62. Zykel

[322] Sonderbar durchschnitten sich die Zufälle an dem Tage, wo Albano ins ministerialische Haus zum Abschiednehmen von Rabetten – und von Lianen, sagte in ihm eine zitternde Stimme – kam. Rabette winkt' ihn aus dem Fenster in ihr Zimmer. Sie hatte die Ikarusflügel ihres Anzugs in die Kästen zusammengelegt. Über ihr Inneres fuhr ein beugender Sturm hin und her; Karl[322] hatte das Gleichgewicht ihres Herzens durch seine Wärme aufgehoben und es durch kein Wort der Belohnung wieder hergestellt. Gleich den Tauben flattert sie um das hohe Schadenfeuer; o möge sie nicht wie jene mit verzehrtem Gefieder entweichen und wiederkommen und endlich darin zerfallen! – Sie sagte, sie sehne sich zu den Ihrigen, seit sie gestern eine Herde Schafe durch die Stadt treiben sehen. Sie begleiten am Sonnabend Liane und die Mutter, um der Einweihung der Kirche und der Beisetzung des Fürstenpaares beizuwohnen. Er bat sie so schnell und hastig, ihm heute im Garten eine einsame Minute mit der Freundin zuzubereiten, daß er ihre schöne Nachricht von Lianens Zurückbleiben und Aufenthalt bei ihr gar nicht hörte.

Leider fand er bei der Ministerin den Vorzeiger herrlicher Gemälde, der wie die Natur nicht nur den Anfang seines Lenzes, sondern auch das Ende seines Herbstes mit Giftblumen113 machte, Herrn v. Bouverot. Dian hatt' ihm vier himmlische Kopien aus Rom gesandt; diese schlug er mit trocknem Kunstgaumen auf. Liane empfing den Grafen wieder wie immer. War etwan Raffaels Madonna della Sedia, in deren vom Himmel gesunknes Palladium sich ihre zarte Seele eingesenkt, die Siegelbewahrerin ihres heiligsten Geheimnisses? Der alles vergessende Künstlereifer ließ ihr so hold! Ihre Sehnerven waren durch ihr langes Malen gleichsam weiche Fühlfäden geworden, die sich eng um schöne Formen schlossen. Gewisse weibliche Bilder – wie dieses – regten ihre ganze Seele auf. Sie hatte nämlich in der Kindheit sich von den Heldinnen der Romane und überall von ungesehenen Weibern glänzende Sternbilder in ihren innern Himmel hingezeichnet, große Ideen von ihrem Mute, ihrem himmlischen Wandel, ihrer Erhabenheit über alles, was sie je gesehen, und sie hatte gleichviel Scheu und Sehnsucht empfunden, einer zu begegnen. Daher ging sie aus diesem kolossalischen Nymphäum ihrer Phantasie so leicht geblendet und mit solcher feurigen Herzens-Achtung reinen Freundinnen und der Gräfin Romeiro entgegen. Gewisse Gemälde führten nun diese Altarblätter[323] wie Kopien zurück. Die Gute dachte nicht daran, aber wohl ihr Freund, daß man dieser liebend niedersehenden Marie die Augen bloß lebendig zu regen und diese Lippen bloß mit Lauten zu erwärmen brauche – dann hatte man Liane.

Der deutsche Herr fuhr fort und legte nun Raffaels Joseph, der den Brüdern einen Traum erzählt, und den ältern Joseph, der dem König einen erklärt, nebeneinander und fing an, die drei Raffaele in Worte zu übersetzen, und das mit so vielem Glück und nicht nur mit so vieler Einsicht ins Mechanische und Genialische, sondern auch mit einer so bestimmten Hervorhebung jedes menschlichen und moralischen Zugs, daß – Alban ihn für einen Heuchler hielt und Liane für einen sehr guten Menschen. Sie ergriff jedes Wort mit einem weit offnen Herzen. Als Bouverot den weissagenden Joseph malte, zugleich als kindlich, unbefangen, still und felsenfest und glühend und drohend: so stand das Urbild an ihrer Seite.

Dem deutschen Herrn entfuhr weiter viel Gedachtes über da Vincis Christus-Knaben im Tempel, über die herrlich vollführte Verbrüderung und Einkindschaft des Knaben und Jünglings in einem Gesicht. – – Liane hatte die Kopie auch kopiert, allein sie und die Mutter verschwiegen es bescheiden. –

Aber endlich störte Franziskus Albani mit seiner »Ruhe auf der Flucht« die bisherige Ruhe. Indem er den Traumdeuter dieser malerischen Träume machte und Rabette scharf auf dem mit dem offnen Buche neben Marie sitzenden heiligen Joseph dieses Bildes haftete, sagte Liane unglücklicherweise: »Ein schöner Albani!« –,»Ich dächte nicht,« (sagte Rabette leise) »der Bruder ist viel schöner als dieser betende Joseph!« – Sie hatte Albani mit Albano vermengt, ihre ganze Bildergalerie steckte in dem Gesangbuch, dessen Lieder sie mit goldnen roten Heiligen auseinandersperrte. Die andern verstanden nichts – sie kannten ihn nur als Grafen von Zesara –, aber Liane warf auf Rabette süßerrötend einen zärtlich strafenden Blick und sah mit stummem Erdulden ein anderes Gemälde näher an. Nie hatte in Albano in welchem sich die stärksten und die zärtesten Gefühle paarten, wie das Echo der Donner lauter und die Musik leiser macht-die[324] bittersüße Mischung von Liebe und Mitleiden und Schamröte wärmer gearbeitet, und er hätte vor dem Mädchen zugleich knien und doch schweigen mögen.

Der deutsche Herr war fertig und sagte zu den Männern mit einer Miene voll Sieg,»er habe doch noch etwas in der Tasche, was es mit den Raffaels aufnehme; und er bitte sie, ins Nebenzimmer zu folgen«. Unterwegs merkt' er an, wenige Werke seien mit so herrlicher Freiheit und keckem Mutwillen ausgeführt. Im Zimmer packt' er einen erzenen kleinen Satyr aus, gegen den sich eine eingeholte Nymphe wehrt. »Göttlich,« (sagte Bouverot und hielt die Gruppe an einem Faden, um den Rost nicht abzugreifen) »göttlich! Ich setze den Satyr an den Christus!« Wenige haben vom Erstaunen meines Helden nur einen mäßigen Begriff, als dieser auf einmal den Kritikus Tugend und Laster an einen runden Tisch ohne Rangstreitigkeiten setzen sah.

Mit einem Feuerblick der Verachtung wandt' er sich ab und wunderte sich, daß der Lektor blieb. Ihm scheint unbekannt zu sein, daß die Malerei wie die Dichtkunst sich nur in ihrer Kindheit auf Götter und Gottesdienst bezogen, daß sie aber später, als sie höher heranwuchsen, aus diesem engen Kirchhof herausschreiten mußten, wie eine Kapelle ursprünglich eine Kirche mit Kirchenmusik war, bis man beides weg ließ und die reine Musik behielt. Bouverot hatte die Achtung für reine Form in so hohem Grade, daß ihm nicht nur der schmutzigste, unsittlichste Stoff, sondern sogar auch der frömmste, andächtigste nicht den Genuß verunreinigte; gleich dem Schiefer bestand er die beiden Proben, zu glühen und zu gefrieren, ohne sich zu ändern.

Albano hatte die Mädchen durch das Fenster in der Allee gesehen und eilte zum Abschiede von der Schwester hinunter und etwas Wichtigerem. Er kam mit vollern Rosen auf den Wangen, als um ihn glühten, zu einer Grasbank, wo Liane neben der Schwester hinter dem roten Sonnenschirm mit halbgesenkten Augenlidern und seitwärts geneigtem Haupte ruhte – sanft in die Ernte des Abends versunken – sonnenrot übergossen vom Schirme – im weißen Kleide – mit einem dünnen schwarzen Kreuzchen auf der zarten Brust – und mit einer vollen Rose; sie[325] blickte unsern Geliebten so unbefangen an, ihre Stimme war so schwesterlich und alles so reine sorglose Liebe! Sie sagte ihm, wie sie sich freue auf seinen Jugend-Ort und auf das Landleben und wie Rabette sie überall hinführen werde – und besonders auf die Einweihungsrede, die am Sonntage ihr Beicht-Vater Spener halte. Sie sprach sich ins Feuer durch das Gemälde, wie die große Brust des Greises der Klage- und der Siegsgesang über dem Aschengehäuse des fürstlichen Freundes groß bewegen werde.

Rabette hatte nichts im Sinne als die einsame Minute, die sie dem Bruder mit ihr geben wollte. Sie bat sie aufgeweckt, ihr noch einmal auf der Harmonika vorzuspielen. Albano pflückte sich bei diesem Antrage einen mäßigen Strauß von – Baumlaub. Liane sah sie warnend an, gleichsam als wolle sie sagen: ich verderbe dir wieder deine Munterkeit. Aber sie blieb dabei. Albano überflog bei dem Eintritte ins Wasserhäuschen ein leichtes Erröten über die letzte Vergangenheit und nächste Zukunft.

Liane machte eilig die Harmonika auf, aber das Wasser, das Kolophonium der Glocken, fehlte. Rabette wollte unten ein Glas am Springbrunnen füllen, um – beide allein zu lassen; aber der Graf kam ihr aus männlicher Unbehülflichkeit, in eine List schnell einzugreifen, höflich zuvor und holte es selber. Kaum hatte endlich das liebliche gefällige Wesen seufzend die zarten Hände auf die braunen Glocken gelegt: als Rabette ihr sagte, sie wolle in die Allee hinunter, um zu hören, wie es sich von weitem anhöre. Gleichsam zum schmerzlichen Sonnenstich einer zu schnellen und großen Lust fuhr sein Herz auf, er hörte den Siegeswagen der Liebe von ferne rollen, und er wollte in ihn springen und dahinrauschen ins Leben. Die gläubige Liane hielt das Entfernen für einen Schleier, den Rabette über das in den Tönen süß brechende Auge werfen wolle, und zog sogleich die Hände von den Glocken; aber Rabette küßte sie bittend, drückte ihr die Hände selber darauf und lief hinab. »Das treue Herz!« sagte Liane, aber das arglose helle Vertrauen auf die Freundin rührte ihn, und er konnte nicht Ja sagen.

Wenn in den Fluren Persiens ein Glücklicher, der auf der üppigen Aue tief unter Nelken und Lilien und Tulpen schlief, vor[326] dem ersten Abendrufe der Nachtigall selig die Augen aufschlägt in die laue stille Welt und in die bunte Dämmerung, durch welche einige Goldfaden der Abendsonne glühend fließen: so gleicht der Selige dem Jüngling Albano im magischen Zimmer – die Jalousiefenster streueten gebrochne Lichter, grüne zitternde Schatten aus, und es dämmerte heilig wie in Hainen um Tempel nur tönende Bienchen flogen aus der lauten fernen Welt durch die schweigende Klause wieder ins Getöse – einige scharfe Sonnenstreife, gleichsam Blitze vor Schlafenden, wurden romantisch neben der Rose hin- und hergeweht – und in dieser träumerischen Grotte mitten im rauschenden Walde der Welt wurde die Einsamkeit nicht einmal durch das Schattenwesen eines Spiegels gestört. –

In diesen Zauber ließ sie die Töne wie Nachtigallen aus ihren Händen fliegen – die Töne wurden Albano wie von einem Sturme bald heller, bald matter zugetrieben – er stand vor ihr mit gefalteten Händen wie betend und ruhte mit tausend Blicken der Liebe auf der niederschauenden Gestalt. – Einmal hob sie das heilige Auge von Anteil langsam zu ihm auf, aber sie schlug es schnell vor dem Sonnenblick des seinigen nieder.

Nun deckten die großen Augenlider unbeweglich die süßen Blicke zu und gaben ihr wie ein Schlaf den Schein der Abwesenheit – sie schien eine weiße Maiblume auf winterlichem Boden, die das Blütenglöckchen senkt – sie war eine sterbende Heilige in der Andacht der Harmonie, die sie mehr hörte als machte – nur die rote Lippe nahm sie als einen feurigen Widerschein des Lebens, als eine letzte Rose mit, die den eilenden Engel schmückt o konnt'er dieses Beten der Tonkunst stören mit seinem Wort? –

Mit immer engern Kreisen faßten ihn die magnetischen Wirbel der Töne und der Liebe an. – Und nun da das Ziehen der Harmonika wie das Wasserziehen der stechenden Sonne sein Herz aufleckte – und da die Blitze der Leidenschaft über sein ganzes Leben fuhren und das Gebirge der Zukunft und die Höhlen der Vergangenheit beleuchteten und da er sein ganzes Dasein in einen Augenblick zusammenfaßte: so sah er einige Tropfen aus Lianens gesenkten Augen quellen, und sie blickte heiter auf, um sie fallen zu lassen – da riß Albano die Hand aus den Tönen[327] und rief mit dem herzzerschneidenden Ton seiner Sehnsucht: » Gott, Liane!« –

Sie zitterte, sie errötete, sie sah ihn an und wußte nicht, daß sie fortweinte und ansah und nicht mehr fortspielte. – »Nein, Albano, nein!« sagte sie sanft und zog die Hand aus seiner und verhüllte sich – erschrak über den Stillstand der Töne – und ermannte sich und ließ sie wieder langsam strömen und sagte mit zitternder Stimme:,»Sie sind ein edler Mensch – Sie sind wie mein Karl, aber ebenso heftig. – Nur eine Bitte! – Ich verlasse die Stadt eine Zeitlang«.....

Sein Erschrecken darüber wurde Entzückung, als sie den Ort bestimmte, sein Blumenbühl. Sie fuhr mühsam fort vor dem Erfreueten – ihre Hand lag oft lange auf der Dissonanz im Vergessen der Auflösung – ihre Augen schimmerten feuchter, ob sie gleich nichts weiter sagte als das folgende: »Sein Sie meinem Bruder, der Sie unaussprechlich liebt wie noch keinen, o sein Sie ihm alles! Meine Mutter erkennt Ihren Einfluß – Ziehen Sie ihn – ich sag' es heraus – besonders vom hohen Spiele ab!«

Er konnte kaum das Ja verwirrt beteuern, als Rabette mit der fast unschicklich akzentuierten Botschaft hereilte, daß die Mutter komme. Wahrscheinlich hatte diese Rabettens Alleinsein gesehen. Albano trennte sich mit abgebrochnen Reise-Wünschen von dem Paare und vergaß im Sturm, Rabettens Bitte um Besuche zu bejahen. Die begegnende Mutter schrieb sein Feuer dem brüderlichen Scheiden zu.

Indem er durch die Fülle der Jahrs-Zeit eilte, dacht' er an die reiche Zukunft, an Lianens Stammeln und Verhüllen: brauchen nicht schöne weibliche Seelen wie jene Engel vor dem Propheten nur zwei Flügel zum Erheben, aber vier zum Verhüllen? – Das Meer des Lebens ging in hohen Wellen, aber überall leuchtete es auf seiner weiten Fläche, und Funken tropften vom Ruder.

113

Bekanntlich sind die Frühlingsblumen wegen der Nässe und des Schattens meist verdächtige; wie die Herbstblumen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 322-328.
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