XI. Geschichte des Herzogs

[547] Der deutsche Adel war, seitdem die mittleren Stände einen Drang verspürten, sich durch Geist und Tüchtigkeit hervorzutun, in eine gefährliche Stellung geraten. Der Entwickelung männlicher Energie sind Hindernisse förderlich; das Verdienst kann nur auf rauhen Bahnen sich seine Pfade suchen. In dieser Hinsicht steht nun der Bürger, wenn er nur einigermaßen erträgliche Verhältnisse für sich hat, bevorzugt da, während es in den höchsten Ständen schon einer außerordentlichen Kraft bedarf, um nicht in dem schwächenden Elemente gar zu leichter und geebneter Tage unterzugehen.

Der deutsche Adel empfand weit mehr, als daß er sich dessen bewußt geworden wäre, die Schwierigkeit seiner Lage, geraume Zeit vor der Revolution, welche zuletzt die tiefe Verderbnis aller gesellschaftlichen Einrichtungen an den Tag legte. Es entstand daher in denjenigen seiner Glieder, welche nicht fähig waren, durch Talent und hervorstechende Begabung die verhängnisvolle Last einer privilegierten Geburt gründlich auszugleichen, ein Streben, durch allerhand Scheinmittel die gefährdete Existenz für sich und die Nachkommen zu retten.

Hier boten sich nun zunächst die von den Ahnen ererbten Besitztümer nach einer Seite, und die Illusionen eines vornehm gleißenden Lebens nach der andern dar. So fest, wie in diesem Stande, hatte sich nirgendwo der Begriff unveräußerlichen Eigentums ausgebildet, gleich eisernen Klammern hielten es[547] fideikommissarische Bestimmungen, Familienstatute, Lebensnexus umwunden; die Scholle um jeden Preis zu erhalten, wo möglich zu mehren, war also das Dichten und Trachten vieler Edelleute, was nun freilich in seinem Gefolge Geiz, Habsucht, selbst Unredlichkeit haben konnte.

Die Leichteren und Lebhafteren gingen dagegen einen entgegengesetzten Weg. Sie wußten oder fühlten, daß der Bürger ihnen noch lange nicht zu den Spieltischen der Fürsten, in das Boudoir hochgeborner Schönheiten, in alle Konvenienzen eines dem Vergnügen und dem persönlichen Selbstgenusse gewidmeten Lebens werde folgen können, daß auch solche flitternde, schimmernde Bestandteile ihnen ein eigentümliches, und wie es ihnen schien, den Plebejern unantastbares Dasein zu erschaffen vermöchten. Sie schritten daher von ihren Gütern zu den Hoflagern, Bädern, Sammelpunkten der eleganten Welt, schwebten wie beflügelte Götter oder Halbgötter durch die Reihen der niedern Menschen, traten auch wohl auf deren Köpfe.

Beide irrten, denn weder kann der Schein ein Leben erbauen, noch soll derjenige sparen und geizen, der ohne sein Zutun schon mehr überkommen hat, als andre.

Oft wechselten jene krankhaften Richtungen in den Geschlechtsfolgen ab; nach dem harten, ängstlichen Vater kam wohl der weiche, alles durchkostende Sohn.

Gegenwärtig hat der Adel eigentlich gar kein Prinzip. Die Standesvorrechte in Masse wirklich noch einmal aufbieten zu wollen, ist eine Hoffnung, die kaum dem Kühnsten schmeicheln möchte, das Eigentum geht von Hand zu Hand; die Flatterien des hohen Tons sind aber meistens auch verwischt. In manchen Edelleuten, deren Sinne diese Prosa nicht genügen will, hat sich daher ein mythisch – poetisches Gefühl abgelagert, welches, über die nächste Vergangenheit zurückgreifend, entlegne Zeiten mit ihrer Treue, Frömmigkeit, mit ihrem Rittermute wiedergebären möchte, der Seele eine gewisse Erhebung gibt, freilich aber ohne allen Gegenstand ist.

In der Familie des Herzogs hatten sich während eines Zeitraums von fünfzig Jahren alle drei Stimmungen und Gesinnungen erzeugt. Der Großvater war ein Mann gewesen, welcher[548] im Notfall auf Feldern und Wiesen selbst mit Hand anlegte, wenn es eben fehlte; er trug das gröbste Tuch, und saß am liebsten mit Verwaltern und Bauern in Wirtschaftsgesprächen zusammen. Die Grundstücke zu verbessern, durch Ankäufe abzurunden, und außer dem Liegenden noch ein beträchtliches Geldkapital zu hinterlassen, dies waren seine einzigen Lebenszwecke. Um sie zu erreichen, speiste er von Zinn, und versagte sich jeden Genuß. Noch zeigte man im Schlosse den Hut, den er dreißig Jahre lang getragen hatte. Er war zwar nicht, wie der in der Fabel, siebenmal verändert worden, aber durch Stutzen und Beschneiden von der ansehnlichen Größe eines dreieckigen bis zu der winzigen Gestalt einer sogenannten Lampe zusammengeschrumpft.

Der Sohn vereinigte nun das gerade Gegenteil aller dieser Eigenschaften in sich. Prachtliebend, empfindsam, phantasievoll, gereichte er seinem Vater, sobald diese Seiten sich zu entwickeln begannen, auch nicht einen Augenblick zur Freude. Gern hätte er ihn enterbt, wenn er nur gedurft, allein er mußte ihn sogar seines eignen Weges gehen lassen, da Graf Heinrich mit der erlangten Mündigkeit Herr eines ansehnlichen mütterlichen Erbteils wurde. Er vermählte sich früh mit einem reizenden Fräulein, welcher aber der Gatte wenig zustatten kam, denn dieser reiste auch nach seiner Heirat viel allein, und hielt sich durch die Bande der Ehe in seinen Freuden nicht gehemmt. Zärtliche, an Schwärmerei grenzende Freundschaften schmückten sein Leben, bei den Weibern hatte er ein fabelhaftes Glück, eine zahlreiche Nachkommenschaft war die Frucht so mannigfacher Begegnungen. Um diese kümmerte er sich nicht. Was ihn bewogen, Johannen nach dem Tode seiner Gemahlin ausnahmsweise auf das Schloß bringen zu lassen, und sie halb und halb anzuerkennen, hat man nie erfahren.

In dem Ernste des Enkels glaubte der Großvater eine Spur seines Charakters zu entdecken, und tröstete sich daran über den Leichtsinn des Sohns. Er hatte ihn beständig um sich, und man vermutete, daß er ihn besonders bedacht haben würde, wäre er nicht vom Tode überrascht worden.

Wie dieser Enkel sich ausgebildet, erzählen Ihre Bücher. Das aber konnten sie nicht erzählen, und würden sie auch nie[549] erzählen können, wie er ein Opfer der Schuld seiner Altvordern wurde. Nur ich weiß es. Ich habe keine Verpflichtung, ein Geheimnis daraus zu machen, und die Frauen, um derenwillen ich vielleicht schweigen müßte, werden, wenn ich mich irgendein wenig auf die weibliche Natur verstehe, keinen Blick in die gedruckten Memoiren werfen, nachdem sie schreibend dazu beigesteuert haben. Was aber über alles: Ich glaube, daß ich von Ihrer Leidenschaft für die Wahrheit durch Sie etwas angesteckt worden bin.

In den Tagen, wo ich zwischen zwei Krankenbetten, dem der Herzogin und Johannas meine Sorgen zu teilen hatte, nahm der Prozeß über die Standesherrschaft eine besonders lebhafte Wendung. Es sollte zur Vorlegung des Adelsbriefs geschritten werden, und ich saß im Archiv, davon eine Kopie für den Herzog zu fertigen, welche er zurückbehalten wollte.

Nach Wilhelmis Abgange und bei noch fortdauerndem Mangel eines tüchtigen Stellvertreters verrichtete ich manche Geschäfte, die ein Nichtjurist allenfalls besorgen konnte. Da hörte ich einen lebhaften Wortwechsel in einem Seitenkabinette, und sah nach einigen Sekunden den Herzog mit dem Amtmann vom Falkenstein heraustreten. Letzterer sah sehr erhitzt aus, und rief: »So wollen mich der gnädige Herr wirklich fortjagen?«

»Bedienen Sie sich anständigerer Ausdrücke, solange Sie noch in meinen Diensten sind«, versetzte der Herzog, welcher seine Fassung ziemlich beibehielt. »Übrigens sehen Sie selbst wohl ein, daß in einer wohlgeordneten Wirtschaft der Herr zu befehlen und der Untergeordnete zu gehorchen hat, und daß, wo sich die Sache umdrehen will, man schleunig Einhalt tun muß.«

Der Amtmann warf einen höhnischen Blick auf meine Arbeit, murmelte: »Ich werde dazu gezwungen« – und verließ das Gewölbe. Ich fragte den Herzog, was vorgefallen sei, und erfuhr, daß er den Trotz und die Willkür dieses bösen Alten nicht länger dulden könne. Er scheine es darauf anzulegen, die Autorität der Herrschaft zu untergraben, und habe neuerdings in der Administration des Falkensteins Anordnungen getroffen, die im graden Widerspruche mit den Verfügungen[550] des Herzogs ständen. Darüber zur Rede gestellt, sei nicht einmal eine Entschuldigung erfolgt, vielmehr das freche Erwidern, daß es so besser sei, worauf der Herzog ihm den Dienst gekündigt habe.

Auch mir war das gemeine Wesen dieses Menschen, welches sich in der letzteren Zeit, und besonders, seitdem der Rechtsstreit über die Herrschaft anhängig war, immer mehr gesteigert hatte, sehr auffallend gewesen. Er tadelte laut seine Gebieter, hielt sich über sie auf, klatschte und verklatschte, benahm sich überhaupt so, als könne er hier schalten und walten, wie er wolle.

»Das ist die Frucht davon, wenn die Leute zu sehr sich einnisten«, sagte der Herzog. – »Dieser Reinhard war schon bei meinem Großvater, und dessen rechte Hand. Nun muß ich zu einem Schritte gegen ihn übergehen, der mir leid tut, aber nicht abzuwenden ist. Der alte Erich wurde in seiner Heftigkeit beinahe zum Mörder und irrt vielleicht unter Räubern umher, und was soll der Amtmann beginnen, wenn ich ihn, wie ich muß, forttreibe? Man wechsle auch mit den Menschen, wie mit den Kleidern, es wird viele Unbequemlichkeit dadurch erspart.«

Er sah das Diplom an und fuhr mit einem trüben Lächeln fort: »Auf welchem schwachen Grunde die Pfeiler unsres Daseins stehn! Dieses schlechte und dünne Pergament wäre denn nun die letzte Bürgschaft eines erträglichen Lebens, nachdem so manches sich in meiner Häuslichkeit verändert hat, und dieses Schloß zum Siechenhofe geworden ist.«

Einige Wochen vergingen, und des Vorfalls, der uns unbedeutend schien, wurde nicht weiter gedacht.

Mein Schreck war groß, als eines Abends spät der Herzog auf mein Zimmer geeilt kam, blaß, mit verwandeltem Antlitz, bebenden Gliedern. Sprachlos reichte er mir einen geöffneten Brief hin, und sank, sich in seinen Mantel hüllend, auf einen

Sessel.

Der Brief war von Hermanns Oheim und enthielt eine Nachricht, die allerdings den Festesten erschüttern konnte. Der Gegner schrieb, der Amtmann sei bei ihm gewesen, und habe ihm in betreff der Adelsurkunde, von welcher das Schicksal[551] der zwischen ihnen schwebenden Sache abhange, eine unerwartete Nachricht gegeben. Jene Urkunde sei nämlich verfälscht und vom Amtmann selbst auf unablässiges Bitten, Dringen und Befehlen des Großvaters, welcher sich den Prätendenten der jüngeren Linie gegenüber in großer Verlegenheit gefühlt, unter genauer Beobachtung der Kurialien und mit treuer Nachmalung der Kanzeleischrift angefertigt worden. Künstlich vergilbte Dinte sei von einem Chemiker leicht zu beschaffen gewesen, auch habe es nicht schwergehalten, dem Pergamente selbst die Farbe des Alters zu leihen. Man habe einen geschickten Stempelschneider für eine große Summe gewonnen, das kaiserliche Insiegel vorhandnen Mustern in Metall nachzustechen.

Zu solchem Frevel habe der Amtmann sich nur erst dann verstehen wollen, als ihm vom Großvater ein eigenhändiges untersiegeltes Bekenntnis über den ganzen Einhergang ausgestellt und überliefert worden sei. Mit diesem Reverse sei ihm das Schicksal des Hauses in die Hände gegeben worden, und er habe in der Stunde, da er dem Herrn zuliebe so schwer sein Gewissen belastet, geschworen, dies nicht umsonst tun, vielmehr, wenn man ihm einmal nur im entferntesten Sinne schnöde begegne, alsobald das Amt der Rache ausüben zu wollen.

Der Oheim schrieb, daß der Amtmann alle diese Entdeckungen ihm in einem äußerst gereizten Zustande getan habe, und daß von ihm keine Rücksicht auf diese Aussage eines entlaufnen Dieners genommen worden wäre, wenn nicht der ihm gleichfalls überreichte Revers des Großvaters den schlagenden Beweis der Wahrheit geliefert hätte.

Dieser Revers lag in beglaubigter Abschrift bei, und enthielt leider die Bestätigung des schmachvollen Ereignisses.

Wer hätte dies ahnen können? Ich starrte den Herzog an, er mich, wir fanden beide keinen Rat in uns. Der Oheim hatte seinem Schreiben die Bemerkung hinzugefügt, daß er aus Schonung diese Mitteilung zuvor privatim gemacht habe, und vor Gericht dieselbe nur dann benutzen werde, wenn der Herzog auch jetzt einen gütlichen Ausweg in der Sache verschmähe.[552]

Der Herzog lag stumm und wie ein Toter im Sessel. Da mich sein Schweigen ängstigte, fragte ich ihn, was er auf die letzte Andeutung beschließen wolle? Er erwiderte mit tonloser Stimme: »Nichts! Wir sind verloren und haben keine Beschlüsse mehr zu fassen. Nur für die Herzogin muß gesorgt werden, das ist das einzige, was noch geschehen kann.«

Da ich ihn in den folgenden Tagen ganz zerschmettert und fassungslos sah, (von der Echtheit des Reverses hatten wir uns inzwischen durch die Vorlegung des Originals notgedrungen überzeugen müssen) suchte ich ihn mit allerhand Trostgründen aufzurichten, und stellte ihm vor, daß, wenn auch aus den zutage gekommnen Umständen der nicht adliche Stand der Ahnin beinahe zur Gewißheit erhelle, doch es noch immer sehr zweifelhaft bleibe, ob der Richter die Rechtsbeständigkeit des Übertrags reiner Familienanrechte auf einen Fremden, Bürgerlichen aussprechen werde.

Er versetzte, daß mein Zuspruch den Punkt nicht treffe. Scheinbar habe das Schicksal die Lösung des Knotens vorbereitet, um unter der Hülle dieser Anstalten einen viel festeren und härteren zu schürzen.

Ich merkte, daß die Gefahr, seine Besitzungen einzubüßen, ihn weniger drücke, als ein andres, nagendes Gefühl. Er war im innersten Mittelpunkte seiner Empfindungen geknickt, zerbrochen. Das Falsum des Vorfahren hatte den Begriff, den er von sich hatte, vernichtet. Die reine Abstammung, auf welche er, wie das Hermelin auf die unbefleckte Weiße seines Pelzes, gehalten, war besudelt durch den Fehltritt, wozu die Angst zu verlieren, einen geizigen Alten fortgerissen hatte. Seine Tage schienen ihm an ihrer Quelle vergiftet zu sein, und seine Vorstellungen nahmen die krankhafte Verderbnis an, zu welcher es in der körperlichen Sphäre ein Gegenbild in dem scheußlichen Übel gibt, welches ich nicht nennen mag.

Ich versuchte, den irregehenden Gedanken die natürlichen Wege zu eröffnen, und sagte, daß ja ein jeder der Sohn seiner Taten sei, nur sein Bündel zu tragen, nur seine Schuld zu verantworten habe. Allein diese geistige Krankheitsform, welche man Aristokratismus nennt, nimmt solche Mittel nicht an, man[553] kann sie nur aus sich selbst durch Illusionen heilen, welche mir nicht zur Hand waren.

Nach und nach rang sich der Herzog zu einer kalten Fassung empor. Er verlangte von mir die Entfernung der Frauen, wenn deren Umstände diese tunlich machten, da er allein zu sein wünsche, und die geschäftlichen Anordnungen, welche nun bevorständen, auch nur in der Einsamkeit treffen könne. Sein Wunsch stimmte mit meinen Ansichten überein. Welche üble Wirkung mußte die Verwicklung der Hausgeschicke auf die langsam genesende Herzogin machen, wenn sie davon, wie doch bei ihrer Anwesenheit kaum zu vermeiden war, Kunde bekam! Ich brauchte daher den Vorwand, daß zu ihrer völligen Herstellung nichts kräftiger wirken werde, als eine magnetische Behandlung, und sandte beide Damen, diese scheinbar einzuleiten, nach der Hauptstadt. Mancher Widerstand war zu besiegen gewesen, insbesondre bei Johanna, welche ich zuletzt nur dadurch zur Abreise bestimmte, daß sie einsehen mußte, wie die Schwägerin ohne sie in der großen Stadt ganz verlassen sein werde. Mein Ernst war es nicht mit dem Magnetismus, gegen welchen ich vielmehr von jeher gewesen bin, da er den Organismus nur noch tiefer zerrüttet. Ich empfahl die beiden Leidenden in die Obhut eines dortigen Freundes, auf welchen ich mich, wie auf mein zweites ärztliches Ich verlassen konnte. Diesem band ich ein, daß er meine Heilmethode, als Vorbereitung zu jener mystischen, verfolgen, und so ohne Streichen und Manipulieren den Zweck zu erreichen sich bestreben solle.

Nun waren wir Männer allein, verkümmert, auf dem Schlosse, welches sonst von freundlicher Geselligkeit eine so angenehme Belebung empfangen hatte. Der Herzog schien ruhig zu sein, er erklärte verschiedentlich, daß ich recht gehabt, daß jeder nur für sich und seine Handlungen einzustehen verpflichtet sei, daß die Vergehungen dritter Personen in den Augen der Vernünftigen unsrer Ehre nicht schaden könnten, und was dergleichen mehr war. Allein mir wurde nicht wohl bei diesem Gleichmute, der offenbar sich als erkünstelt zeigte.

Der Kaufmann hatte seine Anträge gemacht, welche dahin gingen, daß der Herzog die Güter auf den Todesfall abtreten,[554] bei seinen Lebzeiten aber den Nießbrauch behalten solle. Letztres und ein bedeutendes Wittum für die Herzogin sollten den Kaufpreis bilden. Unter diesen Bedingungen war die Zurücknahme der Klage, die Ausantwortung des Reverses und die Geheimhaltung der ganzen Sache andrerseits versprochen worden.

Der Herzog hatte sich nicht einen Augenblick bedacht, den entscheidenden Federzug unter die ihm vorgelegte Abtretungsurkunde, welche die gedachten Punkte enthielt, zu setzen. Als ich ihm über diesen eiligen Schritt Vorstellungen machte, sagte er: »Wollten Sie, daß der Krämer den Namen derer von * an den Pranger schlage? Wäre ich nicht gebrandmarkt? Besteht die Welt aus Vernünftigen? Zudem, ich habe keine Leibeserben, und so möge denn unser altes Geschlecht in diesen gepriesenen jüngsten Tagen erlöschen.«

Ich sah ihn ernst und nachdenklich, oft in später Nachtstunde, durch die Gänge des Schlosses wandern. Er stand vor den Türen, den Geräten, den Wappenschildern still, und musterte sie mit zerstörten Blicken. Am längsten pflegte er im Ahnensaale zu verweilen, wo er manches an den Familienbildern ausbessern, die durch Staub und Alter verdunkelten reinigen ließ. Das Bild des Großvaters wurde herabgenommen und beiseite geschafft, das seinige an die leer gewordne Stelle befördert.

Wo es nur irgend geschehn konnte, brachte er das Gespräch auf den Selbstmord, gegen den er sich mit der größten Lebhaftigkeit erklärte.

Alles, was über diesen Gegenstand Verwerfendes von jeher gesagt worden ist, trug er in den mannigfaltigsten Wendungen vor, und hob bei diesen Gelegenheiten besonders das Unanständige eines solchen Lebensabschlusses heraus, welcher in den meisten Fällen eine Menge von verletzenden Nachforschungen und das widerwärtigste Getümmel errege.

Er sprach leider zu oft davon, als daß ich nicht die Absicht hätte durchschimmern sehn, und nicht um so besorgter werden sollen. Das Leben mußte ihm, wie er nun einmal war, unter den jetzigen Umständen eine Last sein, das erkannte ich wohl. Dennoch sträubt sich unser modernes Gefühl hartnäckig gegen den Entschluß, sie freiwillig abzulegen.[555]

In meinen trüben Ahnungen wurde ich nur noch mehr befestigt, als ich eines Tages bei einem Gange durch die Bibliothek ein toxikologisches Werk aufgeschlagen fand. Der Leser hatte gerade bei der Seite innegehalten, welche von jenem mit grauenvoller Raschheit spurlos wirkenden Gifte, von der Blausäure, handelte.

Da der Herzog nun fast gleichzeitig über plötzliche Anwandlungen von Schwindel zu klagen begann, und seine Ahnung aussprach, daß er vielleicht einmal plötzlich am Schlagfluß sterben werde, (zu dem seine Konstitution sich durchaus nicht hinneigte); so wußte ich, daß er zu enden entschlossen sei, wie er gelebt hatte, nämlich ohne Verstoß gegen die äußere Sitte, in der Weise, die ihm für einen vornehmen Mann die schickliche bedünkte. Mich erschreckte, mich bekümmerte diese finstre Absicht, und dennoch war bei seinem Charakter keine Hoffnung vorhanden, sie zu wenden.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 547-556.
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