48. Zykel

[232] Wie herrlich – eh' dem innern Menschen, wie dem äußern im Alter, alle Pulsadern zu Knorpeln erstarren und alle Gefäße unbiegsam und erdig werden und das moralische Herz wie das andre kaum sechzig Schläge in der Minute tut und eh' der alte scheue Narr sich bei jeder Rührung ein Stück seines Wesens aufhebt, das er kalt und trocken erhält und das aufpassen soll, wie benetzte Himbeerblätter stets auf der rauhen Seite trocken bleiben – wie herrlich, sag' ich, tritt dagegen vor dieser Spionen-Periode ein Jüngling, zumal ein Albano, seine Bahn daher, wie frei, keck und froh! Und sucht gleich dreist den Freund wie den Feind und tritt dicht an ihn, um zu kämpfen entweder für ihn oder wider ihn! –[232]

Damit entschuldige man Albanos feurigen Brief! Den andern Tag erhielt er von Roquairol diese Antwort:


»Ich bin wie du. Am Himmelfahrtsabende will ich dich suchen unter den Larven.

Karl.«


Dem Grafen stieg die Röte der Kränkung über dieses gesuchte Verschieben der Bekanntschaft ins Gesicht; er wäre – fühlt' er nach einem solchen Laute des Herzens, ohne ein totes Interim von fünf Tagen und ohne eine Huldigungsredoute im doppelten Sinne, sofort zum Freunde gegangen und seiner geworden. Jetzt aber schwor er, ihm nicht weiter entgegenzulaufen, sondern ihn nur zu erwarten. – Gleichwohl verflatterte bald das gerührte Zürnen, und er bewilligte dem ersten Blättchen des so lange gesuchten Lieblings immer schönere Milderungen; – Karl konnte ja z.B. in dieses huldigende Getöse nicht gern die heilige Zeit des ersten Erkennens mengen wollen – oder die erste selbst-mörderische Redoute machte ihm jede zur begeisternden Ära eines neuen zweiten Lebens – oder er wußte wohl gar um Albanos Geburtstag – oder endlich dieser glühende Mensch ging oder flog seinen eignen Pfad. – –

Indes machte dessen Blatt, daß sich der Graf sein eignes vorrückte als eine Sünde gegen seinen – Schoppe; er hielt das Sehnen in der Freundschaft nach der Freundschaft für Sünde; aber du irrest, schöne Seele! Die Freundschaft hat Stufen, die am Throne Gottes durch alle Geister hinaufsteigen bis zum unendlichen; nur die Liebe ist ersättlich und immer dieselbe und wie die Wahrheit ohne drei Vergleichungsgrade, und ein einziges Wesen füllet ihr Herz. Auch hatten sich Albano und Schoppe bei einer so gegenseitigen Seelenwanderung ihrer Ideen und einer so nahen Verwandtschaft ihres Trotzes und Adels weit lieber, als sie sich zeigten. – Denn da Schoppe überhaupt nichts zeigte, so konnte man ihn wieder nur mit dem Finger auf der Lippe, aber vielleicht desto stärker lieben. Albano war ein heißbrennender Hohlspiegel, der seinen Gegenstand nahe hat und ihn aufgerichtet hinter sich darstellt,[233] Schoppe einer, der ihn ferne hat und ihn verkehrt in die Luft wirft.

Abends vor seinem Geburts- und dem Huldigungstage stand Albano einsam am Fenster und wog seine Vergangenheit – denn ein letzter Tag ist feierlicher als ein erster; am 31sten Dezember überrechn' ich 365, Tage und deren Fata, am 1sten Jenner denk' ich an nichts, weil ja die ganze Zukunft durchsichtig ist oder in fünf Minuten aus sein kann –; er maß, während über sein zu Ende gehendes zwanzigstes Jahr die Vesperglocke läutete und die Vesperhora in ihm anging, die Apsidenlinie75 seines moralischen Wesens und sah an den aufgetürmten morgenden Tag hinauf, der vollhing entweder von Frühlingsregen oder von Hagelkörnern. Noch nie hatt' er so weich den Kreis geliebter Menschen überschauet oder durch die offnen Tore der Zukunft geblickt als dasmal.

Aber die schöne Stunde störte Malz, der mit der Nachricht hereinbrach, der hinkende Herr sei ins Wasser gesprungen. Aus dem Dachfenster sah man einen zurückkehrenden Dorf-Leichenzug um die Ufer- Stelle gehäuft, wo sich Schoppe hineingestürzt. Mit fürchterlicher Wildheit – denn Zorn war in Albano der Nachbar des Schreckens und Schmerzes – riß er den trägen Landphysikus zur Hülfe mit fort und sogar durch harte drohende Worte; denn Sphex wollte auf einen Wagen passen, auch mögliche Fälle von zu späten Rettungsanstalten auseinandersetzen und hatte überhaupt vielleicht die Hoffnung gern, den Bibliothekar auf den Anatomiertisch als Doktorschmaus der Wissenschaft aufzutragen.

Der Jüngling rannte mit ihm hinaus – durch Kornfelder unter Tränen – unter Flüchen – mit geballter, mit ausgespreizter Faust, und immer mehr schwindelte sein Auge und brannte sein Herz, je näher sie dem dunkeln Zirkel zuliefen. Endlich konnten sie den Bibliothekar nicht nur sehen, sondern auch – hören; wohlbehalten drehte er ihnen den kraushaarigen Kopf aus dem Schilfrohre entgegen und hob zuweilen, weil er das Trauerkondukt haranguierte, feurig den behaarten Arm über die Wasserpflanzen.[234]

Freilich wars so:

Sein Sorites war, solang' er lebte, dieser: »er sei keine Steiß-, sondern eine Gesichtsgeburt und trage mithin Kopf und Nase hoch und empor76, weil er müsse – nun kenn' er keine echtere Freiheit als Gesundheit – jede Krankheit schließe die Seele krumm, und die Erde sei bloß darum ein allgemeines Stockhaus und eine la Salpetrière, weil sie ein Quetschhaus77 sei – wer eine Austern-, Schnecken-, Vipern-Kur gebrauche, sei selber eine schleimige geschlängelte klebende Viper, Auster, Schnecke, und daher töteten die semperfreien Wilden die Siechlinge, und die kräftigen Sparter gaben keinem Patienten ein Amt, geschweige die Krone – besonders sei Stärke vonnöten, um in unsern niedrigen Zeiten qualifizierte Subjekte auszuprügeln, weil seines Wissens die Faust mit einigem Inhalte die beste Injurienklage und actio ex lege diffamari sei, die ein Bürger anstellen könne.«

Darum badete er Sommer und Winter eiskalt, so wie er eben darum in allem enthaltsam blieb.

Nun war er bei dem häßlichen Wonnemonatswetter bloß in seinem grauen Husarenmantel – daheim sein Schlafrock – und mit niedergetretenen Schuhen ans Wasser gegangen; zu Hause hatt' er sich vorher ordentlich ausgezogen, um am Gestade sogleich fertig zu sein. Die Trauerkompagnie, die ihn mit seinem schnellen Schritte am Wasser gehen und endlich alles zurückwerfen und hineinspringen sah, mußte glauben, der Mensch wolle sich ertränken, und rannte vereinigt seinem Badeorte zu, um ihn nicht zu lassen. »Ersäuf' Er sich nicht!« schrie die Trauer-Negerei von weitem. Er ließ sie erst heran, um mit ihr näher aus der Sache zu reden: »Ich nehme noch Vernunft an, ob ich gleich schon im Wasser stehe; aber lasset euch auch bedeuten, lieben Kerstene insgemein, denn so hieß man zu Karls Zeiten die Christen! Ich bin ein armer Sakramenter und erinnere mich kaum, wovon ich bisher lebte, so blutwenig wars. Was ich in der Welt nur anfing, dabei war kein Segen, sondern Krebsgang hinten und[235] vorn. Ich legte in Wien ein hübsches Magazin von Schnepfendreck an, aber ich setzte nichts ab, aus Mangel an Schnepfen. Ich griffs am andern Ende an und hausierte in Karlsbad für große Herren, die sonst auf jeden Bettel und Sessel ein Gemälde setzen, mit hübschen Kupferstichen für den Abtritt, damit sie da statt des bloßen gedruckten Papiers etwas Geschmackvolles hätten zum Verbrauche; behielt aber die ganze Suite auf dem Halse, weil die Manier zu hart war und nicht idealisch genug. – In London macht' ich Reden voraus (denn ich bin ein Gelehrter) für Menschen, die gehangen werden und doch noch etwas sagen wollen; ich trug sie den reichsten Parlamentsrednern und selber Spitzbuben von Buchhändlern an, hätte aber die Reden beinah selber gebraucht. – Ich hätte mich gern vom Vomieren genährt78, aber dazu gehört Fond. – Ich suchte einmal bei einem gräflichen Regimente als Notenpult unterzukommen, weils bei der Wachtparade dumm aussieht, daß jeder einen musikalischen Lappen auf der Schulter hängen hat, den der andre vom Blatte spielt; ich wollte für ein weniges alle Musikalien an mir tragen und mit den Noten vor ihnen stehen, aber der Premier-Leutnant (er sitzt zugleich in der Regierung und Kammer) glaubte, die Pfeifer würden lachen, wenn sie bliesen. So ging mirs von jeher, teuere Kerstene; aber trabt nicht auf meinem teuern Mantel herum! Zum Unglück schritt ich gar in die Ehe mit einer mit eingeschmolzenen Siegeln79 ausgestatteten Wienerin, namens Praenumerantia Elementaria Philanthropia80– ihr wisset nicht, was es zu deutsch heißt –, einem wahren Höllenbesen, der mich wie einen Parforcehirschen hier ins Schilfrohr hereingehetzt. Kerstene, ich blamiere mich im Wasser, wenn ich mit unserm Wehestande ganz herausgehe; kurz meine Philanthropia war vor der Ehe wie die[236] Stacheln eines neugebornen Igels weich, aber in der Ehe, als das Laub herunter war, sah ich wie auf Bäumen im Winter ein Raben- und Teufels-Nest nach dem andern. Sie zog sich stets so lange an, bis sie sich wieder ausziehen mußte – wenn ein Fehler an mir oder den Kindern gehoben war, zankte sie noch ein wenig fort, wie man sich noch fort erbricht, wenn das emeticum und alles schon heraus ist- sie gönnte mir wenig, und hätt' ich ein Fontanell gehabt, sie hätte mir die frische Erbse vorgerückt, die ich jeden Tag hätte hineinlegen müssen – kurz wir wollten beide verschieden hinaus, der Rungnagel der Liebe war ausgezogen, und ich fuhr mit den Vorderrädern ins Wasser herein, und meine Praenumerantia hält mit den Hinterrädern zu Hause. – Seht, meine Weiber, darum tu' ich mir mein Leid an – der Atzmann81 hätte mich ohnehin bei der Kehle gegriffen –; spiegelt euch aber! Denn wenn ein Mann, der ein Gelehrter ist und darum, wie ihr von Fichten noch wisset, als angestellter Aufseher, Lehrherr und Mentor des Menschengeschlechts herumgeht, vor seiner Frau ins Wasser springt und seine Ephorie und Hofmeisterstelle fahren lässet: so könnt ihr schließen, wozu eure Männer, die sich mit mir gar nicht messen dürfen in der Gelehrsamkeit, kapabel sind, falls ihr solche Pränumerantien, Elementarien und Philanthropien seid, wie ihr leider das Ansehen habt. – – Aber« (beschloß er plötzlich, da er Albano und den Doktor sah) »schert euch fort, ich will ersaufen!« –

»Ach lieber Schoppe!« sagte Albano – Schoppe errötete über die Lage – »Es will ein Hanswurst sein«, sagte das weichende Leichen-Kondukt – »Was ist denn das für eine Kinderei?« fragte Sphex, nachzürnend über Albanos vorige Heftigkeit und über den anatomischen Fehlschuß, und nahm sich Genugtuung durch die Erzählung von dessen Toben. Schoppe erkannte, wie herzlich ihn der edle Jüngling liebe, und er wollte nichts sagen, weil er sich schämte, aber er schwur sich, ihn nächstens (nach seinem auch im stummen Denken bizarren Ausdrucke) in seine Brusthöhle einzulassen und ihm darin ein ganzes wildes Herz voll Liebe hängend zu weisen.[237]

75

So heißet die Linie, die man von der Sonnennähe zur Sonnenferne zieht.

76

Ein mit dem Gesichte zuerst in die Welt tretendes Kind kann später den Kopf nicht vorwärts beugen. Hausmutter V. B.

77

So heißet das Invalidenhospital in Kopenhagen.

78

In Darwins Zoonomie 1. B. S. 529, wird einer angeführt, der vor Zuschauern es machte. In Paris tat ein andrer dasselbe durch Luft, die er in den Magen schluckte.

79

In Wien machte ein Institut aus altem Lack neuen und steuerte mit dem Ertrage Arme aus.

80

So geschmacklos wollte Basedow eine Tochter zum Andenken des auf Pränumeration erscheinenden Elementarwerks taufen lassen. S. Schlichtegrolls Nekrolog.

81

So heißt an einigen Orten die Schwindsucht.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 232-238.
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