§ 8
Grade der Phantasie

[49] Wir wollen sie durch ihre verschiedenen Grade bis zu dem begleiten, wo sie unter dem Namen Genie poetisch erschafft. Der kleinste ist, wo sie nur empfängt. Da es aber kein bloßes Empfangen ohne Erzeugen oder Erschaffen gibt; da jeder die poetische Schönheit nur chemisch und in Teilen bekommt, die er organisch zu einem Ganzen bilden muß, um sie anzuschauen: so hat jeder, der einmal sagte: das ist schön, wenn er auch im Gegenstande irrte, die phantastische Bildungkraft. Und wie könnte denn ein Genie nur einen Monat, geschweige jahrtausendelang von der ungleichartigen Menge erduldet oder gar erhoben werden ohne irgendeine ausgemachte Familienähnlichkeit mit ihr? Bei manchen Werken gehts den Menschen so, wie man von der Clavicula Salomonis erzählt: sie lesen darin zufällig, ohne im geringsten eine Geister-Erscheinung zu bezwecken, und plötzlich tritt der zornige Geist vor sie aus der Luft.[49]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 49-50.
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