Johannas Bekenntnis

[522] Von dem kriegerischen Schauspiele, welches die Menge der Fürsten und Prinzen unglaublich glänzend machte, mit dem Generale zurückgekehrt, fand ich Ihren Brief und die Bücher, welche die Herzogin inzwischen gelesen, und mir übersendet hatte. Also so haben wir ausgesehen? Sonderbar, daß man von seinem inneren Antlitze keinen Begriff hat, wie oft man sich dies auch einbilden mag. Oder vielmehr die Sache steht so: Wir wissen um unsre Verhältnisse, Stimmungen, Irrtümer und Schwächen recht wohl, aber sie im Spiegel zu erblicken, ist schauderhaft.

Anfangs war ich auf den Autor bitterböse, und keinesweges gemeint, mich, wie die Herzogin, der durch ihn von Gott mir verhängten Buße zu unterwerfen. Auch der General wollte nichts von Nachgiebigkeit gegen den im stillen an uns herangeschlichnen Memoiristen wissen. Als wir aber die Sache näher bedachten, sahen wir ein, daß meine Geschichte Frauen und Mädchen, in deren Hände unsre Denkwürdigkeiten doch auch wohl gelangen mögen, zur Lehre dienen kann, und daß, wenn auch alle Beispiele die Wiederholung der Irrtümer nie verhüten, die Irrenden doch an meinem Falle zu ihrem Troste erkennen werden, wie das Gemüt uns in großes Leid bringt, die Arme unsres Schutzgeistes aber stark genug sind, uns aus demselben emporzuziehn.

Da käme ich nun in das Fach der Herzogin und wollte auch erziehn. Aber freilich beruht mein Unterricht auf andern Voraussetzungen. Die Stille, Liebe meint, so sehr die Demut ihr[522] auch gebietet, ihre ganze Wirksamkeit vor der Welt als zweifelhaft darzustellen, insgeheim denn doch, daß ihre moralischreligiösen Vorschriften die jungen Seelen vor dem Strudel bewahren werden. Ich habe dagegen die Überzeugung, daß gerade die edelsten Naturen unsres Geschlechts unbedingt tiefen Verwicklungen dahingegeben sind, welche keine Regel der Klugheit, kein Präservativ der Sitte, und keine Andachtsübung aufhält. Viele gehn in denselben unter, wenige werden gerettet. Zu diesen gehöre ich, und wenn auch die Art meiner Herstellung sich nicht bei jeder Unglücklichen wiederholen wird, so lehrt sie wenigstens, daß das Leben selbst aus seiner Fülle den Stab wachsen macht, welchen die Dressur der Pensionsanstalt nicht darreicht.

Dies will ich erzählen, schlicht, einfach, kurz; zu ausgeführter, oder gar kunstreicher Behandlung habe ich weder die Lust, noch das Geschick, noch die Zeit.

Die Stellung der Frauen in der Gegenwart ist sonderbar. Was hat unsre Mütter beschäftigt, ihren Geist und ihr Gemüt ausgefüllt? Das Haus oder die Gesellschaft. Die Ruhigen wandten sich jenem, die Lebhafteren dieser zu. Nun gibt es aber keine Häuslichkeit mehr im alten Sinne, und aus der Gesellschaft ist der feine Zauber längst verschwunden, durch dessen Verwaltung wir die Priesterinnen und Fürstinnen der Salons wurden. Unser Platz in der Welt ist also leer oder anderweitig besetzt, wie man dieses Mißverhältnis ausdrucken will. Wenn wir uns auch vor der durch die Saint – Simonisten uns zugedachten Emanzipation schönstens bedanken wollen, so läßt sich doch ahnen, daß unser Zustand bedeutenden Verändrungen entgegengeht.

Der Autor hat der Wahrheit gemäß erzählt, daß mich schon als Mädchen auf dem Schlosse meines Vaters das Gefühl eines Vaterlandes mächtig bewegte. Die Natur mußte vielleicht so bei mir verfahren, mir Ersatz durch eine allgemeine Empfindung geben, weil mir der Segen einer gesetzlichen Geburt, mir eine Mutter vorenthalten worden war.

Madame de Staël – wenn ich nicht irre – hat einmal gesagt, daß in Zeiten, wo man auch den Frauen die Köpfe abschlage, ihnen notwendig erlaubt sein müsse, sich um die Politik zu[523] bekümmern. So schlimm steht es nun bei uns nicht. Aber da wir durch die Staatsumwälzungen unser Vermögen einbüßen, uns mit den Männern versetzen lassen müssen und Söhne für den Krieg gebären, so scheint uns weder das Recht noch die Veranlassung zu fehlen, an allen den öffentlichen Dingen teilzunehmen, durch welche auch uns Freude und Entsagung, das Lachen und die Träne bereitet wird.

Diese Vorstellungen bewohnten wie in der Knospe den Kopf des jungen Mädchens, es sprach sich und andern dieselben nicht aus. Die Frau, welche Schritte in die Dreißig getan hat, wird wohl davon reden, und eingestehn dürfen, daß sie von jeher sie gehabt.

Nun aber ist es eine eigne Sache um dieses Vaterland. Wir sind und bleiben denn doch arme Gefühlswesen, bei welchen der Weg zum Haupte immer und ewig durch das Herz geht. Wenn die Trommel gerührt wird, wenn sie dahinziehn in langen Reihen, und die Fahnen den Tüchern, und die Tücher den Fahnen Abschied zuwinken, und nun der Busen um Reich und Thron, und zugleich um das Schicksal der Lieben bangt, dann die herrlichen, freudigen Kampfes- und Siegesnachrichten erschallen, jeder in diesem Sturme sich zum Außerordentlichen gehoben fühlt, ach und endlich bei dem Friedensheimzuge die Freunde uns die teuersten Güter erobert dahergetragen bringen – dann weiß eine Frau, daß auch sie in ihrer schwachen, furchtsamen Seele eine Empfindung beherbergt, welche über die Spindel und das Nähzeug hinausreicht, dann dürfen wir uns eines Geschlechts mit der Mutter der Gracchen, und den Weibern der Numantiner rühmen. Oder auch dann kann unser Geist bewegt und erregt sein, wenn kluge, weltgestaltende Männer im Schweigen des Kabinetts mit der stillen Feder, oder der feinen gewinnenden Rede Bündnisse stiften, Provinzen erwerben, die Entschlüsse so leise vorbereiten, welche nachher den Erdkreis erschüttern und die Menschen in Staunen und Verwundrung setzen. Da wissen wir wohl bei uns die Gegner zu friedlicher Annäherung zu versammeln, Geheimnisse zu empfangen und zu bewahren.

Aber wie wird es im Frieden, im gleichgültigen Gange des Alltags? Statt der Heldentaten Manoeuvres, statt des regsamen[524] Spiels seltner Kräfte ein stockendes Schleichen im Geleise trockner herkömmlicher Tätigkeit. Was soll denn nun die Frau beginnen, welcher die Kleinigkeiten nicht genügen, auf die wir dann einzig und allein angewiesen sind? Da müßte sie etwa Dichterin, Schriftstellerin, Kunstkennerin werden. Aber wenn die arme Seele zu der Einsicht gelangt ist, daß die Lieder ihrer Schwestern am Parnaß nüchtern und dünn erklingen, daß die Bücher der Weiber aus den abgetragnen Gedanken der Männer bestehn, daß sie vor den Bildern und Statuen doch auch nur diesen bevorzugten Geschöpfen nachsprechen, wenn sie also zu allen derartigen Zeitvertreiben weder Lust noch Belieben trägt, womit wird sie dann ihre verlangende, glühende Brust ausfüllen?

Ich hatte nach dem Tode meines Vaters schlimme Tage auf dem Schlosse. Gute Menschen walteten dort, aber unsre Seelen waren zu verschieden. Der Herzog war früh gewissen Personen in die Hände gefallen, welche ihm die größten Vorstellungen von der Würde des Adels beigebracht und ihm die Heiligkeit der Pflicht, alles an die Herstellung dieses Standes zu setzen, eingeschärft hatten. Diese Begriffe regierten ihn mit unumschränkter Macht, er hatte für nichts andres Raum in sich. In den Militärdienst eines kleineren Staates eingetreten, war er rasch von Stufe zu Stufe gestiegen, hatte auch an einigen Vorfällen des großen Kampfs auf der deutschen Seite teilgenommen, aber ohne Liebe und Wärme für die Sache, welche ihn nur insofern interessierte, als er von ihrem Siege den Triumph der Aristokratie hoffte. Meine gute Schwägerin war in Paris erzogen worden, und hatte Deutschland erst nach dem Untergange unsres großen Feindes kennengelernt.

Ich, voll von den Eindrücken einer unbeschreiblichen Zeit, mochte meinen nächsten Umgebungen wohl wie eine Närrin vorkommen, welche sich abmühte, Schattenbilder der Wirklichkeit unterzuschieben. Der ganze Enthusiasmus eines zwanzigjährigen Mädchens war eins geworden mit dem Enthusiasmus eines Volks, diesen Gewinn festzuhalten, das herrliche Gedächtnis mir nicht zu einem Traume verdämmern zu lassen, war die Aufgabe meines Lebens. Ich baute mir ein kleines Museum aus Erinnerungszeichen und Bildnissen der Feldherrn[525] zusammen, sang meine lieben Schlacht – und Kampflieder am Fortepiano, steuerte von meinen schmalen Mitteln, soviel ich nur entbehren konnte, an die Vereine, welche sich überall zur Unterstützung der Invaliden gebildet hatten.

Man stutzte, verstand mich nicht, lächelte über mich. Ich ließ mich das nicht anfechten. Aber freilich fühlte ich nur zu bald, daß ich mit dem, was mir das liebste war, mich in einer völligen Einsamkeit befinde, und dieses Bewußtsein fiel mit um so größerer Schwere auf mich, als es die nächsten waren, die es mir bereiteten, und als ich voraussah, daß bald mein ganzer Zustand in dem Hause, welches doch auch als mein Vaterhaus gelten sollte, unterhöhlt sein würde. Ich versank in eine Schwermut, die mich auch wohl zuweilen ungerecht gegen das Gute machte, welches mich umgab. Wenigstens muß ich jetzt über manches lächeln, was mich damals gegen die liebenswürdige Frau einnahm, mit der ich nun so verträglich leben kann. Sie hatte z.B. eine ängstliche Sorgfalt für ihre Gesundheit, scheute den Zug, den Tau, und was dergleichen mehr ist. Als ich mich einst hierüber im entgegengesetzten Sinne vernehmen ließ, stellte sie mir sehr beredt die Pflicht dar, welche jeder habe, auf solche Weise über sich zu wachen. Ich fand diese bewußte Ansicht von der Sache nur noch egoistischer und schwächlicher, und hatte doch unrecht. Denn wie verderben wir uns und andern durch üble Laune die Tage, und wie selten entspringt sie aus geistigen Ursachen, wie viel öfter aus kleinen Indispositionen, welche meistens durch Regime zu meiden wären! Wie hindern oder zerstören Krankheiten das Glück ganzer Familien! Was begünstigt überhaupt mehr die Entwicklung eines harmonischen Lebensgangs, als das leichte, reine Gefühl, welches nur die Blüte vollkommner körperlicher Wohlfahrt sein kann?

In jenen Stimmungen und Verstimmungen lernte ich nun Medon kennen, welcher auf das Schloß kam, mir die erste Nachricht von dem Auffinden der teuren Reste des erschlagnen Freundes zu überbringen. Es wird nicht von mir erwartet werden, daß ich die Geschichte unsrer Herzen, oder vielmehr des meinigen, denn das seine hatte leider keinen Anteil daran, novellistisch erzähle. Nur das muß ich sagen, daß die Herzogin[526] unrecht hatte, wenn sie in ihrem Briefe behauptete, die Sympathie des Mißvergnügens habe uns zusammengeführt.

Nein, es war etwas andres, etwas Höheres von meiner Seite. Medon gehörte zu den geistigen Ruinen, aber zu den mit aller Pracht üppiger Vegetation bewachsnen. Soll es denn einer arglosen Frau ewig verdacht werden, wenn sie der Duft und Glanz solcher Stauden und Blumen anzieht, wenn sie in ihrer Gutmütigkeit nicht zu ahnen vermag, daß unter diesen Reichtümern und Schönheiten der Abgrund laure? Sein Name war mit Auszeichnung im Kriege genannt worden, das mußte ihm wohl zur Empfehlung bei mir gereichen, er brachte mir eine Nachricht, worin für mich ein trüber Trost über einen ungeheuren Verlust lag, wie konnte mein Herz noch einen Rückhalt gegen ihn haben? Endlich, ich fand nach langem Darben jemand wieder, mit dem ich meine Sprache reden durfte.

Ich habe beinahe zwei Jahre hindurch den Namen dieses Mannes getragen, und wer wird mir daher glauben, daß ich über seine frühere Geschichte, über seinen Charakter und seine Grundsätze nur Vermutungen zu geben weiß? Das allein ist mir bekannt, daß ich durch ihn eine Zeitlang sehr elend geworden bin.

Er war aus Franken gebürtig und von einem ehemaligen Jesuiten erzogen worden. Dieser Lehrer hatte ihm die ganze verschlagne Festigkeit seines Ordens zu eigen gemacht, und ihm in jungen Jahren schon den Grundsatz eingeimpft, daß der Zweck die Mittel heilige. Als Jüngling muß ihm etwas Schreckliches begegnet sein; ich ahne, daß er eine Geliebte aus Unvorsichtigkeit getötet hat. Ein solches Mißgeschick mag auf den Menschen die zerstörendste Wirkung äußern. Denn ein Verbrechen läßt sich durch Reue und Buße sühnen, aber wo findet der Beruhigung, welcher als blindes Werkzeug geheimer, gräßlicher Mächte sein Teuerstes vernichtete? Die Sonne geht einer so belasteten Seele unter, und Frostnacht breitet über sie erstarrende Schatten aus.

Er hat mehrere Monate in Wäldern und Felsklüften, dem Wilde gleich, verlebt, wie er mir selbst gestand. Welche Gedanken da sich seiner bemächtigt, weiß nur der finstre Geist des Felsens und des Waldes. Als der große Ruf der Freiheit[527] durch Deutschland erscholl, klammerte er sich an die Hoffnung eines einigen Vaterlandes an, und diese ward nun der Gott seines Busens. Seine tollkühne Tapferkeit im Kriege entsprang wohl aus dem Wunsche, zu sterben. Der Tod ward ihm nicht und auch das einige Vaterland blieb nach dem Frieden aus. Ein tiefer Haß gegen alles Bestehende, worin er nur das Hemmnis einer besseren Ordnung der Dinge erblickte, bemächtigte sich seiner, um so gefährlicher und hartnäckiger, als dieser Gesinnung jede Leidenschaftlichkeit abging. Viele sind in jenen Tagen gegen Fürsten und Machthaber stürmisch und drangvoll zu Felde gezogen, sie trugen das Panier ihrer Vorsätze im Antlitz; Medon schien dagegen mit allen Einrichtungen der Gewalt zufrieden zu sein. Er gehörte zu den kalten Fanatikern. Diese vermögen, wenn die Umstände sie begünstigen, etwas auszurichten. Denn die Dinge, welche auf solchen Gefilden erstrebt werden, entstehen nicht durch die Begeistrung, sondern durch den Kalkül.

Eine kurze Zeit hat er sich in dem damals aufkommenden geheimen Bundeswesen versucht. Wie diese unzulänglichen Intrigen nach Jahren entdeckt wurden und zum Schreck vieler, dem im öffentlichen Ansehen fest wurzelnden Manne das Gebäude seines künstlich – errungenen Zustandes zertrümmerten, ist in den Büchern unsrer Geschichten erzählt. Lange wirkte dieser Sturz im gesellschaftlichen Leben der großen Stadt nach; niemand hielt sich im Verkehr mit andern mehr sicher.

Ein Geist, wie Medon, mußte aber sehr bald einsehen, daß sich mit Studenten nichts durchsetzen läßt, und daß überhaupt Verschwörungen nie die Beschaffenheit der Dinge, sondern immer nur ihre Oberfläche, und auch diese meistens nur vorübergehend ändern. Er gab daher alles derartige Tun und Treiben auf, sagte sich von den Häuptern und Gliedern los, und folgte dem Strome, mit welchem zu schiffen jeder gute ruhige Bürger verpflichtet ist. Sein Name, seine Kenntnisse, seine Persönlichkeit führten ihn in vorteilhafter Art bei den Machthabern ein; es dauerte nicht lange, so war der Grund zu der glänzenden Existenz gelegt, welche unser Autor beschrieben hat.[528]

Indem ich nun darangehen soll, die Fäden, welche das Gewebe seiner Handlungsweise zusammensetzen halfen, aufzudrehen, fehlen mir fast die Worte, um das Verhältnis von Kette und Einschlag richtig darzustellen. Ein Wahn, ein Irrstreben der schlimmsten Art entbehrt vielleicht schon seiner Natur nach der eigentlichen Gestalt, des dichten Zusammenhangs, welchen ihm die schildernde Feder gibt. Nur in Träumen und abgerissen – flatternden Momenten mag der so arg Fehlende sich seines Systems bewußt werden. Ich bitte daher den Schatten des Dahingegangenen zum voraus um Verzeihung, wenn die Armut der Sprache mich zu bestimmteren Ausdrücken zwingt, als wie sie der Sache eigentlich gemäß sind.

In den Geschichten der Revolutionen, namentlich in denen der französischen wird zuweilen das Wort: Pessimismus, gebraucht. Es bedeutet das Streben der Faktionen, durch künstliche Hervorbringung eines allerschlechtesten Zustandes die Menschen in eine Wut zu stürzen, welche sie blindlings den Planen der Bösen zutreibt. Die Mittel, deren man sich bei diesem furchtbaren Verfahren bedient, sind mannigfaltig, jedoch laufen die meisten darauf hinaus, daß man entweder die Gegner zu unbedachten Schritten zu bringen weiß, oder selbst den Schein feindlicher Operationen erzeugt, oder durch gemachten Mangel der ersten Lebensbedürfnisse Kummer und Not unter die Menschen wirft.

Ich weiß nicht anders mich auszudrücken, als: Medon hatte sich vorgesetzt, ein Pessimist in deutschem Sinne zu sein. Voll von dem ätzenden Gefühle, daß die öffentlichen Einrichtungen Deutschlands im Widerspruche mit einer schönen, freien, großen Entwicklung seien, hielt er dafür, daß der Weg zu einer Erneuung unsres Lebens durch das Labyrinth einer vollkommnen Anarchie gehe, und daß dahin nur eine Zersetzung aller moralischen Bande, welche uns zusammenhalten, die er aber für morsch ansah, führen könne. Ob er allein, von jeder Verbindung mit andern gesondert, in dieser entsetzlichen Täuschung einen abenteuerlichen Plan ausgesonnen hat, ob mehrere Teilnehmer einer solchen Verkehrtheit gewesen sind, ich weiß es nicht. So viel ist mir aber klar geworden, daß seine[529] Ratschläge, seine Einwirkungen auf hochstehende Personen verwendet wurden, um unheilvolle Maßregeln hervorzubringen, welche unsre allerdings zweideutigen Verhältnisse in eine nur noch tiefere Zweideutigkeit und Halbheit senken sollten, Maßregeln, welche er mit großem Geschicke und vielem Scheine als nützliche, kluge, billige, darzustellen wußte. Und in dieser Absicht regte er auch besonders junge Leute auf, sich zu überheben, die ihnen gezognen Schranken zu verkennen, natürliche, ihnen gemäße Lebenslose mißzuschätzen, so sich innerlich zugrunde zu richten, und sich zu einem gärenden Stoffe der Zeit zuzubereiten. Das war endlich der Grund, warum er Hermann in so törichte Pfade verlockte. Auch er sollte ein Opfer dieser Künste werden, die Herde der Mißvergnügten, Zerstörten mehren.

Ach, mir entsinkt die Feder! Ich habe das dunkle Bild entworfen, erlaßt mir, es auszumalen! Nur so viel noch. Seine eignen Andeutungen und einige Blätter, welche er mir in ausforschender Absicht, wie ein Spiel des Witzes, übergab, liehen mir die Züge dar. Die Schrift war nach Art und in der Form des »Fürsten« abgefaßt, und hieß: »Das Volk«. Er hatte, wie Machiavell, darin eine finstre Theorie nach allen Richtungen kapitelweise behandelt. Genug! Genug! –


O, und doch ist das Schlimmste noch zurück! – Wirst du es denn glauben, junge arglose Seele, die du diese Bekenntnisse liesest, daß wir unsre Brust, heißer Liebe voll, an die Brust eines Mannes legen, und daß er, kalt berechnend, während der Umarmung uns zu einem Hebel in dem Getriebe seiner Entwürfe, zu einem Werkzeuge ausersehen kann? Es ist fürchterlich, sich an dem Gefühle einer Frau zu versündigen, denn der Frevler tötet darin ihren Gott! – Tausendmal ist es gesagt worden: Wir haben nichts als die Liebe, aber es geht damit, wie mit allen uralten Wahrheiten; niemand achtet ihrer.

Zwar merkte ich an Medon, als es ihm gelungen war, mein Herz zu überwältigen, oft eine gewisse Unruhe, ein Zerstreutsein, was wie Kälte aussah, aber ich schob diese Dinge auf Verwicklungen, aus früherer Zeit herrührend, auf das Unbehagen, welches auch ihm das Haus des Herzogs erregte, auf[530] momentane Stimmungen, auf das Gefühl des Nichtbefriedigtseins endlich, wovon ausgezeichnete Menschen immer von Zeit zu Zeit heimgesucht werden. Wie hätte ich in meiner Hingebung und bräutlichen Trunkenheit die Wahrheit ahnen können? Aber als wir die Ringe gewechselt hatten, als ich sein Haus teilte, und nun Einrichtungen getroffen wurden, welche auf die Absicht einer Sonderung aller Lebensverhältnisse schließen machten, als er sein Zutraun still und höflich zurückzog, die Zeichen und Beweise freundlicher Neigung immer sparsamer und erzwungner wurden, überhaupt unsre Ehe nach und nach die Gestalt eines gewöhnlichen Konvenienzbündnisses unter abgeflachten Personen der höchsten Stände annahm, ohne daß von meiner Seite diese Wandlung durch etwas andres verschuldet war, als durch wachsende Innigkeit, und steigende Sehnsucht, im Hause mein Alles zu finden, da befiel mich ein Grauen, ich fing an zu argwöhnen, daß ich schwer hintergangen sei, und fühlte die Notwendigkeit, einem schlimmen Geheimnisse auf die Spur zu kommen.

Was mich am meisten erschreckte, war die Art, wie Medon sich gegen mich vor andern benahm. Unsre Zimmer hatten sich nach und nach mit den bekanntesten Personen der Hauptstadt gefüllt, ein glänzender Kreis umgab uns, der mir wohlwollend und achtungsvoll begegnete. Medon erschöpfte sich vor diesen Zeugen in Aufmerksamkeiten gegen mich. Aber sobald die Menschen uns verließen, sobald die Kerzen ausgelöscht wurden, verschwand auch er, und barg sich in seinen Gemächern.

Ich hatte mir anfangs vorgenommen, ihn zu beobachten, insgeheim zu forschen und den Falten seiner Seele nachzuspüren.

Bald aber verwarf ich diese kleinlichen Mittel als meiner unwürdig, und erkannte, auf welche Weise es sich einzig und allein für mich zieme, in dieser Sache zu verfahren. Eines Tages, da ich mich ruhig genug glaubte, erklärte ich Medon zwar mit zitternder Stimme, aber durchaus fest und gesammelt in mir, daß mich sein Wesen befremde, daß es nicht das eines Gatten sei, und daß er mir die Wahrheit zu sagen habe, welche ich sofort, ganz, im unumwundensten Geständnisse von ihm verlange.[531]

Die Kraft der Unschuld und des Rechts muß wohl sehr groß sein, da sie selbst das schwache Weib zur Meisterin des starken Mannes macht. Medon, der sonst jeglichem standhalten konnte, ward durch meine Anrede überwunden. Zwar versuchte er, mir in ausweichenden Antworten zu entgehn, als ich ihm aber erklärte, daß ich diese verwerfe, vielmehr fordre, er solle seine Pflicht erfüllen, und als meine Augen, welchen die himmlischen Helfer in dieser schweren Stunde weichliche Tränen fernhielten, nicht abließen, ihm, der unruhig hin und her ging, zu folgen, so brach seine Fassung zusammen. Er stürzte mir zu Füßen, barg die errötenden Wangen in meinen Händen, und stammelte, so demütig niedergebeugt, seine Bekenntnisse. Er gestand mir, daß er mich nie geliebt habe, daß er überhaupt keine Frau werde lieben können, weil sein Haupt gänzlich von dem öffentlichen Interesse eingenommen sei, daß er allerhand Plane mit den Menschen verfolge, daß er aber eingesehen habe, wie niemand selbständig auf viele wirken könne, der nicht ein Haus mache, weil jeder ledige Mann über kurz oder lang aus dem Mittelpunkte der Beziehungen an die Peripherie gerate, zum Anhange fremder Verhältnisse werde.

»Unglücklicher!« rief ich vorahnend aus, »und deshalb bedurftest du einer Frau, um deren Sofa sich die Gäste versammeln sollten, die ihnen den Tee einzuschenken bestimmt war, du mußtest eine Wirtin für dein Intrigenstück haben. Und so hast du kalt und lauernd mit meinem Herzen gespielt, betrügerischen Glimmer für mein reines Gold gezahlt, welches ich dir aus überströmender Fülle verschwenderisch hinschüttete! Hast mich mir selbst entfremdet, nicht aus Leidenschaft, nein, wie der Vogelsteller mit süßgiftigem Tone die Nachtigall aus ihrer grünen Laubzelle in seine Netze lockt!«

Er konnte nichts erwidern und nickte nur seine schweigende Bejahung, dann ging er still und gebückt, ohne die Augen vor mir aufzuschlagen. Bald erhielt ich einige Zeilen von ihm, worin er mir sagte, daß, nach dem, was ich nun wisse, er keine Macht mehr über mich haben wolle, und daß es von mir abhange, unser Verhältnis aufzulösen.

Ich antwortete ihm darauf, daß man die Frauen in Europa nicht so von Tag zu Tage nehme und entlasse, daß ich überlegen[532] und zu seiner Zeit das Nötige beschließen werde, daß aber vorderhand unsre Scheinehe fortdauern müsse.

Diese Entdeckungen waren kurz vor Hermanns Ankunft geschehen. Es hatte sich eine dunkle Nacht über mich und mein Leben ausgebreitet. Seine Erscheinung war der erste Lichtstrahl in dieser Finsternis, sie gab mir wieder die Möglichkeit einer Hoffnung, einer Zukunft. Ich glaube, daß ich nur durch ihn die Stärke zu dem Entschlusse gewonnen habe, den ich nachmals ausführte, als Medon bei der herannahenden Gefahr mich in seine Irrbahn wieder mit fortreißen wollte; mein Geschick nämlich von dem seinigen durch rasche Flucht für immer abzusondern.

Hier schließe ich. So kann eine Frau für die edelsten Regungen büßen. Und von solchem Falle kann sie wieder erstehn.

In der freudigen Rührung, die mich immer ergreift, wenn ich meines gewendeten Schicksals denke, werde auch dem Verirrten ein entschuldigendes Wort nachgerufen. Er schläft fern in dem fremden Lande, jenseits des Weltmeeres. Klima und Kummer zehrten ihn dort auf, nachdem seine phantastischen Verbrechen hier gescheitert waren. Er hat schwer gefehlt, es ist wahr. So übel stehn unsre Angelegenheiten nicht, wie er sich einbildete, und seine Denkungsweise war übler, als das Übelste. Aber man erwäge, daß vieles bei uns zusammentrifft, gerade die lebendigen, strebsamen Geister in unheilbaren Trübsinn zu versenken, aus welchem denn auch wohl Frevel der seltensten Art hervorgehen können.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 522-533.
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