Dreizehnter Zettelkasten

[173] Tauftag


Heute ist der einfältige Kantatesonntag; aber es ist nichts mehr von ihm noch da als eine Stunde. – Beim Himmel! vergnügt waren wir heute sehr. Ich glaube, ich habe so gut getrunken wie[173] ein anderer. – Man sollte sich aber freilich in allem mäßigen, im Schreiben, Trinken und Freuen; und wie man den Bienen Strohhalme in den Honig legt, damit sie nicht in ihrem Zucker ertrinken, so sollte man allezeit einige feste Grundsätze und Zweige vom Baume des Erkenntnisses in seinen Lebenssirup statt jener Strohhalme werfen, damit man sich darauf erhielte und nicht darin wie eine Ratte ersöffe. Ich will aber jetzt im Ernste ordentlich – schreiben (und auch leben) und daher, um kälter den Taufaktus zu referieren, mein Feuer mit Nachttau ausgießen und noch eine Stunde hinauslaufen in die mit Blüten und Wellen gestickte Nacht, wo ein lauer Morgenwind sich düftetrunken aus Blütengipfeln auf gebogne Blumen herunterwirft und über Wiesen streicht und endlich auf eine Woge fliegt und auf ihr den schimmernden Bach herunterfährt. O draußen unter den Sternen, unter den Tönen der Nachtigall, die nicht am Echo, sondern an den fernen herabschimmernden Welten zurückzuschlagen scheinen, neben dem Monde, den der sprudelnde Bach am gestickten gewässerten Bande fortzieht und der unter die kleinen Schatten des Ufers wie unter Wolken einkriecht, o unter solchen Gestalten und Tönen wird der Mensch ernst, und wie das Abendläuten sonst erklang, um den Wanderer durch die großen Waldungen in die Nachtheimat zurückzuweisen, so sind in der Nacht solche Stimmen in uns und um uns, die uns aus unsern Irrgängen rufen und die uns stiller machen, damit wir unsere Freuden mäßigen und fremde malen können...


*


Ich komme ruhig und kühl genug zurück zur Erzählung. Gestern ließ ich meinen Gevatter, wie eine alte Nürnbergerin ihren Juden, keine Stunde aus den Augen, damit ich ihn vor der Brunnenvergiftung seines eignen Lebens beschützte. Er gab voll Vaterfreude und mit dem Skelett der Predigt in der Hand, die er auf heute memorierte, alles her, Fischhamen, Zinnschrankschüsseln und Gewürzbüchsen, und machte mich auf die Fruchtkörbchen voll Freuden aufmerksam, die der Kantatesonntag allemal für ihn pflückte und füllte. Er zählte mir, weil ich nicht wegging, seine[174] Kindtaufsgerichte vor, seine Amtsfälle, seine Verwandten und benahm mir meine Unwissenheit in den öffentlichen Einkünften – seiner Pfarre, in der Volksmenge der Beichtkinder und der künftigen Katechumenen. Hier aber bin ich in der Angst, daß mancher Leser sich vergeblich hinsetzen und es doch nicht herausbringen werde, warum ich zu Fixlein sagte: »Herr Gevatter, besser wird sichs wohl kein Mensch wünschen.« Ich log nicht; denn es ist so ... Man lese aber die Note.39

Endlich ging der Sonntag auf, der heutige, und es wurde an diesem heiligen Tage, bloß weil mein Patchen zum Christentum, obwohl ohne eine größere nürnbergische Konvertitenbibliothek als die Taufagende, übertreten wollte, ein großer Lärm gemacht: sooft sich jemand bekehrt, zumal Völker, so wird gelärmt und geschossen; ich berufe mich auf zwei dreißigjährige Kriege, auf den neuern und auf den, den Karl ebensolange mit den heidnischen Sachsen führte; so schießet die Sonne im Palais royal bei ihrem Durchgang durch den Mittagszirkel eine Kanone los. Aber gerade nach dem kleinen Unchristen, nach meinem Patchen, wurde am Morgen am wenigsten gefragt; weil man wegen der Taufe keine Zeit hatte, an den Täufling zu denken. Daher setzte ich allein mit ihm den halben Vormittag herum und erteilte ihm unterweges im Fluge die Nottaufe, indem ich ihn früher Jean Paul nannte als der Täufer. Mittags ließen wir das Rindfleisch wegtragen, wie es gekommen war: die Glückssonne hatte allen Magensaft aufgetrocknet. Nun sahen wir uns nach Pracht um, ich nach künstlichen Verkröpfungen an meiner Haar-Baute, das Patchen nach dem Taufhemde und die Kindbetterin nach einer Visitenhaube. Noch ehe man die Kinderklapper des Taufglöckchens schüttelte, stellten ich und die Hebamme neben dem Bette der Mutter auf dem Gesichte des kleinen Nichtchristen physiognomische Reisen an und brachten davon die Entdeckung mit, daß einige Züge der Mutter und viele feste Teile mir nachgebosselt waren, welche doppelte Ähnlichkeit den Leser nicht interessieren[175] soll. Jean Paul sieht nach seinen Jahren schon außerordentlich gescheut aus, oder vielmehr nach seinen Minuten, denn ich rede vom kleinen. – –

Jetzt möcht' ich aber fragen: welcher deutsche Schriftsteller getrauete sich wohl, ein großes historisches Blatt aufzuspannen und vollzumalen, auf dem wir alle ständen, wie wir in die Kirche zögen? Müßt' er nicht den Kindesvater entwerfen, mit ausgebürstetem Priesterornate, langsam, andächtig und gerührt einhergehend? – Hätt' er nicht den Gevatter zu skizzieren, der heute seinen Namen ausleihen will, welchen er von zwei Aposteln her hat (von Johannes und Paulus), wie Julius Cäsar den seinigen zweien noch bis auf den heutigen Tag lebenden Dingen verlieh (einem Monat und einem Throne)? – Und müßt' er nicht das Patchen aufs Blatt setzen, mit dem sogar der Kaiser Joseph Milchbrüderschaft in seinen alten Tagen trinken würde, wenn er noch darin wäre? –

Ich habe mir hundertmal in der Stube über Feierlichkeiten zu lächeln vorgenommen, bei denen ich nachher, wenn ich ihnen beiwohnte, unwillkürlich ein petrifiziertes Gesicht hatte voll Anstand und Ernst. Denn als der Schulmeister vor dem Aktus zu orgeln anfing – welches wohl noch keinem Kinde in Hukelum widerfuhr – und als der hölzerne Taufengel, wie ein Genius niedergeflogen, seine angemalten Holz-Arme der Taufschüssel unterbreitete und als ich am nächsten an seinem übergoldeten Fittich stand: so zog mein Blut langsam-feierlich, warm und dicht durch meinen pulsierenden Kopf und durch meine Lunge voll Seufzer; und ich wünschte trauriger, als ich mir tue, dem stillen, in meine Arme gesenkten Liebling, dem die Natur noch die unreifen Augen vor der vollen Perspektive der Erde zuhielt, für die Zukunft einen so sanften Schlaf wie heute, einen so guten Engel wie heute, nur aber einen lebendigern, damit er ihn in eine lebendigere Religion geleite und ihn mit seiner unsichtbaren Hand durch die Waldung des Lebens und durch ihre fallenden Bäume und wilde Jäger und Stürme unverloren bringe ... Sollt' ich mich nicht vor der Welt darüber entschuldigen können, daß ich, als ich seitwärts auf dem väterlichen Gesichte Gebete für den[176] Sohn und Freudentränen sah, die in die Gebete tropften, und als ich auf dem Gesichte der Großmutter weit dunklere, schnell verwischte Tropfen erblickte, die sie nicht bezwingen konnte, weil ich, nach der alten Frage, für das Kind bei Ableben der Eltern zu sorgen verhieß, bin ich nicht zu entschuldigen, daß ich dann die Augen tief auf das Patchen niederschlug, bloß um es zu verbergen, daß sie mir übergingen? – Denn ich dachte ja daran, daß sein Vater vielleicht heute vor einer vorspringenden Larve des Todes erstarren kann; ich dachte ja daran, daß der arme Kleine die zusammengebogene Lage im Mutterleib mit einer freiern nur vertauschet habe, um sich bald noch heftiger im engen Spielraum des Lebens einzukrümmen; ich dachte an seine notwendigen Narrheiten und Irrtümer und Sünden, an diese beschmutzten Stufen zum griechischen Tempel unserer Vervollkommung; ich dachte daran, daß einmal sein eignes Feuer des Genies ihm einäschern könne, wie einer, der sich elektrisieren lässet, sich mit seinem eignen Blitze erschlagen kann ... Alle theologische Wünsche, die ich ihm auf dem damit bedruckten Patenzettel an seinen jungen Busen steckte, glühten in meinem noch einmal geschrieben ... Aber die weiße Federnelke meiner Freude hatte dann wieder wie allemal einen blutigen Punkt – ich trug gleich einem Spechte wieder wie allemal in einen Totenschädel zu Nest ... Und da ichs leider jetzt auch wieder tue: so soll die Schilderung des Tauftages heute aus sein und morgen fortschreiten ...

39

Hier ist eine lange philosophische Erläuterung unentbehrlich, die man unter dem Titel Natürliche Magie der Einbildungskraft in diesem Buche antrifft.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 4, München 1959–1963, S. 173-177.
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