§ 2
Romanen-Musaik

[460] Ich sollt' es eigentlich gar nicht tun, daß ich mich über etwas so Mechanisches und Mattes ärgere, wenn ein Kotzebue oder gar noch mittelmäßigere Dichter einen Roman nach gegebenen, willkürlich-ausgestreuten Hauptwörtern hinmauern, die man ihnen wie Endreime zum Daranbauen vorgelegt. Wenigstens nicht vorher sagen sollten es uns die Schreiber, daß solche fremde Körper nicht sowohl wie Wachsperlen – die man in Perlenmuscheln einlegt zum Überzuge mit echter Perlenmaterie – als wie tote Tiere im Bienenstock zum Überzuge mit Wachs bei Schwierigkeit des Herausschaffens, – daß, sag' ich, fremde Wurzelworte das Geschichtliche, wie sonst dieses die Worte, erzeugt haben. Dem Gemüt[460] des Lesers wird durch die enthüllte Willkür jeder Anteil von Täuschung, womit man sogar das Märchen genießen will, entzogen. Aber die romantischen Musaiker glaubten ein oder ein paar Wunderwerke der Allmacht und Willkür verrichtet zu haben – und darum sagten sie die Sachen voraus –, wenn sie um einige abgesteckte Wort-Pfähle efeuartig hinkrochen und hinausliefen. Wahrlich der echte Dichter trifft überall nur Erdklöße und Rippen an, aber er behaucht sie, und Adams und Even werden daraus, indes der unechte das Lebendige wieder zu Erde macht und die Rippe zum Gerippe. – Wollt ihr aber lieber den Ruhm eines Seiltänzers als eines Opertänzers, so hebt aus jedem Kapitel irgendein Hauptwort als den hölzernen Zwirnstern heraus, um welchen ihr den historischen Faden nett gewickelt, und sagt bloß die einfache Lüge: hier stehen die Sterne, welche wir nicht ohne Kunst und Schweiß in unsern Geschichtknäul eingefaßt haben; aber uns belohnt schon der Genuß, den die Leser aus überwundnen Schwierigkeiten schöpfen.

Himmel! schreibt mit dem Fuße oder mit einem angesetzten Kunstarme: so gebt ihr auch eine überwundne Schwierigkeit. Ist denn nicht die ganze Kunst eine lange fort besiegte? Wozu noch neue zum Besiegen hinstellen? Wie kurz und seicht ist am Ende das Vergnügen des Lesers an dem Siege, wenn er ihn anders bemerkt; aber oft wird er weder Sieg noch Feind gewahr; und sollt' es auch nicht, weil der Triumph sich als eine Grazie verkleiden und sich verbergen soll. – Nur einer hat von der Sache einigen Genuß, der die Plage hat, der jedesmalige Überwinder.

Noch erbärmlicher fährt der Leser, und noch behaglicher fährt der Schreiber, wenn die poetische Musaik wie ein Setzer lieber zu Buchstaben greift anstatt zu Worten. Ein solcher Abcschütze – der nach Buchstaben zielt- findet seine Buchstabenrechnung dabei, entweder wenn er sie aufjagt, oder wenn er sie erlegt. Letztes geschieht, wenn man wie Brockes ein Gedicht ohne R schreibt als wäre man ein Sineser, der auch in der Prose keines hat, oder jener alte Epiker, der in jedem Gesange einen andern Buchstaben ausließ. Gibt es aber in der Welt ein bettelhafteres Gefühl und Vergnügen als das an einer Verneinung, an einem Buchstaben,[461] dessen Abwesenheit man nicht mehr bemerkt als an einer hebräischen Bibel die der Selblauter?

Die zweite Art, die positiven Abcdarier, suchen einen besondern Genuß zu gewähren – nämlich sich selber – durch die Anfangbuchstaben jeder Verszeile, welche, herabwärts gelesen, ein Wort vorstellen, z.B. den hohen Namen irgendeines Gönners. Möge dieser einen solchen abcdarischen Psalmisten belohnen! Ich geb' ihm keinen Pfennig für sein Abc der Anschauung unerquicklicher Mühen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 460-462.
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