35. Die Mädchen im Pfluge.

[189] Es war einmal ein junger Kaufmann, dem hatte sein Vater viel Geld und Gut hinterlassen, so dass er drei grosse Schiffe damit ausrüsten konnte. Und das that er auch; denn er wollte die Welt besehen. Als er nun eine Zeit lang über das wilde Meer gefahren war, kam er an eine Stadt, da war Wassersnot. Alle Äcker und Gärten waren überschwemmt, und die Leute wussten nicht, woher sie nehmen sollten, dass sie ässen und nicht stürben. Das jammerte den Kaufmann, und er schenkte den Bürgern ein Schiff mit allen Lebensmitteln und der Ladung, welche darin war; dann liess er die Anker lichten und fuhr weiter. Es dauerte gar nicht lange, so segelte er ein Land an, in dem herrschte Hungersnot und teure Zeit, so dass die Leute einer den andern auffrassen, damit sie das Leben behielten. Bei dem Anblick überkam ihn wieder grosses Mitleid, und er schenkte den armen Leuten sein zweites Schiff, dass er nur noch das eine Fahrzeug besass, auf dem er selbst war. Darnach fuhr er weiter und kam an eine Stadt, vor deren Thor die Bürger einen grossen Galgen errichtet hatten, und an dem Dreibein hing ein armer Sünder. »Was hat der Mann begangen?« fragte der Kaufmann. »Er konnte seine Schulden nicht bezahlen,« antworteten die Bürger, »und er soll darum an dem Galgen hängen, bis die Krähen sein Fleisch gefressen haben und der Strick vermodert ist, an dem er hängt.« – Fragte der Kaufmann: »Nehmt ihr ihn herab und gönnt ihm ein ehrliches Grab, wenn ich die Schulden bezahle?« – Da lachten die Bürger und sagten, sie würden es gern thun. Darauf ging der Kaufmann auf sein Schiff und verkaufte einen Teil der Ladung, löste damit den Schuldner vom Galgen und gab ihm ein ehrliches Grab.

Über der Mildthätigkeit seines Herrn wurde jedoch dem Kapitän bange, und er fürchtete, es möchte ihm gehen, wie den beiden andern Kapitänen mit ihren Schiffen, dass er verschenkt würde an ein verdorbenes Land. Als sie weiter fuhren und eine Insel in Sicht bekamen, beschloss er darum, heimlich abzusegeln, wenn der Kaufmann seiner Gewohnheit nach an Land ginge, um zu sehen, ob er nicht seinen Mitmenschen helfen könne. Gedacht, gethan. Während sein Herr im nächsten Hafen an Land ging, lichtete der Kapitän die Anker und liess ihn treulos im Stiche. Der Kaufmann merkte aber nicht den Betrug, sondern wandte seine Schritte landeinwerts und spähte umher, dass er Menschen erblickte. Indem vernahm er aus der Ferne harte Worte und Peitschenknall und klägliches Geschrei. Er schritt darauf zu, und als er an die Stelle gekommen war, sah er einen Mann, der hatte zwei nackte Mädchen im Pfluge gehen und pflügte mit ihnen[190] den Acker. »Du mein Gott, was thust du da?« rief der Kaufmann, »Frauensleute sind doch kein Pflugvieh!« – »Anderes Vieh haben wir hier nicht,« antwortete der Mann, »ich habe die Mädchen auf dem Markte gekauft und thue mit ihnen, wie mir beliebt.« – »So will ich sie dir abkaufen,« sagte der Kaufmann und zog den Beutel aus der Tasche, und als der Ackersmann die Goldstücke blinken sah, liess er dem Herrn die Mädchen für die schwere Geldkatze und freute sich obendrein, dass er ein so gutes Geschäft gemacht habe. Der Kaufmann aber gab dem einen Mädchen seinen Rock und dem andern den Mantel, dass sie sich nicht vor ihm zu schämen brauchten, und dann fragte er sie nach ihren Eltern und woher sie kämen. »Ich bin eines reichen Königs Tochter,« sagte die Schönste von den beiden, »und das hier ist meine Kammerjungfer. Wir gingen von meines Vaters Schloss in den Wald lustwandeln, da fielen Räuber über uns her und griffen uns und schleppten uns auf ihr Schiff, und als sie an dieser Insel gelandet waren, verkauften sie uns an den Ackersmann, und wir mussten im Pfluge gehen bis auf den heutigen Tag.« – »Jetzt soll eure Not ein Ende haben,« sagte der Kaufmann, als er die traurige Geschichte gehört hatte, »im Hafen liegt mein Schiff, damit fahre ich euch in euer Königreich zurück.« Als er aber mit den Jungfrauen an den Strand kam, waren in weiter Ferne nur noch die Mastspitzen des Schiffes mit den Flaggen zu sehen. Da erkannte er wohl, dass ihn der Kapitän betrogen habe, und er weinte mit den Mädchen seine bitterlichen Thränen. Nachdem sie sich ausgeweint hatten, trug der Kaufmann Strauchwerk und Reiser zusammen und baute daraus eine Hütte, dass sie darin wohnen möchten; ihre Speise war Kräuterwesen, und einer von ihnen stand immer hoch oben auf der Düne und hielt Wacht, ob nicht irgendwo ein Schiff sich erblicken lasse.

Eines Tages hatte der Kaufmann die Wache, da rief er den Mädchen am Strande zu: »Kommt herauf, ich sehe ein Segel!« Und als die Jungfrauen oben waren, richteten sie alle drei eine Stange auf und banden ein Tuch daran zum Zeichen, dass arme Schiffbrüchige Rettung begehrten. Der Kapitän des Schiffes bemerkte das Notzeichen, legte bei und setzte ein Boot aus, dass es die Unglücklichen aufnähme; und es dauerte gar nicht lange, so waren sie an Bord, und der Kapitän versprach ihnen, sie mitzunehmen bis zum nächsten Hafen; denn er fuhr in ein anderes Land, als das war, welches der Prinzessin Vater beherrschte. Nachdem sie jedoch ein paar Tage gefahren waren, begegnete ihnen ein grosses Mannwar (Kriegsschiff), und als die Prinzessin die Flagge erblickte, die auf dem Maste geheisst war, rief sie voll Freuden: »Das ist meines Vaters Schiff! Lieber Kapitän, setzt uns an, es soll wahrlich Euer Schade nicht sein.« Und das that der Kapitän auch, denn er war ein herzensguter Mann. Wie nun die Leute auf dem Mannwar merkten, dass das fremde Schiff etwas von ihnen wolle, legten sie bei, und der Admiral, welcher das Mannwar befehligte, kam selbst auf einem Boote herüber und wunderte sich nicht wenig, die Prinzessin und ihre Kammerjungfer zu treffen; denn[191] er war ausgefahren, sie zu suchen, und fand sie auf hoher See und hatte sie doch in einem fernen Lande in Knechtschaft und Sklaverei geglaubt. Nachdem er den Kapitän mit Geld und Gut reichlich belohnt hatte, nahm er darauf die Jungfrauen und ihren Befreier zu sich in das Boot, und die Schiffsleute ruderten sie an das Mannwar heran. Als sie an Bord waren, wurde sogleich kehrt gemacht, und sie fuhren mit gutem Winde dem Reiche zu, über welches der Vater der Prinzessin König war.

Wie sie unterwegs waren, plagte den Admiral der Teufel. »Du bist um den Preis gekommen;« dachte er bei sich, »hat der König dem Befreier die Prinzessin zur Frau versprochen, so bist du es nicht, sondern der Kaufmann erhält sie zum Weibe und wird, wenn der alte König stirbt, sein Nachfolger im Reiche,« und mit diesen Gedanken trug er sich bei Tag und bei Nacht. Endlich hielt er es nimmer mehr aus, und als er eines Abends mit dem Kaufmann allein auf dem Achterdeck stand, gab er ihm einen Stoss, dass er kopf über in das Meer stürzte und die Wellen über ihm zusammenschlugen. Kein Mensch hatte die Unthat gesehen, nur die Prinzessin und die Kammerjungfer waren Zeugen gewesen von der Kajüte aus und schrien jäh auf, als der Kaufmann über Bord fiel. Das kümmerte den Admiral aber wenig, er stieg zu den Jungfrauen in die Kajüte herab und bedrohte sie mit dem Tode, wenn sie ihm nicht einen teuren Eid schwören würden, dem Könige zu sagen, dass er es gewesen sei, der sie aus der Sklaverei befreit habe. In der Todesangst thaten die Mädchen das auch, und als das Mannwar die Reise vollendet hatte und vor dem königlichen Schlosse vor Anker ging, war grosser Jubel im ganzen Lande, und alles Volk lobte den Admiral und jauchzte ihm zu, dass er die Prinzessin wieder gebracht habe. Am freudigsten aber war der alte König, und er hätte am liebsten sogleich die Hochzeit feiern lassen, wie er versprochen hatte; doch die Prinzessin bat ihn und sagte: »Warte noch ein Jahr, Väterchen, dass ich die Wunden und Striemen heile und Trauer trage um das Leid, das mir in der Sklaverei zugefügt wurde.« Das that sie aber nur, weil sie hoffte, der Kaufmann könne durch Gottes Gnade doch noch gerettet sein. Wenn er aber in Jahresfrist nicht käme, so wollte sie das als ein Zeichen nehmen, dass er seinen Tod in den Wellen gefunden. Der König sah ein, dass seine Tochter etwas Billiges verlange, und wenn auch der Admiral gar nicht damit zufrieden war, so wurde die Hochzeit doch aufgeschoben auf ein ganzes Jahr, wie die Prinzessin gewünscht hatte.

Und der liebe Gott hatte den Kaufmann wirklich nicht verlassen in der wilden See; denn als er wieder emportauchte, liess er ihn einen Mastbaum greifen, der in dem Meere schwamm. Daran hielt sich der Kaufmann, und die Strömung trieb ihn weiter und weiter, die Nacht hindurch und auch den folgenden Tag, bis er mit Sonnenuntergang an eine kleine Insel gelangte. Hier beschloss er zu bleiben und zu warten, bis ein Schiff käme, das ihn aufnehmen möchte. Und weil er müde war, kroch er in eine Grube, welche der Sturm bereitet hatte,[192] als er einen grossen Eichbaum umwarf und ihn mit den Wurzeln aus dem Erdboden riss, und deckte sich mit Laub zu gegen die Abendkühle. Aber das half ihm wenig. Siehe, da kam ein gewaltig grosser Vogel herbeigeflogen und liess sich nieder an dem Rande der Grube, rupfte mit seinem Schnabel Federn über Federn aus der Brust, dass die Grube voll wurde davon und der Kaufmann ganz damit bedeckt ward; dann flog er wieder auf und davon. »Nun schenkt dir der liebe Gott auch ein weiches, warmes Federbett,« dachte der Kaufmann, und nachdem er sein Nachtgebet verrichtet hatte, schlief er ein und erwachte nicht eher, bis ihm das helle Sonnenlicht in die Augen schien. Den Tag über suchte er Eier von den wilden Seevögeln und Wurzelwerk und Beeren und Kräuterwesen und ass davon, bis er satt war, und so trieb er es sechs Monate lang.

Eines Morgens, als er seine Augen aufschlug, stand der grosse Vogel zum zweiten Male an dem Rande der Grube, that seinen Schnabel auf und sagte: »Wo du hin willst, das weiss ich; steh auf, dass ich dich meerüber trage!« Da stand der Kaufmann auf, und alsbald ergriff ihn der Vogel mit seinen Klauen und trug ihn hoch durch die Luft über die tiefe See, bis sie an das feste Land kamen. Dort setzte der Vogel den Kaufmann zur Erde, und nachdem er ihm gesagt hatte: »Jetzt wandere eilends von dannen, dass du noch die Hauptstadt des Königs erreichst, ehe die Prinzessin Hochzeit macht mit dem Admiral!« fragte er ihn, ob er auch wisse, wer er sei. »Je nun, ein grosser Vogel,« antwortete der Kaufmann. »Falsch geraten,« sagte der Vogel, »ich bin kein richtiger Vogel, sondern der Geist des armen Schuldners, dessen Leib du vom Galgen erlöst hast, und das habe ich dir zum Danke gethan!« Damit schwang er sich in die Lüfte und flog auf und davon; der Kaufmann aber schnitt sich einen Wanderstab aus einem Kreuzdornbusch und wanderte rüstig fort, von einer Stadt zur andern und von einem Dorf zum andern, über Stock und Block, sechs Monde lang, bis er endlich in eine Stadt kam, in der alle Häuser geflaggt waren und die Bürger jubelten und sangen.

»Was ist denn hier geschehen?« fragte der Kaufmann den Gastwirt, bei dem er vorgesprochen war. »Ihr seid wohl von weiter Ferne zugereist, dass Ihr das nicht wisst?« antwortete der Gastwirt; »Diesen Tag feiert des Königs einzige Tochter Hochzeit mit dem Admiral, der sie vor Jahresfrist den Räubern abgejagt und erlöst hat. Da giebt's heute gut zu essen und zu trinken auf dem Schlosse; aber für uns ist das nichts.« – »Das käme auf eine Probe an!« meinte der Kaufmann, »Was gilt die Wette, ich schaffe dir Braten und Wein von des Königs Tisch?« – »Ich setze Haus und Hof dagegen mit allem, was darinnen ist,« sagte der Wirt und lachte, dass er sich den Leib halten musste; denn wie wollte der hergelaufene Mensch Braten und Wein von des Königs Tisch bekommen! Aber der Kaufmann liess sich das nicht anfechten, sondern forderte Tinte und Papier und schrieb einen Brief an die Prinzessin, in dem stand geschrieben, dass er vom Tode errettet und jetzt in die Stadt gekommen sei und dass er von den Speisen[193] bitte, um damit in der Herberge seinen Hunger zu stillen. Das Schreiben musste ein Knecht auf das Schloss tragen, und als er es der Prinzessin gegeben hatte, welche in dem Brautkleide neben dem Admiral an der königlichen Tafel sass, las sie es durch und schickte sofort mit einem Diener den schönsten Braten und den besten Wein in die Herberge hinab.

Der Wirt war sehr betrübt, als er den königlichen Diener kommen sah; aber wie bald war er getröstet, als der Kaufmann ihm sagte: »Ich begehre dein Hab und Gut gar nicht, du magst es in Frieden behalten.« Während er noch so sprach, kam die goldene Hofkutsche vorgefahren, und die Bedienten halfen dem Kaufmann hinein und fuhren ihn auf das Schloss. Dort erwartete ihn die Prinzessin mit ihrer Kammerjungfer, und sie führten ihn in eine Stube, dass er sich wasche und bade und schöne Kleider anziehe. Die Kammerjungfer sollte ihm helfen; aber sie stand von ferne, denn sie fürchtete sich vor dem Schmutz und Ungeziefer, welches den Kaufmann bedeckte. Klatsch, klatsch! schlug ihr da die Prinzessin mit ihrer weissen Hand links und rechts um die Ohren. »Hat er sich auch geziert, als er uns splinternackt vom Pfluge kaufte,« rief sie zornig, »und uns Mantel und Rock gab, dass wir uns nicht vor ihm zu schämen brauchten?« Darauf wusch und badete sie ihn selbst und half ihm die königlichen Kleider anziehen, welche für ihn bereitet waren; dann aber machte sie, dass sie mit ihm in den Hochzeitssaal kam.

Der Admiral wäre vor Schrecken fast in die Erde gesunken, als er den Kaufmann sah; der alte König aber fragte: »Mein Kind, wer ist der Fremdling, den du an der Hand führst?« Antwortete die Prinzessin: »Lasst ihn selbst sprechen!« Und der Kaufmann erzählte nun, wie alles gekommen war und wie ihn der böse Admiral über Bord gestürzt habe, um des Königs Schwiegersohn und sein Nachfolger im Reiche zu werden. Da musste sich der Kaufmann an des Bräutigams Platz setzen und ward mit der Prinzessin verheiratet, der böse Admiral aber wurde an den lichten Galgen gehängt; und wenn er nicht abgeschnitten ist, so mag er dort noch hängen bis auf den heutigen Tag.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 189-194.
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