Nachschrift

[421] (Mehrere Jahre später)


Ich erlebte das Ende der Szene nicht. Als bei den bezüglichen Worten des Testaments zuerst ein atemloses Schweigen des Todes im Archive eintrat, dann aber Jubel, Hohn, Schreck, Unwille, Entsetzen, Spott, Schimpf, kurz jeglicher Affekt sich in Blick, Miene, Schrei Luft machte, und die Doktoren, wie von einem Kernschusse vernichtet, in die Sessel zurücksanken, benutzte ich diesen Moment und entwischte. Mit drei Sprüngen war ich im Etablissement, empfahl dem Knechte mein gepacktes Köfferchen zur Nachsendung, die er auch redlich bewerkstelligt hat, und lief spornstreichs zum Tore hinaus, denn die Sache, das fühlte ich wohl, war hier aus, rein aus. – Auf der Straße rannte ich an dem Magischen vorbei, den eine finstere Macht fortbewegte. Der gemeine Mann nennt sie den Schub. Er wußte aber noch von seinen Sinnen nichts und hat daher nachmals mit Recht behaupten können, er sei aufgehoben und von dannen geführt worden in der Entzückung.[421]

Später erfuhr ich den weiteren Verlauf der Dinge. Freilich gingen mir darüber zwei ganz verschiedene Berichte zu. Der eine lautete folgendermaßen: Sobald nämlich der Magister Schnotterbaum von jenseits zu Ende gesprochen, sei der Gehülfe hinter der spanischen Wand hervorgetreten und dem Testamente mit den Worten: »Ei Mutter Ursel und Beth', sieht man euch so unerwartet hier wieder?« ein gewichtiger Bestätiger geworden. Der Beamte habe hierauf mit seiner immerfort noch steigenden teuflischen Sanftmut und Höflichkeit zu den Propheten gesagt, er für seine Person halte das Schnotterbaumsche Testament für einen sarkastischen Scherz des alten bösen Magisters und glaube, daß der fremde Herr Doktor, getäuscht von einer flüchtigen Ähnlichkeit sich irre, indessen gebiete ihm freilich in der Sache allein seine Pflicht, da er zugemessene Befehle habe, das Ereignis in jeder Richtung festzustellen. Es liege auf der Hand, daß selbst in betreff der Wunder viel darauf ankomme, ob sie ein Mann, oder ob sie ein altes Weib erzähle, und da zufälligerweise gerade ein Sachverständiger anwesend sei, so müsse er – zwar mit blutendem Herzen und die beiden Herren inniglich verehrend – sie den-noch ersuchen, sich mit dem fremden Doktor behufs weiterer Veranlassung gefälligst hinter die spanische Wand zu begeben.

Der Beamte habe alles wütenden Widerstandes ungeachtet seinen Willen durchzusetzen gewußt und nach einer Viertelstunde sei von dem Gehülfen aus Würzburg auf dessen Ehre und Gewissen das Gutachten abgestattet worden, daß der Magister Schnotterbaum mit keiner Lüge belastet das Zeitliche gesegnet habe.

Nach dem zweiten Berichte war alles mit der Publikation des Testaments vorbei. Die aufgeregten Affekte gingen in ein schallendes Gelächter über; der Gehülfe trat lachend hervor und konnte vor Lachen kein bestimmtes Wort über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Helden dieses Tages aussprechen. Das Gelächter war so ansteckend, daß der alte drollige Kernbeißer endlich selbst mit einstimmte und rief: »'s ist der ausbündigste Schwank, der zu erdenken gewesen, beweist aber nichts gegen das Zwischenreich.« – Diese allgemeine Heiterkeit des Ausgangs soll um so anmutiger gewesen[422] sein, als, wie versichert wird, der Beamte auch in diesen Momenten seinen wahren oder angelegten unzerstörlichen Ernst beibehalten hat. Von Untersuchung hinter der spanischen Wand keine Rede.

Indessen verfehlte das Testament des Magisters nicht, seine Wirkung nachhaltig zu äußern. Denn wohin ich seitdem kam, überall hatte sich die Volksmeinung gebildet, daß der alte Schnotterbaum das Geschlecht der Koryphäen des Geisterglaubens wirklich entdeckt habe.

Dadurch aber hatte in der Tat, wie sich deutlich spüren ließ, die höhere Welt, nämlich die Kernbeißer-Eschenmichelsche, einen Stoß erlitten. Die Erben des Magisters aber traten die Erbschaft nach seinem Testamente ohne Vorbehalt an.[423]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 3, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 421-425.
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