Nr. 25. Smaragdfluß

[742] Musik der Musik


Die Einlaßkarte fest drückend, langte er in der langen Prozession mit an, die seine Flügelmännin und Wegweiserin war. Das Einrauschen des glänzenden Stroms, der hohe Saal, das Stimmen der Instrumente, das Schicksal seines Bruders machten ihn zu einem Betrunkenen, der Herzklopfen hat. Dem Lauf des goldführenden Stroms sah er mit Freude über die Goldwäsche seines Bruders zu, er hätte die Wellen zählen mögen. Vergeblich sah er nach ihm sich um. Auch Wina sucht' er, aber wie sollt' er einen Juwel in einer Ebene voll Tau-Glanz ausfinden? Nach seiner Schätzung und Vermessung mochten unter den ihm zugekehrten Mädchen an 47 wahre Anadyomenen, Uranien, Cytheren und Charitinnen sitzen in Pracht; unter den abgewandten Rücken konnten sie sich noch höher belaufen.

Er legte sich die Frage vor: wenn diese ganze Kette von 47 Paradiesvögeln aufstiege und er sich einen darunter herabschießen sollte mit dem Amors-Pfeil, welchen er wohl nähme? – Er brachte keine andere Antwort aus sich heraus als die: jede, die mir die Hand recht drückte und etwas bei der Natur und für mich empfände. Da nun unter diesem schönen Hondecoeters19– fliegenden Korps unzählige Raubvögel, Harpyen und dergleichen[742] gewiß steckten: so ermesse doch aus diesem Selbstgespräch ein ganz junger Mensch, der seine erste Liebe zur ersten Ehe machen will, in was er rennen könne.

Eben stellte sich der Buchhändler Paßvogel grüßend neben den Notar, als Haydn die Streitrosse seiner unbändigen Töne losfahren ließ in die enharmonische Schlacht seiner Kräfte. Ein Sturm wehte in den andern, dann fuhren warme, nasse Sonnenblicke dazwischen, dann schleppte er wieder hinter sich einen schweren Wolkenhimmel nach und riß ihn plötzlich hinweg wie einen Schleier, und ein einziger Ton weinte in einem Frühling, wie eine schöne Gestalt.

Walt – den schon ein elender Gesang der Kinderwärterinnen wiegte und der zwar wenige Kenntnisse und Augen, aber Kopf und Ohren und Herzohren für die Tonkunst hatte – wurde durch das ihm neue Wechselspiel von Fortissimo und Pianissimo, gleichsam wie von Menschenlust und – weh, von Gebeten und Flüchen in unserer Brust, in einen Strom gestürzt und davongezogen, gehoben, untergetaucht, überhüllt, übertäubt, umschlungen und doch – frei mit allen Gliedern. Als ein Epos strömte das Leben unten vor ihm hin, alle Inseln und Klippen und Abgründe desselben waren eine Fläche – es vergingen an den Tönen die Alter – das Wiegenlied und der Jubelhochzeit-Gesang klangen ineinander, eine Glocke läutete das Leben und das Sterben ein – er regte die Arme, nicht die Füße, zum Fliegen, nicht zum Tanzen – er vergoß Tränen, aber nur feurige, wie wenn er mächtige Taten hörte – und gegen seine Natur war er jetzt ganz wild. Ihn ärgerte, daß man pst rief, wenn jemand kam, und daß viele Musiker, gleich ihrem Notenpapier, dick waren, und daß sie in Pausen Schnupftücher vorholten, und daß Paßvogel den Takt mit den Zähnen schlug, und daß dieser zu ihm sagte: »ein wahrer ganzer Ohrenschmaus« – für ihn ein so widriges Bild wie im Fürstentum Krain der Name der Nachtigall: Schlauz.

»Und doch muß nun erst das Adagio und mein Bruder kommen«, sagte sich Walt.

»Den einer dort herführt«, sagte Paßvogel zu ihm, »das ist der blinde Flautotraversist, und der Führer ist unser blinder Hofpauker,[743] der aber das Terrain besser kennt. Das Paar gruppiert sich indes ganz artig.« – Da der schwarzhaarige Vult jetzt langsam kam, das eine Auge unter einem schwarzen Band, mit dem andern starrblickend, den Kopf wie ein Blinder ein wenig hoch und die Flöte am Munde haltend – mehr um sein Lachen zu bedecken –; da er sich vom Pauker verbeugungs-recht stellen ließ – und da alle Schwätzereien stumm wurden und weich: so konnte Walt sich der Tränen gar nicht mehr enthalten, sowohl wegen der vorhergehenden als schon über das bloße Gemälde eines blinden Bruders und über den Gedanken, das Verhängnis könne den Spaßtreiber beim Worte fassen; und zuletzt braucht' er wenig, um mit dem ganzen Saale zu glauben, Vult sei erblindet.

Dieser gab wie eine Monatsschrift stets das beste Stück zuerst und führte an, er gehe mit Einsicht von den allmählich steigenden Virtuosen ab, weil die Menschen einander nach der Erstgeburt, und nicht nach der Nachgeburt schätzten und den schlimmen, mithin auch den guten Erstlings-Eindruck festhielten – und weil man den Weibern, die von nichts so leicht taub würden als von langer Musik, das Beste geben müßte, wenn sie noch hörten.

Wie eine Luna ging das Adagio nach dem vorigen Titan auf – die Mondnacht der Flöte zeigte eine blasse schimmernde Welt, die begleitende Musik zog den Mondregenbogen darein. Walt ließ auf seinen Augen die Tropfen stehen, die ihm etwas von der Nacht des Blinden mitteilten. Er hörte das Tönen – dieses ewige Sterben – gar nicht mehr aus der Nähe, sondern aus der Ferne kommen, und der herrnhutische Gottesacker mit seinen Abend-Klängen lag vor ihm in ferner Abendröte. Als er das Auge trocken und hell machte: fiel es auf die glühenden Streifen, welche die sinkende Sonne in die Bogen der Saalfenster zog; – und es war ihm, als seh' er die Sonne auf fernen Gebürgen stehen – und das alte Heimweh in der Menschenbrust vernahm von vaterländischen Alpen ein altes Tönen und Rufen, und weinend flog der Mensch durch heiteres Blau den duftenden Gebürgen zu und flog immer und erreichte die Gebürge nie – – O ihr unbefleckten Töne, wie so heilig ist euere Freude und euer Schmerz! Denn ihr frohlockt und wehklagt nicht über irgendeine Begebenheit,[744] sondern über das Leben und Sein, und eurer Tränen ist nur die Ewigkeit würdig, deren Tantalus der Mensch ist. Wie könntet ihr denn, ihr Reinen, im Menschenbusen, den so lange die erdige Welt besetzte, euch eine heilige Stätte bereiten oder sie reinigen vom irdischen Leben, wäret ihr nicht früher in uns als der treulose Schall des Lebens und würde uns euer Himmel nicht angeboren vor der Erde!

Wie ein geistiges Blendwerk verschwand jetzt das Adagio, das rohe Klatschen wurde der Leitton zum Presto. Aber für den Notar wurde dieses nur zu einer wildern Fortsetzung des Adagios, das sich selber löset, nicht zu einer englischen Farce hinter dem englischen Trauerspiel. Noch sah er Wina nicht; sie konnte es vielleicht im langen himmelblauen Kleide sein, das neben dem ihm zugewandten Rücken saß, der, nach den Kopffedern und nach der nahen Stimme zu schließen – die in einem fort, unter der Musik, die Musik laut pries –, Raphaelen zukam; aber wer wußt' es? Gottwalt sah bei solcher Mehrheit schöner Welten unter dem Prestissimo an dem weiblichen Sternenkegel hinauf und hinab und drückte mit seinen Augen die meisten ans Herz, vorzüglich die schwarzen Habite, dann die weißen, dann die sonstigen. Unglaublich steigerte die Musik seine Zuneigung zu Unverheirateten, er hörte die Huldigungsmünzen klingen, die er unter die Lieben warf. »Könnt' ich doch dich, gute Blasse«, dacht' er ohne Scheu, »mit Freudentränen und Himmel schmücken. – Mit dir aber, du Rosenglut, möcht' ich tanzen nach diesem Presto – Und du, blaues Auge, solltest, wenn ich könnte, auf der Stelle vor Wonne überließen, und du müßtest aus den weißen Rosen der Schwermut Honig schöpfen – Dich, Milde, möcht' ich vor den Hesperus stellen und vor den Mond, und dann wollt' ich dich rühren durch mich oder sonst wen – Und ihr kleinen helläugigen Spieldinger von 14, 15 Jahren, ein paar Tanzsäle voll Kleiderschränke möcht' ich euch schenken – O ihr sanften, sanften Mädchen, wär' ich ein wenig das Geschick, wie wollt' ich euch lieben und laben! Und wie kann die grobe Zeit solche süße Wangen und Äuglein einst peinigen, naß und alt machen und halb auslöschen?« – –[745]

Diesen Text legte Walt dem Prestissimo unter.

Da er schon seit Jahren herzlich gewünscht, in einem schönen weiblichen Auge von Stand und Kleidung einer Träne ansichtig zu werden – – weil er sich ein schöneres Wasser in diesen harten Demanten, einen goldnern Regen oder schönere Vergrößerungslinsen des Herzens nie zu denken vermocht –: so sah er nach diesen fallenden Licht- und Himmelskügelchen, diesen Augen der Augen, unter den Mädchen-Bänken umher; er fand aber – weil Mädchen schwer im Putze weinen – nichts als die ausgehangenen Weinzeichen, die Tücher. Indes für den Notar war ein Schnupftuch schon eine Zähre und er ganz zufrieden.

Endlich fingen die in allen Konzerten eingeführten Hör-Ferien an, die Sprech-Minuten, in denen man erst weiß, daß man in einem Konzert ist, weil man doch seinen Schritt tun und sein Wort sagen und Herzen und Gefrornes auf der Zunge schmelzen kann. »Wer Henker«, sagt Vult sehr gut in einem Extrablatt seines Hoppelpoppels oder das Herz, überschrieben


Vox Humana – Konzert


»Wer Henker wollte Ton- wie Dicht-Kunst lang' aushalten ohne das Haltbare, das nachhält? Beider Schönheiten sind die herrlichsten Blumen, aber doch auf einem Schinken, den man anbeißen will. Kunst und Manna – sonst Speisen – sind jetzt Abführungsmittel, wenn man sich durch Lust und Last verdorben. Ein Konzertsaal ist seiner Bestimmung nach ein Sprachzimmer; für den leisen Ton der Feindin und Freundin, nicht für den lauten der Instrumente hat das Weib das Ohr; wie ähnlicherweise nicht für Wohlgeruch, sondern nur für Geruch feindlicher und bekannter Menschen nach Bechstein die Nase der Hund hat. Bei Gott, man will doch etwas sagen im Saal, wenn nicht etwas tanzen. (Denn in kleinen Städtchen ist ein Konzert ein Ball, und keine Musik ohne Sphärentanz himmlischer Körper.) Dahero sollte das Pfeifen und Geigen mehr Nebensache sein und wie das Klingeln der Mühle nur eintreten, wenn zwei Steine oder Köpfe nichts mehr kleinzumachen haben. Aber gerade umgekehrt dehnen[746] – muß ich klagen, so gern ich auch allerdings einige Musik in jedem Konzerte verstatte, wie Glocken und Kirchenmusik vorher, eh Kanzeln bestiegen werden – sich die Spielzeiten weit über die Sprechzeiten hinaus, und mancher sitzt da und wird taub und darauf stumm, indes es doch durch nichts leichter wäre als durch Musizieren, Menschen, so wie Kanarienvögel, zum Sprechen zu reizen, wie sie daher nie länger und lauter reden als unter Tafelmusiken. – Nimmt man vollends die Sache auf der wichtigern Seite, wo es darauf ankommt, daß Menschen im Konzert etwas genießen, es sei Bier oder Tee oder Kuchen: so muß man, wenn man erfährt, daß das Musizieren länger dauert als das Trinken, gleichsam das Blasen zur Hoftafel länger als die Tafel selber, oder das Mühlen-Geklingel länger als das Zähne-Mahlen« – – – und so weiter; denn der Hoppelpoppel gehört in sein eignes Buch und nicht in dieses.


Jetzt, da sich die ganze neue Welt und Hemisphäre der Schönheiten vordrehte und aufstellte, mußte Wina zu finden sein. Raphaela stand schon herwärts gekehrt, aber die himmelblaue Nachbarin saß noch vor ihr. Der Notar erkundigte sich zuletzt geradezu bei Paßvogeln nach ihr. »Die«, versetzte der Hofbuchhändler, »neben der ältern Dlle. Neupeter – in Himmelblau mit Silber- mit den Perlenschnüren im Haar-sie war bei Hof- Jetzt steht sie auf – sie wendet sich wahrlich um. – Aber gibts denn schwärzere Augen und ein ovaleres Gesicht – ob ich gleich sehr wohl weiß, daß sie nicht regelmäßig schön ist, z.B. scharfe Nase und die ausgeschweifte Schlangenlinie des entschiedenen Mundes, aber sonst, Himmel!« –

Als Walt die Jungfrau erblickte, sagte die Gewalt über der Erde: »Sie sei seine erste und letzte Liebe, leid' er, wie er will!« Der Arme fühlte den Stich der fliegenden Schlange, des Amors, und schauerte, brannte, zitterte, und das vergiftete Herz schwoll. Es fiel ihm nicht ein, daß sie schön sei oder von Stand oder die Aurikeln-Braut der Kindheit oder die des Grafen; es war ihm nur, als sei die geliebte ewige Göttin, die sich bisher fest in sein Herz zu ihm eingeschlossen und die seinem Geiste Seligkeit und[747] Heiligkeit und Schönheit gegeben, als sei diese jetzt aus seiner Brust durch Wunden herausgetreten und stehe jetzt, wie der Himmel außer ihm, weit von ihm (o! alles ist Ferne, jede Nähe) und blühe glänzend, überirdisch vor dem einsamen wunden Geiste, den sie verlassen hat, und der sie nicht entbehren kann.

Jetzt kam Wina an der angeklammerten Raphaela, die aus eitler Vertraulichkeit sich neben ihr unter die Menge drängen wollte, den Weg zu Walten daher. Als sie ganz dicht vor ihm vorbeiging und er das gesenkte schwarze Zauber-Auge nahe sah, das nur Jüdinnen so schön haben, aber nicht so still, ein sanft strömender Mond, kein zückender Stern, und worüber noch verschämte Liebe das Augenlid als eine Amors-Binde halb hereingezogen: so trat Walt unwillkürlich zurück, und ein körperlicher Schmerz drückte in seinem Herzen, als werd' es überfüllt.

Da auf der Erde alles so erbärmlich langsam geht, sie selber ausgenommen, und da sogar der Himmel seine Rheinfälle in hundert kleine Regenschauer zersetzt: so ist ein Mensch wie Walt ein Seliger, dem statt der von hundert Altären auffliegenden Phönix-Asche der Liebe und Schönheit ganz plötzlich der ausgespannte goldne Vogel farbeglühend am Gesicht vorüberstreicht. Den Zeitungsschreiber, den plötzlich Bonaparte, den kritischen Magister, den plötzlich Kant anspräche, würde der Schlag des Glücks nicht stärker rühren.

Die Menge verhüllte Wina bald, so wie den Weg auf der fernen Seite, den sie an ihre alte Stelle zurück genommen. Walt sah sie da wieder mit dem himmelblauen Kleide; und er schalt sich, daß er vom verschwundenen Gesicht nichts behalten als die Augen voll Traum und voll Güte. Aber beides allein war ihm ein geistiges All. Das männliche Geschlecht will den Stern der Liebe, gerade wie die Venus am Himmel, anfangs als träumerischen Hesperus oder Abendstern finden, der die Welt der Träume und Dämmerungen voll Blüten und Nachtigallen ansagt, – später hingegen als den Morgenstern, der die Helle und Kraft des Tags verkündiget; und es ist zu vereinigen, da beide Sterne einer sind, nur durch die Zeit der Erscheinung verschieden.

Obgleich Walt die andern Mädchen jetzt in sein Auge einlassen[748] mußte, so warf er doch ein mildes auf sie; alle wurden Winas Schwestern oder Stiefschwestern, und diese untergegangene Sonne bekleidete jede Luna – jede Ceres – Pallas – Venus mit lieblichem Licht, desgleichen andere Menschen, nämlich die männlichen, den Mars, den Jupiter, den Merkur – und sehr den Saturn mit zwei Ringen, den Grafen.

Dieser war Walten plötzlich näher gezogen – als sei der Freundschafts-Bund schon mündlich beschworen –; aber Wina ihm ferner entrückt – als stehe die Braut zur Freundin zu hoch. Ihren Brief ihr zu übergeben, dazu waren ihm jetzt Kraft und Recht entgangen, weil er besser überdacht, daß eine bloße Unterschrift des weiblichen Taufnamens nicht berechtigte, eine Jungfrau für die Korrespondentin eines Jünglings durch Zurückgabe bestimmt zu erklären.

Die Musik fing wieder an. Wenn Töne schon ein ruhendes Herz erschüttern, wie weit mehr ein tief bewegtes! Als der volle Baum die Harmonie mit allen Zweigen über ihm rauschte; so stieg daraus ein neuer seltsamer Geist zu ihm herab, der weiter nichts zu ihm sagte als: weine! – Und er gehorchte, ohne zu wissen wem – es war, als wenn sein Himmel sich von einem drückenden Gewölke plötzlich abregnete, daß dann das Leben luftig-leicht, himmelblau und sonnenglänzend und heiß dastände wie ein Tag – die Töne bekamen Stimmen und Gesichte – diese Götterkinder mußten Wina die süßesten Namen geben – sie mußten die geschmückte Braut im Kriegsschiff des Lebens ans Ufer einer Schäferwelt führen und wehen – hier mußte sie ihr Geliebter, Walts Freund, empfangen unter fremden Hirtenliedern und ihr rund umher bis an den Horizont die griechischen Haine, die Sennenhütten, die Villen zeigen und die Steige dahin voll wacher und schlafender Blumen – Er nötigte jetzt Cherube von Tönen, die auf Flammen flogen, Morgenröte und Blütenstaub-Wolken zu bringen und damit Winas ersten Kuß dämmernd einzuschleiern und dann weit davonzufliegen, um den stummen Himmel des ersten Kusses nur leise auszusprechen.

Auf einmal, als unter diesen harmonischen Träumen der Bruder lang auf zwei hohen Tönen schwebte und zitterte, die den[749] Seufzer suchen und saugen: so wünschte Gottwalt mitzitternd, am Traum des fremden Glücks zu sterben. Da empfing der Bruder ein mißtöniges rauhes Lob; aber Walten war bei seiner heftigen Bewegung die äußere gar nicht zuwider.

Es war alles vorbei. Er strebte – und nicht ohne Glück – am nächsten hinter Wina zu gehen; nicht um etwa ihr Gewand zu bestreifen, sondern um sich in gewisser Ferne von ihr zu halten, mithin jeden andern auch und so als eine nachrückende Mauer von ihr das Gedränge abzuwehren. Doch drückte er unter dem Nachgange sehr innig ihre Hand im – Brief an Klothar.

Zu Hause setzt' er im Feuer, das fortbrannte, diesen Streckvers auf:


Die Unwissende


Wie die Erde die weichen Blumen vor die Sonne trägt und ihre harten Wurzeln in ihre Brust verschließt – wie die Sonne den Mond bestrahlt, aber niemals seinen zarten Schein auf der Erde erblickt – wie die Sterne die Frühlingsnacht mit Tau begießen, aber früh hinunterziehen, eh' er morgensonnig entbrennt: so du, du Unwissende, so trägst und gibst du die Blumen und den Schimmer und den Tau, aber du siehst es nicht. Nur dich glaubst du zu erfreuen, wenn du die Welt erquickst. O fliege zu ihr, du Glücklichster, den sie liebt, und sag es ihr, daß du der Glücklichste bist, aber nur durch sie; und glaubt sie nicht, so zeig ihr andere Menschen, der Unwissenden.


*


Beim letzten Worte stürmte Vult ohne Binde ungewöhnlich lustig herein.

19

ein großer Vögelmaler.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 742-750.
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