durchdrungen von der gleichen, ehernen, unabwendbaren Gewißheit, sich mir zu diesem Zweck freiwillig und von selber stellen wird ... in eigner Sache zugleich Richter und Nachrichter, kalten Bluts ...

ONKEL LUDWIG nickend; höhnisch. So ... brav und christlich ...

DUFROY wie grade durch dieses Wort ganz besonders getroffen. »Christlich!«

ONKEL LUDWIG loslegend. Na! ... Denn werd ich dir mal ... was sagen! ... Mit seinem Stock zweimal hart aufstoßend. Und wenn der Tod ... Auf eine betreffende, nervös-abwehrende Geste Dufroys; schwerst. Du magst abwinken ... soviel du willst! ... Was mir nach diesem ersten ... gemütvollen ... trostreichen Antrittsfandango ...[584]

DUFROY auch jetzt noch auf und ab; ihn noch immer nicht anblickend; erbittert mit beiden Armen hoch. Aber mein Gott!

ONKEL LUDWIG in seiner »Selbstdiagnose«, fast als ob ihm das den ausgesucht grimmigsten Spaß macht, noch gesteigert, weiter. Diesem deliziösen ... einstweiligen Vorschmackhäppchen ... und vielversprechenden Fidulitätsanfang ...

DUFROY der ihn vergeblich zu unterbrechen versucht. Ich habe dir versichert ...

ONKEL LUDWIG noch stärker. Trotz deiner einlullenden Gifte und Opiate ... jetzt droht und bevorsteht ... weiß ich!

DUFROY heftig; in seinem Tonfall jetzt ganz, wenn auch natürlich wieder völlig unbewußt, Georg. Du weißt gar nichts!

ONKEL LUDWIG von neuem; mit womöglich noch nachdrücklicherer Wucht, als vorhin. Und wenn der Tod ... Sich nach beiden Seiten wie nach ihm umblickend. das Rabenaas ...

DUFROY stehngeblieben; zu ihm rüber. Du glaubst doch nicht etwa ...

ONKEL LUDWIG wie eben; nur noch verstärkt. Der feige Mordracker ... und ... Sensenhalunke ...

DUFROY sarkastisch-ungehalten; mit dem Versuch, ihn dadurch wieder zu sich zu bringen. Du stellst dir den Herrn ...

ONKEL LUDWIG noch immer sich steigernd. Vielleicht auch schon längst ... da irgendwo so ... grinsend hinter mir steht ...

DUFROY der sich anders nicht mehr zu helfen weiß; durch die Situation, so sehr er sich auch dagegen wehrt und gegen das Grauen, das ihn in diesem Augenblick durchgrieselt, ankämpft, gepackt; stärkst. Du phantasierst!

ONKEL LUDWIG an Kraft unvermindert, ja sogar eher noch an ihr gewinnend, erst jetzt seinen Satz schließend. Und auf mich ... lauert und wartet!

DUFROY diese bewußte »Lüge« aber auch ohne das geringste Bedenken über die Lippen bringend. Du kannst noch zwanzig ...

ONKEL LUDWIG hohnvollst-erbittert. »Zwanzig!«

DUFROY mit »eherner Stirn«. Jawohl! Zwanzig!

ONKEL LUDWIG grimmigst-verbissen. Danke! ... Merßi! ... Noch immer sich steigernd; zornbebend; fast gradezu feindselig. Warum nu ... nich noch gar ... und auch noch gleich ...

DUFROY andrer Tonfall; gequält-schmerzlichst. Liebster Ludwig![585]

ONKEL LUDWIG sich unwillkürlich reckend; alles, was in ihm noch »Mann« ist, zusammenraffend. Ich habe mein Saldo ... mit mir abgeschlossen ...

DUFROY bittend, fast weich. Es ist doch noch nicht gesagt ...

ONKEL LUDWIG fest. Wünsche, mich auf diesem glühenden Marterrost ...

DUFROY als hätte der ärmste, zum allerqualvollsten Tode Verdammte sich mit diesem Wort die denkbar größte Übertretung erlaubt. »Marterrost!«

ONKEL LUDWIG in seinem Satz, vor dessen Gewalt Dufroy ohnmächtig ringend dasteht, nach wie vor weiter. Dessen Wonnen ich mit meinem alten, ausgemürbten Kadaver ... kaum eben erst zu proben und zu kosten bekommen habe ...

DUFROY vergeblich nach etwas »suchend«. Du mußt nicht in deiner Ungeduld ...

ONKEL LUDWIG wie vorhin. Nicht noch soundso viel mal rumwälzen und rumwinden zu müssen ...

DUFROY immer kopfloser. Wenn du aber natürlich nichts auf mein Urteil ...

ONKEL LUDWIG noch immer sich steigernd. Und hoffe daher ... daß mich der gerechte, gnädge Allgütge ... oder sein Satan ...

DUFROY ganz ratlos-verzweifelt. Ich wiederhole dir noch mal ... und versichre dir ernstlich ...

ONKEL LUDWIG abbrechend und in seinem Tonfall jetzt fast verächtlich. Wiederhole und versichre, was dich bedünkt, mach mir und dir vor, was dir beliebt, und dem sei, wie ihm wolle! Betreffende Geste mit der Rechten. Wenn meine Hand nicht bereits so zitterte, daß ich das Schießzeug ...

DUFROY dem der schon beinahe Schlotternde in diesem Augenblick fast gradezu burlesk erscheint. Du bist ...

ONKEL LUDWIG nochmal und mit Gewalt seine ganze, letzte Kraft zusammennehmend. Und Georg nicht der Kerl wäre, der er zum Glück, und Gott sei dafür auf den Knieen bedankt, ist, ich würde mir dies Früchtchen ... dieses smarte, glatte, windige Bürschchen ... dies Brüderchen Amoroso ...

DUFROY ihm wieder ärgerlich den Rücken drehend. Das magst du vor deinem theosophischen Gewissen verantworten! Ich für meinen Teil ... Irgendwo aus der Ferne dumpfes Auto.[586]

ONKEL LUDWIG ihm wieder nachstierend; gereizt; sein Gehirn, das die ganzen letzten Minuten über bereits klarer gewesen, beginnt sich wieder zu umdunkeln. »Theosophischen ... Gewissen?«

DUFROY schärfst, jeden Iktus betont; wie er glaubt, damit seinen letzten, Onkel Ludwig »vernichtenden« Trumpf ausspielend. Du hast bisher dein ganzes Leben ...

ONKEL LUDWIG noch verstärkt. »Theosophischen Gewissen?!« ... Wo uns eben erst der Leibhafte ...

DUFROY wieder nach ihm zurückgedreht; ihn, fast entsetzt, anstarrend. Aber liebster, bester Bruder!

ONKEL LUDWIG immer zornig-erbitterter; fast schwankend. Aus seinem dubiosen, unerschöpflichen Gnadenfüllhorn ...

DUFROY noch ganz paff; mit dem krampfhaften Versuch, Onkel Ludwigs »schnurrigen Einfall« »humoristisch« zu nehmen. So sehr und so gern ich ...

ONKEL LUDWIG in seine plötzliche Vorstellung sich wie mit wütendster Wonne grabend. Einem nach dem andern, jedem separatim, und in verführerischstem Habitus ...

DUFROY dem jetzt bald der »Verstand« still steht. Tu mir den einzigen Gefallen und ...

ONKEL LUDWIG ergrimmt; wieder, diesmal bei der dritten Silbe, mit seinem Stock aufstoßend. Est ut est! Im dicksten, dustersten Urschleim aller Dinge ...

DUFROY um ihn durch irgendwelche Einrede nicht noch mehr zu reizen. Nun ja, ja, ja!

ONKEL LUDWIG sich permanent wieder steigernd. Am letzten, untersten Wurzelanfang alles Seins und Geschehns ...

DUFROY ihn vergeblich zu beruhigen versuchend. Gewiß! Gewiß!

ONKEL LUDWIG immer nachdrücklich-wütender. Schon seit und vor dem Beginn aller Tage ...

DUFROY schon fast ratlos; ihm vollständig beipflichtend. Aber ganz ohne jeden Zweifel!

ONKEL LUDWIG wuchtig; wie jeden etwa möglichen Widerspruch allein schon durch seinen Ton von vorneherein und im Keim erstickend. Sitzt und thront nicht, wie wir uns das banghasig, memmenhaft und feigherzig vorlügen, vorschwindeln und vorflunkern ...

DUFROY in seiner Atempause. Allerdings! Allerdings![587]

ONKEL LUDWIG fast keuchend. Auf seinem dreibeinigen ...

DUFROY der gar nicht mehr weiß, wie er sich zu einer derartig abstrusen Phantastik überhaupt äußern soll. »Dreibeinigen!«

ONKEL LUDWIG von neuem; immer eigensinniger-verbissner. Wackligen Wolkenstühlchen, allbarmherzig, allweise und allgerecht, Paradiese und Höllen in seinem Sack ...

DUFROY wie vorhin. »Sack!«

ONKEL LUDWIG noch gesteigert. Weißbärtig und rotbäckig, der alte, liebe, gute Gott Weihnachtsmann ...

DUFROY in der Hoffnung, ihm den Faden damit endlich abzuknipsen. Nun hör aber ...

ONKEL LUDWIG noch intensiver. Sondern glupt und hockt ...

DUFROY wieder ähnlich wie vorhin. »Hockt!«

ONKEL LUDWIG sich abermals steigernd. Allboshaft, allhartherzig und allhundsföttisch ...

DUFROY fast verzweifelt. Du kannst einen wirklich ...

ONKEL LUDWIG noch immer in seinem selben Satz unbarmherzig weiter. Mit gekringeltem Bocksschwanz, grünen, glasigen Meerkateraugen ...

DUFROY sich mit beiden Händen an den Kopf packend. Mein Hirn! Mein armes ...

ONKEL LUDWIG in seinem Detail immer ausschweifender. Und gezückten, giftglimmrigen, krummschnäbligen Eisenklauen ...

DUFROY beide Arme, wie flehend, erhoben. Hab Erbarmen!

ONKEL LUDWIG als ob er das betreffende Monstrum vor sich sähe. Vipernzüngig, krötenumwabert und drachenflüglig ... Plötzlich, die Augen starr aufgerissen, ganz entsetzt, nach Marianne rüber, die in diesem Moment, wie unter seiner Phantasmagorie zusammengezuckt, den Kopf, der bisher nach links lag, nach rechts gedreht. Hast du ... gesehn?!

DUFROY zusammengefahren. Was?! ... Bereits neben ihr. Marianne??

ONKEL LUDWIG sich nicht recht klar, ob er nicht wieder das Opfer einer Sinnestäuschung geworden. Mir war doch ... als ob sie eben ...

DUFROY ebenfalls in einem solchen Zweifel; nach der betreffenden Stelle hin. Lag ihr Kopf ... nicht vorhin hier links?

ONKEL LUDWIG Marianne, die wieder wie vollkommen leblos liegt, noch immer anstarrend. Das ... kann ich dir ... nicht ...[588]

DUFROY unter seiner Hand jetzt die Wärme fühlend. Aber ganz gewiß! ... Ich spüre noch deutlich ... Abbrechend, zu Onkel Ludwig rüber. Seltsam!

ONKEL LUDWIG der dies sonderbare Intermezzo grade in diesem Augenblick plötzlich als einen »strafenden Fingerzeig Gottes« nimmt; ganz geknickt-erschüttert. Hätt ich doch meine freche ... vorwitzige Zunge ...

DUFROY durch den eben erlebten Zwischenfall, den er sich nicht recht erklären kann, innerlichst zwar etwas beunruhigt, aber doch mit aller Gewalt sich wieder darüber hinweghelfend. Nun! Es ist ja wohl ... überhaupt ...

ONKEL LUDWIG noch »geschlagner«. Eine Kreatur ... die so lästert ...

DUFROY wie vorhin. Zu wirklicher ... ernsthafterer Besorgnis ...

ONKEL LUDWIG noch immer bei seinem »Fingerzeig«; fast lallend. Ein so nichtiger Erdenwurm ...

DUFROY nervös nach der Tür rechts rüber. Was nur Georg ...

ONKEL LUDWIG wie blöde vor sich hinbrubbelnd. Welche ... wollen sagen ...

DUFROY noch in seinem selben Satz; einen Moment fast wie lauschend. Da unten so lange ...

ONKEL LUDWIG aus seinem Dusel wieder um sich blickend und von neuem nach der Ecke links rüber. Das ... Rosenzimmer!!

DUFROY der diesen Blick, höchst peinlich davon berührt, wieder bemerkt hat. Lieber Bruder, ich ... weiß ... und wollte dir eigentlich ... fast schon vorhin ...

ONKEL LUDWIG der ihn gar nicht gehört; mit dem linken Zeigefinger erst auf das Bild links deutend, dann die Hand auf dem Stock wechselnd und mit dem rechten Zeigefinger auf das Bild rechts. Dort ... dein Vater ... und dort ...

DUFROY schnell einfallend; das erste Wort ebenso stark wie das zweite. Unsre Mutter!

ONKEL LUDWIG höhnisch-bitter; nach dem Portrait starrend. »Unsre ...«

DUFROY noch bestimmter. Unsre Mutter!

ONKEL LUDWIG wieder jetzt zuerst nach dem Bild links, dann nach dem rechts. Der ... »apollinischste ... aller Professoren« ... und sein ... Die Herrschaft über sich wieder völlig verlierend. mänadisches ... brunsttolles ...

DUFROY mit dem vergeblichen Versuch, ihn zu unterbrechen. Hör ...[589]

ONKEL LUDWIG als ob er das Bild, allein schon durch seinen Blick in tausend Fetzen reißen wollte. Buhlerisches ...

DUFROY fast wie nach Luft ringend; zerquält. Hör auf!

ONKEL LUDWIG erst jetzt mit seinem ganzen Haß niederkommend. Teufelsweib, das mich aus diesem Haus ... durch die ganze Welt ... und auch erst eben ... Nach der Tür rechts. von dort oben wieder ...

DUFROY auf ihn zu; erregt. Nun bitte ich dich aber dringend ...

ONKEL LUDWIG beide Arme, zwei Schritte vor ihm zurück, wie Windmühlenflügel; keuchend. Bastard!! ... Wieder zwei Schritte auf ihn zu und ihm nochmal elementar ins Gesicht. Bastard!!!

DUFROY straff-aufrecht; vor Zorn fast zitternd. Komm zu dir!!

ONKEL LUDWIG zwei Schritte noch mal zurück und die Hand wieder, wie blöde, vor der Stirn. »Komm« ... Plötzlich, wie aus einem tiefsten Traum erwacht; mit weit ausgebreiteten Armen, fast schluchzend. Bruder!!!

DUFROY ihn an beiden Schultern wieder fest aufrecht haltend. Du kannst dich ja kaum noch ...

ONKEL LUDWIG noch mal nach dem Bild rechts zurück. Die ... hat mir schon was ...

DUFROY ihn wieder nach dem Sessel führend. Also nun sei schon vernünftig und ... Ihn setzend. So! ... Nachdem er sich kurz gesammelt; mild-vorwurfs voll; entsprechende Kopfbewegung nach der Tür rechts. Warum hattest du vorhin den Diener ...

ONKEL LUDWIG verschmitzt-rauh, wie mit der Stimme eines Betrunkenen. Den ... hatt ich noch grade ... rechtzeitig ... Abbrechend; entsprechende Geste. der war ... knapp raus, da ... Wieder abbrechend; Geste, als ob sich plötzlich alles um ihn wie in Schaukelbewegung befände.

DUFROY den kleinen Hocker neben dem Lehnstuhl zu sich heranziehend und dabei gleichzeitig dem wieder wie halb Delirierenden gut zuredend. Du kannst zu mir, als deinem Arzt ...

ONKEL LUDWIG immer mit den entsprechenden Gesten. Da ... ging der Tanz ... da brach die Hetz ... Wieder abbrechend.

DUFROY der sich inzwischen, etwas vor ihm nach links, gesetzt hat. In welcher ... Form und Gestalt? In was für ... Vorstellungsbildern? Willst du mir nicht ... wenigstens andeutungsweise ...[590]

ONKEL LUDWIG erst allmählich sich rausheddernd. Da muß ich mich erst ... das ... kann ich dir wirklich ... Ja, ja! Oder ... ob mir das bloß so ...? I wo! Nein, nein! ... Aber auch ganz bestimmt! ... Über meinem Bett ... mit der gewürfelten Decke ... in Glas und Papprahmen ...

DUFROY um seinen Bericht etwas zu beschleunigen; da er fürchtet, daß der auch jetzt noch wie halb Umnebelte sonst aus dem Hundertsten ins Tausendste kommen könne. Den du dir selbst geklebt hast, hängt noch deine alte Schmetterlingssammlung! Nun ja! Und?

ONKEL LUDWIG naiv weiter. Das waren aber ... keine Kiefernspanner, Ligusterschwärmer, Goldeulen, Perlmutterfalter und Pfauenaugen mehr ...

DUFROY drängend. Sondern?

ONKEL LUDWIG erst noch etwas zaudernd, dann immer lebhafter; mit fortwährend wechselndem Mienenspiel und ebensolchen Gesten. Ich ... weiß nich, aber ... Aus allen Ecken, auf allen Ranken, im ganzen Gitterwerk, mitten durchs Zimmer und quer über die Decke weg! ... Das zwitscherte, kreischte, kletterte, schwirrte, huschte, hüpfte, schoß, schmetterte und glitzerte! Kolibris, Kakadus, Araras, Flamingos, Marabus, Smaragdfinken, Purpurschwalben, kleine, silbrig singende, persische Bülbüls und Nashornvögel!

DUFROY der sich aus alledem noch »keinen« Vers machen kann. Nun ja, ja! Aber ...

ONKEL LUDWIG nachdrücklichst; befriedigt; auch diese Einzelheit ihm nicht schenkend. Genau so, wie damals ... als ich an meinem braunen, zerschnitzten Schularbeitspult ... noch den Robinson Crusoe las!

DUFROY ähnlich wie vorhin; nur jetzt bereits fast etwas ungeduldig. Alles ganz recht und schön ... aber dann war das doch nur ...

ONKEL LUDWIG eifrig; nickend; seinen Satz ihm, allerdings ganz anders gedreht, als dies natürlich sonst Dufroy selbst getan, fortsetzend und seine ganze, antiquiert-bunte Farbenskala, die ihm in diesem Zustand ganz besonders reichhaltig zur Verfügung steht, dabei funkeln und glitzern lassend. Zu dem ganzen ... libidinös üppigen ... lasziv unflätigen ... jeder Scham baren, Höllen-,[591] Zauber- und Hexensabbat, der mich ... nachher und ... hernachwärts ... wie von rasenden, geierkralligen Erinnyen und Schlangenfurien verfolgt und gepeitscht ... bis hier heruntertrieb ... besagtermaßen, zuvörderst bloß und nur ... die zart präludierende ... eiapopeiande ... perfid betümpelnde Einwiegungsintroduktion und ... Burleske, wie empört abwehrende Geste nach der Kaminuhr, die in diesem Augenblick mit zwei Schlägen Halb anzeigt.

DUFROY der ebenfalls nach ihr hingesehen; wieder zu Onkel Ludwig. Es ist ... vielleicht doch ... wenigstens im Moment, für dich besser ...

ONKEL LUDWIG mit neuer, jetzt noch erhöhter Verve, wieder einsetzend. Plötzlich ... mit einem Ruck und mit einemmal ... unter einer schrill ohrzerreißend aufgellenden, markerschütternd losrasselnden, alle Sinne wie taumelnd übertäubenden Pfeifen-, Zymbeln-, Tamtam-, Triangel- und Kesseltrommelmusik, die mir mit ihrer dumpfen, dunklen, wollüstig stimulierenden, orphischen Urmelodie durch alle Nerven und Adern rann ...

DUFROY dem dies Feuer fast beängstigend vorkommt. Du solltest wirklich ...

ONKEL LUDWIG als ob Dufroy ihn gar nicht unterbrochen. Während das geflügelte Kroopzeug gleichzeitig sich, wie toll, auf- und übereinander warf und das ganze Blattwerk, Rankengewirr und Gittergeflecht ringsum sich, wie mit einem Schlag, in ein einziges, sich zuchtlos paarendes und kopulierendes, schleimiges Basilisken-, Ottern- und Molchgewürm verwandelt hatte ...

DUFROY Geste. Laß es nun ...

ONKEL LUDWIG noch immer in seinem selben Satz; wie vorhin. Auf einem skandalös schwelgerischen, scheusälig und lasterhaft mit einer schandbar infamen Unmenge unerlaubt unziemlicher, verderbt zweideutiger, ärgerniserregender Pflanzen-, Früchte- und Blumenembleme bunt-scheckig in allen sieben Regenbogenfarben durchsprenkelten, odaliskischen Haremsteppich ...

DUFROY nervös; mit einem gewissen Respekt vor dem, wie er fühlt, jetzt sicher Kommenden. Wozu ...

ONKEL LUDWIG noch gesteigert; aus seinem barocken, altväterischen Wortvorrat, der fast unerschöpflich scheint, immer spendabler. Faunisch- viehisch[592] umkollert, umlüstert, umgrunzt, umquiekt und umbalzt von einem frivol unzüchtigen, obszön ausgelassnen, wüsten, zügellosen, wie behaarbeutelten Chorus unehrbarer, anstandswidriger, zudringlicher Schweinsaffen, Paviane und Mandrills, die sich in allerhand möglichen fleischlichen und schlüpfrigen Posituren und Stellungen ...

DUFROY von dieser ganzen Höllenbreugheliade, gegen die er nicht ankann, als Sohn, Stiefbruder und Arzt gleichmäßig bedrückt. Du brauchst mir wahrhaftig ...

ONKEL LUDWIG über seinen gequälten Einspruchsversuch, sturzbachartig, noch immer fast mit jeder Silbe sich steigernd, weiter. Den unerhört unzartesten, respektwidrig bachantischsten, handgreiflichsten Allotriis hingaben, diesen oblagen und sich ihrer erfreuten, Perlen, Opale, Topase, Türkise, Saphire, Mondsteine und Rubine im kostbar rundtoupierten, blauvioletten, goldbepuderten Haar, in langen, seidenschwarzen, mit herausfordernd phallischen Symbolen ausschweifend liederlich durchbrochnen Strümpfen und kleinen, pittoresk bernsteingelb gestöckelten, prächtig meergrün schillernden Atlasschühchen, bajaderisch sich windend, succubisch glühäugig lächelnd, lupanarisch nackt ... Nach dem Portrait rechts zurück – Brustbild – das die Mutter, während den jugendlichen Stiefvater links der übliche festliche Bratenrock schmückt, etwas à la Lady Hamilton zeigt.

DUFROY der den fast außer sich Geratnen jetzt an der rechten Hand hält; sie ihm mit der linken streichelnd; erschüttert-mitleidig. Lieber Bruder! Lieber ...

ONKEL LUDWIG auch jetzt noch in seinem selben Satz; in dessen anklagendem Haß ungebrochen. Unersättlicher als Messalina, entfesselter als Phryne, ekstatisch aufgelöster als Leda, Danae und Jo, in brünstig zuckend ruchlosem Wollustkrampf, Nach dem kleinen Schrägsofa links. wie sie damals ...

DUFROY noch gesteigerter als vorhin; statt der rechten Hand ihm jetzt die rechte Schulter streichelnd. Lieber Ludwig! Lieber ...

ONKEL LUDWIG dessen Stimme, die so lange durchgehalten, jetzt fast zu versagen droht. Wie sie damals ... meine dreizehn Jahre ...

DUFROY mit aller Kraft auf ihn einsprechend. Ein bizarr verzerrtes, outriert groteskes, beklagenswert bedauerliches Erinnrungs-[593] und Einbildungsspiel deiner ja schon seit je und bereits rein an und für sich höchst regen, durch die vorausgegangen, übermenschlichen, kaum erst überstandnen Qualen und Schmerzen nun gar vollends noch anormal gesteigerten, überhitzten und bis ins letzte getriebnen, volublen Phantasie, das ich vollkommen verstehe und begreife, Mit einem wieder schmerzlichen, unwillkürlichen Blick nach der Ecke links zurück. nachdem es für mich vorhin ... zur tieftraurigsten Gewißheit geworden ...

ONKEL LUDWIG auf Dufroy kaum achtend, erst jetzt seine lange Riesenperiode damit schließend, erschöpft-verzweifeltst vor sich hin. Die ... eigne Mutter!! Die ... eigne ...

DUFROY ausholend, warm, eindringlich. Was du unter deinem mir kaum faßbaren Schicksal ...

ONKEL LUDWIG kläglichst; von neuem. Jeder Tagelöhner! Der ärmste Bettler!

DUFROY ihn unterbrechend; wie vorhin. Was du auch unter deinem Los gelitten!

ONKEL LUDWIG in seiner traurigen Litanei, noch jammervoller, weiter. Der Dieb im Zuchthaus, der verlausteste, verludertste, zerlumpteste Vagabund im Straßengraben! Ja, sogar selbst der zum schimpflichsten Tode verurteilte, seinem letzten, unabwendbaren, grausigen Gang aschfahl, zitternd und zähneklappernd entgegenschlotternde Mörder in seiner Zelle!

DUFROY in seiner begonnenen Linie parallel ebenso. Du wirst dich von deinem furchtbaren Alpdruck befreien und all das Entsetzliche in dir überwinden, wenn du dich jetzt endlich ...

ONKEL LUDWIG wie vorhin; als ob er Dufroy gar nicht gehört hätte. Nicht einer, der seine Schmach, nicht einer, der seine Not, seine Angst, sein Elend und seinen Jammer, nicht wenigstens einmal in seinem trüben, verachteten, erbärmlichen Leben ...

DUFROY ganz überrascht-bewegt; kaum fähig, schon zu sprechen. So tief ... so furchtbar ...

ONKEL LUDWIG wieder noch immer sich steigernd; letzte, durch sein ganzes, langes Leben erlittne, immer wieder aufs grausamste getäuschte, unerfüllt gebliebene Sehnsucht. Lippen, die locken, Augen, die strahlen, ein Leib, der atmet! Und ich ... ich ... ich ...

DUFROY in seine brechende Stimme; erschüttert. So unbarmherzig mitleidslos[594] hat dich dies eine ... abscheuliche ... Nochmal, wie bereits vorhin, nach der Ecke links zurück. zufällige ... Schreckenserlebnis ...

ONKEL LUDWIG dem dieser Blick und seine Bedeutung mit einem Male klar werden; ganz entsetzt- überrascht. Wo ...?

DUFROY durch seinen fragenden Laut kaum unterbrochen; noch immer in seinem Satz. Durchwühlt und durchschüttert, daß du in deinem ganzen ... Dasein ...

ONKEL LUDWIG: Wo- Mit seinem Blick jetzt ebenfalls wieder nach der Ecke links zurück. her ...?

DUFROY mit sich ringend; schwer; in peinvoll- schmerzlichster Rückerinnrung. Auch ich ... Auch hinter mir ... Auch auf meinem ... langen Weg ...

ONKEL LUDWIG noch stärker. Wo-her ...??

DUFROY energisch; in seinem Bekenntnis weiter; mit beiden Fäusten den Rhythmus markierend. Aber durch Arbeit, Arbeit, Arbeit ...

ONKEL LUDWIG von seiner Frage nicht ablassend; letzte, wuchtigste Steigrung; zuletzt, mit der erhobnen Rechten, noch mal nach der Ecke links zurück. Wo-her ... weißt du ... was sich hier in jener ... Vor innerer Erregung, sein Morphiumdusel scheint völlig verflogen, abbrechend.

DUFROY dem der Schweiß fast auf der Stirn steht; sich unwillkürlich nach dieser greifend. In jener ... schauerlichen ... grauenerregend schreckensvollen ...

ONKEL LUDWIG einfallend; noch machtvoll-nachdrücklicher. Gottverfluchten Sterbenacht ...

DUFROY plötzlich, ganz erschreckt, wieder nach Marianne rüber, deren rechte Hand, die so lange lässig auf ihrem Schoß gelegen, bei den letzten Worten Onkel Ludwigs ein wenig sich erhoben hatte und dann lasch wieder zurückgefallen war. Jetzt ... war mir doch selbst ...

ONKEL LUDWIG fast atemlos; ebenso; die Hand hebt sich abermals und sinkt, vor den Augen beider, kraftlos über die Stuhllehne. Da! ... Noch mal! ... Die rechte Hand!

DUFROY näher getreten. Dem Himmel sei ... Abbrechend; nach der Stelle, wo noch vor wenigen Minuten ihr Kopf gelegen. Jene vorhin immerhin ... nur oberflächliche Konstatierung hier ... konnte[595] vielleicht ... noch eine Selbsttäuschung gewesen sein! Aber diese wiederholten ... willkürlichen Bewegungen jetzt ...

ONKEL LUDWIG ganz verdutzt zu ihm rauf. Ja, hattest du denn ... befürchtet und geglaubt ... Auto.

DUFROY ausweichend. Nicht »befürchtet« und »geglaubt«, aber ...

ONKEL LUDWIG mißtrauisch. »Aber ...?«

DUFROY erst jetzt damit Farbe bekennend. Aber bei der beängstigend unheimlichen, zitternd fieberhaften, pessimistisch, schwarzseherisch ansteckenden Übererregtheit Georgs, der hier wie ein Panther ...

ONKEL LUDWIG für den Abwesenden eintretend. Du kannst ihm das schließlich ...

DUFROY von neuem nach Marianne; sich immer zuversichtlicher stimmend. Hoffen wir jedenfalls, daß dieser jetzt gesunde, feste und ruhige Schlaf nun möglichst noch recht lange ...

ONKEL LUDWIG der jetzt wieder »ganz vernünftig« scheint. So viel schwant mir ja auch! Hält sie s bis morgen urch ...

DUFROY nervös-hastig, ganz aufgeregt, fast flackernd. Dann ist alles ... Dann ... soll nichts ... Dann ... will ich diesen Tag ... Wie ich ja dann zuversichtlich erwarte und annehme, Noch mal nach Marianne. daß sich dann überhaupt ...

ONKEL LUDWIG der die Perspektive, die Dufroy damit angedeutet, begriffen. Jaja, aber ... Auf seine, ihm nun schon so oft unterbrochne Frage nieder zurückkommend. Willst du und ... möchtest du mir nu nich endlich ...

DUFROY wieder, unruhig, nach der Tür rechts rüber. Ich ... begreife ... und verstehe wirklich nicht ...

ONKEL LUDWIG nachdrucksamst weiter. Konfidentialiter mitteilen, verraten und Aufschluß geben, woher ...

DUFROY wie vorhin, nur noch verstärkt. Mir ist es gradezu ... ganz unerklärlich ... wieso und warum Georg ...

ONKEL LUDWIG zäh. Ich hatte doch mein Lebtag bis jetzt gedacht, Wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Ecke links zurück. daß mich die beiden ...

DUFROY der sich inzwischen wieder zu ihm gesetzt; endlich auf ihn eingehend. Weder mein Vater, noch deine Mutter ... das ist wahr und darin hast du dich nicht getäuscht ...[596]

ONKEL LUDWIG ihn um so weniger begreifend. Nu ja, also!

DUFROY beruhigende, ihn zu schweigen mahnende Geste. Hatten dich damals in ihrem vermessen tollkühnen, unbedacht selbstvergessen, rasenden Taumel und Paroxysmus, den ich in seiner grandiosen, grauenhaften, über alles hinwegtriumphierenden Welt- und Daseinsbejahung ...

ONKEL LUDWIG entrüstet. »Welt- und ...«

DUFROY noch unterstrichen-bestimmter. Welt- und Daseinsbejahung als ganz genau und ebenso ungeheuerlich empfinde, wie du ...

ONKEL LUDWIG ihn, ganz empört, unterbrechend. Du wirst und willst mir doch hier nich gar etwa ...

DUFROY mit dem vergeblichen Versuch, wieder zu Wort zu kommen. Aber es liegt mir ja völlig ...

ONKEL LUDWIG immer zornig-erbitterter. So gewissermaßen nachträglich und retrospektiv ...

DUFROY noch abwehrend-nervöser. Ich beabsichtige nicht im geringsten ...

ONKEL LUDWIG dessen Grimm sich noch nicht ausgetobt hat. Dies sich entmenscht, korrupt und gewissenlos in seinem Sündenschlamm wälzende, adulterische Pack ...

DUFROY einen kurzen Moment, so sehr er sich auch müht, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, jetzt fast gereizt-heftig. So hör doch! Du irrst, wenn du glaubst, daß die beiden, die nach jahrelang innerm, stummem, siegreich mit sich selbst bestandnem Kampf und Ringen ...

ONKEL LUDWIG sich schon wieder auflehnend. Wie kannst du sagen ...

DUFROY nachdrücklichst, in seinem selben Satz weiter. Von ihrer, mit zähster, angespanntester Willenskraft und Energie bis dahin mühsam zurück- und aufgestauten, jugendstark heißblütigen, alle seelisch künstlich errichteten Wehre, Deiche und Dämmungen plötzlich jäh zerreißenden, sprengenden und durchbrechenden Leidenschaft ...

ONKEL LUDWIG der das alles doch bloß für »hypothetisch« hält. Wie darfst du behaupten ...

DUFROY noch immer, fortwährend sich steigernd, in seinem selben Satz. Im letzten, gräßlich schauerlichsten, unseligsten Moment elementar überwältigt, zum erstenmal sich zusammenfanden ...[597]

ONKEL LUDWIG noch mal. Wie willst du mir beweisen ...

DUFROY letzte, lauterste, überzeugteste Eindringlichkeit. Eine Mutter, die ihrem Sohn ... von Reue und Gewissensqual gefoltert, gepeinigt und gequält, unter der Wucht und Last ihrer Selbstanklagen niedergebrochen, in Not und Verzweiflung ... mit weißen Haaren ... freiwillig und aus eigenstem, innerstem Antrieb die schwerste, größte, sie beinah zermalmende Schuld ihres Lebens beichtet, lügt nicht!

ONKEL LUDWIG von dieser Eröffnung, auf die er nicht gefaßt gewesen war, ganz zerknickt-erschüttert. Das ... das hat dir die ... alte Frau ...?

DUFROY nickend; den betreffenden Sachverhalt ihm bestätigend. Nach dem Tode Mariettes ...

ONKEL LUDWIG dem die Stimme fast versagt. »Nach dem ...?«

DUFROY noch stärker. Nach dem Tode Mariettes, an der ihr Herz ... ganz besonders gehangen hatte ... und den sie in ihrer damals ... fast geistigen Verwirrung ... ähnlich, wie nachträglich auch das unter so tragischen Umständen erfolgte Hinscheiden meines verhältnismäßig schon so früh, jedenfalls aber vorzeitig und noch in der vollsten Kraft seiner Jahre verblichnen Vaters ... als »Strafgericht Gottes« empfand!

ONKEL LUDWIG noch immer bei seiner »Eröffnung«; die Worte wollen ihm kaum durch die Kehle. Ihrem ... Sohn?? ... Ihrem eignen ... leiblichen ...

DUFROY wieder nickend; von neuem sich steigernd. Ihrem eignen ... leiblichen Sohn ... dessen ganzes Herz ... dessen erschrecktes Innre ... dessen letztes, menschliches Mitgefühl und Empfinden ...

ONKEL LUDWIG Geste; kläglich. Du ... darfst ...

DUFROY noch verstärkt; weiter. Sich weh und krampfhaft zusammenzog ... als er in jenem Augenblick so ... und auf diese Weise ... endlich ... den wahren, bittern, geheimen Grund erfuhr ...

ONKEL LUDWIG abwehrend-stehend. Du ... sollst nicht ...

DUFROY wie vorhin; auch jetzt noch in seinem Satz; seines endlichen, großen, elementaren Seelensiegs über ihn sicher. Der vor so vielen ... vielen, langen Jahren ... seinen armen ... längst verschollnen Bruder ...

ONKEL LUDWIG zuerst, wenn auch bereits etwas schwächer, noch wie vorhin,[598] dann umschlagend und mit plötzlich stürzenden Tränen. Du ... du ... du-du-du ...

DUFROY ergriffen; ihm mit beiden Händen Kopf und Schultern streichelnd. Lieber ... Ludwig! Lieber ... Bruder! Lieber ...

ONKEL LUDWIG dessen ganzer Körper noch zuckt. Und dich, dich hab ich damals ... als du mich in deiner so grenzenlos teilnahmsvollen, hochherzigen Benevolenz und Güte ...

DUFROY mild-ernst; mit dem Bestreben, alles »Vergangene« nun »vergeben und vergessen« sein zu lassen. So schmerzlich, so tief schmerzlich mich jene Abweisung von dir damals auch traf, ich habe sie dir nicht ... Aus den untern Räumen des Hauses plötzlich kurzes, schrilles Geklingel; Dufroy aufhorchend. Das Telephon!

ONKEL LUDWIG wie vorhin; nur noch gesteigert. Du so groß! Du so voll Liebe! Du so gerecht!

DUFROY bitter, fast schmerzlich. »Gerecht!«

ONKEL LUDWIG wieder beinahe schluchzend. Und ... ich ...

DUFROY das Geklingel noch stärker; auch Onkel Ludwig horcht diesmal auf. Schon wieder!

ONKEL LUDWIG noch nach der Tür rechts. Was die nur jetzt ... nachts ...?

DUFROY sich, leis unmutig, zusammenraffend. Nun! Wir werden ja ... jetzt bald von Georg ...

ONKEL LUDWIG auf sein durch Dufroy auch jetzt noch nicht erledigtes Thema wieder zurück. Du hast mir doch aber eben ...

DUFROY mit seinen Gedanken noch bei dem merkwürdigen Geklingel. Hm? ... Ja?

ONKEL LUDWIG noch mal entsprechende Geste nach der Ecke links zurück. Du hattest mir doch aber eben ... selbst gesagt ... daß mich die Beiden ...

DUFROY in seinem Satz, da Onkel Ludwig jetzt einen Moment stockt, unwillkürlich weiter. In ihrem trunknen ... achtlos unklug überstürzten ... zeit-, erd- und weltentrückten ...

ONKEL LUDWIG allernachdrücklichst, Dufroys von ihm so lange bestrittner Auffassung nicht mehr entgegentretend. Seelen- und Sinnenrausch ...

DUFROY eifrig. Gewiß! Freilich! Allerdings! Aber kaum ... Wieder entsprechender Blick nach der Ecke links zurück. kaum, daß die[599] aus ihrem mehr als ...Wahnsinn ... wieder in die Wirklichkeit und zu sich Gekommnen mit schauderndem Grauen und Entsetzen, während jedem das Herz bis an den Hals schlug, während keiner sich von seinem Platz und von seiner Stelle wagte, und durch die offne Tür ... Immer mit den entsprechenden Gesten. der matte, gräßliche ... gedämpfte Lichtschein fiel ... kaum, daß sie hier von dem einsam und verlassen nebenan Sterbenden den letzten, schwindenden Seufzer vernommen hatten, und alles ... auf einmal still geworden war ... als sie auch bereits beide ... ohne, daß einer dem andern das kleinste, geringste Wort gesagt, ohne, daß sie auch nur einen Blick gewechselt, ohne daß sie sich innerlich Rechenschaft ablegen konnten, weshalb, warum, wieso und woher ... als sie auch bereits beide ... mit lähmender Gewißheit ... mit absoluter, intuitiver Sicherheit und Bestimmtheit fühlten und wußten: sie waren die letzten ... fünf Minuten ... in diesem Raum ... nicht allein gewesen!

ONKEL LUDWIG der aufmerksamst und mit steigender Genugtuung ihm zugehört. Ich verstehe dann ... aber doch noch immer nicht ...

DUFROY noch nachdrücklichst-überzeugender. Daß grade du ... daß unglücklicherweise, beklagenswert ausgerechnet grade du ... daß grade dich der Zufall, ein rächendes Schicksal, oder, wenn du dies heute so willst, dein Verhängnis ... in jenem für mich jeder Benennung und Bezeichnung spottenden Entsetzensaugenblick in dies damals so gut wie dreiviertel dunkle Zimmer gelenkt und geleitet hatte ... diese Möglichkeit ... diese schaurige Ahnung, Annahme und Vermutung, war zwar allen beiden, blitzartig, schon sofort und gleich aufgetaucht, aber erst, als dann dein völlig verändertes Wesen ...

ONKEL LUDWIG sich verteidigend, in seine Atempause. Ich konnte doch nicht mehr die Beiden ...

DUFROY noch immer in seinem selben Satz, jeden Iktus schärfst betont. Und zwar bereits am nächsten Tag ...

ONKEL LUDWIG noch bestimmt-stärker. Ich konnte doch nicht mehr deinen Vater ... den ich vom ersten Moment ab, wo er in seiner jungen, unbekümmerten, alle Herzen für sich einnehmenden und bezaubernden, geistigen, körperlichen und seelischen Frische in[600] unser vorsintflutlich altbacknes, quietistisch quäkerhaft pietistisch angesauertes, griesgrämiges Hauswesen und Familienheim trat ... ich kann s ja jetzt sagen, aber auch justament und auf der Stelle geliebt hatte ...

DUFROY eingreifend, Geste. Auch mein Vater ...

ONKEL LUDWIG über seine Unterbrechung hinweg; in seiner Erinnrung an den Verblichnen mehr und mehr aufgehend. Unter dessen pädagogisch verständnisvoller Anleitung und Unterweisung ich, von Lektion zu Lektion fortschreitend, mit immer größrer Ehrfurcht, Lernfreude und Erkenntnisbegier, immer tiefer in die erhabne Welt des Wissens und der Diszipline drang ...

DUFROY leis wiegende, etwas ungeduldige, die drei Hebungen unterstreichende Kopfbewegung. Gewiß! Freilich! Ich weiß!

ONKEL LUDWIG wie vorhin; nur noch gesteigert. Im Winter die reichen, pietätvoll unten aufgespeicherten, unerschöpflichen Bücherschätze durchstöbernd und durchwühlend, die mein alter, bigotter, amusischer Vater am liebsten hätte einstampfen und verbrennen lassen, im Sommer ambulando hier am Schafgraben, im Schöneberger Busch und auf den Moabiter Judenwiesen die Wunder Gottes und der Natur bestaunend, und zu dem ich bis dahin und unterweilen empor- und aufgeschaut hatte, wie zu einem Gott ...

DUFROY in seine kurze Ergriffenheits- und Atempause; von neuem. Auch mein Vater, sei überzeugt ...

ONKEL LUDWIG der ihn nicht ausreden läßt; ihm seinen Satz schließend. Hatte meinen naiven, treuherzgen, rührenden Jungensenthusiasmus von seiner Seite zunächst und zuvörderst nicht ohne einge Erwidrung gelassen!

DUFROY der aus diesem Zugeständnis im Moment nur die Bitterkeit und die Ironie hört. Du kannst nicht nachträglich leugnen ...

ONKEL LUDWIG abwinkend, lebhaft. Gewiß! Stimmt! Was dann aber weder ihn, noch meine liebe Mutter auch nur im geringsten behinderte ...

DUFROY beruhigende, ihn wie beschwörende Geste. Du sollst sofort ...

ONKEL LUDWIG wieder, wie vorhin, noch in seinem selben Satz hartnäckig weiter. Mich schon, kaum, daß auf dem damals eben erst frisch angelegten Dreifaltigkeitskirchhof, dritte Reihe links, vor dem[601] knappemang grade fertig gewordnen, strahlend und goldprotzig mit dem dreieckig allwissenden Auge Gottes bemeißelten, großartig funkelnden Grabstein eines gewissen ...

DUFROY unterdrückt-ungehalten. Ja, wenn du nicht ...

ONKEL LUDWIG noch gesteigert. Hermann, Louis, Ferdinand Brodersen die ersten blauen Astern blühten, seinen bockbeingen, störrischen, widerspenstgen Sohn, mit dem hier zu Hause nichts mehr anzufangen und anzustellen war, kurzerhand, wie den ersten, besten, nichtsnutzgen, mißratnen, unverbesserlichen Tunichtgut und Taugenichts ...

DUFROY mit bereits leicht gekrauster Stirn. Aber so hör doch!

ONKEL LUDWIG der sich seinen »Faden« nicht abreißen läßt; seinen Satz mit empört sich beschwerendem Nachdruck schließend. Ins Internat des Grauen Klosters zu sperren! Und noch dazu, ohne dem so hyänen- und tigerherzig Ausgestoßnen zu gestatten, über die ihm nach allem menschlichen und göttlichem Recht doch eigentlich gar nicht zu verwehrende, angestammte, väterliche Schwelle auch nur noch ein einzges Mal seine verfemten Füße zu setzen! Drei Schläge der Kaminuhr.

DUFROY der kurz nach ihr hingeblickt; die etwas stark subjektive Darstellung des wieder ganz erregt Gewordnen berichtigend. Dein Exil, bitte, war ein unfreiwilliges ... doch wohl schließlich höchstens nur ... etwa bis zu deiner Primanerzeit!

ONKEL LUDWIG ergrimmt auffahrend. »Nur?!«

DUFROY sehr bestimmt; in seiner »Berichtigung« weiter. Dann weigertest du dich selbst, dieses Haus noch mal zu betreten, und nicht die ernsthaftesten Vorstellungen meines Vaters, nicht die wiederholt flehendlichsten Bittbriefe deiner Mutter ...

ONKEL LUDWIG erbittert; wieder dabei, wie nun schon so oft, nach der Ecke links zurück. Wo mich das edle Paar ...

DUFROY der seinem Blick gefolgt war; ihn unterbrechend; stutzig. Hast du dir nie ...

ONKEL LUDWIG wie vorhin; nur noch entrüsteter. Wo mich die beiden von mir in flagranti Ertappten ...

DUFROY ganz erstaunt-überrascht. Ich muß gestehn, es nimmt mich fast Wunder ...

ONKEL LUDWIG seinem, wie er glaubt, gerechten, nachträglichen Groll immer[602] mehr die Zügel schießen lassend. Erst, wie einen Auswürfling, oder räudigen Hund ...

DUFROY stark, nachdrücklichst; erst jetzt fähig, seine Gegenfrage, die sich ihm schon vorhin sofort auf die Zunge gedrängt hatte, über die Lippen zu bringen. Ist dir nicht wenigstens einmal in deinem Leben der Gedanke, Verdacht, oder Argwohn aufgestiegen ...

ONKEL LUDWIG ganz perplexverdattert. »Gedanke?« ... »Verdacht?« ... »Argwohn?«

DUFROY noch verstärkt. Daß weder mein Vater ... und nun gar schon noch viel weniger deine Mutter ... daß alle beide ... grade in ihrem Schuldbewußtsein ... sich damals wahrscheinlich unter keinen Umständen von dir getrennt haben würden, wenn nicht der Grund dazu ... aber auch der denkbar allerzwingendste gewesen wäre?

ONKEL LUDWIG ihn noch immer anstarrend. Schlag mich dot, aber ich verstehe von dem allen ...

DUFROY aufgestanden. Hm! ... Einige Schritte, nachdenklich, nach rechts, dann nieder nach ihm zurückgedreht. Dir ist es also wirklich ... nie aufgefallen ... du hast dir niemals darüber den Kopf zerbrochen ... du hast es immer für das Selbstverständlichste von der Welt gehalten und es als solches hingenommen ... daß ich nicht, wie du ... hier in Berlin ... sondern in einem ganz abenteuerlichen kulturfern versteckten ... seit zwei oder drei Dezennien eigentlich erst nur durch mich hie und da mal ephemer vorübergehend in das Bewußtsein einiger, vereinzelter, sich in ihrer Neugierde oder aus Güte persönlich für mich interessierender Zeitgenossen gerückten, obskuren, ich möchte fast sagen, gradezu unmöglichen Nest in den damals für das weitaus übrige Europa kaum bereits existierenden und auch heute noch so gut wie auf dem Mond gelegnen Pyrenäen meinen, wie ich das beruhigende, tröstliche Gefühl habe, jetzt glücklich auch von dir nicht mehr als gar zu besonders beneidenswert abgeschätzten Lebenslauf angetreten habe?

ONKEL LUDWIG »naiv«. Ja, wenn ihr doch aber alle drei damals grade zufällig ... Pferdegetrappel.

DUFROY ihn unterbrechend; wieder ähnlich, wie bereits vorhin, auf und[603] ab. Du hast mich ... zu meinem Leidwesen ... noch immer nicht ...

ONKEL LUDWIG ihm nachblickend, treuherzig. Ich kann mir, beim besten Willen, nicht vorwerfen, daß ich sonst ...

DUFROY Geste, wie ihn »tröstend«. Nun ... nimm s weiter nicht tragisch, und ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Auch ich hatte mich über diese Tatsache und dieses Faktum ... irgendwelchen Reflexionen und meditativen Betrachtungen nie hingegeben ... bis mir dann ... erst vor so relativ ganz kurzem ...

ONKEL LUDWIG der ihn beim besten Willen nicht kapiert; da Dufroy jetzt einen Moment stockt. »Erst vor ...?«

DUFROY sich zusammenraffend. Also damit du endlich alles ... Wieder stehngeblieben, ganz rechts, und zu ihm rüber. Sofort, nachdem du damals in dein Internat getan warst ... Mit einem schnellen Blick nach den Porträts. hatten sich die beiden ...

ONKEL LUDWIG unwillkürlich in seine Atempause; gespannt. »Die ... beiden?«

DUFROY nickend; in seiner Aufklärung weiter. Nach Italien, Spanien und Südfrankreich, auf eine mehrjährige Reise begeben ...

ONKEL LUDWIG dem das Wort der Verwundrung in der Kehle stecken bleibt. »Auf ...?«

DUFROY noch energisch-bestimmter; jede weitre Zwischenfrage damit abschneidend. Auf eine mehrjährige Reise, und ich bin nicht, wie dies in allen Lexicis, meinen Personalakten, sowie sämtlichen, mich betreffenden Zivilstandspapieren steht, und, wie ich das, völlig ahnungslos, fast mein ganzes Leben lang, natürlich ebenso auch selbst angenommen und geglaubt habe, »im großen Revolutionsjahr achtzehnhundertundachtundvierzig geboren«, sondern ...

ONKEL LUDWIG ganz verblüfft. »Sondern?«

DUFROY: Sondern bereits ... Abbrechend und von neuem. Es kann dir ja jetzt keine Mühe mehr machen, dir das Exempel ...

ONKEL LUDWIG von seinem Erstaunen wieder zu sich kommend. Dann ... war das doch aber ... Marianne in diesem Augenblick, wie von etwas gequält und bedrückt, tiefst aufatmend.

DUFROY ganz verstört nach ihr hin. Hast du ... gehört?

ONKEL LUDWIG ähnlich. Das klang ja ...

DUFROY noch immer, wie angewurzelt, auf seinem Platz. Wie der schwerste Seufzer![604]

ONKEL LUDWIG noch überrascht-verwunderter. Als ob sie ... Von ihr zu Dufroy rüber. Deine inkriminierende ...

DUFROY erst jetzt auf sie zu; die Rechte gegen die Rücklehne, die Linke auf die Armlehne gestützt; besorgt-forschend gedämpft. Marianne!

ONKEL LUDWIG der beide beobachtet. Sie ... schläft!

DUFROY sich aufrichtend; zu Onkel Ludwig rüber; von dem konstatierten Befund wieder wie vollständig beruhigt. Sie schläft ganz fest! Auto.

ONKEL LUDWIG das unterbrochene Thema wieder aufnehmend; bedenklich. Dann ... war das doch aber damals ... gewissermaßen, wie gesagt ...

DUFROY der sich wieder gesetzt hat; die Rechte, wie besänftigend, auf Onkel Ludwigs Knie. Nachdem die erste, unmittelbare Folgeerscheinung aus jener unheilvollen Entsetzensnacht ... sich sehr bald darauf ... Einen kleinen Moment unwillkürlich zaudernd, dann um so rückhaltslos-deutlicher. unmißverständlich bemerkbar gemacht hatte, war ein derartiges Arrangement ...

ONKEL LUDWIG dem jetzt endlich ein »Talglicht« aufgeht; mit dem rechten Mittelfinger sich vor die Stirn tippend. Ach so, nu ...

DUFROY bestätigende, zustimmende Kopfbewegung; unterstrichen. Das Einzige, was meinen Eltern, auch schon allein mit in deinem Interesse, übrig geblieben war!

ONKEL LUDWIG ähnlich wie vorhin. Nu und allmählich ...

DUFROY zurückdämmende, einschränkende Geste; von neuem. Nur glaube nicht ...

ONKEL LUDWIG noch immer bei seinem »Talglicht«. Also darum ...

DUFROY noch verstärkt, in seinem selben Satz weiter. Daß dann diese Ehe ... dieser Bund nicht bloß zweier Menschen ... sondern auch zweier Herzen ...

ONKEL LUDWIG dem jetzt allmählich wieder die Worte kommen. Und von all diesen Kabalen ...

DUFROY wie vorhin; immer nachdrücklicher. Den letzte Liebe und Leidenschaft geschlossen ...

ONKEL LUDWIG noch gekränkt-entrüsteter; in seiner Parallellinie. Von all diesen Umtrieben ... hab ich bis zu diesem Momang ...

DUFROY über seine Unterbrechungsversuche hinweg; den ganzen betreffenden[605] Vergangenheitsausschnitt, wie er sich tatsächlich damals geformt und gestaltet hatte, mehr und mehr aufrollend. Es war, als ob zwischen die beiden ... die sich in aller Herrlichkeit, Schönheit und Wunderpracht des Südens, der sie umgab, wie zwei Geächtete und Verstoßne vorkamen ... durch den unglücklichen Doppelzufall Wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Ecke links zurück. jener Nacht ... deren unaussprechbar namenlose Schauer, Schauder und Schrecken sich unverwischlich, immer tiefer, auch in ihre Seelen gegraben hatten ...

ONKEL LUDWIG der ihm fast »mit offnem Mund« zuhört; ganz ungläubig-überrascht. »Auch in ...?«

DUFROY noch stärker. Auch in ihre Seelen ... ein schwerer, dunkler, rächender, sie mehr und mehr voneinander trennender, unheimlich drohender Schatten gefallen war!

ONKEL LUDWIG von all diesem ihm »Neuen« noch ganz überrumpelt. Und ich ... hatte ... gedacht ...

DUFROY in seiner Aufrollung weiter. So wenig sich aus diese Weise die beiden dort unten wahrscheinlich auch nur die kleinste Sekunde lang heimisch und wohl gefühlt hatten ... ich glaube dennoch, sie würden sich zu dem Entschluß, hierher und in dieses Haus wieder zurückzukehren, trotzdem nie durchgerungen haben, wenn nicht damals meines Vaters mit grundlegende Arbeit für die neuere Geologie »Über den Aufbau der iberischen Alpen«, die ihm so schnell einen bedeutenden Ruf verschafft hatte ...

ONKEL LUDWIG unwillkürlich anerkennend. Das muß man ja ...

DUFROY dem dieser Respekt vor seinem Vater, als für ihn nur ganz natürlich und selbstverständlich, nicht weiter auffällt; erst jetzt seinen Satz schließend. Noch im selben Jahr ihres Erscheinens seine hiesige Nomination veranlaßt hätte!

ONKEL LUDWIG alles, was er über diesen »Hohlkopf« zu Marianne bisher gepoltert, damit, wenn auch nur vor sich selbst, »redressierend und zurücknehmend«. Ich habe ihn schon immer ... zum mindesten ...

DUFROY ihn nicht erst ausreden lassend; in seiner Aufrollung mit jedem neuen Detail immer interessierter und lebhafter. Es kam, wie sie es beide vorausgeahnt hatten! Der starrsinnige Trotz, die gradezu offen herausfordernde Art, mit der du meinem Vater ...[606] Mutter traute sich schon erst gar nicht mehr, dir gegenüberzutreten ...

ONKEL LUDWIG empört. »Traute?«

DUFROY sich unterbrechend; auf den Protest des mit einmal wieder ganz Erbitterten nicht ohne eine gewisse, vorwurfsvolle Verwundrung, eingehend. Oder kannst du dir ihren damaligen Seelenzustand, diesen aus Furcht, Scham, Scheu, Angst und letzter, zitterndster, mütterlichster Liebe zu dir ...

ONKEL LUDWIG noch ergrimmter. »Liebe?« Wo sie dann in ihrem falschen, verletzten, eitlen Hochmut und Stolz ...

DUFROY noch verwundert-vorwurfsvoller. Nachdem du alle ihre Annäherungsversuche bis dahin, ihre reichen Gaben und Geschenke, regelmäßig ...

ONKEL LUDWIG hartnäckigst; von seinem auch jetzt noch unversöhnlichen Groll kein Jota zurücknehmend. Sie hätte doch ... Sie hätte zu ihrem armen, gefährdeten, schon so frühzeitig durch sie und ihre eigne Schuld aus all seinen Kindheitshimmeln gerissnen, verbissnen und verbiesterten Jungen ... Sie hätte ...

DUFROY Geste; ihn wieder beruhigend. Ich kann und will ... über meine Mutter nachträglich nicht rechten! Ich klage dich absolut nicht an! Aber der erbitterte Abscheu, der einfach beleidigende, verächtliche Haß, mit dem du dich durch deine beharrliche Weigrung, deine »verfemten Füße«, wie du dies eben nanntest ...

ONKEL LUDWIG erst jetzt, zum erstenmal, etwas benaut und mit einer kleinen, bedauernden Nüance ins Weiche. Ich seh das ja heut ...

DUFROY anklagend, fast schmerzlich. Je wieder ...

ONKEL LUDWIG da Dufroy, von seinem eignen Ton gepackt, sich jetzt einen kurzen Moment wieder unterbricht; reumütig. Ich hab mir das schon oft ...

DUFROY in seinem selben Satz, nur noch verstärkt, weiter. Mit deinen siebzehn Jahren ... unverhohlen, unumwunden und unverstellt, auf immer von beiden lossagtest ... traf meinen Vater ... dessen vordem so sonniger Frohmut längst ... einem gewissen, tiefen, innern Ernst ... und einer ... bei seinem ja damals ... noch gradezu fast jugendlichen Alter, doppelt auffälligen, seltsam resignierten, melancholischen Herbheit und Strenge gewichen ... Kleine instinktive Effektpause; langsam. bis ins Herz ...[607]

ONKEL LUDWIG fast zurückgeprallt; ganz betroffen. »Bis ins ...«

DUFROY noch immer sich steigernd; die Wirkung, die seine Worte auf den, wie er jetzt sieht, allmählich empfänglich Gewordnen machen, fortwährend und mit Absicht vertiefend. Bis ins Herz ... und mir scheint ... als hätte ausschließlich hierin ... als hätte lediglich in den Folgen dieser ... ihn bei seiner für alle Eindrücke, positive wie negative, gleich offnen und empfänglichen ... mimosenhaft zartsinnigen Feinfühligkeit und Empfindlichkeit ... notwendig auf das Schwerste und Nachhaltigste kränkenden Demütigung und Herabsetzung vor sich selbst ... als hätte allein ... oder doch wenigstens mit abschließend in diesem einen Erlebnis, dessen lähmend niederdrückende Nachwirkungen er nie mehr in sich verwand ... der eigentliche Grund und die letzte, ausschlaggebende Veranlassung und Ursache gelegen, daß allen Bemühungen deiner Mutter zum Trotz, ihn seiner ursprünglichen Lebenszuversicht und seinen früher so hochgespannten Zukunftshoffnungen wieder zurückzugeben, auch seine rein wissenschaftliche Laufbahn, die so glänzend verheißungsvoll begonnen hatte, plötzlich jäh stockte, und wesentlich Neues ...

ONKEL LUDWIG wehmütig nickend; ihm seinen Satz, da Dufroy einen Moment wieder stockt, unwillkürlich beendend. Nicht mehr seiner Feder entfloß!

DUFROY in seiner Erinnrung an den Verblichenen von der plötzlichen Wehmut Onkel Ludwigs fast wider Willen etwas angesteckt. Sein gelehrtes Ansehn war zwar das gleiche geblieben, die allgemeine Beliebtheit, deren er sich erfreute, namentlich auch in seinem engeren Wirkungs- und Kollegenkreise, womöglich noch gewachsen ... Geste, Achselzucken. und doch ... Auto.

ONKEL LUDWIG immer zerknirscht-reuiger und weicher. Grade dies Versagen, dies auf einmal fast völlige Versanden und Versiegen eines lebendig sprudelndsten Quells, aus dessen aganippisch hippokrenischem Gewässer ich schon von meinem neunten Lebensjahr ab ...

DUFROY einfallend und in seinem Satz weiter. Hatte dich dann später ... bedauerlicherweise, wie ich glaube ... bewogen, deine Habilitierung ... oder doch wenigstens den Versuch dazu ...[608]

ONKEL LUDWIG durch diese Vorhaltungen »ganz unglücklich«; noch kläglicher. Ich räums ja ein, ich konzediere! Ich hätte mein dummes »Gelöstes Welträtsel, oder der durchhaune Gordische Knoten«, dies verunglückte, siebzehnbeinige Monstrum, an das ich schon damals nicht recht glaubte ... nicht expreh und expreß ... bloß, weil es mich tickte, mit meinem bunten Aberwitz vor deinem Vater zu paradieren ...

DUFROY ihn unterbrechend; einen Moment wieder, ohne daß er sich dagegen wehren kann, fast hart. Der Streich ... den du ihm damit, ohne es zu wissen, gespielt und ... versetzt hattest, ... war ... ich entsinne mich noch ganz genau ... ich ging damals in die Tertia des Französischen Gymnasiums und kam grade mit meinem Bücherränzel nach Hause, als mein Vater ... meiner Mutter ... kurz, knapp und sachlich ... deine vor kaum einer halben Stunde durch ihn persönlich, amtlich und selbst erfolgte Ablehnung und Zurückweisung mitteilte ... dein Streich ... war .... laß mich es dir glatt und direkt heraussagen ... dein Streich ... Wieder jetzt, unwillkürlich, bevor er seinen Satz beendet, kleine Effektpause. war ein tödlicher!

ONKEL LUDWIG zurückgeprallt. »Ein ...?!«

DUFROY noch mal, allernachdrücklichst. Ein tödlicher!

ONKEL LUDWIG ganz entsetzt nach Marianne rüber, die in diesem Augenblick von neuem und noch tiefer aufgeseufzt. Schon ... wieder!!

DUFROY kaum flüchtig nach ihr rüberblickend; durch seinen eignen Bericht zu aufgewühlt und überwältigt. Glaube nicht ... daß sie von dem ... was ich dir hier erzähle ...

ONKEL LUDWIG sich allmählich wieder sammelnd. Dein ... Vater ... starb doch aber erst ...

DUFROY seinen Einwand ihm zugebend, in seinem selben Satz weiter. Rund drei Quinquennien später, nachdem er immerhin noch die Freude erlebt hatte, mich unter seinem eignen Rektorat ...

ONKEL LUDWIG auf seine betreffende, allergenauste Erinnrung sich hartnäckigst kaprizierend. »One of the most celebrated German scholars fallen without a guide on a scientific expedition in the High Pyrenees!« Las ich damals selbst ...

DUFROY die tatsächliche Richtigkeit jener alten Preßnotiz ihm bestätigend; dann aber sofort und mit noch erhöhtem Nachdruck von[609] neuem. »Einer der gefeiertsten deutschen Gelehrten auf einer wissenschaftlichen Studienfahrt führerlos abgestürzt in den Hoch-Pyrenäen!« Und die fünfzehn Jahre, die dazwischen gelegen hatten ... ich kann das in meiner Rückerinnrung heute vollkommen verfolgen und aus meiner Seele verstehn ... ein einziges, sich steigerndes, heimliches Märtyrertum, das einen andern Abschluß, als diesen ...

ONKEL LUDWIG ganz konsterniert ihn noch nicht begreifend. »Als ...?«

DUFROY noch versichernd-bestimmter; in seiner wieder permanenten Steigrung nicht einen Augenblick lang nachlassend. Als diesen, wenn man alle Faktoren erwägt, wenn man davon überzeugt ist und zugibt, daß ein hochgemuter Mensch, der vor seinem entscheidend Innersten, und sei dies auch nur einmal, den kläglichsten, jämmerlichsten Schiffbruch erlitten, ohne die letzte Achtung vor sich selbst auf die Dauer das Leben nicht mehr ertragen kann, wenn man von der zwingend sich abrollenden, notwendigen Gesetzmäßigkeit nicht bloß alles physischen, sondern auch alles psychischen Seins und Geschehns absolut durchdrungen ist, das einen andern Abschluß, als diesen ... überhaupt gar nicht hatte finden können!

ONKEL LUDWIG schwer; mühsam; in gespannt- angstvoller Erwartung. Du ... sprichst ja ... als ob dein Vater ...

DUFROY ihm seine Frage, in diesem Moment gradezu grausam, nicht erleichternd. Als ob ... mein Vater ...?

ONKEL LUDWIG die Kehle halb zugeschnürt. Als ob ... jener ... Absturz damals ...

DUFROY fast wie in nachträglicher Rache und in sich sättigendem Triumph. Das freiwillig über sich selbst verhängte Ende einer Existenz war, deren bisdasiger Inhaber ...

ONKEL LUDWIG unter der Wucht dieser Eröffnung wie zermalmt; entsetzt-jämmerlichst sich überkieksende »i«-Laute. Und ... ich ...?! Ich soll ...?!! Ich ...?!!!

DUFROY in seiner Aufrollung, unbarmherzig, weiter; ja, in gewissem Sinne, eigentlich überhaupt erst jetzt recht einsetzend. Als mein Vater mit jener Ablehnung und Zurückweisung deiner Schrift ... über die du eben selbst das treffendste Urteil abgegeben ... doch weiß Gott nichts andres und nichts weitres, als seine einfachste,[610] simpelste Pflicht und Schuldigkeit getan und erfüllt hatte, war es deine Mutter, die ihm diese Handlungsweise, aus auf einmal plötzlich nachträglich höchst überbetonter und, wie es mir dunkel fast schon damals schwante und vorkam, grade bei dieser Gelegenheit und in diesem Augenblick recht deplaciert und überflüssig hervorgekehrter Über-Liebe zu dir ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Mich überläufts, mir krampft sich noch heute alles zusammen, wenn ich an jenen Auftritt ... wenn ich an die unverantwortlich ungerechten, unbilligen, maß- und sinnlosen Anschuldigungen, Vorwürfe und Vernunftwidrigkeiten denke, mit denen sie damals meinen Vater ... und zwar noch dazu in meiner Gegenwart ... Wie vorhin. Er sprach kein Wort, ließ ihren Schwall über sich ergehn und blickte mich nur die ganze Zeit, während ich zitternd in eine Fensterecke gedrückt, vor Entsetzen und Scham fast verging ... während dicke Tränen mir die Backen runterrollten und Mutter in ihrer exaltierten, wachsenden Raserei und Unzurechnungsfähigkeit meine Anwesenheit ganz und gar vergessen zu haben schien ... Einen kurzen Moment jetzt, unwillkürlich, wieder nach dem Porträt links. mit seinen großen, graublauen Augen, deren du dich noch erinnern wirst ...

ONKEL LUDWIG aus dessen wie gewürgter Kehle sich nur noch ein ersticktes Schluchzen ringt. Hhh!!

DUFROY sein »Schwert« ihm immer tiefer bohrend. Und die einem, wenn er wollte ... bis ins letzte Herz drangen ...

ONKEL LUDWIG noch qualvoller als vorhin. »Bis ...«

DUFROY fest, mit von neuem sich steigerndem Nachdruck. Unverwandt an! ... Und dieser Blick ... der in mir unerloschen bleiben wird ... bis zu meinem letzten Tag und bis zu meinem letzten Atemzug ... heute weiß ichs: in ihm ... sammelte sich damals eine Kraft ... mit ihm ... formte sich damals ein Entschluß ... aus ihm ... sprach damals ein Gelöbnis!

ONKEL LUDWIG der ihn voll verstanden; während die Uhr in diesem Augenblick elf zu schlagen beginnt; ergriffen-feierlich. Seinem Jungen ... zu helfen ... für ihn ... auszuharren ... und nicht eher abzuscheiden ... als bis ...

DUFROY in das Verklingen des letzten Schlags; noch fester. Ja! ... Und[611] diese Kraft ... hat mein Vater dann besessen ... diesem Entschluß ... ist er treu geblieben ... und dieses Gelöbnis ...

ONKEL LUDWIG nickend; ganz geknickt-erschüttert. Hat er gehalten!

DUFROY stolz; wie unter das Gedächtnis des freiwillig aus seinem Erdendasein Gegangnen den schönsten Ehrenkranz hängend. Nobel, selbstlos und großgesinnt, trotzdem alles seit jenem ersten, trüben Bitterkeitstag, der der traurigste und kummervollste meiner dann nicht mehr allzu fröhlichen Kindheit war, dazu einladend, verführend und angetan gewesen wäre, ihn zu bestimmen, sich seinen Tod und damit seine Erlösung ...

ONKEL LUDWIG nach dem Porträt rechts halb zurückgedreht; aus empört-tiefster Bitterkeit. So ...

DUFROY aufgestanden und sich wieder in Bewegung setzend; erst jetzt seinen Satz schließend. Schon um zwei oder drei Lustren früher zu gönnen!

ONKEL LUDWIG ähnlich wie vorhin; nur noch gesteigert. So ... furchtbar ... so ... über alle Begriffe ... un-menschlich ... und entsetzenserregend ...

DUFROY rechts, vorn, wieder stehngeblieben und zu ihm rüber. Ahnst du ... bist du dir darüber klar ... hast du dir je auch nur die geringste, bescheidenste, kümmerlichste Vorstellung davon gemacht ... was und wie eine Wieder mit einem unwillkürlichen Blick nach dem Porträt rechts hoch. Frau ... die in ihrer Seele eine Schuld fühlt ... die vor sich selbst zugeben muß, daß sich diese durch nichts wieder gut und wett machen läßt ... und die nicht steinherzig und abgebrüht genug ist, gleichmütig und kaltblütig, innerlich über sie hinwegzutänzeln ... womit und wodurch ... eine solche Frau einen Mann ... der ihre Schuld teilt ... wenngleich ... nur sie ... sie ganz allein es gewesen war ... die ihn dazu angereizt, aufgestachelt und provoziert hatte ... so daß ihre Schuld ... noch zehntausendmal größer als seine war ... bis zu welchem Grade eine solche Frau einen solchen Mann ... der schon sofort ... Entsprechende, verdeutlichende Geste nach der Ecke links rüber. kaum, daß der erste Rausch verflogen und auch bereits gleichzeitig eine rächende, unerbittliche Nemesis schwer ihre schwarzen, ehern klirrenden Flügel hob ... Auto. all ihrer elementar ehrlich aufrichtigen[612] Leidenschaftlichkeit und Liebe zu ihm zum Trotz, während ihre Fibern noch brannten, ihre Adern noch jagten, und ihre Pulse noch flammten und flogen, in ihrer tumultuarisch erregten, vollständig in die Irre geleiteten, übererhitzten Einbildung und Phantasie, neben ihr, finster, wie ein gespenstisch drohender, unheimlich anklägerischer, lebendig atmender Vorwurf und Schatten stand ... der ihr dann später ... durch eine unglückliche Komplikation, in der er anders, als er gehandelt hatte, überhaupt gar nicht hatte handeln können ... eine für das oberflächlichste, flüchtigste Zusehn allerdings scheinbar gerechtfertigte Handhabe, in Wahrheit und Wirklichkeit aber nur einen höchst bequemen, ihr allem Vermuten nach wahrscheinlich sogar ganz außerordentlich gelegen und zu paß gekommnen Scheingrund und Vorwand geliefert hatte, ihm das, was sie von all den schweren, traurigen, beschämend niederdrückenden Folgen ihres damals von ihnen gemeinsam begangnen Verbrechens beide als die bitterste, tragischste und unentschuldbarste empfanden ... daß du dich, mit Recht empört, von ihnen abgewandt, daß es von dir zu ihnen keine Brücke mehr gab und daß dein schließlich spurloses Verschwinden und Fortgehn auf Nimmerwiederkehr jede Hoffnung auf eine sonst ja vielleicht immerhin noch möglich gewesne Versöhnung zwischen euch für dieses Leben und diese Welt endgültig grausam und für immer vernichtet hatte ... ihm jetzt nachträglich mehr und mehr ganz allein aufzubürden, zur Last zu legen und in die Schuhe zu schieben ... und den sie dann so ... bei seiner mit den fortschreitenden Jahren nicht bloß für ihn, sondern auch bereits für seine weitere Umgebung immer auffälliger und fühlbarer werdenden Gemütsumdüstrung, die ihn allmählich ganz auf sich selbst isolierte, in seiner männlich graden, nichts sich verbergenden, nichts sich sparenden und schenkenden, duldsam nachsichtigen Generosität, gegenüber ihrer weiblich rücksichtslosen, vor keinem Affront zurückschreckenden, ihren vordem und ehemals so über alle und alles Geliebtesten zum Teuflischsten aller Teufel stempelnden, von Tag zu Tag immer instinktsichrer, methodischer und zielbewußter vorrückenden, robusten Sichselbstverenglung, zuletzt vollkommen wehrlos und[613] widerstandsunfähig ... zuckend in ihren Krallen hielt ... Nicht mehr imstande seinen Satz, den er mit wachsender, flammender Energie und Leidenschaft bis zu diesem schwindelnden Gipfel geführt, zu vollenden.

ONKEL LUDWIG der ihn mit groß aufgerissnen Augen solange anstarrt. Du ... malst mir ... ein Bild ...

DUFROY wieder fest, seinen Blick ihm zurückgebend. Das ich, nichts beschönigend, nichts hinzufügend und nichts weglassend, Zug für Zug meinem, wie ich glaube, auch nach dieser Richtung ziemlich verläßlichen Gedächtnis entnehme!

ONKEL LUDWIG noch immer an seinen Lippen hängend; beide haben die Kranke in der außerordentlichen Erregung, in der sie sich befinden, wie es scheint, vollständig vergessen. Und dann ... dann ... dann ... hast du es ... über dich gebracht ...

DUFROY ergrimmt nickend; mit in ihm noch nachzitterndem Zorn. Über mich gebracht! Ja!!

ONKEL LUDWIG wieder wie vorhin, nach dem Porträt rechts zurück. Diesen ... Wehrwolf und ... Hexendrachen ...

DUFROY noch stärker. Ja!! ... Ja!!!

ONKEL LUDWIG noch mal. Diese ... Harpyie ...

DUFROY einen Moment wieder, ganz erstaunt-verblüfft, nach Marianne rüber, die in diesem Augenblick von neuem, und zwar diesmal zweimal, aufgeseufzt hat. M!

ONKEL LUDWIG kopfschüttelnd-ähnlich. Sonderbar!

DUFROY mit sich ringend; in seiner unterbrochen Linie weiter. Es ist ... für uns Menschen untereinander ... besser ...

ONKEL LUDWIG ironisch-grimmig. Daß wir, karpfenfromm, kalbsgeduldig und blümchenvergnügt, wie der heilge Franz von Assisi ...

DUFROY seinen Satz ihm wieder abnehmend und dessen ursprünglichen Ideeengang mit denkbar allerstärkstem Nachdruck wiederherstellend. Oder einer jener zehn- oder hunderttausend andern großen Außerordentlichen und Bekenner ... Gewiß!

ONKEL LUDWIG protestierend-empört; zweite Silbe lang und betont. Na da ...

DUFROY der als Mensch und Charakter noch immer fortwährend wächst; Stellung, auch jetzt noch, wie vorhin. Oder glaubst du, ich war damals ... Mutter ... mit der ich nur noch oberflächlich harmonierte ... Auf eine wieder unwillkürlich stutzende Geste[614] Onkel Ludwigs, noch verstärkt. nur noch oberflächlich, wenn auch die äußere Form unsres Verkehrs die scheinbar vertraulich herzlichste geblieben war ...

ONKEL LUDWIG verbissen-höhnisch. Sieh! So!

DUFROY in seiner Neuaufrollung, die ihn und Onkel Ludwig genau so bewegt und packt, ja vielleicht noch stärker, als die kaum eben erst vorausgegangne, von diesen zwei Silben kaum unterbrochen, weiter. Mutter saß mit mir grade unten im Gartensaal ... der alte, kleine, dir, wie ich weiß, immer so ganz besonders lieb gewesne Tritonen-, Putten- und Najadenspringbrunnen in dem brütenden Augustnachmittag draußen plätscherte ... wir sprachen ... ich erinnre mich noch fast an die einzelnen Worte ... über mein bevorstehendes, erstes Winterantrittssemester ... als unser damaliger Diener »Auguste« ... Mutter liebte es nicht, ihre Domestiken aus Parchim, Perleberg oder Pasewalk zu beziehn ...

ONKEL LUDWIG noch immer ganz knurrig-stachlich. Nöhnöh!

DUFROY wieder noch verstärkt. Als dieser Unvergleichliche aus Yvetot in Wadenstrümpfen mir auf seinem silbernen Tablett ... Den betreffenden Vorgang durch Miene und Haltung unwillkürlich markierend. Für mich ... eine Karte? ... »Le Baron d'Héricourt, Attaché à l'Ambassade de la République Française!« Ein fabelhaft signierter ... mich durch seinen ... solenn feierlich zurückhaltenden Ernst in Haltung und Miene ... fast schon auf der Türschwelle ... festwurzelnder Herr ... der mich bereits nach wenigen, bewegten Worten ... die die Trauer und das Beileid des französischen Volkes ausdrückten ... Den Rest ... hörte ich nur noch, wie im Traum! ... Letzte, sich wieder permanent höher schraubende Steigrung. Mein Vater ... an dem mein ganzes Herz gehangen ... der uns vor kaum erst fünf Tagen verlassen ... und mit dem ich noch mindestens gut ... zwanzig Jahre ... eines gemeinsamen ... Wirkens und Strebens erhofft hatte ... mein Vater ... mit zerschmetterten Gliedern aufgefunden in der Rolandsbresche ... unter einer tausend Fuß hohen Felswand ... des Mont Perdu!

ONKEL LUDWIG der ihm fast atemlos gelauscht. »Des Mont ...«

DUFROY wieder, erregt, auf und ab. Glaubst du ... ich war damals ...[615] und in jenem Augenblick ... nicht beinah und in einem Haar drauf und dran ... die vielleicht noch nicht fünfundzwanzig Schritt ... nach dem Gartensaal nicht erst wieder zurückzukehren ... sondern es sofort und auf der Stelle genau so und ebenso zu machen, wie du ...

ONKEL LUDWIG der ihm mit steigendem Erstaunen und wachsender Ergriffenheit nachgeblickt. »Wie ...?«

DUFROY wieder stehngeblieben und nach ihm zurück. Wie du ... dies damals schon fünfzehn Jahre vorher ... vorher ... und früher getan?

ONKEL LUDWIG kaum fähig, die paar Laute über seine Lippen zu bringen. Du ... hattest ...?

DUFROY seine innere Erregtheit, die ihm noch aus jedem Nerv zuckt, mit aller Gewalt wieder in sich niederdämpfend. Wenn je ... und überhaupt in meinem Leben mir etwas anzurechnen war ... und ich vielleicht ... nur deshalb nicht ganz mit unter den großen Klüngel gehöre ... so war es die Kraft ... mit der ich mich damals ... Sich unterbrechend und sofort wieder weiter. Ich riß mich zusammen ... und als ich dann aus der Treppenvorhalle durch den Empfangsraum wieder das Chinesische Zimmer passierte ... sah ich ...

ONKEL LUDWIG ganz erwartungsvoll-gespannt. Du ... sahst ...?

DUFROY von neuem auf und ab. Sah ich ... Kurz, stärkst. daß ich recht gehandelt!

ONKEL LUDWIG ihm wieder nachblickend. Daß du ...?

DUFROY sich mehr und mehr wieder sammelnd; das Vergangne jetzt, fast ebenso wie für Onkel Ludwig, für sich selbst reproduzierend. Mutter ... die, trotz ihrer damals bereits Neunundfünfzig, sich doch ... nach jeder Richtung und in jeder Beziehung ... immer noch vollkommen aufrecht erhalten hatte ... die ... wie es schien ... von einer dunklen Angst und Ahnung getrieben ... mir auf dem Fuße gefolgt war und also alles ... gehört haben mußte ... Mutter ... stand vor mir da ... durch diese kaum sieben Minuten ... um Jahre gealtert ... und aus ihren qualverzerrten Zügen ...

ONKEL LUDWIG in seine Atempause; kurzer, nach innen gezogner, noch immer halb höhnisch-grimmig, fast wie befriedigter Laut. Höh?[616]

DUFROY wie noch jetzt darunter leidend und davon gequält. Sprach ein so abgrundtiefer Jammer, ein so hilflos ringendes Elend, eine so verzweiflungsvolle Not ...

ONKEL LUDWIG ähnlich wie vorhin; nur um eine kleine Nüance bereits nachdenklich-gepackter; zweites »a« kurz und betont. Chaja! Wenn einem so ...

DUFROY auf sein Dazwischenschiebsel gar nicht achtend; konzentriert. Daß meine ganze, empörte, gerechte Auflehnung und Entrüstung ... daß mein Grimm und mein Groll ... daß meine Rachsucht ... die sich bereits wie eine erbitterte Bestie ... Plötzlich von neuem nach Marianne rüber, die in diesem Augenblick in ein kurzes, unterdrückt-konvulsivisches Schluchzen ausbricht; beunruhigt-mißtrauisch. Diese ... merkwürdige, ... innre Anteilnahme ... mit der sie unser Gespräch ...

ONKEL LUDWIG ebenfalls nach ihr hin; mit aller Energie, der er in diesem Moment noch fähig ist, gegen eine solche Ausdeutung sich zur Wehr setzend. Es ist doch ... aber ganz ausgeschlossen, daß sie ...

DUFROY schon wieder in Bewegung; fast unwillig. Selbstverständlich! ... Seit jenem Moment ...

ONKEL LUDWIG da Dufroy, noch nicht ganz wieder gesammelt, eine Sekunde lang wieder stockt. »Seit ...?«

DUFROY von neuem; verstärkt. Seit jenem Moment ... in dem die falsche, verlogne, künstliche Gloriole, mit der sie so lange mühsam ihr magdalenisches Haupt umwunden und geschmückt hatte ... einer wahrscheinlich plötzlich tiefsten, menschlichen Selbsterkenntnis gewichen war ... in dem ihre Augen bettelten ... »laß mich nicht ganz allein ... geh nicht jetzt auch von mir ... verzeih« ... in dem wir uns, wortlos ... über alles, was uns bis dahin feindselig getrennt hatte ... verstanden und ... verständigten ...

ONKEL LUDWIG wieder in seine Atempause und noch mal, unwillkürlich, nach dem Bild hin; widerstrebend-zögernd. Dann ... war sie ja ... wohl schließlich doch ...

DUFROY abermals wieder stehngeblieben und zu ihm rüber; noch immer in seinem selben Satz; letzter, wuchtigster Nachdruck. Von jenem Tag ab ... bis zu dieser Sekunde und bis zu diesem Augenblick ... wo sie unter der schweren, grausam strafenden Bürde[617] ihrer hohen, auf sie lastenden Jahre gebeugt ... noch völlig ahnungslos, was uns die letzten Stunden an neuer Sorge, an neuem Kummer und an neuer Trübsal gebracht ... sicher, wie immer um diese Zeit ... unruhig, unstät und schlaflos ...

ONKEL LUDWIG ergriffen vor sich hin. »Schlaflos ...!«

DUFROY der jetzt elastisch in den Erkerbau tritt, wo er die Draperie vor der Balkontür mit einem Ruck seiner Rechten weit zurückschlägt. Willst du dort ... bitte, sehn?

ONKEL LUDWIG der gar nicht erst wagt, sich auf seinem Stuhl, in dem er immer kläglicher zusammengesunken ist, überhaupt auch nur umzudrehn; abwehrend-jämmerlich. Die hellen drei Fenster ... die mich schon manchmal ...

DUFROY die Draperie wieder fallen lassend. Und die auch heute wieder ... vor morgen früh ...

ONKEL LUDWIG immer weicher und rührseliger. Ich ... habe mir oft ...

DUFROY wieder in den Vordergrund. Kann Reue und Selbstverdammung ... kann Einkehr und Umkehr ... kann aufrichtige Buße ...

ONKEL LUDWIG ganz gedeppt. Das sag ich ja auch! Das ...

DUFROY noch stärker; jetzt wieder, ähnlich wie vorhin, vor ihm rechts. Ein halbes Leben in Schuld verbracht ... wieder sühnen und gut machen ... unsre alte Mutter drüben ...

ONKEL LUDWIG melancholisch nickend. Unsre alte Mutter drüben ...

DUFROY letzte, ihm ins Gewissen redende Eindringlichkeit und Kraft. Hat ihre Verfehlungen und Irrtümer, hat ihre Abirrungen und Vergehn, hat ihre Pflichtvergessenheit und ihr Unrecht, indem sie ihrer Herrschsucht entsagte, ihren Stolz demütigte und ihre Eigenliebe kasteite ... du magst sagen, was du willst ... seit Jahr und Tag längst und bis auf den letzten Rest, in jeder Form, die ihr überhaupt möglich war, getilgt, ausgelöscht und abgetragen!

ONKEL LUDWIG zerknirscht-geknickt; nun schon längst nicht mehr sein Gegner. Getilgt ... ausgelöscht und ...

DUFROY von neuem sich steigernd, keine Faser in ihm unberührt lassend. Schon daß sie damals, als ich mich, um einen schwersten, innern, seelischen Konflikt mit mir auszukämpfen, zu meiner großen, vierjährigen, indischen Reise entschloß, so bitter grausam[618] grade damals mein Abschiednehmen sie auch traf ... schon daß sie damals, mich voll verstehend, nicht bloß mir und sich jede ... und wenn vielleicht auch noch so nahe liegende, vorzeitige, neugierige Frage ersparte, sondern auch, daß sie in meiner Abwesenheit, ohne daß ich etwas davon ahnte, ihre Nichte, meine dann spätere Frau, derentwegen ich meine langwierige Fahrt ... du wirst ja den ungefähren Zusammenhang ...

ONKEL LUDWIG zur Kranken rüber; nickend. Hat mir Mariannchen ...

DUFROY über diese Bestätigung hinweg; noch immer in seinem selben Satz weiter. Unternommen und angetreten ... und der sie bis dahin immer nur die denkbar kühlste Ablehnung und Abweisung entgegengebracht hatte, aus eigenstem Antrieb und in liebreichster Weise zu sich ins Haus nahm und mich dann schließlich bei meiner Rückkehr auch noch mit diesem Kopfbewegung nach rechts. großen, modern vornehmen Pracht- und Prunkbau überraschte ...

ONKEL LUDWIG dem trotz seiner seelisch bereits vollkommnen Zermatschtheit vor diesem großen, angeblich »modern vornehmen« »Pracht- und Prunkbau« der Laut auf den Lippen stirbt. P ... p ...?

DUFROY noch ahnungslos-überzeugter. Pracht- und Prunkbau, den sie in der klugen, sichern, weiblich gescheuten Voraussicht, daß mein beherzter, kühner, mutiger Fluchtversuch ins Tropenblaue mir nichts mehr helfen und nützen würde ...

ONKEL LUDWIG erst jetzt seinen Protest, wenn auch von Dufroy sofort wieder unterbrochen, über die Lippen bringend. »P ... Pracht- und ...«

DUFROY noch verstärkt. In der Zwischenzeit hatte errichten und fertigstellen lassen, um ihn dann dem jungen Paar, dessen Hände sie selbst vereinte ...

ONKEL LUDWIG schon ganz hilflos-verwirrt. Nu ja, ja, aber ...

DUFROY in seiner Letztaufrollung, da er auch sogar jetzt noch auf kein Detail glaubt verzichten zu dürfen, weiter. Während sie in unsrer ganzen, neunjährigen Ehedauer durch nichts zu bewegen und zu bestimmen war, diese alte Behausung ... Auf eine unwillkürliche, halb wie protestierende Bewegung Onkel Ludwigs. wenn sie dir auch lieb und wert ist, aber an die sich doch begreiflich die traurigsten, quälendsten Vorstellungen und Erinnrungen für sie knüpften, mit einer entsprechenden Zimmerreihe[619] in unserm neuen Domizil zu vertauschen ... bereits diese ersten Symptome und Anzeichen waren mir untrügliche Beweise, daß ihr Herz sich bekehrt, ihre Seele sich geläutert und ihr Wesen sich gewandelt hatte!

ONKEL LUDWIG mit dem Versuch, sich wieder aufzurappeln. Und ich hatte ... in meiner weiten ... einsamen Ferne damals ...

DUFROY noch immer nicht fertig; nun auch noch auf das Traurigste und Trübseligste kommend, das er überhaupt während seines ganzen Daseins erlitten. Eine Läuterung und Wandlung, die sich dann noch vertiefte und sich bereits seltsam dunkel und düster zu färben begann, als durch den vielleicht doch schwersten Schlag, der mich bis heute getroffen ... als durch den frühen ... schmerz- und qualvollen Tod meiner jungen ... von mir über alles innigstgeliebten Frau ...

ONKEL LUDWIG in seine versagende Stimme. Liebster ... Bruder! Liebster ...

DUFROY an diesen für ihn Qualworten fast würgend. Den ich noch dazu selbst ... Abbrechend und in seiner ursprünglichen Linie wieder weiter. mein Leben plötzlich verarmt war ... und nicht einmal das blühende Heranwachsen ... der beiden Kinder ... Plötzlich auf die Uhr starrend, die in diesem Moment wieder Viertel schlägt.

ONKEL LUDWIG dessen Herz mit ihm blutet. Armer ... Bruder! Armer ...

DUFROY mit Gewalt sich wieder zusammenraffend; Auto. Der furchtbare ... Entsetzensschlag ... der uns dann schließlich alle ... kaum zwei Monate vor deiner endlichen Wiederzurückkehr ... durch Mariette traf ... Angstvoll nach Marianne rüber und wie aus einmal plötzlich ohne aber auch alle und jede Hoffnung. und dessen letze Folgen ... jetzt vielleicht noch ausstehn ...

ONKEL LUDWIG fast schluchzend und ohne, daß er sich dagegen wehren kann, beinahe ähnlich. Es ... wird ja schon ... In diesem Augenblick, daß beide zusammenschrecken, von unten her links wieder das schrille Telephongeklingel.

MARIANNE die Augen noch immer geschlossen; Geste: wie schmerzlichst etwas abwehren oder verhindern sollend. Nein! ... Nicht!!

ONKEL LUDWIG in seinem Stuhl sich zusammenruckend; nach dem verklungnen Telephongeklingel. Dieses ... verdammte ...

DUFROY ihn und sich selbst damit beruhigend. Du siehst, daß sie nun bald ... Abbrechend und von neuem in seiner alten Linie weiter.[620] Jene ... Wahnsinns- und Grausenstat ... jenes unmenschliche ...

ONKEL LUDWIG stärkst; das Wort, vor dem Dufroy unwillkürlich, selbst in diesem Moment noch, zurückschreckt, unbedenklichst aussprechend. Verbrechen ...

DUFROY in ihrem jetzt gemeinsamen Satz weiter. Brach sie dann vollends ... und als du dann gar ...

ONKEL LUDWIG kläglichstes, nachträgliches Bedauern. Hätt ich ... geahnt, hätt ich ...

DUFROY wie vorhin; nur noch verstärkt. Als du dann gar ... Halb nach der Kranken hin. durch den kleinen, kurzentschlossnen Genie- und Gewaltstreich Mariannes ... für den wir ihr gar nicht genug danken können, überrumpelt ...

ONKEL LUDWIG zu ihr rübernickend; gerührt- zärtlichst. Das gute ... Seelchen! Das ... brave ...

DUFROY noch in seinem selben Satz; immer mit den entsprechenden Gesten. Wieder in dies alte Haus zogst, und Mutter dich dann fast täglich, wenn du im Garten warst, sah ...

ONKEL LUDWIG wie sich mit einmal darüber klar werdend und sich deutlichst erinnernd. Es ... war mir doch ... oft ...

DUFROY auch jetzt noch wie vorhin. Und Marianne stets ... sobald sie bei uns drüben war ... immer wieder von dir erzählte ...

ONKEL LUDWIG wieder, jetzt fast mit mildem Vorwurf, nach Marianne rüber. Das ... hat sie mir ... nie ...

DUFROY erst jetzt, jeden Iktus nachdrücklichst betont, seinen Satz schließend. Wurde ihr qualschweres, peinvolles, bußreuiges Purgatorium ... zu einem hoffnungslosen Inferno!

ONKEL LUDWIG durch dies allerletzte Schlußwort bis in sein Innerstes getroffen. Zu einem ... hoffnungs ...

DUFROY noch schwerer. Zu einem hoffnungslosen Inferno!

ONKEL LUDWIG nach einem kurzen, letzten Ringen. Und wenn ich nun ... positus ... und gesetzt den Fall ...

DUFROY mahnend-eindringlich, fast priesterlich. Es ist deine Pflicht! Deine ernste, heilige, unabweisbare Pflicht!

ONKEL LUDWIG in seinem Satz fortfahrend. Dem Exempel ... das du mir so schön ... und lehrreich gegeben ...

DUFROY ebenso. Zu folgen und deiner Mutter den Frieden ...[621]

ONKEL LUDWIG in derselben Linie. Nach dem sie verlangt ...

DUFROY wie vorhin. Und den du ihr nicht erst jetzt, sondern eigentlich schon längst ...

ONKEL LUDWIG an seinem Stock sich mühsam aufrappelnd. Dann ... wollen wir doch aber auch ... sofort ... Plötzlich, ganz erstaunt-überrascht, nach Marianne rüber. Kuck!

DUFROY noch fassungslos-perplexer. Mit ... gefalteten Händen!

ONKEL LUDWIG der kaum seinen Blicken traut. Die geschlossen ... Augen ... wie sehend ... erhoben!

DUFROY noch gesteigert. Diese ... seltsam verklärten Züge! ... Als ... ob ...

ONKEL LUDWIG ganz andächtig-gerührt. Als ob ... sie über uns arme Sünder ...

DUFROY nach der Tür rechts zurück, auf die zu man von draußen Schritte hört; der Drücker wird in diesem Moment bereits aufgeklinkt. Georg!

GEORG hastig durch die Tür und diese schließend. Marianne ... noch nicht wach?

DUFROY über seine Frage hinweg; fast gleichzeitig; gespannt-erwartungsvollst. Warum bliebst du ...

GEORG die Augen auf Marianne, tiefst aufatmend, wie von einer Zentnerlast befreit. Gott sei Dank!

ONKEL LUDWIG wie Dufroy; Ton noch inquirierender. Was war denn das ...

DUFROY in Onkel Ludwigs Frage fast atemlos-erregt einfallend. Für ein Telephongeklingel?

GEORG auch ihre gemeinsame Frage wieder ignorierend; nach der Uhr. Über viertel Zwölf!

ONKEL LUDWIG entschlossen, sich das nicht »gefallen« zu lassen; Geste mit der erhobenen Linken nach der Tür rechts. Soll ich dir ... sagen ...?

GEORG kurz, kühl; seinen üblichen Gang aufnehmend. Bitte?

DUFROY ihm nachblickend, ebenso wie Onkel Ludwig; durch dessen begonnene Schwatzhaftigkeit zu seinen erläuternden Worten unwillkürlich gedrängt. Wir hatten vorhin ...

ONKEL LUDWIG da Dufroy, etwas geniert, bereits stockt; triumphierend-beeilt. Als du die Treppe runter gingst ...

GEORG einen Moment halb nach beiden zurückgedreht; noch immer ausweichend; fast als ob er sich über sie belustigen wolle. Ah, so! ... Na! ... Dann seid ihr ja bereits informiert![622]

DUFROY irritiert-achselzuckend. Einstweilen ...

ONKEL LUDWIG in derselben Linie, sich beschwerend-erbittert. So lange du uns die Sache ...

GEORG zu Dufroy; jetzt zu dem Entschluß gekommen, ihm klaren Wein einzuschenken; ohne ihn dabei anzublicken. Also ich habe ... um s dir sofort und gleich zu sagen ... ich habe mein Wort ... das ich dir vorhin gegeben ... Da er spürt, daß es durch beide wie ein Ruck gegangen, abbrechend und mit einem schnellen Seitenblick zu Dufroy rüber von neuem. Ich habe mein Wort ...

DUFROY da Georg wieder stockt; strengst verweisend; als ob er eine solche Möglichkeit überhaupt gar nicht annehmen könne. Du hast es doch nicht etwa ...?

GEORG in der Ecke hinterm Schreibtisch rechts einen kurzen Moment stehnbleibend und Dufroys Blick standhaltend; dann seinen Gang um so erregter wieder aufnehmend. Ja! ... Ich hab s eben gebrochen! ... Zornigst-heftigst. Wortwörtlich gebrochen!

ONKEL LUDWIG nach einem empörten Blick zu Dufroy, der wie starr steht; grollend zu Georg rüber, wie den Sinn noch nicht kapierend. »Wortwörtlich ...?«

GEORG noch gesteigert-ergrimmter. Wortwörtlich gebrochen!! Ja!!

DUFROY wieder mal mit ihm »fertig«; trotzdem alles in ihm tobt, gradezu »kalt«. Willst du die Güte haben ... mir zu erklären ... wie du als Mann von Ehre ...

GEORG ihn unterbrechend; fast wie mit dem Versuch, sich vor sich selbst zu verteidigen. Usedom hatte von mir den striktesten Auftrag erhalten, Herrn Baron ...

DUFROY bereits erratend, was er sagen will; in aufloderndem Jähzorn ihm schärfst ins Wort. Eine elende Spitzfindigkeit und Sophisterei, die ich dir nie ...

GEORG ihn ebenfalls nicht ausreden lassend; seine Heftigkeit noch überbietend. Diese Pestkanaille erst für übermorgen früh zu bitten!

ONKEL LUDWIG zu Dufroy; triumphierend. Hab ich s nicht ...

DUFROY vor Entrüstung kaum fähig zu sprechen. Mir fehlt hier ...

GEORG seinem Haß elementar die Zügel schießen lassend. Der Edle, dem es in seiner offenbar zum erstenmal abgeblitzten Liebesbedürftigkeit ungeheuer daran zu liegen schien, seine körperliche Umhüllung so schleunig, als nur irgend möglich ...[623]

DUFROY wie vorhin; sich kaum mehr kennend. Du solltest nicht jetzt noch obendrein ...

GEORG nun auch seinerseits noch maßloser; in seinem Satzgefüge verharrend. Prophezeiungs- und programmgemäß ...

DUFROY sich zusammenreißend; ihm noch mal ins Wort; drohende, fast wie verwarnende Geste. Auch dir, lieber Sohn ...

ONKEL LUDWIG während Georg, im Hintergrund stehngeblieben, jetzt zu beiden rüberblickt, Dufroy sich anschließend und ebenso seine erhobne Rechte schüttelnd. Noch in der gleichen Sekunde ...

DUFROY wie vorhin; in derselben Linie, noch gesteigert, weiter. Unter den gleichen Umständen und aus dem gleichen ...

GEORG in ihrem Satz, sarkastisch-verächtlich, noch einen Atemzug weiter und dann sofort, erbittertst, abbrechend. Süßen Munde ... Auf den Schreibtisch gestützt, gegen beide höhnisch vorgebeugt. Glaubt doch nicht ...

DUFROY seinen Blick erwidernd; noch empört verbissner; fast außer sich. Daß du dich dadurch ...

GEORG mit gekrampften Fäusten einen Schritt zurück. Oder daß ich nicht sogar ganz im Gegenteil bereits längst fest entschlossen wäre ...

DUFROY umschlagend; vollständig veränderter Tonfall. Bester Georg ...

ONKEL LUDWIG zu Dufroy; plötzlich fast wie ängstlich-mahnend; dabei gleichzeitig besorgt- scheuer Blick nach Georg rüber. Du siehst ... daß wir ihn ... auf diese Weise ...

GEORG von neuem auf und ab; seine die beiden instruierende Erklärung wieder aufnehmend. Kurz und gut, der Mensch ... was ich nicht einen Augenblick hatte vorausahnen können, weigerte sich ... bestand schon auf morgen, und auch ein nochmaliger, letzter Versuch, zu dem sich Usedom erst nach langem Hin und Her und nur sehr schwer bestimmen ließ, den Sieur zu bewegen, seinen kostbaren, wertvollen Lebensfaden wenigstens noch um vierundzwanzig Stunden zu verlängern, mißglückte, nachdem es uns endlich und schließlich gelungen war, den seiner Existenz so heftig sentimental Müden, der sich inzwischen durch die prompt hilfsbereite Vermittlung seines, wie wir respektvollst zu hören bekamen, mit ihm vervetterten, heimatlichen Herrn Botschafters bereits seinen Sekundanten gesichert hatte, in seinem Hotel wieder zu erreichen![624]

DUFROY der so lange an sich gehalten. Wortbruch ...

ONKEL LUDWIG da Dufroy, nachdem er dieses eine Wort herausgebracht, seine innre Erregung erst gewaltsam runterschlucken muß; in die so entstandne Pause; ihm beipflichtend. Ich muß offen ...

DUFROY beide Akzente durch energisches Kopfnicken hartnäckigst unterstreichend. Bleibt Wortbruch!

GEORG von neuem ausbrechend; vorn rechts wieder stehngeblieben. Du verlangst ... ich soll die Bestie ...

DUFROY unwilligst. »Bestie!«

GEORG noch heftiger. Nur weil es ihr beliebt ...

ONKEL LUDWIG auch jetzt wieder ganz aus Dufroys Seite. »Beliebt!«

DUFROY vor innerster Empörung fast zitternd. Nicht, »weil es ihr beliebt«, sondern weil du dir, und zwar vor dir selbst, zu schade sein solltest, einen Menschen, der sich dir stellt, überzeugt, daß deine Kugel ihn morgen früh ...

GEORG von dem, was er sagt, tiefinnerlichst überzeugt; seinen Gang wieder aufnehmend. Sie würde ihn treffen, auch übermorgen früh! Ich habe den ersten Schuß, und ein zweiter, verlaß dich drauf, auch übermorgen früh, würde nie fallen!

ONKEL LUDWIG ihm nach; die erhobne Rechte schüttelnd. Trotzdem!! Trotzdem!!

DUFROY dem diese Drohung in diesem Moment letzter, heiligster Ernst ist; so eindrucksvoll-energisch, als nur möglich. Ich ... ziehe meine Hand von dir, ich ... kenne dich nicht mehr, wenn du ...

GEORG wieder ausbrechend; mit letzter Vehemenz; ohne nach den beiden auch nur hinzublicken. Tut, was ihr wollt, nennt mich den wortbrüchigsten aller Halunken, stellt euch auf den Kopf ...

DUFROY fast wie mit Ekel und Abscheu bereits vor ihm zurückschaudernd. Du wirst ... deine Bluttat ...

GEORG noch gesteigert. Ich werde, was ich mir vorgenommen habe ...

MARIANNE die Augen noch immer geschlossen, plötzlich wie wehklagend. Morgen ... früh ... bevor ... die Sonne ...

GEORG ganz entsetzt stehngeblieben; nach ihr rüber. Um ... Himmels ... Willen! Lautes, doppeltes, sich steigerndes Autosignal.

ONKEL LUDWIG erschüttert zu Georg; Seitenblick nach Dufroy und Marianne. Du ... siehst ... daß man nich ungestraft ...[625]

DUFROY der Georgs tiefsten Schreck gesehn; nach Marianne; wieder vollständig veränderter Tonfall. Die Anzeichen ...

GEORG noch wie vorhin. Welche ... »Anzeichen?!«

DUFROY der ihn dadurch zu beruhigen vermeint. Die Anzeichen, daß sie nun bald ... erwachen wird ...

GEORG dem fast der Atem stockt; ihn unterbrechend; dabei wieder schneller, angstvoller Blick nach der Uhr. Sie ... darf nicht erwachen!

DUFROY der in seiner innern Erregtheit auf Georgs Ausruf gar nicht achtet; seinen Satz, noch nachdrücklicher, beendend. Werden immer lebhafter!

ONKEL LUDWIG ganz verständnislos-erstaunt zu Georg rüber. Du solltest dich doch ... freuen ...

GEORG wie vorhin; nur noch stärker. Sie darf nicht erwachen!!

DUFROY nun ebenfalls stutzend. »Sie ...?«

GEORG allerenergischst; zuletzt voller, fester Blick auf die Uhr. Sie darf nicht erwachen!! Wenigstens nicht vor Zwölf!!

ONKEL LUDWIG ihn noch immer nicht verstehend; ganz paff. »Nicht vor ...?«

GEORG zu beiden; erklärende Handbewegung mit der ausgestreckten Linken nach Marianne rüber. Sie lebt in der festen Autosuggestion ...

ONKEL LUDWIG der ihn jetzt endlich begriffen; fast wie mechanisch einfallend. Daß sie diesen Tag ... In seinen Sessel zurückfallend; ganz entsetzt; mit der ausgespreizten Rechten sich dabei über die Stirn streichend. Richtig!

GEORG während Dufroy, angstvollst, von einem zum andern blickt, noch verstärkt, weiter. Daß sie diesen Tag, der ihr vor drei Jahren ... kurz vor Mitternacht, durch die Erscheinung Mariettes ...

ONKEL LUDWIG zu Dufroy, nun ebenfalls erläuternd, in Georgs Atempause. Die in der gleichen Zeit hier ...

GEORG von neuem; auch jetzt noch gesteigert. Daß sie diesen Tag ... der ihr als ihr Sterbetag prophezeit wurde ...

DUFROY schon auf dem Weg nach dem Kamin hin. Dann ist es doch aber die höchste, die allerhöchste Zeit, daß wir die Uhr ...

ONKEL LUDWIG ihm nach; verzweifelt; so daß Dufroy unwillkürlich einen Moment zögernd wieder stehnbleibt. Als ob das ...[626]

GEORG noch immer an seinem Platz; nicht minder skeptisch; Dufroy an dessen eigne, ihm vorhin gegebne Auskunft erinnernd. Wenn du auf einmal, plötzlich, glaubst ... daß das auch nur das geringste ...

DUFROY mit Gewalt sich wieder nach der Uhr znrückdrehend; die Hand bereits nach ihrem Zeiger. Immerhin!

MARIANNE in demselben Moment, so daß Dufroy, wie gelähmt, von seinem Vorhaben abläßt, mit einem tiefsten Seufzer erwachend. Aah ...!

GEORG auf sie zu; in maßlosem Entsetzen. Marianne!

MARIANNE sich mit großen Augen umblickend, als ob sie sich in einem ihr gänzlich fremden Raum befände. Wo ...?

ONKEL LUDWIG der sich sofort, schwerfälligst, aufgerappelt; nun auch bei ihr; besorgt-angstvollst. Wie ... ist dir?

DUFROY ähnlich; halb über sie gebeugt. Wie ... fühlst du dich?

MARIANNE als ob sie weder ihn, noch Onkel Ludwig überhaupt schon sähe. Georg! ... Wie vorhin. Wie ... bin ich nur hier ...? Jetzt auch zu den beiden übrigen. Warum ... blickt ihr mich ...?

GEORG nachdem er sich inzwischen wieder etwas gefaßt hat; forschend-mißtrauisch. Du bist jetzt wieder ... ganz munter und wach?

MARIANNE sich wieder umblickend; zuletzt ganz erstaunt-überrascht. Wach? ... Wach? Ich ... habe doch nicht ...

GEORG energischst-eindringlicher Tonfall. Du hast vier Stunden fest geschlafen!

MARIANNE unsicher-verwundert. In ... diesem ...?

GEORG fest wie vorhin. In diesem Sessel!

ONKEL LUDWIG stockend. Bloß ...

MARIANNE die sofort aufgehorcht; in seltsamer Spannung. Ja?

DUFROY leichthin; um Onkel Ludwig nicht Gelegenheit zu geben, unter Umständen neues Unheil anzustiften; betreffende Geste. Daß du zuletzt ... ab und zu ...

ONKEL LUDWIG um so schwer gewichtiger; naivst-phantastisch. Wie von einem andern Stern ...

MARIANNE die diese Worte wie süßes Gift schlürft; den Kopf ganz zurück, die Augen einen Moment wieder geschlossen. »Wie von einem andern ...«

ONKEL LUDWIG durch diesen »Erfolg« ermutigt, über den stummen Unwillen[627] der beiden andern hinweg, noch mehr aus sich herausgehend. Oder wie aus einer andern ... Sphäre, oder Astralebne ...

DUFROY trotz der Situation wieder wie von einer heimlichen Stecknadel gestochen. »As ...!«

GEORG ihn nicht ausreden lassend; nervös, Geste. Ist ja im Moment ganz ...

MARIANNE den Blick ekstatisch nach oben gerichtet; verklärteste Züge, kongruierende Sprechweise. Befreit ... von allem! ... Ja! ... In einem Raum ... und in einer Welt ... die nur ... Licht war!

ONKEL LUDWIG der ihren Worten wie einer Offenbarung gelauscht; von Georg zu Dufroy, bewegt. Hört ihr? ... Ihr hört!

MARIANNE noch gesteigert-verzückter. Die nur ... Licht war! ... Licht ... und Klang! ... Himmlische Wonne ... reinstes, wunschloses Glück ... letzte, unaussprechliche Seligkeit!

ONKEL LUDWIG wie vorhin; vor innrer Genugtuung fast zitternd. Ihr ... hört!!

MARIANNE klagend-gebrochen; zuletzt qualvollst; immer mit leisen, entsprechenden Gesten, als ob sie das Geschilderte noch einmal durchlebte. Aber dann ... dann ... dann ... Die Lichtflut um mich ... erlosch ... die Klangfülle ... schwieg ... und ich sank ... immer tiefer! ... Irdische Not ... Schmach und Schmutz ... menschliches Wehklagen und Jammern!

DUFROY seine Ergriffenheit, deren er sich nicht erwehren kann, mit Gewalt niederkämpfend. Eine durchsichtig ... halluzinatorische Traumvision ...

ONKEL LUDWIG empört. »Traumvision?«

DUFROY wie etwas von sich abwehrend und in seinem Satz weiter. Wie sie sich nur allzu natürlich ...

GEORG an Dufroys »Erklärung«, wenn auch in anderm Ton als Onkel Ludwig, skeptisch Kritik übend. »Traumvision!«

MARIANNE von neuem; immer noch wachsend. Nach einer langen ... bösen ... furchtbaren Qualfahrt ... Abbrechend und, wie sich vergewissernd, zu Dufroy und Onkel Ludwig. Habe ich es ... gesehn und ... gehört?

DUFROY ganz betroffen-perplex; mit einem Blick zu Onkel Ludwig rüber. Du hast ... »gesehn und ...?«

MARIANNE wieder, einen Moment, die Augen geschlossen. Wie durch eine ferne Wolke! ... Jetzt halb nach links gedreht. Ihr saßt da ...[628] am Schreibtisch ... Zu ihm auf; mit verhüllt-dunklem Vorwurf. Georg ... war fort, und Onkel Ludwig ... Von Dufroy jetzt zu diesem. Ist es wahr?

ONKEL LUDWIG gerührt-zärtlichst; mit einem Blick zu Dufroy rüber. Ja, was, Herzchen?

GEORG nachdem er alle drei der Reihe nach ganz erstaunt-fragend angesehn. Was?!

MARIANNE zu Georg; sich zwischendurch bei den beiden andern wie vergewissernd, daß sie sich nicht getäuscht. Onkel Ludwig und Vater ... wollten grade, als du kamst ... Abbrechend und jetzt ganz bestimmt zu Dufroy und Onkel Ludwig. Ihr wolltet alle beide ...

DUFROY noch immer ganz überrascht; sie unterbrechend; entsprechendes Mienenspiel zwischen ihm und Onkel Ludwig. Wie ... konntest du ... in deinem seltsamen Zustand ...?

MARIANNE ihren Satz, unbeirrt, mit größtem Nachdruck schließend. Ihr wolltet alle beide ... sofort und auf der Stelle ... zu Großmutter gehn!

GEORG der kaum seinen Ohren traut; fast zurückgeprallt; zu allen beiden. »Zu ...?«

ONKEL LUDWIG bestätigend-erschüttert. Ja, Herzl, ja! Bloß ... Unsichrer Blick nach der Uhr.

GEORG wie vorhin; noch gesteigert. Zu ... Großmutter??

DUFROY hastig-erregt. Das ist jetzt natürlich unter den obwaltenden Umständen ... Nun auch seinerseits Blick nach der Uhr.

ONKEL LUDWIG in Dufroys Satz weiter; ebenso. Aber auch vollständig und ganz und gar ... Wieder Blick nach der Uhr.

MARIANNE die ganz unmöglich einen dieser drei Blicke hatte bemerken können; fast wie aus einem leisen Unmut; überlegen-beherrscht. Glaubt doch nicht, daß mich die dumme Uhr ...

GEORG nachdem er Dufroy und Onkel Ludwig, die beide ganz verdutzt stehn, bestürzt angeblickt. Wer hat etwas zu dir von der Uhr ...

DUFROY ähnlich. Dir hat doch niemand ...

ONKEL LUDWIG sich anschließend. Wo-her ...?

MARIANNE in Sprache und Gesichtsausdruck einen Moment fast wie die Erscheinung im dritten Akt. Ich lese, was hinter euren Stirnen[629] steht! Ich kenne alle eure Gedanken! Strafend-drohend zu Georg. Und ich ... weiß auch ...

DUFROY nachdem es durch alle drei wieder wie ein Ruck gegangen. Du ... weißt?

GEORG stärkst fragend; fast zornig. Was weißt du?

MARIANNE Georg voll anblickend; noch gesteigerter als vorhin. Daß du dein ... verpfändetes Wort ...

GEORG aufgeregt, hastig, Geste. Dann geht! Geht!! Es ist besser ...

ONKEL LUDWIG ihm beipflichtend; in seinem Satz weiter; zu Dufroy. Wir lassen ... die zwei beiden jetzt allein ...

GEORG noch nervös-ungeduldiger; Blick nach der Uhr. Als daß ihr ... vielleicht nur ...

DUFROY der seinem Blick gefolgt war. Warten wir wenigstens ab, bis die paar Minuten ...

MARIANNE völlig gelassen-ruhig. Ihr könnt ganz ... unbesorgt sein! ... Fast wie versteckt-ironisch. Mir wird diese Uhr ...

ONKEL LUDWIG dadurch völlig beruhigt und getäuscht; zu Dufroy; bereits auf dem Weg nach der Tür. Komm! ... Komm!! ... Stehngeblieben und halb zurück. Wir dürfen ... die alte Frau ...

GEORG Dufroy, der immer noch zögert, gut zuredend. Erfüll ihm schon den Wunsch ... und sei überzeugt ...

DUFROY sich endlich entschließend, so schwer ihm das auch fällt; erste Silbe betont. Nun, denn ...

MARIANNE dringlichst bestimmt; fast bereits schmerzlich. Geht!!

DUFROY ihr die Hand reichend; mahnend-warm. Auf Wiedersehn, Kind!

MARIANNE wieder völlig beherrscht; trotzdem mit einem seltsamen Unterton. Auf ... Wiedersehn!

DUFROY Onkel Ludwig seinen linken Arm bietend. Lieber Bruder?

ONKEL LUDWIG sich mit ihm türwärts in Bewegung setzend; freudigst-zuversichtlichst, in rührendstem Optimismus. Nun wird sich ... alles ... alles ...

DUFROY der die Tür bereits geöffnet; noch mal nach Georg zurück; letzte Sichvergewisserung. Also?

GEORG beruhigende, ihn »abschiebende« Geste. Du kannst völlig ...

ONKEL LUDWIG schon auf der Schwelle; nach keinem mehr zurückgedreht. Post ... nubila ... Phoebus![630]

MARIANNE kaum daß ihre Schritte verklungen, sich halb aufrichtend; völlig wie gewandelt. Ich werde ... Onkel Ludwig ...

GEORG sie, entsetzt, groß anstarrend. Marianne!

MARIANNE mit letzter Gewißheit. Nicht mehr wiedersehn! ... Etwas weicher; nach der Uhr. Und du ... versprichst mir ...

GEORG noch wie vorhin; sie unterbrechend; unterdrückt-angstvollst. Ich verspreche dir alles, wenn du dich von dieser entsetzlichen Selbstsuggestion ...

MARIANNE wieder nach der Uhr; mit einem fast wie leise mitleidigen Lächeln nur die Worte der Prophezeiung wiederholend. »Noch ... drei Jahre!«

GEORG durch den es erneut wie ein Ruck gegangen; sich energischst zusammenraffend; mit aller Kraft. Wer an solche Wahnwitzigkeiten glaubt ...

MARIANNE ausholend; seltsam ruhig und gefaßt. Was mir in jener Nacht ...

GEORG sie vergeblich zu unterbrechen versuchend; durch ihre Art wie gebannt. »Was dir ...«

MARIANNE in ihrem Satz, langsam sich steigernd, weiter. Nachdem ich schon Monate lang damals, ohne zu wissen, warum, nichts mehr von dir gehört ...

GEORG wie vorhin. Gewiß! Gewiß! Nur ...

MARIANNE immer schmerzlicher. Nachdem ich bereits die ganzen, letzten Wochen in bangster Sorge und Unruhe um euch verbracht ...

GEORG seinen Versuch, verzweifelt, wiederholend. Was hat das jetzt ...

MARIANNE klagend, über seine Einrede hinweg, als hätte er überhaupt nicht gesprochen. Und nachdem ich den Abend, Stunde um Stunde, verlassen, wie ich mich noch nie gefühlt, einsamer denn je, mit meinen Gedanken in quälendst wachsender, unbestimmter Vorahnung ...

GEORG gefoltert auf und ab; sich die Ohren zuhaltend. Hör auf! Hör auf!

MARIANNE von neuem; noch verstärkt. Was mir in jener Nacht ... Abbrechend und in ihrem Satz, als ob sie das Furchtbare noch einmal durchlitte, parenthetisch weiter. Ein schauderndes Grauen, ein mir unerklärbares, zitterndes Angstgefühl, ein gespenstisches, herzlähmendes Etwas hatte mich plötzlich jäh aus dem Schlaf geschreckt ...[631]

GEORG wie vorhin; nicht mehr fähig, ihre detailliert-lebhafte Schildrung noch länger zu ertragen. Hör ... auf!

MARIANNE malend-lebendig; betreffende, alles verdeutlichende Gesten. Die große Wanduhr im Nebenzimmer, dessen Tür, wie stets, weit offen stand, hatte zum Schlagen grade ausgeholt, ich lag mitten im Dunklen ... der kleine Ruck ... klang mir noch im Ohr ...

GEORG einen Moment stehngeblieben; die Augen geschlossen, die geballte Linke vor der Stirn. Wenn du nicht ...

MARIANNE mit verzerrtem Gesichtsausdruck, ganz entsetzt, vorgebeugt. Da hörte ... und sah ich sie!

GEORG wieder auf und ab; noch ohnmächtig verzweifelter. Ja! Ja! Ja! Ich ...

MARIANNE von ihrer eignen Erinnrung fast geschüttelt. Grausenhafter und schrecklicher, als ich dir dies je ... Abbrechend und als ob sie alles wieder vor sich sähe; letzte, packendste Steigrung. Aufrecht, wie schwebend, in einem fahlen Schein ... Wangen und Lippen bläulich, Nase und Kinn schon hippokratisch spitz, die starren, glanzlosen Augen hinter den halb geöffneten Lidern bereits gebrochen ... und ... eine ... Stimme ... eine ... »Noch ... drei ... Jahre! Noch ...«

GEORG nachdem er ihr, zuletzt einen Augenblick wie gelähmt, zugehört; mit erhobnen Armen auf sie zu. Reiß dich los von dieser furchtbaren Vorstellung! Reiß dich los!

MARIANNE ihn voll anblickend; zum drittenmal. Was mir in jener Nacht ... durch Mariette ...

GEORG wieder von ihr weg; sich gegen diese ihre Behauptung, da er eine weitere und schlimmere bereits kommen fühlt, sofort erbittert-heftigst auflehnend. »Mariette!!«

MARIANNE noch überzeugt-bestimmter. Durch Mariette vorausgesagt und prophezeit wurde ...

GEORG radikal ablehnend; sie unterbrechend. Ich leugne, daß es Prophezeiungen ...

MARIANNE in ihrer Linie, nur um so hartnäckiger, weiter. Wird bis auf die Sekunde ...

GEORG sie nun mit aller Gewalt nicht mehr weitersprechen lassen wollend; noch gereizt-verbissner. Daß es Prophezeiungen überhaupt ...[632]

MARIANNE mit einem Blick wieder auf die Uhr, als hätte er sie auch diesmal wieder gar nicht unterbrochen. In nicht allzu viel Minuten mehr ...

GEORG der ihren Blick bemerkt hat; auf einen Moment wieder stehngeblieben; allerrabiatst und erbittertst. Es gibt keine Prophezeiungen!

MARIANNE unerschüttert; erst jetzt, ganz erschöpft, schließend. In Erfüllung gehn!

GEORG seinen Gang, empört-zornigst, wieder aufnehmend. Wie alles und jedes auf dieser Welt in Erfüllung geht, wenn man es mit aller Gewalt ...

MARIANNE sich zur Wehr setzend. Ich habe alles ... getan ...

GEORG der jetzt gar nicht mehr auf sie hört; in seinem Satz, noch betont ingrimmigst-vorwurfsvoller, weiter. Darauf anlegt und absieht, daß Ereignisse und Dinge ...

MARIANNE noch stärker. Ich habe nichts ... versäumt ...

GEORG wie vorhin; seinen Satz mit dem denkbar wuchtigsten Nachdruck schließend. Die einem vorher- und vorausgesagt wurden, durchaus und um jeden Preis, und sei dieser Preis selbst der allerfurchtbarste, in Erfüllung gehn sollen!

MARIANNE klagendst-schmerzlichst. Ich habe diesen ganzen Tag ... dessen drohendes Unheil ... ich kommen fühlte ...

GEORG sich von ihr, fast brüsk, abwendend; unmutigst-verzweifelt. Immer und ewig ...

MARIANNE über seine Unterbrechung hinweg; noch gesteigert. Vor dem ich gebangt ... und gezittert habe ... und der mir mit seinen Ängsten und Qualen ... allein schon durch die voraufgegangne Wiederkehr jenes entsetzlichen Traums ...

GEORG die Stirn in die Linke gepreßt, wieder ähnlich wie vorhin. Laß den ... Traum!

MARIANNE wieder an ihm vorbei und in ihrer Linie, mit jedem Atemzug noch verstärkt, weiter. Und zwar von einer Macht, die ich nicht kenne ... der ich früher widerstrebte und vor der ich mich jetzt ... beuge ...

GEORG fast wie rasend nach ihr zurückgedreht. Du solltest dich lieber ...

MARIANNE auf ihn gar nicht achtend, ergriffen, vor sich hin. Warnend, drohend und unmißverständlich deutlich verkündigt wurde ...[633]

GEORG von neuem von ihr abgewandt. Schon wieder diese ...

MARIANNE immer inbrünstiger, immer seelischer, fast wie in religiöser Ekstase; zum Schluß unterdrückt schluchzend. Mit all meiner Kraft, mit meiner ganzen Seele, mit jeder Faser, seit heute früh, habe ich danach gerungen, das Verhängnis abzuwenden, das Verderben aufzuhalten und den Leidens-Kelch ... an uns beiden ...

GEORG von diesem Ton durchschüttert und beinahe wie von ihm angesteckt. Er wird ... an uns vorübergehn! Er wird ...

MARIANNE von neuem jetzt aufgerafft und noch immer sich steigernd. Nachdem aber nun alles ... mißglückt ist ... nachdem mein ganzes ... Kämpfen und Ringen ... nichts genützt und gefruchtet hat ... nachdem durch diese letzte schaurige Sitzung ...

GEORG in ihrem Satz, fast erbittert-froh, sich auf dieses Stichwort nun selbst vor ihr anklagen zu dürfen, leidenschaftlichst weiter. Zu der ich dich gezwungen ... für deren ganzen, abscheulichen Verlauf und Charakter die alberne, dumme, widersinnige Suggestivfrage, die ich vor vierzehn Tagen damals in einem nahezu halb idiotischen Moment gestellt, von vorneherein grundlegend, ausschlaggebend und entscheidend bestimmend war ... Vor ihr stehngeblieben; sich gegen die Brust schlagend. und an der also nur ich, ich ganz allein die Verantwortung und die Schuld trage ...

MARIANNE zu ihm aus; achselzuckend. »Schuld!« Schuld, oder ... Abbrechend und in ihrem Gedankengang, sich schnell wieder steigernd, weiter. Nachdem jedenfalls nichts uns so erspart geblieben ist, nachdem alles sich bis jetzt erfüllt hat und mein kleiner, schwacher, irdischer Menschenwille ...

GEORG beschwörend-energisch; wieder dabei unwillkürlicher Blick nach der Uhr. Mit dem du noch alles retten kannst, wenn du ...

MARIANNE über seine Worte hinweg. Ohnmächtig zerschellt ist ...

GEORG wie vorhin; stärkst. Halt noch aus!! Halt noch aus!!

MARIANNE von allem, was er zu ihr spricht, völlig unberührt. Gebe ich es auf ...

GEORG von ihr nach der Uhr; flehentlichst. Nur noch wenige ...

MARIANNE in ihr Los ergeben, immer demütig- verklärter. Gegen ein ehern notwendiges, übermächtiges Schicksal anzukämpfen, das uns beiden ...

GEORG der dunkel fühlt, wie er alle Macht über sie verloren; in sich[634] nochmals zusammenraffender, ohnmächtiger Verzweiflung. Halt noch aus!!

MARIANNE die Augen geschlossen, in seltsamster Mystik, die ihn fast schauernd streift. Das uns beiden vorbestimmt war, vielleicht schon und noch ehe ... Durch den jetzt doppelten Uhrschlag plötzlich jäh aufgeschreckt. Halb!

GEORG der einen Moment, entsetzt, ebenfalls nach der Uhr gestarrt; wieder auf und ab; völlig veränderter, mit aller Gewalt sich zusammenruckender Tonfall. Es war der hellste, lichterlohste, hirnverbrannteste Irrsinn, daß wir dich, die bis dahin die einfache, gesunde, schlichte Natürlichkeit und Vernunft selbst war, deren intakt gebliebnes Empfinden sich mit naiv instinktiver Sicherheit ...

MARIANNE gequält-abwehrend. Laß!

GEORG in seinen erneuten, zornigen Selbstvorwürfen, als hätte sie ihn gar nicht unterbrochen, erbittert weiter. Schon von vornherein und bis zuletzt gegen den paradoxen Überschwang dieser ganzen modern thaumaturgischen Kabbalistik und Nekromantie, so willig du dich uns mit deinen Kräften ...

MARIANNE wie vorhin; nur noch gesteigert. Laß!

GEORG ebenso. Auch stets zum Opfer gabst, doch, innerlich, skeptisch ablehnend verhielt, und die grade heute, aus ihrem bestimmt dunklen Vorgefühl ... Abbrechend.

MARIANNE jetzt fast ähnlich; wie er vorhin selbst. Wozu ...

GEORG der sich am liebsten »zerreißen« möchte; mit gekrampften Fäusten. Daß wir dich mit diesen verrückten Experimenten ...

MARIANNE nach der Uhr; beinahe grausam. Ich ... weiß jetzt nur ...

GEORG wieder stehngeblieben und zu ihr zurück. Kommen wir doch wieder zu unsern fünf Sinnen! Nehmen wir Verstand an! Wenn wir uns in dieser Weise ...

MARIANNE ausbrechend-angstvoll; dabei, zwischendurch, wieder Blick nach der Uhr. Jeder ... Bruchteil einer Sekunde ... jedes kleinste ... Augenblickchen, das verrinnt ...

GEORG die Zähne zusammenbeißend; mit suggestivster Energie; obwohl er bereits fühlt, daß seine Lüge nichts nützen wird. Du irrst! Es ist bereits Eins! Ich habe die Uhr ... Abbrechend und unter ihrem Blick nicht fähig, weiterzusprechen.[635]

MARIANNE wehmütigstes Lächeln; schmerzlichst- innigst. Lieber ... Georg! ... Laß uns die ... kurze Zeit ...

GEORG die Gewalt über sich verlierend; rechte Hand über Augen und Stirn, von ihr abgewandt, unterdrückter Schluchzlaut. ...!!!

MARIANNE weich, langsam. Ich hatte nicht ... geglaubt ... daß dir mein bißchen Weggehn ...

GEORG wieder auf sie zu; seine ganze, letzte Kraft nochmals und mit aller Energie znsammenraffend. Marianne!! ... Was der Mensch will ...

MARIANNE mit hochgezogenen Schultern abgewandt. Wer sagt ...

GEORG noch inständig flehender und seelischer. Nimm alles ... in dir zusammen! Spann deine ganze ... Energie drauf! Denk an nichts ... als daß du für mich ...

MARIANNE ihn wieder anblickend; schwermütig- sehnsuchtsvollst. Könnt ich s! Könnt ich s noch!

GEORG selbst jetzt noch sich steigernd, in seinem Satz weiter. Als daß du für mich ... jetzt zu leben hast ... und du wirst ...

MARIANNE noch immer zu ihm auf; warm. Wie ... gern!

GEORG nachdem er einen kurzen Moment mit sich gerungen; schwer. Muß ich dir ... das überhaupt ... Fast schluchzend abbrechend und mit ausgebreiteten Armen; sie voll anblickend; elementar. Vom ersten Augenblick!

MARIANNE mit geschlossen Lidern seine Worte wie in sich schlürfend. Vom ... ersten ...

GEORG nachdem er sich nun einmal überwunden, in seinem Geständnis noch rückhaltsloser weiter. Augenblick, wo du damals in dieses Haus tratst! ... Hätte seitdem ... nicht so grausam zwischen uns gestanden ... was mir in meiner kindischen Verblendetheit ... als unsre Schuld erschien ...

MARIANNE ganz erstaunt-verwundert; an seiner jetzigen Auffassung heimlich Kritik übend. Sie erscheint es dir ... nicht mehr?

GEORG nach dem Schreibtisch, auf dem sie jetzt das Tagebuch Mariettes erblickt; stärkst. Nach diesen ... Bekenntnissen?!

MARIANNE die lebhaft gestutzt. Du ... hast ...?

GEORG noch gesteigert. Und nach der erniedrigenden ... schimpflichen Offenbarung, die uns die Sitzung ...?!

MARIANNE energisch verweisendes Kopfschütteln. Du hättest ... auf keinen Fall ...[636]

GEORG über ihren Vorwurf hinweg; alle Akzente aufs schärfste betont. Schuld und Sühne ... wenn Schuld ... auf die Dauer als Schuld überhaupt empfunden werden soll ... müssen unter sich ... in einem wenigstens annähernd vernunftgemäßen Verhältnis stehn!

MARIANNE so wenig sie sich gegen seine Argumentation als solche auch auflehnen kann, doch nicht überzeugt; leichte, ihre Unsicherheit malende Geste. Gewiß! Ja! Aber ...

GEORG zum erstenmal über diesen Komplex zu einem Menschen sprechend; an seinen Worten wie schluckend; halb nach der Tür links rüber. Die Nacht ... als ich da nebenan ... Mariette mit ihren Kindern ...

MARIANNE von tiefstem Mitleid mit ihm gequält. Du ... solltest ...

GEORG einen Moment von seiner Erinnerung so überwältigt, wie sie es vorhin von ihrer gewesen war; als ob er das furchtbare Entsetzensbild, das sich ihm damals geboten, wieder vor sich sähe. Die Kleinste ... lag schon kalt, der Junge ... Als ich da ...

MARIANNE noch gefolterter. Du solltest ... diese Erinnrung ...

GEORG ausbrechend; das letzte Wort, von ihm unwillkürlich mit geschlossen Augen gesprochen, will ihm kaum über die Lippen. Und hätten wir an Mariette ... selbst das Zehnfache verbrochen ... eine solche ... Bestrafung ...

MARIANNE vor sich hin; fast wie nur zu sich selbst; die letzten drei Worte verzweifelt-schmerzlichst-zerknirscht. So ... glaubte ich ja auch! So glaubte ich ... an allem Anfang! Aber ... jetzt ... jetzt ... jetzt ...!!

GEORG stärkst fragend vor ihr aufgereckt; sie gar nicht verstehend. Ist unsre Schuld ... etwa gewachsen? Hat sie in der Zwischenzeit ...

MARIANNE noch in sich gekehrter; tiefst überzeugt; immer seelischer. Oh, nein! ... Durch das ... was du und ich ... was wir beide ... ohne, daß es in diesen drei Jahren zwischen uns eine Brücke gab ... ohne daß je auch nur das geringste Wort, oder der kleinste Blick es dem andern verraten hätte ... ohne ... durch all das ... was wir, jeder für sich ... im stillen und allein ... in dieser furchtbaren Zeit ... steigend durchgemacht und gelitten haben ... ist sie sogar eher ...[637]

GEORG unwillkürlich noch höher gereckt. Nun ja, also!

MARIANNE schwankend-unsicher. Vielleicht!

GEORG mit aller Energie auf sie einredend. Nicht »vielleicht«, sondern absolut ganz und gar sicher! Denn das beweist ...

MARIANNE Blick nach der Uhr; noch klagend- zweifelnder. Vielleicht!

GEORG der jetzt einen Moment lang die Herrschaft über sich fast wieder verloren hat; halb rasend. Blicke nicht nach der Uhr! Geste, als ob er im nächsten Augenblick die Uhr an sich reißen und zertrümmern wolle. Wenn du nicht willst ...

MARIANNE gelassen-ruhig; seine letzten Worte von vorhin wieder aufnehmend. »Das ... beweist ...?«

GEORG nachdem er sich bezwungen; von neuem auf und ab. Das beweist ... daß das einzige ... was wir uns Mariette gegenüber ... allenfalls vorzuwerfen gehabt ...

MARIANNE in seine Verlegenheitspause; da er bereits nach diesen wenigen Worten stockt; gedehnt fragender Nasaldoppellaut. Hm-n?

GEORG in seinem Satz, zwischendurch immer wieder stockend und ohne sie dabei anzusehn, weiter. Daß sogar selbst unser ganzer geistiger Verkehr ... das heißt also unser Briefwechsel ... so nah wir uns auch bereits mit der Zeit und allmählich durch ihn gekommen waren ...

MARIANNE ihm scheinbar zu Hilfe kommend. Eine Schuld gegenüber Mariette ...

GEORG seinen Satz, fast erbittert, schließend. Eine Schuld gegenüber Mariette ... nicht gewesen!!

MARIANNE ihm nachblickend; überlegen. Es beweist aber auch genau ... und ebensogut ...

GEORG einen Moment nach ihr zurückgedreht; in ihren Satz fast wider Willen. »Genau und ... ebensogut?«

MARIANNE fest, beinahe hart; ihn voll dabei anblickend. Das absolut haarscharf diametrale Gegenteil!

GEORG sich jäh wieder von ihr abwendend; Linke im Schläfenhaar. Du machst mich ... verzweifelt!!

MARIANNE betont-ruhig. Weil ich die Augen vor dem ... was hinter uns liegt ... nicht verschließe?

GEORG wie ohnmächtig nach Worten ringend. Es kann ...

MARIANNE wie vorhin; nur noch eindringlich-gesteigerter. Und weil ich[638] das ... was uns jetzt beide ... Wieder halber, von ihm diesmal nicht bemerkter Blick nach der Uhr. unabwendbar erwartet ...

GEORG der jede Fassung verloren. Es kann noch alles wieder gut werden! Es kann ...

MARIANNE unerbittlich. Für uns beide ... Auf einen von ihm jetzt unwillkürlich stutzenden Blick nach ihr. oder doch wenigstens für mich ...

GEORG stehngeblieben; unsicher fragend-erstaunt. »Für ...«

MARIANNE noch unterstrichner. Für mich als gerechte, ausgleichende Strafe, Sühne ... und Erlösung empfinde?

GEORG ausbrechend; wieder auf und ab. »Erlösung!« »Sühne!« »Gerechte, ausgleichende Strafe!« Leere, lächerliche Buchstabenzusammenklittrungen, für die es in der Realität ...

MARIANNE die ihm wieder nachblickt; verweisend-erstaunt. Du ... leugnest ...

GEORG sich kaum mehr kennend; noch immer auf und ab, ohne sie anzublicken. Ich leugne jede Transzendenz! Ich leugne, daß unser Diesseits ... wie ich das allerdings, aus Gründen, die ich ... dir gegenüber jetzt nachträglich wohl nicht erst zu streifen brauche, schwachköpfig genug war, eine Zeitlang anzunehmen ... durch irgendein Jenseits wieder paralysiert und ausgeglichen wird, und erkläre jeden ...

MARIANNE sich halb aufrichtend; fast strafend. Nachdem ... wir uns eben erst ... überführt und überzeugt haben, nachdem auch wir jetzt ... erlebt haben ... daß der Tod ...

GEORG stehngeblieben; vor Erregung zitternd; mit zornigst gekrampften Fäusten. Marianne!!

MARIANNE noch stärker. Daß der Tod ...

GEORG fast rasend. Sprich s nicht erst aus! Ich ...

MARIANNE noch gehoben-gesteigerter. Daß der Tod keine Grenze setzt?

GEORG nachdem er wieder Atem geschöpft; erbittertst. Das Ideeenwirrsal Onkel Ludwigs ...

MARIANNE kopfschüttelnd Einspruch erhebende Geste. Nicht ... Onkel Ludwig!

GEORG in seiner empörten Wut noch einen Schuß weiter. Hat dich, wie es scheint, nach und nach vollständig ...

MARIANNE achselzuckend. Wenn du ... nicht hörst ...![639]

GEORG mit aller Kraft sich wieder sammelnd, von neuem auf und ab. Ich kann die Erscheinung ... dies Doppelwesen, oder das Phantom ... und überhaupt ... den ganzen, gesamten, einschlägigen Rätselkomplex ... der mit dieser letzten ... scheußlichen Sitzung heute ... seinen letzten ... scheußlichen Abschluß gefunden hat ... weder dir ... noch mir ... erklären! ... Er entzieht sich für mich ... jeder Deutung! ... Aber gegen den Wahnsinn ... jawohl, Wahnsinn ... daß die Erscheinung, und sei s auch nur aus irgend einer Ecke her ...

MARIANNE unbeirrt. Wenn ... die Erscheinung aber doch selbst ...

GEORG erbittert-heftigst. Ich ... bitte dich! Um alles in der Welt! Solch ein ... Aberwitz!

MARIANNE überzeugt-hartnäckig; ausholend. Schon nach jener vierten ... oder fünften Sitzung ... als ihr mir zu meinem schaudernden Schrecken erzähltet ...

GEORG sie unterbrechend; gefaßter; mit permanent steigender Eindringlichkeit. Die Gestalt ... die sich aus dir in jedem tiefen Trance ... zuerst noch unbestimmt und nebelhaft ... dann immer plastischer und deutlicher, mit konstanter Regelmäßigkeit formte, bildete und entwickelte, und dessen reale Wirklichkeit auch heute wieder, und zwar von vier Personen gleichzeitig, mit unantastbarer Zuverlässigkeit, einwandfrei konstatiert wurde, ist von uns beiden hundertfach beobachtet und von mir zu Dutzenden von Malen stereoskopiert, auf das denkbar Genauste und Gewissenhafteste untersucht und mit allen Hilfsmitteln moderner Anthropometrik wiederholt bestimmt und gemessen worden! Daß sie also genau ebenso viel Male existiert haben muß und ganz unmöglich bloß ein subjektives, irreales Phantasiegebilde von uns gewesen sein kann, darüber ist jeder Zweifel für mich und jede Meinungsdifferenz ausgeschlossen! Jetzt aber zu sagen und ... behaupten zu wollen ...

MARIANNE nachdem sie ihm so lange aufmerksam zugehört, ihn unterbrechend und ihren Gedankengang von vorhin wieder aufnehmend; mit schnell wachsender Erregung und lebhaftestem, alle Nüancen spiegelndem Mienenspiel. Schon damals ... du magst dich dazu stellen wie du willst ... laß es für dich »Wahnsinn« sein und »Aberwitz«, aber ... ich kann nicht mehr schweigen![640] Ich ... muß dir die Wahrheit gestehn! Schon damals ... Lebendigste, malendste Gesten; Georg wieder stehngeblieben und zu ihr rüber. hatte ich das dunkle, grauenhafte Gefühl, das ... lähmende Entsetzen! Dies Wesen, das aus deinem Fleisch und Blut steigt, dies Etwas, das sich aus dir nährt ... wie ein Vampyr ...

GEORG von neuem verzweifelt auf und ab. Hätten wir doch nun und nimmer ...

MARIANNE noch immer sich steigernd. Und das, wie ein Spukbild ... sich wieder verflüchtigt hat und zerronnen ist, sobald du wieder ... aufwachst und ... zu dir kommst ... Abbrechend; von Grauen geschüttelt.

GEORG reuig-gequält; fast nachträglich vorwurfsvoll. Du hattest ... mir davon bis heute ...

MARIANNE nachdem sie Atem geschöpft; noch überzeugt-bestimmter. Ich fühlte! Und dieses Gefühl ... wuchs ... und wurde immer beängstigender! Dies Wesen ist dein Feind! Es verfolgt und haßt dich! Es zehrt an deinen Kräften und wird nicht eher ruhn ... als bis ... Abbrechend, die Augen geschlossen, mit ausgebreiteten Armen. Und jetzt ... weiß ich s! Und wenn sich auch alles in dir dagegen sträubt! Und wenn dein Verstand ...

GEORG wieder stehngeblieben; letzte, qualvollste Angst und Erbittrung. Marianne!! ... Wenn du dich von diesem Gedanken nicht losmachst, wenn es dir nicht gelingt ...

MARIANNE durch seine Heftigkeit wieder zu sich gekommen; unerschüttert; markiert gelassen- ruhig. Du hattest ... früher geglaubt ...

GEORG nachdem er sich noch mal mit aller Gewalt zusammengeruckt; von neuem auf und ab. Ich hatte früher geglaubt ... oder war doch wenigstens neuerdings zu der innern Überzeugung gelangt, daß der Tod ... wie ihn die heute noch immer herrschende mechanistische Weltauffassung lehrt ... unmöglich das Ende und den Abschluß unsrer seelischen Existenz bedeuten kann! Und ich bin sogar im Moment auch jetzt noch ... so herzlich töricht und überflüssig ich mich eben einen Augenblick von meinem Unwillen und Mißmut auch überwältigen und hinreißen ließ ... eher geneigt, mir diese Frage mit nein, als mit ja zu beantworten! Aber so primitiv in den äußern Vorgängen und in der Form ... wie du dir das vorstellst ...[641]

MARIANNE ihm ins Wort; visionär. Es wird ... nicht mehr lange dauern ... daß ich auch darüber ...

GEORG wieder auf sie zu; letzte, fast wie bettelnde Verzweiflung. Ma-rianne ... du ... hörst und ... siehst, wie ich unter deinem Wahn ...

MARIANNE langsam nickend; so anklagend ihre Worte ihn auch treffen, ohne jeden Vorwurf. Denkst du noch immer ... glaubst du ... auch jetzt noch ... daß ich den Schleier ...

GEORG der sich jetzt nur noch mit Mühe vor ihr aufrecht hält. Es war roh und bar jeder Vernunft, dich mit einem solchen ... niedrigen ... tölpelhaften Verdacht ...

MARIANNE kopfschüttelnd, Geste. Dann verstehe ich dich nicht mehr! Auf der einen Seite gibst du zu, daß die Phänomene auch diesmal ...

GEORG sich wieder in Bewegung setzend; kurzer, ungeduldiger Kopfruck. Ja! Aber der Schluß, das Resultat, die Endfolgrung, die du daraus ziehst, daß die Erscheinung oder das Phantom ... es kostet mir ordentlich Mühe und Überwindung, das auch nur auszusprechen ... nach irgendeiner Richtung, oder in irgendeiner Beziehung, eine zeitweilige Reinkarnation, oder temporäre Wiederverkörperung Mariettes gewesen sein soll ... schon der bloße Gedanke ist für mich von einer ... Absurdität ...

MARIANNE jetzt ihm ebenfalls ins Wort; fast mit einem ironischen Lächeln. Daß du dich dagegen auflehnst ... wie sich heute nachmittag ...

GEORG sie wieder nicht ausreden lassend; schärfst präzisierend. Die Stellungnahme deines Vaters, die gewiß, nach keiner Richtung und in keiner Weise, gerechtfertigt war, und von der er ja auch ... inzwischen selbst ... wenn auch allerdings, wie ich glaube, nicht zu seinem besonders ... persönlichen Glück und Vorteil ... und zwar radikal zurückgekommen ist ... richtete sich gegen Tatsachen!

MARIANNE fast wie ihn nicht begreifend-verwundert. Und der Einspruch ... den du jetzt erhebst?

GEORG noch energisch-bestimmter. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich mich gegen bewiesne und von mir jederzeit nachkontrollierbare Gewißheiten wende, oder ob ich mich gegen eine Hypothese[642] sträube! Und die Hypothese, um die es sich hier handelt ...

MARIANNE in seine Atempause; seinem Satz geschickt die Spitze abbrechend. Ist eine Hypothese ... wie jede andre!

GEORG um so leidenschaftlicher ihr widersprechend. Nein! Sie ist von allen Annahmen, die die Menschheit in ihrer absoluten Ohnmacht und Ratlosigkeit gegenüber dem Unbekannten sich bisher geleistet hat, die abenteuerlichste, ausschweifendste und phantastischste! Sie würde, wenn sie sich bewahrheitete ...

MARIANNE wieder wie vorhin. Den Sinn unsres ganzen Lebens umgestalten! Ja! Und warst du nicht grade derjenige ...

GEORG ausbrechend; seinem Temperament wieder die Zügel schießen lassend. Unser ganzes Leben ist eine einzige, widerwärtige, infernale Riesensinnlosigkeit!

MARIANNE durch dieses Wort fast wie physisch getroffen; mit wieder schmerzlichst geschlossen Augen. »Infern ...«

GEORG im Hintergrund auf und ab; kaum mehr auf sie achtend; noch unvorsichtig-heftiger. Infernale Riesensinnlosigkeit! Ja, ja, dreimal ja! So dachte ich, habe ich gedacht und denke ich auch noch!

MARIANNE wie vorhin; nur noch gepeinigt-gequälter. Und ... da ...

GEORG der in seiner Erregtheit die Wirkung seiner Worte auf sie nicht mehr registriert; sich noch immer steigernd. Aber durch Ungeheuerlichkeiten, wie du sie jetzt annimmst, durch die gehirnlichen Sankt Veitstänze, die Onkel Ludwig sich vormacht, durch Deutungsversuche in diesem Genre wird der Kuddelmuddel, den wir Welt nennen, und an dessen Entknäulung wir uns abrackern, seit wir unsre amüsanten, grotesk schichtweis unterschiedlichen, sämtlichen Schleimpilz-, Infusorien-, Mollusken-, Haifisch- und Schnabeltierstadien glücklich hinter uns gelassen haben, und auf diesem pompös-fulminanten, angenehm rundgedrehten Ball hier als so genannte »Ebenbilder Gottes« kulturfreudig aufrecht auf zwei Beinen rumwandeln, nur noch zehntausendmal verkuddelmuddelter!

MARIANNE ihm nachblickend; klagend-vorwurfsvoll. Und an dieses ... Leben ... an diese ... »Riesensinnlosigkeit« ... die dir schon rein intellektuell ... jetzt kaum noch ertragbar scheint ... suchst du mich nun ... mit aller Kraft und Gewalt ...[643]

GEORG den Kopf in beiden Händen; verzweifelt. Könnte ich s ... allein ...

MARIANNE ausholend; schwer. Auch ich ... seit Jahr und Tag schon ... trug s ... nicht ... leicht! ... Aber ... seit ... heute ... seit heute früh ...

GEORG ganz überrascht-verdutzt stehngeblieben. »Seit ...?«

MARIANNE seine unausgesprochne Frage ihm beantwortend. Seit ... plötzlich ... dieser ... Fremde ...

GEORG dem es dadurch aus einmal wie Schuppen von den Augen fällt; Tonfall noch perplexer. Ma- rianne!!

MARIANNE durch seine wie »entsetzte« Verwundrung unwillkürlich zu noch weiteren Details gedrängt. Der mich ... unterwegs ... für Mariette hielt ... und der dann später ... in dieses Haus drang ...

GEORG sie groß anstarrend; stärkst. Du hast ... alles gewußt?!

MARIANNE in wieder wachsender Erregung; mit ausgebreiteten Armen. Ich habe alles ... gewußt und ... was ich dann auch ... tat ...

GEORG wie vorhin; nur noch gesteigert. Du hast ... alles gewußt?!!

MARIANNE nickend; mit letzter Kraft. Alles!!

GEORG mit einem jähen Ruck seinen Gang wieder aufnehmend; schnellste, sich fast überstürzende Sprechweise. Dann war dieser ganze Spuk ... dieser ganze, sich so hypertranszendental gebärdende Schwindel ... alles, was uns in dieser lächerlichen, kläglichen Sitzung so raffiniert diabolisch spitzfindig foppte, narrte und prellte, nichts als das bizarr irreführende, phantastisch aufgestutzte, zwitterhafte Produkt deiner unterbewußt automatisch aus sich selbst reagierenden Psyche! Wieder nach ihr zurückgedreht. Und du mußt einsehn ...

MARIANNE schmerzlichst, fast mitleidig lächelnd. Wenn dir das ...

GEORG in seinem Satz, um so eindringlicher, weiter. Daß deine hartnäckig widerspenstige Autosuggestion ...

MARIANNE achselzuckend; ähnlich wie vorhin. Wenn du glaubst ... wenn du dir einbildest, daß unser menschliches Unterbewußtsein ...

GEORG noch prononziert-akzentuierter; voll überzeugt und wie befreit aufatmend, nun doch, was ihm im Moment wie eine Lösung des Rätsels vorkommt, gefunden zu haben. Grade das, ausgerechnet unter diesen Umständen und speziell in diesem Fall, erklärt mir jetzt mit einem Ruck, als ob durch Nacht, Nebel[644] und Dunkel auf einmal jäh ein Scheinwerfer gefallen wäre ... alles!!

MARIANNE ausholend; im Gegensatz zu ihm langsame, jedes Detail besonders heraushebende und unterstreichende Sprechweise. Auch ... daß in jener Todesnacht vor drei Jahren mir Mariette erschien? ... Auch ... daß sie den heutigen Tag mir prophezeite und daß sich diese Prophezeiung ...

GEORG nachdem er nach der Uhr gestarrt, die in diesem Moment Dreiviertel geschlagen; wieder, erbittert, auf und ab. Du kannst nicht sagen, daß sie sich schon erfüllt hat!

MARIANNE wie vorhin. Auch ... daß dein kleiner Sohn ...

GEORG unruhig-betroffen; mit einem jähen Seitenblick. Was ... soll ...

MARIANNE auf seine Frage nicht reagierend; in ihrem Satz weiter. Den wir bereits vollkommen wieder frisch und gesund gepflegt hatten ... nach sieben Wochen plötzlich ... ohne, daß die auf deinen eignen Wunsch vorgenommene Obduktion auch nur die geringste, erkennbare Todesursache ergeben hätte ...

GEORG ablehnend-heftigst. Üblich handwerkliche Unfähigkeit und Unwissenheit der Ärzte! Du wirst doch nicht behaupten ...? Mit der flachen Linken sich vor die Stirn schlagend. Es wäre doch einfach gar nicht auszudenken ...

MARIANNE von seinem Einspruch völlig unberührt geblieben. Auch ... daß dieser ... Fremde ... durch dessen unheilvolle Dazwischenkunft der Knoten sich überhaupt erst schürzte ... ohne dessen seltsames Auftauchen ich über das, was Mariette in den Tod getrieben, die letzte Sicherheit und Klarheit niemals bekommen, erlangt und erhalten hätte ... und ohne dessen schließliche Teilnahme an unsrer Sitzung wahrscheinlich nichts an den Tag gekommen wäre ... auch daß dieser Fremde ... nachdem wir schon voneinander Abschied genommen ... gradezu fast bis auf die Minute pünktlich ...

GEORG kurz, scharf, abweisend-kühl. Zufall!

MARIANNE mit unwillkürlich etwas erhobnerer Stimme; immer eindringlicher. Auch ... daß diese Sitzung ... vor der mein »Unterbewußtsein«, wie du es nennst, uns doch alle beide gleichzeitig, und zwar noch dazu auf das allernachdrücklichste gewarnt und abgemahnt hatte, dann grade dadurch, daß du diese Warnung[645] in ihr Gegenteil deutetest, obgleich ich mich mit aller Macht, Kraft und Gewalt dagegen sträubte und wehrte, und obgleich du deinen Willen infolgedessen schon so gut wie aufgegeben hattest, schließlich trotzdem und dennoch ...

GEORG durch die Gewalt ihrer Gegengründe wankend geworden; veränderter Tonfall; fast bereits wieder verzweifelt. Wie soll ich dir das alles ...

MARIANNE noch stärker als vorhin; die Maschen ihres Netzes immer enger ziehend. Und auch ... daß dann in und während dieser Sitzung mein angebliches Dublum, Doppelwesen oder zweites Ich so über alle Maßen und überhaupt jeden Begriff einfältig, kindisch und töricht gehandelt haben soll, daß es mit Hilfe dieses tückisch abscheulichen Schleiers, den es, ohne daß ich etwas davon wußte und ahnte ...

GEORG zerquält; unter der logischen Unerbittlichkeit ihrer Argumentation sich fast »windend«. Laß den ...

MARIANNE von seinem Zwischenruf kaum unterbrochen, noch immer sich steigernd. Daß es grade das ... was ich in unserm allereigensten Interesse, wachend, um keinen Preis dir verraten haben würde, euch allen durchsichtig, verschlagen arglistig offenbarte, bis es sich dann endlich und schließlich so haßerfüllt giftig perfid und bösartig gab, daß es dich zwang ...

GEORG stehngeblieben; zu ihr rüber; flehendlichst. Hab Mitleid! Hab ...

MARIANNE in ihrer grausamen Aufrollung weiter. Daß es dich zwang ... obwohl alles in dir wußte, obwohl du dir keinen Moment lang verhehlen konntest, was für dich und mich dabei auf dem Spiel stand ... obwohl du dir vollkommen darüber klar warst ...

GEORG wie vorhin; fast von Sinnen. Hab Erbarmen!!

MARIANNE in ihrer Erregung wieder kein Mitleid kennend; noch nachdrücklicher; ihre Stimme nimmt einen beinahe ehernen Klang an. Daß es dich zwang ... sinnlos auf mich zuzustürzen ... um ohnmächtig blind ... nach deinem dir auch zugleich und im selben Moment spurlos entgleitenden Todfeind zu packen ... der niemand anders gewesen war, als ...

GEORG unter ihrem wie rächend auf ihn gerichteten Blick fast erstarrt. »Als?«[646]

MARIANNE letzte ehernste Wucht; einen Moment fast wieder wie die Erscheinung im dritten Akt. Als ... Mariette?!

GEORG der unter diesem Wort heftigst zusammengezuckt war; ausbrechend; wieder auf und ab. »Mariette!!« ... »Mariette!« Mariette, oder nicht ... mein Verstand steht hier still ... mein Gehirn versagt ... mein Intellekt kann nicht mehr mit, und ich erkläre mich vollkommen unfähig, an diesen Komplex ...

MARIANNE nach ihrer furchtbaren Erregung wie zusammengebrochen; schmerzlichst. Es hat also ... nichts ...

GEORG in der Mitte der Bühne stehngeblieben; mit letzter Bestimmtheit; fast feierlich-ernst. Nein! Das Opfer, das du mir gebracht ... ist unter jedem Gesichtspunkt, nach jeder Hinsicht und in jedem Betracht absolut ganz und gar nutzlos und vergeblich gewesen!

MARIANNE wie vorhin; nur noch klagend-erschütterter. »Absolut ganz und gar ...«

GEORG immer machtvoller sich steigernd. Nutzlos und vergeblich gewesen! Ja! Unser ganzem Suchen und Wissen ... je leidenschaftlicher und tiefer wir uns in die Dinge wühlen ... ist ein einziger, spiegelnder Irrgarten! Und mit jedem neuen Schritt, mit jeder neuen Biegung ... je trostloser wir uns in ihm verrennen ... immer wieder ... stiert uns grinsend an ... nichts ... als unsre verzerrte ... Fratze!!

MARIANNE entsetzt-kläglichster Jammer. Und mit ... diesem Bekenntnis ...

GEORG noch immer in der Mitte der Bühne; mit gekrampften Fäusten etwas von ihr abgewandt; voll nach dem Zuschauerraum; herbste, ehernste Wucht. Mit diesem Bekenntnis negiere ich alles, wonach ich bisher gestrebt, gebe ich jede Hoffnung, mich aus dem Uferlosen, in dem ich schwimme, auf die kleine, dürre Sandinsel, auf der mein Leben mir noch einen Sinn und mein Dasein mir noch etwas wie einen Zweck gehabt zu haben schien, je wieder zurückzuretten, endgültig und definitiv auf und weiß ... Noch immer sich steigernd; jetzt die Augen unwillkürlich, schmerzlichst, geschlossen. daß die große Verzweiflung, die noch alle gepackt, die sich auch nur den tausendsten Teil eines Millimeters über das regulär Übliche hinausgewagt haben, in vielleicht ... Die Augen wieder groß auf, die Fäuste noch immer[647] gekrampft, wie visionär vor sich hin. bereits ganz kurzer Zeit ... in allernahster Zukunst ... auch über mir zusammenschlagen wird!

MARIANNE nach einer kleinen Pause; sich aufrichtend; Blick nach der Uhr; seltsam langsam und rhythmisch-feierlich. Öffne ... die Tür dort ... und lösch ... die Lampe aus!

GEORG nach einem Moment sprachlosen Entsetzens; durch ihren Stimmklang wie aus sich selbst aufgeschreckt; mit stockendem Atem. Wo-zu? ... Wes-halb?

MARIANNE ähnlich wie vorhin; fast rauh-befehlend. Die schwüle Zimmerluft ... bedrückt mich ... und das Licht ...

GEORG sie noch immer groß anstarrend; einen Augenblick fast wie hilflose Kopfbewegung nach der Tür rechts. Soll ich nicht doch ... nach deinem Vater ...

MARIANNE klagend-schmerzlichst; die Augen, halb abgewandt, jetzt einen Moment lang ebenfalls geschlossen. Tut mir weh!

GEORG nach einem raschen, verzweifelten Blick nach der Uhr. Sofort! ... Mit bereits instinktiv halb ausgestreckter Rechten schnell um den Schreibtisch und dort .... Gleich! ... Das Licht ausschaltend; nachdem er die mittelsten Gardinen hastig zurückgezogen, auch Mariannes zweiten Wunsch erfüllend; aus dem Hintergrund wieder nach ihr zurückgedreht; weichster, hellster Mondschein; durch die nächtliche Stille zwei sich in diesem Moment kreuzende Autos; Nachtigallen. ... Deine Stimme ...

MARIANNE wieder fast wie befehlend; tiefster Stimmklang; Geste etwas vor ihr nach links. Komm!

GEORG nachdem er wieder nm den Schreibtisch gegangen; beschwörend. Nimm ... alle ...

MARIANNE ihn voll anblickend, fest. Du ... versprichst mir ...

GEORG über ihre Worte hinweg; noch gesteigert- eindringlicher. Nimm alle ... Kraft zusammen!

MARIANNE mit noch erhobnerer Stimme nochmals. Du gibst mir dein Wort ...

GEORG wieder wie vorhin; als hätte er ihre befehlend-auffordernde Bitte gar nicht gehört; allerstärkst. Alle ... Kraft!

MARIANNE noch gesteigertst-eindringlicher. Du ... schwörst mir zu ...

GEORG verhalten-verzweifeltst. Ich ... könnte dies Leben ...[648]

MARIANNE noch immer als hätte er gar nicht gesprochen, in ihrer Linie unerbittlich weiter. Daß du morgen früh ... wenn ich ... dann nicht mehr bin ...

GEORG noch näher auf sie zu; ausbrechend-flehendst. Geh nicht ... von mir!! ... Geh nicht ... von mir!! Ohne dich ...

MARIANNE nach einem neuen, angstvollen Blick auf die Uhr; schluchzend-klagend, fast rührend- kindlich. Nur ... Nur noch ... wenige Minuten! Nur ...

GEORG vor ihr zusammengebrochen; auf den Knieen. Ma- ... rianne!!

MARIANNE mit aller Kraft noch beherrscht; stockend-langsam; trotz ihres schmerzlichsten Stimmklangs fast wie aus einem leisen, heimlichen Glück. Ich ... hätte doch nicht gedacht ... daß mir der Abschied von dir ...

GEORG noch erstickt-herzzerreißender. Marianne!!

MARIANNE noch weicher. Daß mir ... der Abschied von dir ...

GEORG der ihre beiden Hände ergriffen und sie fest in seinen hält; zu ihr auf. Ich flehe dich an! Ich bitte dich! Ich bitte dich auf den Knieen! Sprich nicht so!

MARIANNE jetzt fast in Tränen. So ... schwer fallen würde!

GEORG sich von neuem zusammenraffend; immer eindringlich-flehender. Reiß die dumme, törichte Einbildung, mit der du dich und mich jetzt zermarterst und von Sinnen bringst ...

MARIANNE wieder erschreckt-angstvoll. Die ... »dumme ...«

GEORG noch stärker, wenn auch schon fast wieder am Rand seiner Kraft. Reiß dich von ihr los, und ...

MARIANNE noch unterdrückt-angstvoller; mit einem neuen hastigen Blick nach der Uhr. Die »dumme, törichte Einbildung« wird dir und ... mir ...

GEORG noch immer vor ihr auf den Knieen; wie gefoltert, fassungslost. Marianne!!

MARIANNE mit wieder veränderter Stimme; zutraulich-weichst; von neuem ausholend. Lieber Georg!! Wenn ich morgen früh ... Mit stürzenden Tränen. Wenn du dann ganz allein bist ...

GEORG energischst wieder aufgestanden und vor ihr mit ingrimmigst geballten Fäusten. Dann werde ich den Hund ...

MARIANNE ihn groß anstarrend; beschwörendst- flehend. Du sollst deine Schuld ...[649]

GEORG in fast unveränderter Haltung; maßlos. Und wenn ich sie zu einer tausendfachen machte, und wenn ihr euch alle ...

MARIANNE wie nach Luft ringend. Du ... sollst deine Hand ...

GEORG haßerfülltst; fast knirschend durch die Zähne. »Wie du mir ... so ...«

MARIANNE ihre Worte nur noch mühsam, mit letzter Energie aus sich herausstoßend. Du ... sollst sie nicht ... mit Blut beflecken!

GEORG hoch aufgerichtet; jeder Nerv gespannt. Marianne! ... Ich schwöre dir zu ... ich gebe dir mein Wort ... ich verspreche dir ... ich würde das rächende Gericht ... morgen früh ...

MARIANNE wieder verzweifelst-klagend, die Augen geschlossen, fast wie in der Szene vorher. Noch eh ... die Sonne ...

GEORG in seinem Satz weiter; letzte, eisernste Entschlossenheit. Über ihn abhalten ... und die gleiche Hand ... mit der gleichen Waffe ... noch am gleichen Tag ...

MARIANNE in seine Atempause; mit halb brechender Stimme. Sprichs nicht ...

GEORG noch immer sich steigernd; wie vorhin. Würde das gleiche ... rächende Gericht ... mit der gleichen ... kalten Ruhe und unbarmherzigen Sicherheit ...

MARIANNE beide Hände am Herzen; unter seinen Worten sich fast windend. Sprichs nicht ... aus! Ich ...

GEORG versichernd-wuchtigst; noch immer in seinem selben Satz. Sei überzeugt ...

MARIANNE die Hände, wie ohnmächtig, schlaff über beide Lehnen; zerquält-verzweifeltst; die Augen wieder geschlossen. Ge-org!!

GEORG mit ausgebreiteten Armen, den Kopf zurück, seinen Satz machtvollst schließend. Auch ... über mich ... abhalten!

MARIANNE in letzter, sichtbarster Seelenqual; fast wimmernd. Das ... darf nicht ... sein! Das ... das darf nicht geschehn! Das ... Das ... So ... grausam kann Mariette ...

GEORG ihre letzten Worte unbarmherzig aufnehmend und jeden Akzent unterstrichendst betont. So ... grausam hat Mariette ... mein Los ...

MARIANNE von seiner Eröffnung fast zermalmt; die Augen wieder qualvollst geschlossen. Georg!!

GEORG in seinem Satz, jedes Wort wie aus Erz, weiter. Mein Los mir[650] vorausgesagt, und unser beider Schicksal, verlaß dich drauf, geht in Erfüllung, wenn du nicht jetzt endlich ...

MARIANNE nach einem Moment peinvollsten, letztinnerlichsten Ringens mit sich selbst; sich mit aller Macht und Gewalt aufraffend. Ich werde ... alle ... meine Kraft zusammennehmen! Alle ... meine Kraft! Ich werde die dumme ... törichte Einbildung ...

GEORG zu ihren Füßen, überwältigt, fast schuchzend. Liebe! ... Süße!

MARIANNE nach ihrer beider furchtbarer Erschüttrung fast wie durch Tränen bereits lächelnd. Und wir wollen beide ... hoffen ...

GEORG noch ähnlich wie vorhin; aus tiefster, seelischster Ergriffenheit. Hab Dank! Hab Dank! Nun ...

MARIANNE weichst; wärmst; seligst. Du hast ... mich immer ... geliebt!

GEORG der jetzt alles um sich vergessen; leidenschaftlichst; beide Arme wieder weit ausgebreitet. Vom ... ersten ... Augenblick! Vom ... ersten ... Augenblick!

MARIANNE noch gesteigerter als vorhin; tastend, stockend. Du hast ... mit dir gekämpft ... und hast ... gelitten!

GEORG einen Moment wieder wie schmerzlichst; jedes Wort von stärkstem Gefühl durchtränkt und schwerst betont. Mehr ... als du glaubst! ... Mehr als du ... ahnst und glaubst! Oft ...

MARIANNE die ihn voll verstanden; von sich aus ebenso. Ich habe ... alles gewußt! Ich habe alles gewußt! Und oft ...

GEORG der ihre beiden Hände wieder ergriffen; aus letztem Empfinden; noch inniger als vorhin. Liebe!! ... Süße!!

MARIANNE nach einer kleinen Pause; ruhiger. Weißt du noch ... was du mir damals ... im Garten ...

GEORG wie vorhin; nach ihrem vor Glück fast bebend ausgesprochenen Namen auf ihren Händen seine Lippen. Marianne ...!!

MARIANNE zu ihm herabblickend; jetzt wirklich mit einem leisen Lächeln. »Mariette« ... sagtest du zu mir! ... »Mariette!«

GEORG seligst-schmerzlichst; wie durch dieses Wort aus einen Augenblick in die Erdenwelt wieder zurückversetzt. »Mariette!!«

MARIANNE in ihrer Erinnerung immer seelischer. Und als ich ... das Kettchen ...

GEORG schmerzlichst-leidenschaftlichst. Hättest du ... mir doch damals ...[651]

MARIANNE in einem Moment völligster Selbstvergessenheit; mit geschlossnen Augen. Hätt ich s doch! ... Hätt ich s!

GEORG durch ihr Bekenntnis erschüttert; voll zu ihr aufblickend; fast jubelnd. Marianne!!

MARIANNE ihm melancholisch-zärtlichst lächelnd durchs Schläfenhaar fahrend. Grau! ... Grau!! ... Vor Schmerz und Kummer grau!! Und damals ...

GEORG schmerzlichst; schwer. Damals!! ... Damals!!

MARIANNE letzte, seelischste Innigkeit. Vom ersten ... Augenblick! ... Auch ... ich! ... Auch ... ich!

GEORG ihr Geständnis in sich trinkend. »Vom ersten ...«

MARIANNE womöglich noch gesteigert. Augenblick! ... Und als ... du dann gegangen ... der dunkle ... Abendgarten um mich schwieg ... deine letzten Worte ... klangen mir noch im Ohr ... Immer schmerzlicher, immer schwerer. ich stand ... und rang mit mir! ... Soll ich ... vor Mariette treten? ... Soll ich ... ihr alles ... bekennen? ... Soll ich ... Ich ... mußte dich ... ihr lassen!

GEORG der vor erstickten Tränen kaum noch fähig ist, auch nur diese drei Worte zu stammeln. Du ... mußtest mich ...

MARIANNE letzte Trauer, letzter Schmerz. Ihr lassen! ... Sich aufraffend; von neuem; jedes Wort wie ein schwerster, fallender Tropfen. Aber ... schon damals ... damals schon ... fühlte ... und ... wußte ich ... nie ... nie ... nie ... würde ... dein Bild ...

GEORG unterdrückt seligster Jubel. Liebe!! ... Süße!! ... Liebe!! ... Liebe!!

MARIANNE vor Glück trunken; beide haben Zeit und Welt um sich vergessen, und es scheint einen Moment fast in der Tat, als ob »der Kelch« wirklich an ihnen »vorübergehen« sollte. Immer ... dies Wort! Immer ... dies Wort!

GEORG den Kopf selig in ihren Schoß vergrabend. Und nie ... genug!! Nie ... genug!!

DUFROY durch die Tür rechts; die beiden aus ihrem »Traum« schreckend; ganz verblüfft-überrascht, das Zimmer in diesem halbhellen Monddämmer zu finden. Was ...?

GEORG der sich sofort erhoben; fragend-unwillig nach ihm rüber. Wie-so ...?[652]

MARIANNE unterdrückt-entsetzt, als ob sie den eben Eingetretenen, der in diesem Moment noch an der Tür steht, nicht sofort erkannt hätte. Vater!!

DUFROY zögernd-angstvoll näher. Du tust ... so erschreckt ...?!

MARIANNE die Linke wieder am Herzen, die Augen starr auf die Tür. Mir ... war ...

GEORG dem der jähe Schreck, der durch sie gegangen, noch in allen Gliedern liegt; sich mit Gewalt in seine alte Art und Haltung ruckend. Wünschst du ... daß ich das Licht ...?

MARIANNE die ihn gar nicht gehört; noch gesteigerter als vorhin. Als ob durch die Tür ... Plötzlich zu Georg, der in diesem Augenblick die Lampe wieder aufgedreht hat, mit entsetzt schützend vorgestreckten Händen, qualvollst. Nicht!! ... Noch verstört- entsetzter, obgleich Georg die Lampe bereits, sofort, wieder ausgedreht hat. Nein!!!

DUFROY um sie bemüht; fast fassungslos. Kind!! ... Kind!!!

GEORG ähnlich; wenn auch etwas bezwungner. Marianne!!

MARIANNE schwach, lasch; wie nach einem schwersten Anfall. Es ... ist schon ... Mit dem Versuch, sich wieder aufzuraffen. Euch ... so ...

GEORG besorgt-vorwurfsvoll. Du hast mir ... versprochen ... dich zusammenzunehmen!

DUFROY ihm, milder, assistierend. Du mußt also ... auch dein Versprechen ...

GEORG noch immer vergeblich Gefaßtheit und Ruhe markierend. Du darfst jetzt nicht ... bei jedem Luftzug ...

MARIANNE weich, rührend; fast wieder klagend- schmerzlich. Habt ... ein bißchen ... Geduld mit mir! ... Geduld ... und ein bißchen ... Nachsicht!

DUFROY mit aller Kraft den innern Aufruhr, der in ihm tobt, vor ihr zu verbergen trachtend; ihr zärtlichst übers Haar streichelnd. Herzl!!

GEORG sich wieder in Gang setzend; selbst auch jetzt noch fast wieder mit einem Gemisch leiser Eifersucht. Liebster ... Schwiegervater ... du hättest ruhig ...

DUFROY halb verwundert zu ihm rüber. Ich konnte doch unmöglich ... drüben bleiben, während hier Marianne ...[653]

GEORG der jetzt keinen mehr anblickt; mit aller Gewalt sich wieder sammelnd. Marianne ... hat auf mein vernünftiges Zureden ...

MARIANNE in ihren halb somnambulen Zustand schon fast wieder zurückverfallen; skeptisch- schmerzlichst-ironisch. »Auf dein ... vernünftiges ...«

GEORG wie vorhin; noch gesteigert. Auf mein vernünftiges Zureden ... ihre fixe Unglücksidee aufgesteckt ... und wir dürfen jetzt alle ... zuversichtlich ...

DUFROY trotz des erst eben noch halb versteckten Protests von Marianne, über den er mit Absicht hinweggehört, unwillkürlich ans tiefstem Herzen aufatmend. Gott sei ... gelobt und ... gedankt!

GEORG mit einem wieder halb angstvollen und doch dabei jetzt wie bereits halb zuversichtlichen Blick nach der Uhr. Noch ... wenge ...

DUFROY um so eindringlich-hartnäckiger; nach Marianne wieder zurückgedreht. Noch eine kurze ... Zeit ... und du wirst sehn ...

MARIANNE wieder schmerzlichst; Blick vor sich hoch wie ins Leere; somnambul. »Sehn ...!!«

GEORG von neuem, nervös, auf und ab; fast wieder gereizt-heftig. Daß deine ganze, törichte Eigensuggestion, mit der du dich unnütz gequält hast ...

DUFROY vermittelnd; von einem zum andern. Sie ... sieht s ja ... ein! Sie ...

GEORG wieder stehngeblieben und nach ihr zurück; mit jedem Wort sich überstürzend-eifriger. Solche Fälle kommen nicht vor! Solch ein Fall liegt außer aller Erfahrung! Solch ein Fall ... Hier steht dein Vater! Dein Vater wird dir sagen ... Dein Vater ...

DUFROY als ob er aufs felsenfesteste davon überzeugt wäre. Aber ganz gewiß nicht! Ganz und gar gewiß nicht! Marianne ... denkt nicht mehr daran!

MARIANNE durch die es wieder wie ein Hoffnungsstrahl zuckt; sich mühend, aus ihrem Sessel aufzustehn. Ob ich s ... versuche? ... Vielleicht ...

GEORG während Dufroy ihr dabei behilflich ist; allereifrigst; jede Bewegung der beiden gespanntst verfolgend. Versuchs! Versuchs! ... Vielleicht ... Vielleicht ...

DUFROY das Vergebliche, jedenfalls aber zum mindesten Verfrühte ihrer vereinten Bemühungen bereits einsehend. Du bist ... doch noch ...[654]

GEORG noch gesteigerter-eindringlicher; als ob der suggestiv-aufstachelnd-zuredende Ton seiner Worte ihr plötzliche Kräfte verleihen könne. Versuch s! Versuch s!

MARIANNE in ihren Sessel wieder zurücksinkend; matt. Ich bin ... doch noch ... zu ... müde!

GEORG noch immer an seinem Platz; auch jetzt noch sich steigernd; mit aller Kraft und Gewalt ihr und sich Zuversicht einredend. Was tut s? Was tut s? In einer kleinen Viertelstunde ...

DUFROY einfallend; noch stärker. Ist alles wieder gut! Aber ohne jeden Zweifel! Ohne jeden Zweifel!

MARIANNE der jetzt vor Dank und »Glück« fast wieder die Tränen kommen. Ihr seid ... Beide ... Ihr seid ... zu mir ... alle Beide ...

DUFROY mit beiden Händen ergriffen ihre Linke drückend. Liebling!

GEORG der jetzt ebenfalls bei ihr, ähnlich wie Dufroy, mit beiden Händen ihre Rechte hält. Marianne!

MARIANNE von einem zum andern hoch; »glücklich«. Vater! ... Georg! ... Nach einer kleinen Pause, während der man fühlt, daß Georg und Dufroy, die einen stummen, vollsten Blick gewechselt, jetzt völlig miteinander ausgesöhnt; fernes Auto, Nachtigallenschlag; leise Kopfbewegung nach dem Garten hin. Nun ist ... Onkel Ludwig ... Abbrechend. Nicht wahr? ... Langsam-innigst. Wir haben ihn alle ... lieb gehabt!

DUFROY warm. Ja! ... Und es war ... seine schönste Tat ...

MARIANNE in seinem Satz weiter. Sich zu bezwingen ...

DUFROY wie sie. Und der alten Frau ...

MARIANNE die ersten Worte zu Dufroy, die letzten zu Georg hoch. Jetzt ... werden wenigstens ... seine letzten Tage ...

GEORG ablenkend-einfallend; von neuem Auto. Hoffen wir s!

MARIANNE wieder nach der offnen Balkontür; die mild-frische Nachtluft wie in sich schlürfend. Der ... herrliche ... Mondschein!

DUFROY der die halbe Drehung, die Marianne dabei machen muß, für sie nicht ganz bequem hält. Sitzst du nicht ...

GEORG beide Hände bereits auf der Lehne. Soll ich dir ... den Stuhl ...

MARIANNE Geste; leicht ablehnend. Danke! ... Nein! ... Ich kann ... wenn ich ... den Kopf ... Dufroy, von beiden unbemerkt, wieder Blick nach der Uhr; nochmals Auto.[655]

GEORG in das »Mondbild« einen Augenblick fast »versunken«; langsam. Nachtigallen ... und Automobile!

MARIANNE ähnlich. Nachtigallen ... und ... Plötzlich jäh zusammengeschreckt und, wie irr, um sich blickend.

DUFROY ebenso; ganz entsetzt. Was hast du? Was ist dir?

GEORG dem fast der Atem stockt; ähnlich. Was war?!

MARIANNE mit groß angstvoll aufgerissnen Augen, noch gesteigerter als vorhin. Habt ihr ... nicht gesehn?

GEORG allerstärkst; sich vergeblich im Raum umblickend. Was?!

DUFROY ebenso; matteres Echo. Was?

MARIANNE vorgebeugt; lauschend. Habt ihr ... nicht gehört?

DUFROY ganz ratlos; zu Georg rüber. Ge-hört?

GEORG zu Dufroy; ähnlich; nur noch stärker. Ge- hört?!

MARIANNE immer verstörter, immer angstvoller. Es ist hier ... außer euch ...

DUFROY schon fast kopflos. »Außer ...?«

GEORG noch mal allerstärkst. Wer?!

MARIANNE nach den betreffenden »Stellen«; sich permanent steigernd. In der Tür! ... Am Kamin! ... Aus der Ecke!

DUFROY sich entsetzt überall umblickend. Wo?

GEORG noch verstärkt. Wo?!

MARIANNE mitten vor sich in den Zuschauerraum; mit schlotternd vorgestrecktem Zeigefinger. Dort! ... Dort!

GEORG schärfst ebendorthin blickend. Dort?!

MARIANNE von Grauen in ihren Sessel wieder halb zurückgeworfen; als ob sie das Geschilderte leibhaft vor sich sähe. Aufrecht! ... Schwebend! ... In einem fahlen ...

DUFROY sich unwilligst zusammenruckend. Du fieberst!

GEORG noch stärker. Du delirierst!

MARIANNE von Angst geschüttelt; immer entsetzter. In einem fahlen ... Schein! Die Augen ... gebrochen! Die Lippen ... bläulich! Das Kinn ...

GEORG von innerstem Grausen gepackt, mit dem vergeblichen Versuch, sie in die »Realität« wieder zurückzurufen. Marianne!!

MARIANNE mit geschlossen Augen, beide Hände zitternd gekrampft, in ihrem Sessel ganz zurück; wie sich vor ihrer grauenhaften Halluzination in sich selbst verkriechend. Wie ... damals!! Wie ...[656]

DUFROY mit gesammeltster Energie; nochmals unwillkürlich in den Zuschauerraum. Ein leeres, wesenloses Trugbild!!

GEORG ebenso; nur wieder noch stärker. Ein Nichts!!

MARIANNE die Augen wieder groß auf und den Blick von neuem vor sich auf den gleichen Fleck. Wie ... damals!! Sich wie automatisch nach dem Kaminsims drehend. Nun wird gleich ... die Uhr ...

DUFROY zitternd um sie bemüht; gurgelnder Angstlaut zu Georg. Licht!!

GEORG nach der Tür rechts stürzend und dort den elektrischen Schalter suchend, den er in seiner flatternden Hast und Angst nicht gleich im Moment findet; mit letzter, verweifeltster Energie, halb dabei nach ihr zurückgedreht, auf sie einredend. Denk, daß du leben sollst!! ... Denk, daß du leben sollst!! ... In diesem Augenblick flammt über dem Schreibtisch die große Blumenkrone auf und das ganze Zimmer erscheint von ihrer blendenden Lichtflut wie durchtränkt. Denk ...

MARIANNE noch nach der Uhr gedreht; die Linke wie abwehrend-schützend gegen das Licht gehoben, die Augen angstvollst auf dem blanken Zifferblatt. Nun wird gleich ...

DUFROY die Augen unwillkürlich ebenfalls wieder nach der Uhr; verzweifeltst-fassungslos. Kind!!

GEORG nach einem schnellen, ebenfalls wie verstörtesten Blick auf die Uhr; schon wieder bei ihr; noch gepeinigst-erschütterter. Marianne!!

MARIANNE jammerndst-flehendst; mit erhobnen Händen. Du ... gibst mir ... dein Wort!! Du ... gibst mir ... dein Wort!! Ich ... kann nicht sterben, wenn du mir nicht ...

GEORG vor ihr niederbrechend; beide Hände von ihr packend und sie sich verzweifelt auf seinen Kopf pressend, den er in ihren Schoß gräbt. Marianne!!!

DUFROY ihr entsetzt angstvollst-betunlichst Schultern und Arme streichelnd; suggestivst auf sie einsprechend. Du darfst nicht sterben!! Du darfst uns nicht sterben! Du ...

GEORG ihre beiden Hände wieder in seinen; zu ihr auf. Denk, daß du leben sollst!! Denk ...

MARIANNE immer schmerzlicher; immer angstzerquält-bettelnder. Gib mir dein Wort!! Gib mir dein Wort!!

GEORG beide Hände um ihre Handgelenke, die er jetzt weit auseinanderhält;[657] wie vorhin; gepeinigt- eindringlichst. Ich gebe dir mein Wort, wenn du ...

MARIANNE in ihrer furchtbaren, qualvollen Seelennot sich fast physisch windend. Ich kann nicht mehr leben!! Ich will nicht mehr leben!! Ich ... Wie soll ich jetzt sterben, wenn du mir nicht ...

DUFROY mit einem wie mahnend-flehenden Blick zu ihm; tiefst erschüttert. Georg!

MARIANNE die ihre beiden Hände inzwischen wie der von ihm befreit hat; klagendst-herzzerreißend. Gib mir dein .... Wort!!!

DUFROY der diesen Kampf zwischen den beiden länger nicht mehr ertragen kann; wieder suggestivst auf sie einredend. Er ... hat es dir ja ...

GEORG wieder vor ihr aufgestanden; ringend wie sie; mit verzweifeltst geballten Fäusten. Nein!! Nein!!

MARIANNE immer herzzerreißender; mit flehend- krampfhaft gefalteten Händen. Hab ... Erbarmen!!

GEORG wie vorhin; noch ohnmächtig-verzweifelter; stärkst. Nein!!!

MARIANNE zu Dufroy; letztes jammerndstes, hilfebettelndstes Flehen. Vater!!

DUFROY zu Georg; qualvoll-resigniert-schmerzlichster Blick von Marianne nach der Uhr rüber. Du siehst ... daß jetzt alles ...

GEORG nochmals, mit allerstimulierendst-verzweifeltster Glut und Kraft zu ihr. Du sollst nicht sterben!!! Du darfst nicht sterben!!! Du ...

MARIANNE über sein suggestivst-eindringliches Flehen hinweg; noch immer sich steigernd. Gib mir dein Wort!!!

GEORG den seine »Besinnung« fast bereits verläßt; halb schon beinah wie irr und verstört. Du sollst leben!!! Du sollst leben!!! Du sollst ...

MARIANNE nochmals; mit äußerster Kraft. Gib mir dein Wort!!!

DUFROY seine letzte, in diesem Augenblick gradezu fast übermenschliche Selbstlosigkeit zusammenraffend; sein ganzes männlich-entsagendes, wuchtiges, moralisches Übergewicht in die Wagschale werfend; fest. Er ... hat dir ... er hat dir sein Wort ...

MARIANNE halb noch wie fragend, halb schon fast selig. Er ... hat mir ... sein Wort ...

GEORG der sich nochmals gegen sie wehren will; kaum mehr fähig, auch nur noch diesen einen Laut aus sich herauszuschleudern. Ich ...[658]

DUFROY noch stärker als vorhin; halb zu ihr, halb zu Georg; allersuggestivst. Er hat es dir ja ... gegeben!!

MARIANNE die wie aus dem Tiefsten aufgeatmet; visionär-verzückt. Er ... hat es mir ... er ... hat es mir ... Plötzlich, mitten in ihrem Satz, stockend und sich halb aus ihrem Sessel erhebend; fast herrisch-abwehrende Geste gegen Georg und Dufroy mit der erhobnen Linken; mit angstvollst groß aufgerissnen Augen nach der Uhr hin. Still! ... Still!! ... Still!!! In diesem Moment, von draußen her alles still, deutlichst vernehmbar, das schnurrend-häßliche Anrucken des Uhrwerks. Habt ihr ... gehört? ... Habt ihr ... Plötzlich mit qualentstellten Zügen, die Augen starr nach oben vor sich hin, mit beiden Händen, daß man wieder deutlich deren doppeltes Aufklappen vernimmt .... Mariette!!! ... Nach ihrem Herzen greifend und in den Sessel, die Arme zwischen beiden Lehnen schlaff herabhängend, mit letztem Streckruck, zurück- und zusammensinkend.

GEORG zurücktaumelnd, wie irr, als ob er über sich in der Luft noch etwas zu erblicken glaubte, nach oben stierend. »Ma ...?«

DUFROY der mit aller Kraft und Gewalt bis zum letzten Moment durchgehalten; einen kurzen Augenblick sein Ohr an ihrem Herzen; sich, erschütterst, wieder aufrichtend. Ihr ... Herz ...

GEORG ganz atemlos-starr; wie das vor seinen Augen eben Geschehne noch nicht fassend und begreifend. Ihr ... Herz ...

DUFROY ihr die noch immer, glanzlos, nach oben gerichteten Augen zudrückend. Sie ... ist ... Nicht fähig, weiterzusprechen.

GEORG unwillkürlich etwas vorgebeugt; den Blick stier auf der Toten; verhalten-stärkst. Un-möglich!!

DUFROY halb abgewandt. Sie ... Die Linke, wie schützend, über die Augen; etwas leiser; gebrochen. ist ...

GEORG völlig zermalmt und zerschmettert vor der Toten niederbrechend; letzter, herzzerreißendster Verzweiflungsschrei. Marianne!!! Den Kopf wieder in ihrem Schoß.

DUFROY der seine Linke inzwischen wieder schlaff hatte sinken lassen; die Rechte vor der Stirn, die Augen geschlossen, den Kopf zurück; in jetzt plötzlich schmerzlich-klagendster Zurückerinnerung an die ihm gewordene Prophezeiung. »Geschlagner, als ...«[659]

GEORG jetzt wieder aufgestanden; mit gekrampften Händen vor der Toten zurück bis in die Mitte der Bühne; Blick fest auf die Uhr; mit letzter, von neuem wieder gesammeltster Energie. »Morgen früh ... In diesem Moment beginnt, fein, silbern und schnell, der Uhrschlag; Georg, wie grade durch dieses »Memento« nur noch gesteigert; mit jedem Wort eiserner und entschlossner. noch bevor die Sonne ... voll ... aufgegangen ... sein wird!« Während die letzten fünf Schläge verklingen, sinkt langsam der Vorhang.

Quelle:
Arno Holz: Werke. Band 4, Neuwied und Berlin 1961, S. 557-660.
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