50. Zykel

[242] Albano trat zum ersten Male in die verkehrte Marionettenwelt einer Redoute wie in ein tanzendes Totenreich. Die schwarzen Gestalten – die aufgeschlitzten Larven – die darhinter wie aus der Nacht blickenden fremden Augen, die wie an jenem zerstäubten Sultan im Sarge allein lebendig blieben – die Vermischung und Nachäffung aller Stände – das Fliehen und Ringrennen des klingenden Tanzes und seine eigne Einsiedelei unter der Larve, das versetzte ihn mit seiner shakespeareschen Stimmung in eine Zauber- und Geister-Insel voll Gaukeleien, Schattenbilder und Verwandlung. Ach das ist das Blutgerüste, dacht' er zuerst, wo der Bruder deiner Liane sein junges Leben wie ein Trauergewand zerriß; und er sah bange umher, als fürcht' er, Roquairol versuche wieder den Tod.

Unter den Masken fand er keine, worunter er ihn vermuten konnte; – diese geistlose Vetterschaft von stehenden Rollen, die Läufer, die Fleischer, die Mohren, die Altvordern etc., diese konnten keinen Geliebten Albanos verbergen. Einsam und umherblickend schritt er hinter den Reihen der Anglaise auf und ab; und mehr als zehn Augen, die gegenüber in der ringförmigen Finsternis der Spitzenmaske blitzten – denn die Weiber lieben aus Offenherzigkeit die Masken nicht, sondern zeigen sich gern –, folgten der kräftig und geschmeidig gebaueten Gestalt, die mit dem kühnen Helme und Federbusche, mit dem bekreuzten weißen Mantel und dem Panzerglanze auf der Brust einen Ritter aus der heroischen Zeit zu bringen schien.

Endlich ging eine verlarvte Dame, die zwischen unverlarvten plauderte, mit großen Schritten und Füßen auf ihn zu und faßte keck wie zum Tanze seine Hand. Er war äußerst verlegen über die Kühnheit der Aufforderung und über die Wahl der Antwort; gerade die Tapferkeit ist gern mit Galanterie vermählt, wie die Damaszener Waffe außer der Härte noch einen ewigen parfümierten Geruch besitzt; – aber die Dame schrieb nur die Frage nach seinem Namen – v. C.? – in die Hand; und nach dem Ja sagte die reizende leise: »Kennen Sie mich nicht mehr? – den[242] Exerzitienmeister von Falterle?« Albano bezeugte, ungeachtet seines Widerwillens gegen die Rolle, eine wahre Freude über den Fund eines Jugend-Genossen. Er fragte, welche Maske der Oberst Roquairol sei; Falterle versicherte, er sei noch nicht da.

Nun gingen – da die Läufer, die Fleischer, Falterle u.s.w. nur die Schneeglöckchen dieses Redoutenfrühlings waren – schon bessere Blumen, Veilchen, Vergißmeinnicht und Primeln, auf oder herein. Für ein solches Vergißmeinnicht seh' ich einen hereinkommenden, hinten und vornen ausgewachsenen und wie ein Brennglas konvexen Kerl an, der bald das Hintergebäude öffnete und Konfekt aus dem Buckel ausschüttete, und dann das Vordergebäude und Bratwürste gebar. Hafenreffer aber schreibt, die Invention sei schon einmal auf einer Wiener Redoute gewesen. Dann kam eine Gesellschaft deutscher – Spielkarten, die sich selber mischten und ausspielten und stachen; ein schönes Sinnbild des Atheismus, das ihn ganz ohne das Ungereimte darstellt, womit man ihn so gern beschmitzte! – Herr von Augusti erschien auch, aber im einfachen Kleide und Domino; er wurde (dem Grafen unbegreiflich) sehr bald der Polarstern der Tänzer und der regierende kartesianische Wirbel der Tanzschule.

Mit welchem elenden schwarzen Kommiß- und Bettelbrote von Freude – dachte Albano, dem den ganzen Tag seine Träume, diese Tauben Jupiters, Götterbrot zutrugen – kommen diese Menschen aus – Und wie kahl und fahl ist ihr Feuer, ihre Phantasie und Sprache (dacht' er dazu), ein wahres Leben unten in einer finstern Gletscherspalte! Denn er glaubte, jeder müsse so angespannt und glühend sprechen und fühlen wie er.

Jetzt kam ein hinkender Mann mit einem großen Glaskasten auf dem Bauche; – freilich war der Bibliothekar leicht zu kennen; er hatte – entweder weil er zu spät nach einem Domino schickte oder keinen bezahlen wollte – vom Leichenmäntel-Verleiher etwas Schwarzes an und war von der Achsel bis auf das Schienbein mit greulichen Masken besetzt, die er mit vielen Fingerzeigen meistens den Leuten antrug, die hinter entgegengesetzten agierten, z.B. langnasigen kurznasige. Er wartete auf den Anfang einer Hopsanglaise, deren Noten gerade auf der Spielwalze seines Kastens[243] standen; dann fing er auch an; er hatte darin eine treffliche, von Bestelmaier gehobelte Puppen-Redoute und ließ nun die kleinen Larven hopsen parallel mit den großen. Es war ihm um vergleichende Anatomie beider Maskeraden zu tun, und der Parallelismus war betrübt. Dabei hatt' ers noch mit Beiwerken aufgeputzt – kleine Stummen schwenkten im Kasten ihr Glöcklein – ein ziemlich erwachsenes Kind schüttelte die Wiege eines unbelebten Püppchens, womit das Närrchen noch spielte – ein Mechanikus arbeitete an seiner Sprachmaschine, durch welche er der Welt zeigen wollte, wie weit bloßer Mechanismus dem Leben der Puppen nachkommen könne – eine lebendige weiße Maus85 sprang an einem Kettchen und hätte viele vom Klub umgeworfen, falls sie es zerrissen hätte – ein lebendiger eingesargter Star, eine wahre erste griechische Komödie und Lästerschule im kleinen, verübte an der Tanzgesellschaft den Zungentotschlag ganz frei und distinguierte nicht – eine Spiegelwand ahmte die lebendigen Szenen des Kastens täuschend nach, so daß jeder die Bilder für wahre Puppen nahm. – –

Auf Albano traf die Schneide dieses kosmisch-tragischen Dolches senkrecht genug, da ihm ohnehin das hüpfende Wachs- figurenkabinett der großen Redoute die Einsamkeit des Menschen zu verdoppeln und zwei Ichs durch vier Gesichter zu trennen schien; aber Schoppe ging weiter.

In seinem Glasschranke stand eine Pharaobank und daneben ein Männchen, das den verlarvten Bankier in schwarzes Papier ausschnitt, aber dem deutschen Herrn ähnlich; diese Schilderei trug er ins Spielzimmer, wo eine bankhaltende Maske – ganz gewiß Zefisio – ihn hören und sehen mußte. Der Bankier sah ihn einigemal fragend an. Dasselbe tat eine ganz schwarz gekleidete Maske mit einer sterbenden Larve, die das hippokratische Gesicht vorstellte86. Albano sah feurig nach ihr, weil ihm vorkam, es könne Roquairol sein, denn sie hatte dessen Wuchs und Fackelauge. Die bleiche Larve verlor viel und verdoppelte immer den[244] Verlust; dabei trank sie aus einem Federkiele unmäßig Champagner-Wein. Der Lektor kam dazu; Schoppe spielte vor den zulaufenden Augen weiter; die bleiche Larve sah unverrückt und strenge den Grafen an. Schoppe nahm vor Bouverot seine eigne herab – aber eine Unterzieh-Maske saß darunter – er zog diese aus – eine Unterzieh-Maske der Unterzieh-Maske erschien – er triebs fort bis zur fünften Potenz – endlich fuhr sein eignes höckeriges Gesicht hervor, aber mit Goldschlägergold bronziert und sich gegen Bouverot fast fürchterlich-gleißend und lächelnd verziehend.

Die bleiche Larve selber schien zu stutzen und eilte mit weiten Schritten weg in den Tanzsaal; sie warf sich wild in den wildesten Tanz. Auch das bewährte Albanos Vermutung, so wie ihr großer trotzender Hut, der ihm eine Krone schien, weil er an dem männlichen Anzuge nichts höher schätzte als Pelz, Mantel und Hut.

Immer mehrere Finger zogen die Lettern v. C. in seine Hand, und er nickte unbekümmert. Die Zeit umgab ihn mit vielfachen Dramas, und überall stand er zwischen Theater-Vorhängen. Als er mit dem unruhigen Kopfe und Herzen ins Bogenfenster trat, um zu sehen, ob er bald Mondschein für seinen Nachtgang habe: so sah er über den Markt einen schweren Leichenwagen zwischen Fackeln ziehen, der einen Rittergutsbesitzer seiner Familiengruft zufuhr; und der ungestörte Nachtwächter rief dem schleichenden Toten den Anfang der Geister- und einer uns teuren Geburtsstunde nach. Mußte nicht sein getroffnes Herz es ihm sagen, wie der harte, feste, unauflösbare Tod mit seiner Gletscherluft so scharf durch die warmen Szenen des Lebens rückt und alles, worüber er wegweht, hinter sich starr lässet und schneeweiß? Mußt' er nicht an die erkaltete junge Schwester denken, deren Stimme jetzt seiner im Tartarus wartete? – Und als Schoppe mit seiner Puppen-Travestierung zu ihm kam und er ihm die Gasse zeigte und dieser sagte: »Bon! der Freund Hein sitzt auf seinem Pürschwagen und guckt ruhig herauf, als wolle der Freund sagen: bon! tanzt nur zu, ich fahre retour und bring' euch auch an Ort und Stelle« – wie mußt' es ihm so enge werden unter dem schwülen Visier! – In dieser Sekunde kam die bleiche Larve mit[245] andern ins Fenster – er öffnete das glühende Gesicht der Kühlung – ein schneller Weintrunk und noch mehr seine Phantasie zeigte ihm die Welt in brennenden Oberflächen – die Larve beschauete ihn nahe mit einer ungewissen dunkeln Augen-Glut, die er am Ende nicht länger vertrug, weil sie ebensogut vom Hasse als von der Liebe angezündet sein konnte, so wie Sonnenflecken bald Gruben, bald Gebürgen ähnlich schienen.

Eilf Uhr war vorbei, er entwich plötzlich den heißen Blicken und dem kreischenden Gedränge und begab sich auf den Weg zum Herzen ohne Brust.

85

Spielet er damit auf die fürchterliche weiße Gestalt in meiner Vision von der Vernichtung an?

86

So heißet die Gestalt eines Sterbenden.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 242-246.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Titan
Sämtliche Werke, 10 Bde., Bd.3, Titan
Titan (insel taschenbuch)
Titan. Bd. 1/2
Titan: A Romance from the German (German Edition)
Titan, Volumes 1-2 (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon