Der neue Pygmalion

[200] »Mich nun verlassen? Cynthio!

Mich nun auf ewig? Liebst du so

Die zärtliche Rosette?

Belohnst sie mit Verrätherey,

Und achtest nicht ihr Klaggeschrey

Am naßgeweinten Bette?


Verschmähst getreuer Liebe Gunst,

Da sie, behülflich deiner Kunst

Den Marmor zu beleben,

Zu deinen Venusbildern dir,

Was schön und artig war an ihr,

In Unschuld Preis gegeben?


Wohlan, Verräther! so vergiß,

Wer diese Hülle mir entriß

Mit seinen Schmeicheleyen.[201]

Und ach! mit Küssen ohne Zahl,

Wer durfte mir zum ersten Mahl

Die junge Brust entweihen?


Du fliehst Rosettens Angesicht?

O Cynthio! so sprachst du nicht,

Als ich, von deinem Flehen

Erweicht, die Hülle faßte, gieng,

Und meine Heiligen behieng,

Aus Furcht, sie möchten sehen;


Als noch mein unverstellter Blick

Zu manchem hohen Meisterstück

Am Morgen dich entzückte;

Als ich, so bald der Abend kam,

Das Werkzeug deinen Händen nahm,

Und dich mein Kuß beglückte.«


»Verzeih, Geliebteste! verzeih;

Mein Ruf ist eine Wüsteney,

Verborgen deinen Küssen;

In Wäldern muß ich, fromm und wild,

Für jedes allzuschöne Bild,

Nach dir geformet, büßen.
[202]

Im Himmel, o du gutes Kind!

Bekenn' es nur, im Himmel sind

Nicht Heben und Dianen:

Da treffen wir uns wieder an:

Ich will indeß, so gut ich kann,

Für uns die Wege bahnen.«


Das treue Mädchen weinte Blut;

Und dennoch wandelte, voll Muth,

Der Heilige von dannen,

Bereits im Haar den goldnen Schein,

Im Kopfe nichts als Engelein,

Agnesen und Susannen.


Nach einer kurzen Reise kroch

Er in ein dunkles Felsenloch,

Und baute seine Zelle.

Zusammen trug er in den Wald

Sich Steine dann, die wurden bald

Zur artigen Kapelle.


In tiefer Reue schnitzt' er nun,

Vom Beten dann und wann zu ruhn,

Sich eine Magdalene,[203]

Mit blonden Locken, dünner Tracht,

In allen Theilen wohl gemacht,

Bis auf die kleinste Thräne.


Sie lag am Felsen jämmerlich,

So schön, daß auch ein Türke sich

Mit ihr betrübet hätte.

Und wißt ihr, wem sie ähnlich war?

An Auge, Busen, Mund und Haar,

Der weinenden Rosette.


»Was seh' ich? Welche Prüfung? O!

Der Himmel will, des bin ich froh,

Die stolze Brust zermalmen.

Ich folge williglich.« Er bringt

Das Bild in sein Kappellchen, singt

Ihm lauter Klage-Psalmen;


Und pflegt es mit geweihter Hand,

Und schenkt ihm täglich allerhand

An Blumen und an Kerzen;

Er seufzet, kniet ohn' Unterlaß;

Jedoch auf einmal schreckt ihn was

In seinem bangen Herzen.
[204]

Er geht, mit Zweifeln angefüllt,

Und sucht, und flieht das schöne Bild,

Verändert ihm die Stelle;

Berührt es, jammert, bebt zurück,

Und schließet jeden Augenblick,

Und öffnet die Kapelle.


Berühmt im ganzen Lande ward

Herr Cynthio mit seinem Bart,

Und seiner Magdalene.

Da kamen Pilger weit und breit,

Matronen voller Heiligkeit,

Und manche junge Schöne.


Die opferten. Was hilft es ihm?

Und was dem innern Ungestüm

Sein Beten und Casteyen?

Er schmachtet, er verzehrt sich ganz;

Kein Festtag und kein Rosenkranz

Vermag ihn zu befreyen.


An einem kühlen Morgen schlug

Sein Herz ihn wach, der Arme trug

Ein Lämpchen in die Mette:[205]

O Bild! so reizend warst du nie!

Sein Geist verirrte sich, er schrie:

Ach heilige Rosette!


Und alsobald erwärmte sich

Der Marmor; seine Blässe wich,

Der Busen schien zu beben;

Die Augen glänzten allgemach;

Da lächelte das Bild, und sprach:

O Cynthio, mein Leben!


Rosette war es. Sie vergaß

Den Liebling nicht. Rosette saß

Bey seiner Magdalene.

Vergönne, daß, in frommer Ruh,

Ich mit den Heiligen, wie du,

Geliebter! mich versöhne.


Zu deinen Bildern hielt ich still,

Wenn du sie formtest; und ich will

Zur Buße mich bequemen;

Du magst zu einer Ursula,

Walpurgis und Cäcilia,

Von mir die Züge nehmen.
[206]

Das that er; und im ganzen Land,

Auf Märkten und an Wegen, stand,

Von allen um die Wette

Bekränzt, in Weihrauch eingehüllt,

Mit einer Glorie, das Bild

Der lachenden Rosette.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 2, Zürich 1819, S. 200-207.
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