Nr. 21. Das Großmaul oder Wydmonder

[718] Aussichten


Gottwalt schwur beim Eintritt in sein Haus, er finde darin nach einem solchen Stein-, Platz- und Mäuse-Regen des Schicksals ein sehr hübsches Stück Sonnenschein. Und Flora brachte das Stück, nämlich eine mündliche Einladungskarte – weil man ihn einer schriftlichen nicht wert halten konnte, so lieb ihm auch ein Expektanzdekret eines Himmels, ein Wechselbrief auf Lust gewesen wäre – nämlich morgen, Sonntags, mittags zu Neupeters Geburtstags-Diner auf einen Löffel Suppe zu erscheinen. Auf den Diner-Löffel und das Souperbutterbrot, auf diese Eß-Pole laden die Deutschen ein, nie auf die Mitte, auf Hechte, Hasen, Säue und dergleichen. Flora sagte, des Grafen Klothars wegen feiere man die Geburt schon um 2 Uhr. Walt beteuerte, er komme gewiß.

Ihn wiegte darauf ein zweiter warmer Glückswind, das Wochenblatt mit Vults Nachricht ans Publikum, er flöte lieber Sonntags[718] abends um 7 Uhr öffentlich, so stockblind er jetzt sei, als daß er länger ein verehrtes Publikum forttäusche und herumzerre in großen Erwartungen. Dem Zeitungs-Blatte lag ein Billett an Walten bei, worin ihn Vult um einen Vorschuß von 2 Louis für die Konzert-Dienerschaft ersuchte und um das Protokoll des Stimm-Tags und um ein Paar Ohren für morgen und um das Ohren-Gehenk, das Herz.

Es hat nicht den Anschein, daß einen so schönen und schweren Terzentriller der Lust jene Göttin, die immer plötzlich ins arme, von rauhen Wirklichkeiten zerrissene Menschen-Ohr mit linden Melodien herabfährt, je vor dem Notar geschlagen als eben den mitgeteilten. Er war selig und alles und redselig und schrieb erstlich: »Hier das begehrte Darlehn doppelt, was gestern von Kabel für das Stimmen eingelaufen« – dann schrieb er die köstlichen Hoffnungen auf Klothar – zugleich die Streckverse auf den Grafen – die bisherigen Preßgänge und Kesseljagden nach diesem – die Träume vom morgenden Flötengedackt und von der Zukunft eines freiern Bruder-Lebens ohne Blindheit – und den Verlust von 32 Beeten.

Es fürchte doch immer der Mensch die innerste Entzückung, er glaube nur nie ganz toll, es werde jemals ein so leiser sanfter Himmels-Tau, wie sie ist, auf der stürmischen Erde und in ihren Windklüften die seltenen Windstillen finden, worin allein er sich in feste offne Blumenkelche einsenkt, gleichsam die helle gediegne Perle aus dem grauen Wolken-Meer. Sondern der Mensch erwarte, daß er den zweiten Brief sogleich erhalten werde, den Vult an Walt in folgender Stimmung schrieb:

Vult hatte sich nämlich seit dem gestrigen Anblicke des Bruders mit ganz frischer Liebe für denselben versorgt und sich besonders heimlich mit ihm befreunden wollen durch die Bitte, ihm vorzuschießen – er hatte sich gute Plane voll jauchzender Hoffnungen auf die Zeit nach dem Sonn- und Konzert-Tag entworfen und sich gesagt: »Sobald ich nur sehe, was ich gleich nach dem Konzerte tue, so fallen lauter Bundes-Feste des Zusammenlebens und – schreibens vor, und mein versiegelter Brief an ihn wird täglich dümmer« – er war, wie oft, aus seinem eignen Himmels-sein[719] eigner Höllenstürmer geworden – er hatt' es recht tapfer gefühlt, daß einige fliegende Winter des Herzens, den fliegenden Sommern so ähnlich, dessen freudige Wärme nicht mehr wegnehmen als Eisstücke an den Ufern den Lenz.

So bekam er Walts obiges Freudengeschrei und Schreiben an einen Bruder, der solange als blinder Mann zu Hause gesessen – gegen dessen Unsichtbarkeit der andere sich noch so wenig gesträubt – auf welchen dieser noch kein einziges Streck-Gedicht gemacht, obwohl auf den fremden Narren zwei oder drei – kurz an einen Mann, der den alliebenden Notar dreitausendmal mehr liebe und allein....

Folgendes setzte der Mann an Walten auf:

»Anbei folgen 2 Plus-Louis retour; mehr war ich nicht benötigt, obgleich kein Mensch soviel Geld bedarf als einer, ders verachtet. – Das hole der Teufel, daß 32 Beete jetzt vom Feinde mit Unkraut angesäet werden. Solche Tonleitern sind mehr Höllen- als Himmelsleitern für mich. Bei Gott, ein anderer als der eine von uns hätte vorher zu sich gesagt: paß auf! Kato schrieb ein Kochbuch; ein Streckdichter könnte wahrlich stimmen, wenn er wollte; nur umgekehrt gehts nicht, daß ein Koch einen Kato schreibt, sondern höchstens ein Cicero, dieser Cicerone alter Römer. Böse Träume, die echten Seelen-Wanzen des armen Schlafs, gegen welche mein Kopf nicht so viel verfangen will als ein Pferde-Kopf gegen Leibes-Wanzen, hatten mir manches vorgepredigt, was ich jetzt nachpredige vor Denenselben, mein Herr!

Noch zeigen Sie mir fast verwundert an, daß Ihnen, nach der Marsch-Ordre vom und zum General Zablocki dahier um 11 Uhr, gerade um dieselbe Stunde Kontreordre zum Kontre-Marsch zugekommen, ohne daß Sie zu erwägen scheinen, daß er sich einen ganzen Tag Zeit genommen, um sich zu ändern. Herr, sind denn die Großen nicht eben das einzige echte Quecksilber der Geisterwelt? – Die erste Ähnlichkeit damit bleibt stets ihre Verschiebbarkeit – ihr Rinnen – Rollen – Durchseigern – Einsickern – Verdammt! die rechten Gleichheiten dringen nach und sind nicht zu zählen. Wie besagtes Quecksilber so kalt und doch nicht zu[720] festem stoischem Eis zu bringen – glänzend ohne Licht – weiß ohne Reinheit – in leichter Kugelform und doch schwerdrückend – rein und zugleich zu ätzendem Gift sublimiert – zusammenfließend, ohne den geringsten Zusammenhang – recht zu Folien und Spiegeln unterzulegen – sich mit nichts so eng verquickend als mit edlen Metallen – und noch, aus wahrer Wahl-Anziehung, etwan mit Quecksilber selber – Männer, die sich mit ihnen befassen, sehr zum Ausspucken reizend – – Herr, das wollt' ich die große Welt nennen, deren goldnes Alter immer das quecksilberne ist. Aber auf solchen glatten, blanken Weltkügelchen siedle sich nur niemand an! – Übrigens folgen auch Einlaßbilletts für das Flötenkonzert; à revoir, Monsieur!

v. d. H.«

*


Walten taten indes nur die Retour-Louis so weh, als wären sie von Louis XVIII. geprägt; sonst nahm er Vults Stampfen aus Zorn für Tanzen aus Lust und für Takt-Treten. Hätt' er ahnen können, mit welchen Peinigungen der Liebe er den Schmollgeist Vults wechselnd weg- und herbannte: er hätte in seiner ganzen Gegenwart wenige Hoffnungen gefunden. Jetzt schlief er mit der schönsten auf morgen ein.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 718-721.
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