§ 38
Der ironische Stoff

[154] Er soll Objekt sein, d.h. das epische Wesen soll sich selber eine scheinbar vernünftige Maxime machen, es soll sich, und nicht den auslachenden Dichter spielen; folglich muß der Ernst des Scheins nicht bloß auf die Sprache, sondern auch auf die Sache fallen. Da her kann der Ironiker seinem Objekte kaum Gründe und Schein genug verleihen. – Swift ist hier das Leihhaus für das Tollhaus. – Aber die ironische Menge um ihn her findet man auf zwei aus einanderlaufenden Irrwegen; einige leihen gar nichts her als ein Adjektivum und dergleichen; sie halten einen bloßen Tauschhandel des Ja gegen das Nein und umgekehrt für schönen lieben Scherz. Die Franzosen legen dem epischen Objekt gemeiniglich in den Mund: »die abscheuliche Aufklärung, das verdammliche Denken, das Autodafé zu Gottes Ehre und aus Menschenliebe«; ihre Pointe gegen Ärzte ist das Lob des Tötens, gegen Weiber das Lob der Untreue – kurz einen objektiven Wahnsinn, d.h. eine prosaische Verstandeslosigkeit statt poetischer Ungereimtheit, mit andern Worten, die subjektive Ansicht verdeckt die objektive. Aus diesem Grunde sind Pascals lettres provinciales[154] zwar als eine feine, scharfe, kalte, moralische Zergliederung des Jesuitismus vortrefflich, aber als eine ironisch-objektive Darstellung verwerflich. Voltaire ist besser; wiewohl auch oft die Persiflage in die Ironie einbricht. Ebenso schlecht als um das ironische Lob steht es um die lobende Ironie, welche bloß die umgekehrten Wörter braucht: »der gottlose Mensch« statt der gute u.s.w.; nur Swift besaß die Kunst, eine Ehrenpforte zierlich mit Nesseln zu verhängen und zu verkleiden, am besten; auch Voiture ein wenig, der wenigstens den Balzac, den die Franzosen ziemlich lange einen großen Mann genannt, zu übertreffen taugt.

Der zweite ironische Irrweg ist, die Ironie zu einer so kalten prosaischen Nachahmung des Toren zu machen, daß sie nur eine Wiederholung desselben ist. Eine Ironie aber, wozu man den Schlüssel erst im Charakter des Autors und nicht des Werks antrifft, ist unpoetisch, z.B. Machiavells und Klopstocks. Ebenso wird ihr poetischer Himmel, wie in Wolfs Briefen an Heyne, durch hassende Leidenschaft verfinstert. Ja er verträgt nicht einmal die Einmischung eines scheinbaren Enthusiasmus, wie z.B. in Thümmels Rede an den Richterkreis.

Aus diesem Grunde kann, wie ich glaube, das neuere komische Heldengedicht, z.B. Popens Lockenraub, Zachariäs ähnliche Gesänge, Fieldings ähnliche, sich erhaben stellende Prügelschlachten (indes Smollett ein Meister im Prügeln ist, weil er gelassen und ohne Pomp auf das Gliedmaß schlägt), dieses komische Heldengedicht kann durch seine Überladung mit Blumen und Feier Ernst nur einen uneinigen Genuß gewähren, weder den heitern Reiz des Lachens, noch die Erhebung des Humors, noch den moralischen Ernst der Satire. Die Ironie sündigt gleich sehr, wenn sie das bloße törichte Gesicht, oder wenn sie die bloße ernste und Mäusekriegs kann diese Gattung gelten und Goethens Reinike Fuchs wieder gelten.

Persiflage könnte man das ironische Streiflicht nennen; Horaz ist vielleicht der erste Persifleur und Lucian der größte. Die Persiflage ist mehr die Tochter des Verstandes als der komischen Schöpferkraft; sie könnte das ironische Epigramm genannt werden.[155] Galiani ist die geistreichste Übersetzung, die man vom persiflierenden Horaz besitzt; und oft vom Original in nichts verschieden als in der Zeit und Geistesfreiheit. – Dem Cicero sprechen seine Einfälle in Reden und im Valerius Maximus und sein scharfes Profil einigen Ansatz zu einem Swift zu. – Platons Ironie (und zuweilen Galianis) könnte man, wie es einen Welt-Humor gibt, eine Welt-Ironie nennen, welche nicht bloß über den Irrtümern (wie jener nicht bloß über Torheiten), sondern über allem Wissen singend und spielend schwebt; gleich einer Flamme frei, verzehrend und erfreuend, leicht beweglich und doch nur gen Himmel dringend.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 154-156.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorschule der Ästhetik
Vorschule Der Aesthetik: Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit Volume 2
Vorschule Der Aesthetik (1); Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (1)
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (3)