[276] Eudoxia durch die Flügeltüre auftretend. Vorige.
ALLE bei Eudoxias Anblicke zurücktretend.
Ha, die Zariza!
GLEBOF.
Was? Sie? Wo kommst du her?
EUDOXIA.
Aus meiner Gruft.
GLEBOF.
Was suchst du hier?
EUDOXIA.
Ein Reich und eine Krone.[276]
GLEBOF.
Wer hat dir das erlaubt?
EUDOXIA.
Ich selbst mir selber.
GLEBOF.
Du solltest bleiben, bis ich dich beriefe!
EUDOXIA.
Bis dahin wär' Eudoxia gestorben.
GLEBOF.
Folgt mir zum Zarewitsch!
EUDOXIA.
Hört seine Mutter!
GLEBOF.
Hört sie nicht an!
ERZBISCHOF.
Wie? Die Zariza? Glebof,
Du bist gewaltig kühn.
MEHRERE.
Sprecht, hohe Frau.
GLEBOF.
Fluch allen Weibern!
Er tritt zur Seite.
EUDOXIA.
Bin ich überflüssig?
Wenn Rußlands Fürsten dieses Landes Leid
Erwägen, fehlte dann Eudoxia
In solchem Kreis? Ist ein Gebäude fertig,
Bevor der Giebel ward gefügt? Ihr baut
Von Schmerz ein Haus! Was habt Ihr? Fundamente!
Die Spitze fehlt dem Turm. Was littet Ihr,
Das nicht vergütet könnte sein? Was mißt Ihr,[277]
Das nicht mit Zins und Wucher jeder Tag
Euch rückerstatten könnte?
Mein Leiden ist ein unerschöpfter Born,
Mein Schmerz ist eine ew'ge Qualenwunde!
Ihr seid Vasallen im Gebiet der Trübsal,
Ich aber bin die Königin des Jammers!
EIN BOJAR.
Ach, arme Frau!
EIN ZWEITER.
Wie sie so majestätisch
Umherblickt!
EIN DRITTER.
Seht, sie weint!
EIN VIERTER.
Das schöne Weib!
EUDOXIA.
Moskau prangt gülden in begrünter Au!
Im Föhrenwald graut Susdal, bleich und tot.
Der Thron des Zaren ist des Lebens Sitz,
Der Betstuhl Kloster Susdals ist ein Sarg!
Wer liegt im Sarg? Eudoxia! Das ist,
So hör' ich sagen, ja dieselbe, die
Vorlängst auf jenem Sitz des Lebens saß.
Ei, die muß eine große Sünderin sein!
Unglück, Ihr Fürsten, macht Gedächtnis stumpf;
Ich hab' vergessen der Eudoxia Frevel.
Warum, Ihr Fürsten, ward Eudoxia
Vor ihrer Zeit ins Grab verstoßen? Kann's
Mir einer sagen, der verbindet mich!
Ich bitt' Euch, sagt es mir ...
DOLGORUKI.
Er hat unmenschlich
An Euch gehandelt.[278]
LAPUCHIN.
Um die Buhlerin
Verstieß er Dich.
EUDOXIA.
Das kann nicht möglich sein!
Ihr irrt Euch ganz gewiß. Wie? um 'ne Buhlerin?
Ein pflichtgetreues Weib! O nicht doch! Nicht doch!
In Nacht und Tod die Zarin um 'ne Metze?
Und solche Untat hätt' zwölf Jahre lang
Die Erde Gottes getragen, und Rußlands Adel?
Um eine Buhlerin! Ich, Tochter aus
Dem Stamm der Lapuchin! Durchs Sakrament
Geweihet als sein Fleisch! Ich, die Gekrönte!
Ich weiß, ein großer Mann wägt nicht genau
Die Taten ab, doch das? O brich mein Herz!
Denn was zuviel ist, ist zuviel! Um eine –
Stirb, Seele, hin in ein entsetztes Ach! –
Um eine Buhlerin ...
Sie wankt. Glebof unterstützt sie.
GLEBOF.
Kommt, Ossudara,
Denn Ihr seid krank, und kränker, als Ihr meint.
Er führt sie durch eine Seitentüre ab.
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