Sechster Sektor oder Ausschnitt

[64] Gewaltsame Entführung des schönen Gesichts – wichtiges Porträt


Das Erstaunen Gustavs, zu dem ihn den ganzen Tag ein Gegenstand nach dem andern anstrengte, und die Entbehrung des Schlafs endigten seinen ersten Himmeltag mit einem Fieberabend, den er würde verweint haben, auch ohne einen Grund. Aber er hatte einen: sein Genius war während des Tumultes im Garten mit einem sprachlosen Kusse von dem Liebling fortgezogen und hatte nichts zurückgelassen als der Mutter ein Blättchen. Er hatte nämlich ein Notenblatt in zwei Hälften zerschnitten; die eine enthielt die Dissonanzen der Melodie und die Fragen des Textes dazu, auf der andern standen die Auflösungen und die Antworten. Die dissonierende Hälfte sollte sein Gustav bekommen; die andere behielt er: »Ich und mein Freund«, sagt' er, »erkennen einmal in der wüsten Welt einander daran, daß er Fragen hat, zu denen ich Antworten habe.« Auch den Pudel, der immer größer wurde, nahm er mit ..... Wo werden wir dich wiedersehen, unbekannter schöner Schwärmer? Du erfährst es nicht, wie dein verwaiseter Zögling abends rufet und schluchzet nach dir, und wie ihm der neue gestirnte[64] Himmel nicht so gefället als seine Stubendecke mit dir, und wie ihm die Lichtkerzen jedes Zimmer zur stillen Höhle ummalen, in der er dich geliebt hatte und du ihn. Ebenso bücken wir uns am Lebens-Abend an alten Gräbern unsrer frühen Freunde, die niemand bedauert als wir; bis endlich den letzten Greis aus dem liebenden Zirkel ein fremder Jüngling beerdigt; aber keine einzige Seele erinnert sich der schönen Jugend des letzten Greises! –

Am Morgen war er wieder gesund und froh; die Sonne trocknete sein Auge aus, und das Nebelbild seines Genius zog in der Hülle der letzten Nacht sich weit zurück. Es tut mir leid, daß ichs seinen Jahren und seinem Charakter beizumessen habe, daß er, die Abendstunden der schmerzlichsten Sehnsucht ausgenommen, ein wenig zu leicht das Bild eines Freundes durch nähere Bilder in den Hintergrund verschieben ließ. Alle Blumen waren jetzo Spielzeug für ihn, jedes Tier ein Spielkamerad und jeder Mensch ein Vogel Phönix; jede Himmelsveränderung, jeder Sonnenuntergang, jede Minute überschüttete ihn mit Neuigkeiten.

Es war ihm wie vornehmen Kindern, die aufs Land hinauskommen; alles begucken, betasten, bespringen sie in der neuen Erde und dem neuen Himmel. Denn es ist ein unbeschreibliches Glück für stiftfähige Kinder, daß ihre Eltern, die sonst aus der Natur sich wenig machen, sie dennoch zwischen hohen Zimmern und hohen Häusern, die nicht 38 Quadratschuhe vom Himmel sichtbar lassen, wie in Treibgärten mit hohen Mauern erziehen, damit die Natur ihnen so wenig als ihre Eltern unter die Augen komme; dadurch erhält sich ihr Gefühl für beide ebenso unverhärtet über der Erde, als würden sie wirklich unter ihr erzogen; ja sie sehen den Sonnenaufgang zum ersten Male fast noch später als Gustav, – auf der Postkalesche oder in Karlsbad. –

Seine Eltern ließen ihn als einen Neugebornen ungern von der Seite, kaum in den Schloßgarten und nicht zum Berg hinunter, wo ihm die Poststraße gefährlich war. Auch hatt' er aus seiner unterirdischen Schulpforte eine gewisse Verlegenheit mit heraufgebracht, die mittelmäßige Menschen und fast sein Vater für Einfalt nehmen, welche aber höhere Menschen, sobald sie in Gesellschaft eines nicht stieren, sondern überfüllten schwärmerischen[65] Auges wie bei ihm erscheint, für das Ordenkreuz ihres Ordenbruders halten. Gleichwohl bereueten es seine Eltern acht Tage darauf, nicht, ihn eingesperrt, sondern, ihn hinausgelassen zu haben.

Die Obristforstmeisterin von Knör und ein Faszikel Herrnhuter und Herrnhuterinnen waren mit ihr gekommen, den Zögling des Grabes zu hören; ein Grummetschober alter Fräulein hatte schon vier Wochen vorher eingesprochen, und jetzo wieder, um nur ein solches Wunderkind ansichtig zu werden. Die herrnhutischen Brüder waren lebhaft und frei mit Anstand; die Schwestern mauerten sich sämtlich um eine Standuhr, deren Gehäuse mit Engeln als Hornisten gerändert war – sie waren von den Hornisten nicht wegzubringen. Beizubringen war ihnen auch nichts; Maul und Augen machten sie auch nicht auf, und der Rittmeister wurde schwarz vor verhaltenem Ärger. Endlich tippte die Lippe einer Schwester an ein Weinglas, die andern tippten nach – so viel die eine vom Gebacknen abknickte, so viel bröckelten die andern sich zu – ein Zuck regte die ganze obligate Kompagnie dieser auf zwei Füße gestellten Schafe. Der Fräuleinschober hingegen hieb in alles ein; im Flüssigen und Festen war er wie ein Amphibium zu Hause, sie hatten in ihrem kauenden und klappernden Leben nie etwas gereget als die Zunge. – Als nun für so viele Zuschauer das Wundertier her sollte: wars – weg. Alles wurde ausgestöbert, langverlorne Dinge wurden gefunden, in alles hineingeschrien, in jeden Winkel und Busch – kein Gustav! Der Rittmeister, dessen anfangende Betrübnis immer eine Art Zorn war, ließ die ganze sehlustige Schwesterschaft sitzen; die Rittmeisterin aber, deren Betrübnis noch weichere Teile angriff, setzte sich kosend zu ihr. Als aber alle ängstliche, fragende, laufende Gesichter immer trostloser zurückkamen und als man gar hinter dem offnen Schloßtor, wo der Kleine abgerißne Blumen in kleine beschattete Beete steckte, diese noch naß von seinem Begießen fand: so zerknirschte die Verzweiflung die Gesichter der Eltern; »ach der Engel ist gewiß in den Rhein gestürzt«, sagte sie, er aber sagte nichts dagegen. Zu einer andern Zeit hätt' er einen solchen Fehlschluß mit den Füßen zerstampft; denn der Rhein floß eine halbe Stunde vom[66] Schlosse; aber hier schloß in beiden die Angst, die weit tollere Sprünge tut als die Hoffnung. Ich rede hier deswegen von einer andern Zeit, weil mir bekannt ist, wie sonst der Rittmeister war: nämlich aus Mitleiden aufgebracht gegen den Leidenden selber. Niemals z.B. fluchten seine Mienen mehr gegen seine Frau, als wenn sie krank war (und ein einziges schnelles Blutkügelchen stieß sie um) – klagen sollte sie dabei gar nicht – war das, auch nicht seufzen – war auch das, nur keine leidende Miene machen – gehorchte sie, überhaupt gar nicht krank sein. Er hatte die Torheit der müßigen und vornehmen Leute, er wollte stets fröhlich sein.

Hier aber, da einmal sein Glücktopf in Scherben lag, versüßete ein fremder Seufzer seinen eignen und seinen Zorn über die unachtsame Hausdienerschaft und über den dürren Schwester- und Grummetschober.

Als das Kind die Nacht ausblieb und den ganzen Vormittag und als man gar im Walde auf der Kunststraße sein Hütchen antraf: so verwandelten sich die Stiche der Angst in das forteiternde Schmerzen dieser Stichwunden. Gegen keine Gemüterschütterung ist ein guter Gegenbeweis so schwer zu führen als gegen die Angst; ich führe daher gar keinen seit Jahr und Tag, sondern ich gebe ihr das Ärgste, was sie behauptet, sofort willig zu und falle dann bloß die andere Gemütbewegung, die aus dem besorgten Ärgsten kommen kann, mit der Frage an: »Und wenns nun wäre?«

Jeder Fliegenschwamm im Walde wurde breitgetreten und jeder Baumspecht aufgejagt, um den Kopf zum Hut zu finden – aber vergeblich; – und am dritten Tage ging der Rittmeister, dessen Gesicht eine Ätzplatte des Schmerzes war, ohne Absicht zu suchen so vertieft im Walde herum, daß er einen mit Koffern und Bedienten ausgelegten Reisewagen durch das Gebüsch schwerlich hätte fliegen sehen, wenn nicht daraus wie ein Freuden-Donnerschlag die Stimme seines verlorenen Sohnes ihn erschüttert hätte. Er rennt nach, der Wagen schießet voraus, und im Freien sieht er ihn schon hinter seinem Schlosse stäuben. Außer sich kommt er in Schloßhof angestürmt, um nachzusprengen und um es – bleiben zu lassen. Denn oben an der Haustüre stand die in einen Knäul zusammengelaufne Schloß-Genossenschaft schon um den[67] Gustav, die Schloßhunde bellten, ohne einen gescheiten Grund zu haben, und alles sprach und fragte so, daß man gar keine Antwort des Kleinen vernahm. Der vorbeifliegende Wagen hatte ihn ausgesetzt. Am Halse hing in einem schwarzen Bande sein Porträt. Seine Augen waren rot und feucht von den Qualen der Heimsucht. Er erzählte von langen langen Häusern, wofür er Gassen hielt, und von seinem Schwesterchen, das mit ihm gespielet, und vom neuen Hute; es wär' aber keine Seele daraus klug geworden, hätte nicht der Koch eine entfallne Karte zu seinen Füßen erblickt. Diese las der Rittmeister und sah, daß er sie nicht lesen sollte, sondern seine Frau. Er verdolmetschte es aus dem mit weiblicher Hand geschriebenen Italienischen so:

»Kann sich denn eine Mutter bei einer Mutter entschuldigen, daß sie ihr Kind ihr so lang entzogen? Wenn Sie mir auch meinen Fehler nicht vergeben: ich kann ihn doch nicht bereuen. Ich traf Ihren lieben Kleinen vor drei Tagen im Walde irrend an, wo ich ihn in meinen Wagen stahl, um ihn vor schlimmern Dieben zu bewahren und um seine Eltern auszufinden. – Ach, ich will es Ihnen nur sagen: ich hätt' ihn auch mitgenommen, wenn auch beides nicht gewesen wäre. O nicht, weil er so himmlisch schön, sondern weil er so ganz, sogar bis auf die Haare, wie mein teuerer verlorner Guido aussieht, kann ich ihn kaum lassen. Ach es sind schon viele Jahre, daß mir das Schicksal auf eine sonderbare Art mein liebstes Kind lebendig aus dem Schoß genommen. Ihres kommt heute wieder, meines vielleicht nie! – Das Hals-Gehenk verzeihen Sie. Das Porträt werden Sie für seines halten, so ähnlich ist er meinem Sohn; aber es ist das meines Guido. Sein eignes ließ ich mir auch malen und behalt' es, um das Ebenbild meines Guten doppelt zu haben. Sollt' ich einmal Ihren Gustav aufgeblüht zu Gesicht bekommen: so würd' ich ihn lange anschauen, ich würde denken: so muß mein Guido jetzt auch aussehen, so viel Unschuld wird er auch im Auge haben, so sehr wird er auch gefallen. – Ach meine Kleine weint, daß ihr Spielgenosse wieder wegfahren soll – und ich tu' es auch; sie gibt nur einen Bruder, aber ich einen Sohn zurück. Mögen Sie und er glücklicher sein! – Meinen Namen schenken Sie mir.«[68]

Sie rieten alle über die Verfasserin hin und her. Der Rittmeister allein sagte traurig nichts; ich weiß nicht, ob aus Kummer über die Erinnerungen an seinen ersten verlornen Sohn, oder weil er gar wie ich über die ganze Sache dachte. Ich vermute nämlich, der verlorne Guido ist eben sein eignes Kind; und die Briefstellerin ist die Geliebte, die ihm der Kommerzien-Agent Röper aus den Händen gewunden hatte. Ich werde erst nachher sagen warum.

Gustavs Schönheit kann man erstlich aus der Vernunft oder von vornen dartun, zweitens von hinten. Sein Treibhaus, das ihn auferzog und zudeckte, bleichte ganz natürlich seine Lilienhaut zu einem weißen Grund, auf welchen zwei blasse Wangenrosen oder nur ihr Widerschein und die dunklere feste Rosenknospe der Oberlippe geblasen waren. Sein Auge war der offne Himmel, den ihr in tausend fünfjährigen und nur in zehn funfzigjährigen Augen antrefft; und dieses Auge wurde noch dazu von langen Augenwimpern und von etwas Schwärmerischen verschleiert oder verschönert. Endlich hatten weder Anstrengung noch Leidenschaften ihren Waldhammer und die scharfen Lettern desselben in dieses schöne Gewächs geschlagen, und ihm war noch kein Todesurteil, das seinen Fall bezeichnet, in seine Rinde eingeschnitten. Alles Schöne aber ist sanft; daher sind die schönsten Völker die ruhigsten; daher verzerret heftige Arbeit arme Kinder und arme Völker.

Es ist aber noch kein Jahr, daß ich Gustavs Schönheit von hinten beweisen kann. Denn da der Auktionproklamator damals mein intimster Freund war: so beging er mir zu Gefallen den kleinen Schelmenstreich, daß er die Gemälde und Kupferstiche gerade an einem Tage versteigerte, wo der Maskerade wegen kein Mensch gerade von der großen Welt aus Unterscheerau in die Versteigerung kam, mich ausgenommen; ich erstand für Sündengeld tausend Dinge. Die ganze Stadt und Vorstadt hatte zu diesem Schutthaufen von Möblen zugetragen und war Verkäuferin und Käuferin zugleich. In dieser Auktion erschienen alle europäische Potentaten, aber elend gezeichnet und koloriert; und ein Edelmann von bon sens hielt seine beiden Eltern feil und wollte sie als[69] gute Kniestücke verstechen – in Rom verhandelten umgekehrt die Eltern die Kinder, aber in natura. Der Edelmann hoffte, ich würde auf seinen Papa und seine Mama bieten; aber ich war bei nichts der Mehrbieter als bei Gustavs Porträt, das er auch losschlug. Der Edelmann hieß – Röper, von dem ich oben gesagt, daß er an einem Tage Ehemann und Stiefvater geworden.

Und hier hängst du ja, Gustav, mir und meinem Schreibtisch gegenüber, und wenn ich über etwas sinne, so stößet mein Auge immer auf dich. Viele tadeln mich, mein kleiner Held, daß ich dich hier zwischen Shakespeare und Winckelmann (von Bause) aufgenagelt; aber hast du nicht – das bedenken zu wenige – einen Nasen-Schwibbogen, auf dem schwere und hohe Gedanken ruhen, einen solchen, der oft unter der Hand des Todes sich noch schöner wölbt, und hast du nicht unter dem Knochen-Architrav ein weites Auge, durch das die Natur wie durch eine Ehrenpforte in die Seele zieht, und ein gewölbtes Haus des Geistes und alles, womit du deine in Kupfer gestochne Nachbarschaft verdienest und aushältst?

Der Leser sollte wissen (es geschieht aber weiter hinten), was mich jetzo nötigt, meinen Sektor plötzlich auszumachen und einzusperren ....


Zweites Extrablatt

Strohkranzrede eines Konsistorialsekretärs, worin er und sie beweisen, daß Ehebruch und Ehescheidung zuzulassen sind


Ich gesteh' es hier, unser aufgeklärtes Jahrhundert sollte man das ehebrechende nennen. Ich sagte allerdings einmal auf dem Marktplatz zu Marseille, ich hielt' den Bettel für recht, den Ehebruch – schon weit vor München sagt' ich, man sollte an die Mutterkirche des Ehebettes noch ein Ehefilial stoßen – im Obersächsischen sagt' ich, wenn jene Gräfin ein ganzes Jahr fortgebar, jeden Tag etwas: so wäre noch jetzo bei Gräfinnen wenigstens das vorhergegangene Jahr zu haben – in den zehn deutschen Kreisen drückt' ich mich gewiß auf zehn verschiedene Arten aus; – – aber es war damals nirgends der Ort, die Sache klar aus der Physiologie darzutun, als bloß hier.

[70] Sanktorius wars1, der sich auf einen delphischen Nachtstuhl setzte und da die Wahrheit aussaß, daß der Mensch alle 11 Jahre einen neuen Körper umbekomme – der alte wird wie der deutsche Reichs-Körper stückweise flüchtig, und es bleibet von der ganzen Mumie nicht so viel sitzen, als ein Apotheker klein geschabt in einem Teelöffel eingeben will. Bernoulli widersprach gar diesem ganz und rechnete uns vor, Sanktorius stolpere, denn nicht in 11, sondern in 3 Jahren dampfe der eine Zwilling-Bruder weg und schieße der andere an. Kurz Russen und Franzosen wechseln den Körper öfter als das Hemd des Körpers, und eine Provinz bekommt allzeit neue Leiber und einen neuen Provinzial miteinander, in 3 Jahren, wie gesagt.

Die Sache ist gar nicht gleichgültig. Denn es ist sonach unmöglich, daß ein Kahlkopf, der sein Ehejubiläum begeht, an seinem ganzen Leibe auf ein Stückchen Haut hellersgroß hinweise und anmerke: »Mit diesem Läppchen Haut stand ich vor 25 Jahren auch am Altar und wurde samt dem übrigen an meine jubilierende Frau hinankopuliert.« Das kann der Jubelkönig unmöglich. Der Ehering ist zwar nicht herunter, aber der Ringfinger längst, um welchen er saß. Im Grunde ists ein Streich über alle Streiche, und ich berufe mich auf andre Konsistorialsekretäre. Denn die arme Braut steigt freudig mit der Statua curulis von einem Bräutigamkörper unter den Betthimmel und denkt – was weiß sie von guter Physiologie –, am Körper habe sie etwas Solides, ein eisernes Stück, ein Immobiliargut, kurz einen Kopf mit Haaren, von denen sie einmal sagen könne: an meinen und an meiner Haube sind sie grau geworden! Das hofft sie; indes schafft unter ihrem Hoffen der Schelm von einem Körper seine sämtliche Glieder, wie ein Student sein verschuldetes Studentengut, nach 3 Jahren infinitesimalteilchenweise bei Nacht und Nebel fort. – Wendet sie sich am Neujahrabend um: so liegt im Ehebette bloß ein Gipsabguß oder eine zweite Auflage neben ihr, die der vorige Körper von sich darin gelassen und in welcher kein altes Blatt der alten mehr ist. Was[71] soll nun eine Frau, wenn der Kubik-Inhalt des Brautbettes und der des Ehebettes so verschieden sind, von der Sache denken? – ich meine, wenn z.B. ein ganzes weibliches Konsistorium (z.B. die Frau Konsistorialpräsidentin, die Vizepräsidentin, die Konsistarialsekretärin) nach 3 Jahren auf dem Kopfkissen ein ganz anders männliches Konsistorium antrifft, als das aufgelöste war, das die Ehe versprach: was soll eine Frau da anstellen, die, wenns eine Konsistorial-Hälfte ist, recht gut weiß quid juris? Sie, sag' ich, die es hundertmal über dem Essen gehört haben muß, daß eine solche Entweichung des männlichen Körpers eine verfluchte bösliche Verlassung oder desertio malitiosa ist, die sie von ihren Ehepflichten ganz losknüpfet – und es kann vollends eine solche Strohwitwe gar Lutherum de causis matrimonii gelesen haben und sich daraus entsinnen, daß er einer böslich Verlassenen nach einem oder einem halben Jahre eine neue Ehe nicht verbeut ..... Sich in besagte neue Ehe zu begeben, wird offenbar die erste Pflicht und Absicht einer solchen Verlassenen sein; da aber der neue restierende Ehemanns-Körper nichts für den fortgedünsteten kann: so wird sie es, um ihn nicht zu kränken, ohne sein Wissen und ohne Rachsucht tun, wenn er etwan auf der Börse ist – oder auf dem Katheder – oder auf der Messe – oder zu Schiffe – oder hinter dem Sessiontisch oder sonst aus.

Inzwischen ist der Mann kein Narr, sondern so viel hat er von der Physiologie allemal innen, daß auch die Frau ihren Körper ebensooft als ihre Mägde tausche; mithin braucht er auf nichts zu passen. Nov. 22. c. 25. reicht ihm das Recht der Ehescheidung schon, wenn sie auf eine Nacht von ihm gelaufen; hier aber ist die Konsistorialrätin gar auf immer weggedünstet und repetiert noch dazu in jedem Dreijahr diese Wegdünstung, – sie, die doch nach »Langens geistlichem Recht« dem Konsistorialrat, ders selber in seiner Büchersammlung hat, nachziehen müßte, wenn er Landes verwiesen würde, gesetzt sogar, in den Ehepakten hätte sie sich ausbedungen, zu Hause zu bleiben. So redet Lange mit den Männern aus der Sache. In der großen Welt, wo echte Keuschheit und Vielwissen und also auch Physiologie zu Hause ist, traktierte man den Punkt längst mit Anstand und Verstand und trieb Gewissenhaftigkeit[72] weit. Denn da ein Mann allda an seiner Gemahlin 3 Jahre nach dem Vermählungfest nicht ein Apothekerlot Blut, nicht eine dünne Vene, worins läuft, mehr von der alten auszuspüren hofft; da er mithin die weggewanderten Teile seiner guten Gemahlin an jeder andern viel eher und sicherer wiederzufinden glaubt als an ihr selbst; da er also vielmehr Liebe zur ankopulierten für eigentlichen Ehebruch an ihr und mit ihr halten muß – und, genau genommen, ists auch so –: so ists ihm jetzo hauptsächlich um reine Sitten zu tun; er lässet also zwar derjenigen Sammlung von Pulsadern, Nervenknoten, Fingernägeln und edlern Teilen, die man insgemein seine Frau benennt, seinen Namen, seinen halben Kredit und seine halben Kinder, weil man überhaupt in der großen Welt ungern öffentliche Verbindungen öffentlich aufhebt und lieber am Ende an tausend aus Luft geflochtenen Ketten geht; aber das gestattet ihm seine Achtung für Moral und Publikum nicht, eine und dieselbe Wohnung – Tafel – Gesellschaft mit einer Frau zu haben, die einen andern Körper hat; er erscheint sogar (welches vielleicht zu skrupulös ist) ungern mit ihr öffentlich und enthält sich wenigstens in seinem Hause alles dessen, wozu er oder Origenes sich unfähig machten.

Es sind schlechte abgefärbte Katheder, die mir den Einwurf machen können, die verehelichten Seelen blieben ja doch zurück, wenn die Leiber verrauchten. Denn mit der Seele (also mit dem Gedächtnis, mit dem Denkvermögen, sittlichen Vermögen u.s.w.) lässet man sich heutzutage wenig oder nicht kopulieren, sondern mit dem, was um sie herumhängt. Zweitens ist es ja bei jedem Materialisten auf der philosophischen Börse zu erfahren, daß die Seele nichts ist als ein Wassersprößling des Körpers, der also bei Mann und Frau mit dem Leib zugleich weggeht. Man braucht es aber gar nicht, sondern man darf nur Humen beifallen, welcher schreibt, die Seele wäre gar nichts, sondern bloße Gedanken leimten sich wie Krötenlaich aneinander und kröchen so durch den Kopf und dächten sich selbst. Bei solchen Umständen kann das Brautpaar Gott danken, wenn sein Paar kopulierter Seelen nur so lange halten will, wie die zwei Paar Tanz-Handschuhe des[73] Hochzeitballs. Auch sieht man es am Vormittag nach den Flitterwochen.

Also, wie gesagt, alle Kanonisten können die Woche, wo Mann und Frau zum Ehebrechen schreiten darf, nicht weiter hinausschieben als ins vierte Jahr nach der Verlobung; allein für Leute von Welt und von Stand ist das hart und zu rigoros, zumal wenn sie aus ihrem »Keil« (dem Anatomiker) wissen, daß schon in einem Jahre der ganze alte Körper wegtauet, – bloß elende 16 Pfund Fleischgewicht ausgenommen. Daher warens oft meine Gedanken, daß ich, wenn ich meinen Ehebruch schon ins erste Jahr verlegte (wie's viele tun), wirklich nur sehr wenigen Pfunden meiner Gattin, die 107 hat, untreu würde, den 16 Pfund nämlich, die noch restierten.

Auf den nämlichen Körpertausch, worauf man seinen Ehebruch gründet, muß das Konsistorium seine Scheidung gründen. Denn wenn Leute oft 9, 18 Jahre nach der Trauung offenbar noch in der Ehe beisammen bleiben, indes alle Physiologen wissen, daß zwei neue Ehekörper und zwar ohne priesterliche Einsegnung beisammen sind: so ist nun das Konsistorium verbunden, dreinzusehen und dreinzuschlagen und die zwei fremden Leiber zu scheiden durch ein paar Dekrete. Daher wird man auch niemals hören, daß ein gewissenhaftes Konsistorium Schwierigkeiten macht, Christen, die schon in der Ehe sind, zu trennen; man wird aber auch von der andern Seite ebensowenig hören, daß es solche, die sich die Ehe bloß versprochen, ohne die größten Schwierigkeiten scheide –: eben ganz natürlich; denn dort bei der langen Ehe ist wahrer Ehebruch durch die Scheidungbulle abzuwenden, weil unkopulierte Leiber da sind; hier aber bei der Verlobung sind die Körper, die den Vertrag gemacht, noch völlig da, und sie müssen erst lange in der Ehe leben, bevor sie zur Scheidung taugen. Das ist die wahre Auflösung eines Scheinwiderspruchs, der so viele Schwache schon verleitet hat, uns sämtlich im Konsistorio für sportelsüchtig, mich für den Markör und unsre grünen Sessiontische für grüne Billarde zu halten, um welche sich Präsident und Räte mit langen Queues herumtreiben, um die Partien auszuspielen; ach, ein Konsistorialsekretär schneidet ohnehin mehr Federn als Geld.[74]

Warum wird uns überhaupt nicht von den Pastoren jedes eingepfarrte Ehepaar, das über 3 Jahre beisammen geschlafen, einberichtet, damit mans scheide zu rechter Zeit? Eine solche Scheidung, wozu man keine weitern Gründe braucht als den, daß die zwei Leute lange beisammen waren, hat in allen Ländern ja keine andere Absicht als die, daß sie nachher sich wieder ordentlich kopulieren lassen mit den erneuerten Leibern. Das Konsistorium und ich fahren am fatalsten dabei, falls die Sache sich nicht etwa bessert, wenn der neue Minister den Thron besteigt. Wahrlich, ein solches geistliches Landeskollegium legt oft die lange Säge an und zersägt Eheblöcher oder Betten, in denen Ehepaare 21 Jahre lang gehauset hatten, die in so langer Zeit wenigstens siebenmal (alle drei Jahre sind Ehebruch und Ehescheidung fällig) wären zu scheiden und zu trauen gewesen: was für Sportelneinbuße, da wir die Scheidungkosten, die wir hätten versiebenfachen können, vervierfachen mußten! Es ist ohnehin an einer solchen Scheidliquidation wenig, weil sie bekanntlich moderiert wird, und zwar vom Konsistorium selber. Man gebraucht noch dazu im Konsistorialzimmer die Vor- und Nachsicht, daß ich allemal den Sportelzettel, wenn ihn das geschiedne Paar abgezahlt hat, nach 15, 20 Jahren wieder extrahiere und dem Konsistorialboten und Pfennigmeister von neuem mitgebe, nicht sowohl um die Sporteln zweimal einzukriegen (welches Nebensache ist), als um zweimal darüber zu quittieren, falls das getrennte Paar die erste Quittung etwa verloren hätte, und auch, um es vor einer dritten Zahlung sicherzustellen. Man will dem Paare alles leicht machen, wenn man es in mehren und großen Terminen zahlen lässet.

.... Und heute vor drei Jahren kopulierte man mich für meine Person auch .... aber die damalige Strohkranzrede war zu schlecht ....

1

In Hallers großer Physiologie steht es, daß der Mensch nach Sanktorius alle 11 Jahre den alten Körper fahren lasse – nach Bernoulli und Blumenbach alle 3 Jahre – nach dem Anatomiker Keil jedes Jahr.

Quelle:
Jean Paul: Die unsichtbare Loge, in: Jean Paul: Werke. Band 1, München 1970, S. 64-75.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die unsichtbare Loge
Die Unsichtbare Loge; Eine Lebensbeschreibung (1)
Die Unsichtbare Loge (2); Eine Lebensbeschreibung
Sämtliche Werke, 10 Bde., Bd.1, Die unsichtbare Loge
Die unsichtbare Loge.
Die Unsichtbare Loge. Text der Erstausgabe von 1793 mit den Varianten der Ausgabe von 1826

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon