5. Postskript

[258] Wahrhaftig ich wollte mich anfänglich, so nahe an der Schlußvignette und dem Retraiteschuß des Buchs, noch mit den Lesern überwerfen: man wird durch hundert Dinge aufgebracht, wovon ich nur zwei nenne. Erstlich dadurch, daß sie alle Bücher wie die Gebetbücher nur in der Not ergreifen, wie der Gasthof in Dover eine schöne Bibliothek bloß für Leute dotiert, die darin so lange lesen, als ungünstiger Wind bläset. Zweitens dadurch, daß sie schlecht lachen: ich weiß, der Nordpol verderbt den meisten Spaß51, und die physische Kälte schadet dem Lachen so viel, als ihm die moralische nützt. Aber mich kränkt hier etwas im Namen des deutschen Reichs. Ich weiß besser als ein andrer, welches reiche Warenlager von schönen Materialien zum Lächerlichen dieses Reich ohne sein Wissen aufbehält und welche Frachten von diesem satirischen Stoff ganz roh gegen alle Staatswirtschaft ins Ausland gehen, das uns nachher unsre eigne rohen Produkte, in Satiren verarbeitet, für Sündengeld wieder verkaufet. Könnten wir denn nicht diese Satiren auf uns hier in Deutschland selber verfertigen, um doch den Schlagschatz einzustecken? – Aber satirische Münzmeister werden schlecht aufgemuntert: wie die Fabriken auf die Gefäße von Semilor ein »s« einzeichnen müssen, um dasselbe vom wahren Golde zu unterscheiden: so muß ein solcher Münzer den Anfangsbuchstaben der Satire (auch ein, »s«) überall einhauen, weil das Publikum alles in der Welt eher versteht (sogar seinen Kant) als Spaß, und dieses buchstäbliche Signieren[258] (damit das Publikum nicht aus Spaß Ernst mache) verdirbt jedes Subjekt, es sei Schafwolle, oder Satire, oder eine Menschenstirne. – – Darüber würde ich mit dem Ensoph der Lesewelt, dessen Hirnschale wie (nach dem R. Ismael im Talmud) die des rabbinischen Gottes dreißigtausend Meilen lang und breit ist, da die Beinchen der Schale wieder ganze Köpfe sind, darüber würd' ich, sag' ich, mit diesem mystischen Riesen-Körper hier im Postskript unerschrocken angebunden haben, hätt' es meine Weichheit erlaubt...

Diese verbot es: hier unter der Schwelle, indem die Abendglocke meines Buches läutet, würd' es mir wie eine zersplitternde Bleikugel im Herzen sitzen bleiben, wenn ich etwas anders etwan: leset wohl! – zu den Lesern sagte als: lebet wohl! – Beim Himmel! ich mag nicht: schon ein Mensch, der mit Sack und Pack aus einer Stadt in die andere zieht, machet fast mit allen Gassen Friede, eh' er in den Postwagen steigt; und drinnen denkt er noch dazu, indem er die öffentlichen Zisternen und ihre Danaiden ansieht: hätt' ichs eher bedacht, ich wäre geblieben.

Lebt also wohl! – Vergebet mir, wenn ich, da an den Wagen meiner Psyche so verschiedene Pferde angeschirret sind, Engländer, Polacken, Rosinanten, sogar Steckenpferde, wenn ich im Bündel so vieler Zügel für einen ganzen Marstall zuweilen fehlgreife oder ermatte. – Kommt recht fröhlich wieder vor mein künftiges Titelblatt! – Ertragt Bücher, Menschen und euch! – Und da der Stachel des lang vergangnen Unglücks noch in der Erinnerung sticht, wie der ausgerissene Stachel einer zerquetschten Wespe: so behaltet nichts im Gedächtnis als – Autoren! – Und übrigens wünsch' ich euch einen kalten, aber blauen Morgen des Lebens, worin keine Blume zugeschlossen bleibt – gegen zehn Uhr hin eine Wolke voll warmer Regentropfen – in der Mittagshitze einen Seewind – nachmittags die Sieste des Lebens – und abends, und abends kein Gewitter, sondern eine sanfte Sonne und ein langes Abendrot hinter Nachtviolen und irgend jemand in der Finsternis ...

Aber dich, du Geliebter, den ich am Ende jedes Buchs anrede, wie könnt' ich dich am jetzigen in dieser Stimmung anreden oder der Stimme antworten, die mich fragte: was wünschest du ihm? – –

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Nach Flögels Bemerkung nimmt das Lachen immer mehr ab, je näher die Menschen den Polen wohnen. Auf den zwei Polen könnten also zwei Kato, der ältere und der jüngere, sitzen. Aber die Skurrilität der Grönländer und Kamtschadalen entkräftet jenen Satz.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 4, München 1959–1963, S. 258-259.
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