»An ein Veilchen, im Februar

[15] Das arme Veilchen! Sieh, o sieh!

Da lebt's in todtem Moos!

Kommst, armes Veilchen, kommst zu früh

Aus deiner Mutter Schooß!


Lebst Einen Morgen, jammerst mich;

Siehst weder Laub noch Gras;

Mit seinem Fittig mordet dich

Der Mörder Boreas.


Mußt sterben, Veilchen! weil du mußt,

Alt einen Tag; o weh!

So stirb an meines Mädchens Brust,

Daß ich dich sterben seh.
[16]

Da bückt sichs, und mit nassem Blick

Siehts nieder, bricht dich ab;

Stirbst, Veilchen! gehst zu dem zurück,

Der dir das Leben gab.


Stirbst, Veilchen! liegst, ein wenig Staub;

Ein wenig Staub auch wir,

So gut wie du, des Todes Raub,

Einst liegen, nahe dir.


Stirbst, Veilchen! duftest deinen Geist

In kalte Winterluft;

Bleibst Wesen, Veilchen! Wie es heißt?

Ob Monas, oder Duft?


Obs höher aufgestiegen ist

In Schöpfers Angesicht?

Ob Engel oder Milbe bist?

Das, Veilchen! weiß ich nicht.


Weiß aber, daß in Schöpfers Hand

Wohl aufgehoben Laub

Und Ceder ist, und Meer und Land,

Und Sonn' und Sonnenstaub.
[17]

Deswegen wir mit nassem Blick

Nicht sehn in unser Grab:

Genug! wir gehn zu dem zurück,

Der uns das Leben gab.


Gleim.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 15-18.
Lizenz:
Kategorien: