64. Zykel

[331] In unserer innern Welt fliegen so viele zarte und heilige Empfindungen herum, die wie Engel nie den Leib einer äußern Tat annehmen können; so viele reiche gefüllte Blumen stehen darin, die keinen Samen tragen, daß es ein Glück ist, daß man die Dichtkunst erfunden, die alle jene ungebornen Geister und den Blumenduft leicht in ihrem limbus aufbewahret. Mit dieser fass' ich, lieber Albano, deinen herrlich verduftenden Sonntag auf und halte den unsichtbaren Weihrauch fest für die Schneidersche Haut der Welt!

Am Sonntage bezog er das Donnerhäuschen in Lilar. Der Lektor hielt sich mit der Hoffnung aufrecht, der Graf werde das Blumenparterre des neuen Genusses schon bald so platt und welk zusammentreten wie einen Kreuzweg. Es war ein schöner Morgen vom Tau ganz beregnet – ein frischer Wind wehte von Lilar über das blühende Korn – und die Sonne brannte allein in einem kühlen Himmel. Auf der Blumenbühler Straße zog ein Menschengewimmel hinan, und niemand ging lange allein; auf der Morgenhöhe sah' er seinen Freund Karl mit dem gebognen Federbusch der Sonne entgegensprengen.

Lilars Lüfte flogen Orangenduft-ausatmend entgegen und wehten die Asche weg, die auf den glühenden Altarkohlen jenes ersten herrlichen Sonntags stand. Er ging die Brücke hinab, und der früh geputzte Pollux trieb ihm einen aufgeblätterten Truthahn entgegen. Eine Soeur servante des alten Speners kochte schon eine Stunde lang bei der Chariton, bloß um ihn vorbeigehen zu sehen. Diese lief festlich-geschmückt aus dem Häuschen, das sich heiter mit allen Fenstern dem ganzen Himmel öffnete, ihm entgegen und brach in der Verlegenheit der Freude mit der Hauptsache zuerst heraus, es sei nämlich droben im Häuschen alles schön parat, und ob er das Essen hinaufhaben wollte. Sie wollte mitten im Gespräch Polluxen aus des Grafen – Fingern[331] ziehen, aber er ließ ihn zum Kusse aufschweben und erntete damit jedes Herz, auch das alte hinter der Küchenflamme.

Indem er nach seinem Häuschen durch den westlichen Triumphbogen hinausging, fühlt' er unbeschreiblich stark und süß, daß die holde Jugendzeit unser Welsch- und Griechenland ist voll Götter, Tempel und Lust – ach und welches so oft Goten mit Tatzen durchstreifen und ausleeren. –

Seine blühende Bahn lief endlich in die Tiefen- und Hohentreppe, die er mit Spener bestiegen – einzelne Tages-Streifen brannten sich dem nassen Boden ein und färbten zerstreuete Zweige feurig und golden. – An der mystischen Laube, wo vor ihm der tote Fürst in der Seitenhöhle geschritten war, fand er diese nicht, sondern nur eine leere Nische. Er trat oben heraus wie aus der Hüfte der Erde. Sein Häuschen lag auf dem herumgebognen Bergrücken. Drunten ruhten um ihn die Elefanten der Erde, die Hügel, und das sich in Blüten herrlich blähende Lilar, und er schauete aus seinen Fenstern in das Lager der Riesen der Natur.

Inzwischen konnt' er jetzt nicht auf dem Fensterstocke bleiben, oder neben der begeisternden Äolsharfe, oder im Augenkerker, den Büchern; durch Ströme und Wälder und über Berge zu schweifen verlangte die frische Natur. Das tat er.

Es gibt zwischen den Alltags-Tagen des Lebens – wo der Regenbogen der Natur uns nur zerbrochen und als ein unförmlicher bunter Klumpe am Horizont erscheint – zuweilen einige Schöpfungstage, wo sie sich in eine schöne Gestalt ründet und zusammenzieht, ja wo sie lebendig wird und wie eine Seele uns anspricht. Heute hatte Albano diesen Tag zum erstenmal. Ach es gehen Jahre dahin, und sie bringen keinen. Indem er so auf dem Bergrücken auf beiden Seiten dahinwandelte, flutete der Nordost ihm immer voller entgegen – ohne Wind war ihm eine Landschaft eine steife festgenagelte Wandtapete – und wühlte das feste Land zum flüssigen um. Die nahen Bäume schüttelten sich wie Tauben süß-schauernd in seinem Bade, aber in der Ferne standen die Wälder wie gerüstete Heere fest und ihre Gipfel wie Lanzen. – Majestätisch schwammen durch das Blau die silbernen Inseln,[332] die Wolken, und auf der Erde schritten Schatten riesenhaft über Ströme und über Berge – im Tale blitzte die Rosana und rollte in den Eichenhain. – Er trat ins warme Tal hinab, die Weiden schäumten, und ihr Same spielte in seiner Wolken-Flocke, eh' ihn die Erde befestigte – der Schwan dehnte wollüstig den langen Flügel, gepaarte Tauben ätzten sich vor Liebe, und überall lagen die Beete und Zweige voll heißer Mutterbrüste und Eier. – Wie ein herrlicher blauer Blumenstrauß schillerte in hohen Gräsern der Hals des ruhenden Pfaues. – Er trat unter die Eichen, die mit knotigen Armen den Himmel anfaßten und mit knotigen Wurzeln die Erde. – Die Rosana sprach allein mit dem brausenden Wald und fraß schäumend an Felsenstücken und am morschen Ufer – Nacht und Abend und Tag verfolgten einander im mystischen Hain. – Er trat in den Fluß und ging mit ihm hinaus vor eine rege warme Ebene voll Dörfer und aus ihnen klang der Sonntag und aus den Ährenfeldern fuhren Lerchen und an den Bergen krochen Menschen-Steige hinauf, die Bäume regten sich als Lebendige und die fernen Menschen schienen festzuwurzeln und wurden nur Schößlinge an der tiefen Rinde des ungeheuern Lebensbaumes. – –

Die Seele des Jünglings wurde in das heilige Feuer geworfen, wie Asbestpapier zog er sie ausgelöscht und unbeschrieben heraus, ihm war, als wiss' er nichts, als sei er ein Gedanke, und hier trat ihn auf eine wunderbar neue Weise das Gefühl an: das ist die Welt, du bist auf der Welt – er war ein Wesen mit ihr – alles war ein Leben, Wolken und Menschen und Bäume. – Er fühlte sich von unzähligen Polypenarmen ergriffen und zugleich mit ihnen verschlungen und doch fortrinnend im unendlichen Herz.

Trunken kam er vor seine Wohnung, von welcher sich ihm der kleine Pollux den Berg herab entgegenrollte, um ihn zum Essen zu rufen. Im Häuschen wurde das, was er meinte, ausgesprochen von der Äolsharfe am offnen Fenster. Indes das Kind mit den Fäustchen auf dem Klaviere nachdonnerte und die Vögel aus den Bäumen freudig dareinschrien: so fuhr der Weltgeist durch die Äols-Saiten jauchzend und seufzend, regellos und regelmäßig, spielend mit den Stürmen und sie mit ihm; und Albano[333] hörte, wie die Ströme des Lebens rauschten zwischen den Ufern der Länder – und durch die Blumen- und Eichenadern – und durch die Herzen – um die Erde, Wolken tragend – und den Strom, der durch die Ewigkeit donnert, goß ein Gott aus unter dem Schleier – –

Albano kam mit dem unschuldigen vortanzenden Knaben zur fortlächelnden Mutter. Sogar hier zwischen den vier Wänden zogen ihn noch die Segel fort, die der große Morgen aufgebläht. Nichts fiel ihm auf, nichts schien ihm gemein, nichts fern, die Woge und der Tropfe im unendlichen Meere des Lebens verflossen unteilbar mit den Strömen und Strudeln, welche darin gingen. Vor Chariton stand er wie ein glänzender Gott, und sie hätte gern entweder ihn verschleiert oder sich. Nie war die Menschheit in reinere Formen, die kein Wulst irgendeines Geburtslandes verkrüppelte, gesondert als in diesem Freudenkreise, worin die Kindheit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit, von Blumen durchwunden, sich begegneten und sanft anfaßten.

Chariton sprach immer von Liane, nicht bloß aus Liebe zur Fernen, sondern auch zum Nahen; denn ob sie gleich mit jenen offnen Augen schaute, die mehr still abzuspiegeln als anzublicken, mehr einzulassen als einzuziehen scheinen, so war sie doch wie Kinder, Jungfrauen, Landleute und Wilde zugleich offenherzigwahr und schlau. Sie hatte Albanos Liebe leicht erlauscht, weil überall den Weibern alles leichter zu verdecken ist, sogar der Haß, als sein Gegenteil. Sie lobte Lianen unendlich, besonders die unvergleichliche Güte, und »ihr Herr habe gesagt, wenige Männer hätten so viel Herz als sie, denn sie sei oft ohne alle Furcht nachts mit ihr im Tartarus gewesen«. Allerdings war das auch dem Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare ist der Heiligenschein eines geliebten Hauptes; eine Sonne, zum Menschenantlitz besänftigt ergreift weniger als ein geliebtes, zum Sonnenbild verklärt.

Sie, immer heißer erfreuet durch seine Freude, bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu führen. Ein einfaches Zimmerchen – vom Weinlaube gründämmernd – einige Bücher von Fenelon und Herder-alte Blumen noch in ihren Wassergläsern – kleine sinesische Tassen – Juliennens Porträt und ein anderes von einer[334] verstorbenen Jugendfreundin, welche Karoline hieß – ein unbeflecktes Schreibzeug mit englischem gepreßten Papier – – das fand er. Die heiligen Frühlingsstunden der Jungfrau zogen vor ihm wie sonniges Gewölke tauend vorüber.

Zufällig berührte er ein Federmesser, als ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte, »weil man« (sagte sie) »so viel Not damit hätte, seit ihr Herr weg sei«. Denn eine Frau kann leichter jede Feder führen – sogar die epische und kantische – als eine schneiden; und hier muß wie in mehr Fällen das stärkere Geschlecht dem schwachen unter die Arme greifen.

Albano wünschte noch das Arbeits-Zimmer seines Lehrers zu sehen; aber dieses schlug sie – ob sie gleich durch ein stundenlanges Zusammenessen nicht mutiger geworden – doch entschieden ab, weil es ihr Herr verboten habe. Er bat noch einmal; aber sie lächelte immer schmerzlicher und blieb bei dem freundlichen Nein.

Er verträumte nun den Rausch des Morgens im magischen Garten, auf dessen Wasser und Steige der Mond- und Widerschein der Erinnerung spielte. Wie treten aus den 9 Millionen Quadratmeilen der gemeinen Erde doch einige poetische Länder heraus durch ein poetisches Herz! Auf dem Berg mit dem Altare, wo er sie unten einmal verschwinden sehen, wehte ihn, umflattert vom freiern Äther, das Nachmittagsgeläute von Blumenbühl an; und sein Kindheitsleben und die jetzigen Szenen dort und Liane gaben ihm ein weiches Herz, und er überschauete mit dunklern Augen das verklärte Land.

Abends kamen frohe Kirchgänger aus Blumenbühl und priesen das Einweihen und Beisetzen gewaltig. Er sah noch den frommen Vater drüben auf dem Bergrücken stehen. Der Morgen, wo er einen ganzen Tag Lianen sehen und ihr vielleicht alles sagen konnte, überzog sein Leben mit einem ihn in prächtigen Regenbogenkreisen umschimmernden Morgentau. Noch im Bette sang er vor Lust das Morgenlied der Ruderleute auf dem Lago maggiore – die Sternbilder über Blumenbühl glänzten in das offne Fenster seines Alpenhäuschens herüber an das zusinkende Auge. – Als ihn der helle Mond und Flötentöne aus dem Tal wieder[335] weckten: glühte das stille Entzücken unter der Asche des Schlafes noch fort, und das größere drückte die Augen wieder zu.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 331-336.
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