Sechste Szene


[403] Zar Peter. Katharina.


PETER.

Nun Katharina ...?

KATHARINA.

Was befehlt Ihr, Herr?

PETER.

Ich wünschte, deine Zunge spräch' ein Wort –

Ihr habt dergleichen Wort' in Eurem Munde ...

Das diese Schatten niedersänge!

KATHARINA.

Schatten?

PETER.

Siehst du sie nicht? Wie lautete der Fluch

Der sterbenden Bojaren? Nein, so weit,

So weit wird's doch nicht kommen!

KATHARINA.

Welches Wort

Verlangt der Herr von seiner Dienerin?

PETER.

Wenn ich dir's sage, wird's bei dir zur Kunst;

Ihr selber müßtet's finden, Katharina.

Das war ein wunderlich Gerede, Frau,

Womit ich hier empfangen ward. Was soll

Ich davon denken?

KATHARINA entschlossen.

Alles, wenn Ihr wollt.

PETER.

Was nennt Ihr alles?[404]

KATHARINA.

Denkt, daß ich Euch trüge,

Therese die gedungne Hehl'rin sei,

Und daß die armen Seelen, die vor Angst

Nicht wissen, was sie reden, sehn sie Euch

Mit flammendem Gesicht, im Schuldgefühl

Verworrnes Zeug dahergestammelt! Denkt das!

Malt Euch ein üppig Bild von dem, was Ihr

Nicht saht! Es tön' in Euer horchend Ohr

Ein lüsternes Geflüster! Tötet mich!

Werft Monsens Leich' und seiner Schwester Leiche

Auf meinen toten Leichnam! Wart; ich will

dich reizen, daß du's bald tust, daß wir bald

Vereint im Grabe ruhn! Wie sollt' er mir

Nicht mehr gefall'n, als du? Wer seid Ihr beide?

Maitag ist er, du bist Novembernacht;

Er opfert mir sein Leben, du verlangst

Von mir das Opfer meines Daseins; zwar

Bist du ein großes Haupt ... Wir aber woll'n

Das Spielzeug in der Liebe. Deine Taten

Was sind sie einem Weib?

PETER reicht ihr die Hand.

Du hast's getroffen.

Der Zar von Rußland, und die Eifersucht

Von einem Hausmann! Nein, dazu wart Ihr

Zu ernst und wichtig, meine Tage, daß

Ihr schlösset mit 'ner Geckenlaune. – Pfui!

Ein böser Geist lau'rt unsrer Freude auf,

Ich kam in Fröhlichkeit zu dir, mich trieb's.

Allein, wie Herkules

Arbeiten soll ich nur, und nicht genießen.

Ei, weg damit! Setzt Euch, Frau Katharina.


Katharina setzt sich mit Zeichen des Widerstrebens zu ihrer Arbeit. Der Zar setzt sich zu ihr.


Der Vormittag darf nicht verdorben sein.

Weißt du es schon? Ich bring 'ne Neuigkeit.[405]

Sie machten mich zum Kaiser. – Gelt, ich hab'

Mich in die Höh' gedient! Vom Schiffs-Capitain

Zum Kaiser, geht schon an. Siehst, das hab' ich voraus

Vor meinen Herren Brüdern in Europa:

Sie gehören nur zum Zepter, und zu mir

Gehört der Zepter. Nicht? Drei neue Kronen

Hat Ostermann zu Füßen mir gelegt;

Wir werden Frieden mit dem Schweden haben.

Was ich gewollt, wonach ich rang, erfüllten

Dein Menzikof und meine Diener mir

Am heut'gen Tag. Es sind doch tücht'ge Männer,

Nun, Gott erhalt' sie mir! So war der Morgen

Gleich einem Wiegenfeste. Die Bescherung

Wollt' ich dir zeigen, meine Katharina.

KATHARINA.

Heil allem, was Ew. Majestät beginnt!

PETER.

Du sprichst ja feierlich, wie ein Minister.

Da ist noch was im Hinterhalt. Wo steckt's?


Er hebt ihr Angesicht auf.


Vergaß der Mund, wie oft er mich geküßt?

KATHARINA.

Oh, das Vergessen lassen wir den Männern.

PETER.

So herb! Vergaß ich dich?

KATHARINA.

Auf Eurem Schiff

Habt Ihr nicht sanft mit mir gekost. Seitdem

Sah ich Euch nicht.

PETER.

Seitdem hätt' ich dich nicht

Gesehn?[406]

KATHARINA.

Ihr wart gewiß so sehr beschäftigt.

PETER.

Das war ich; ja. Ei, hat dich das gekränkt?

Du dachtest wohl, ich zürne dir? Nein, Liebe,

Ich mußte nur des Beispiels wegen dröhn.

Dies stete, gegenseitige Vertreten

Von dir und Menzikof, es darf nicht sein.

Es schmeckt nach 'ner Faktion, zeugt falschen Einfluß!

Doch zürnt' ich nicht im mindsten dir.

KATHARINA.

Natürlich.

Für deinen Zorn bin ich zu unbedeutend!

PETER.

Du sollst nur wieder heiter sein! Ich geh' nicht,

Bis du gelächelt hast. Was? Unerbittlich?

Geruh' Ew. Kaiserliche Majestät

Von einer Stunde, allergnädiglichst

Dem rauhen Seemann zu vergeben.

KATHARINA.

Herr!

PETER.

Neu-Rußland macht die alte Fabel jung.

Wie Herkules bei Omphalen gesessen,

Sitz' ich bei dir. Nicht wahr, wir beide haben

Zusammen was erlebt? Zu Land, zu Wasser,

Siegreich und auf der Flucht, in Hütten, Wäldern,

Du meine immer treuliche Gefährtin!

O Ihr könnt wunderstark sein, wollt Ihr's sein.

Noch faß' ich's nicht, wie dir der Mut gekommen

Damals am Pruth. Das war 'ne böse Nacht.

Ja, was ich sagen wollte. Dieser Mons,

Ich selbst – nicht wahr? – gab dir den Kammerherrn?[407]

KATHARINA.

Hätt' ich ihn sonst?

PETER.

Bist du mit ihm zufrieden?

KATHARINA.

Er ist bescheiden und gewandt.

PETER.

Die Bösen!

Daß keine Güte unverleumdet bleibt! –

Doch freilich, wer, wie wir, auf Gipfeln steht,

Muß denken, daß der Arglist gift'ger Pfeil

Am liebsten nach den höchsten Zielen fliegt.

Die Hoheit ist ein prächt'ger Schein. Drum soll'n

Des Scheines Träger seinen Zauber achten.

Wie sagte jener Cäsar?

KATHARINA.

Nehmt mir Mons!

Bald, heute, gleich! Laßt ihn im Heere dienen.

PETER.

Sorgst du so zärtlich für den Ruhm des Jünglings?

Nein, er bleibt bei dir, denn ich bin kein Tor.

Nur Vorsicht sollt Ihr üben.

KATHARINA steht auf.

Mein Gemahl,

In Euch ist eine furchtbarliche Regung!

Wild flattert Eu'r Gespräch, der Fahne gleich,

Die, heftig umgeschwungen, Krieg bedeutet.

Ich seh' Euch an, Ihr habt noch nicht gesagt,

Was Ihr mir sagen wolltet. Schüttet's aus!

Verderbe mich Eu'r Grimm! Laßt nicht die Angst

Hinzehren mich.[408]

PETER.

Ich hab' noch nicht gesagt,

Was ich dir sagen wollte! Recht bemerkt.

Und wie der Mensch im Krampfe sich vergreift,

Greif ich nach Worten gegen meinen Sinn,

Und da ich weinen möchte, bin ich rauh.

Du bist die einz'ge, der ich's könnt' entdecken,

Du hast ihn nie verfolgt ... Und doch ... Ich will

Nicht schwach, nicht kindisch sein.

KATHARINA.

Ihn? Wen? Wovon ...

Von wem sprecht Ihr?

PETER.

Sie haben ihm nichts an!

KATHARINA.

Wer? Wem?

PETER.

Die Richter meinem Sohn!

KATHARINA.

Er ist

Unschuldig?!

PETER mit ausbrechender Freude.

Ja! Er ist's! Er ist's!

KATHARINA.

Er bleibt

Am Leben?

PETER.

Bleibt's! Bleibt mir! – Zum erstenmal

Gebar ihn mir die Mutter unter Jubel

Und Freudenschrei des Volks. Zum zweitenmal

Gebiert der Kerker schweigend mir den Sohn![409]

KATHARINA.

In solcher Regung Euch zu sehn ...

PETER.

Ich glaub's!

Ich bin Euch nur das Schreckbild ohne Herz,

Eisern-zermalmend das Lebendige.

Du hast mich anders doch erblickt Kath'rina.

Ich bin kein Brutus. Diese gräßliche Verwicklung,

Wie sie mir nah und näher kam! Leicht hin

Spricht man ein schweres Wort, und in der Hast

Wird es auch ohne Reue ausgeführt.

Doch wenn die Zeit sich zwischen den Entschluß

Und die Vollziehung schiebt, dann hilft kein Schall,

Dann fällt der Dinge ungeheure Last

In unsre Brust. – Mein Kind! Mein eignes Kind!

Nicht rasch ... im Zorn ... Nein, langsam, quälerisch!

Der Strom aus meinen Adern, ausgelöscht

Im Sand des Richtbergs! Warum Söhne zeugen,

Wenn wir sie töten wollen? – Vor acht Tagen

Hatt' ich 'nen grausen Traum. Ich stand bei Nacht

Allein auf wüster Heide. Und mir deuchte,

Ich wär' allein noch übrig auf der Welt,

Und alles war gestorben. Dunkelrot

Stieg über einem Hügel auf der Mond.

Ich fühlte einen Durst, desgleichen ich

Noch nie empfunden, und mein Eingeweide

War trocken, wie verbrannte Asche. Plötzlich

Hört' ich ein Bächlein rinnen. Und es klang

Wie ein Gewinsel. Doch ich ging zum Bord,

Und bückte mich zum Trinken. Da erschwoll

Der Bach zum Strom, und Fische kamen spielend

Zu mir heran, und reckten Menschenhäupter

Aus den mißfarb'gen Wellen, und mir kam's

So vor, als sein's die Häupter der Bojaren.

Ein heisrer, widerlicher Chor begann,

Sie sangen: »Aus des Zaren Hand gerettet,

Durchscherzen wir das freie Reich der Flut!« –[410]

Es griff mir ein Entsetzen an das Herz,

Ich riß mich von dem Strom empor. Nun sah

Ein Kind ich kommen übern Tannenhügel,

Mit bloßen Füßen und mit bloßer Brust,

Nur angetan in seinem Westerhemdchen.

Und er sah lächelnd, lieblich und unschuldig aus,

Wie, da als Knäblein er mir nichts gegeben

Als eitel Freude. An dem Halse klaffte

Ihm eine tiefe Wunde, daraus sprang

Ein roter Strahl. Das Kindlein hielt ein Schälchen

In seiner Hand, und fing den Blutquell drin,

Und sagte: »Vater, trinke das ... es wird

Den Durst dir löschen.« – Wie es nun die Schale

Mir so hinhielt, bemerkt' ich, daß es nicht

Mit seinen Füßen auf der Erde stand,

Nein, in den Lüften schwebt' es mir entgegen.

Und als ich ihm in seine Augen sah,

So waren's arme, tote Höhlen. Blinkend

Lag in jedweder nur ein Tropfen Tau. –

Ich schrie vor Schauder auf, und stieß die Schale

Weit weg von mir ... und da bin ich erwacht,

In Schweiß gebadet.

KATHARINA.

Ein – verworrner Traum!

PETER.

Ein klarer Traum!


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 403-411.
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