17. Dem Andenken Christlob Mylius

[63] Correspondenten der Kön. Ges. der Wissensch. zu Göttingen, gewidmet1.


Freund, den voll Schmerz mehr, als nur Freunde, missen,

Der, wenn er stirbt, der Weisen Menge kränkt,

Den Deutschland klagt: Mir ward ein Sohn entrissen;

Stolz wär auf ihn das Land, das ihn versenkt.


Wie wissen wir, wann wir den Schöpfer hören?

War nicht dein Trieb, dein starker Trieb, sein Ruf?

Der riß dich hin, die Wunder uns zu lehren,

Die unser Gott im fernen Westen schuf.


Und leitet uns, wo uns kein Engel führet,

Ein edler Trieb von unbesiegter Macht,

Zerstört sie denn, die Hand, die uns regieret,

Ihr Werkzeug schon, noch eh' es war verbracht?


So fragen wir, wir noch gefangne Seelen,

Todt ist für uns, was nicht der Erde lebt:

Wer ist so kühn, die Aemter durchzuzählen,

Zu denen Gott befreyte Geister hebt?
[63]

Hier bin ich, Herr!2 soll ich auch weiter gehen,

Als an das Ziel, das ich mir vorgestellt?

So sprach mein Freund, schon eilt er durch die Höhen;

Fern unter ihm liegt bald die neue Welt:


Auf die sein Blick, der um die Erde streifet,

Ein Blick im Fliehn, nun ohne Sehnsucht schießt;

Wie, wenn ein Kind zum Manne plötzlich reifet,

Sein Spielzeug sieht, und gleich darauf vergißt.


Er sieht des Monds uns nie gesehnen Rücken,

Und nah' am Mars, noch einmal umgekehrt,

Fühlt er für uns: »Wie? jenes Punktes Stücken

Sind Menschenblut, sind ew'ge Seelen werth!


Im großen Ball, dem vier Begleiter glänzen,

Wie Riesen nach gebundne Zwerge ziehn.

Was wären da des Schachs und Mogols Grenzen?

Der Menschen Welt wär auch ein Zwerg für ihn.«


Drauf hat sein Flug den Ring Saturns gefunden,

Und weil er bald sich senkt, bald wieder steigt,

Wird das für ihn ein Schauspiel von Sekunden,

Was spät sich uns in funfzehn Jahren zeigt3.


Denn, wie ein Sklav, den schwere Fesseln zwingen,

Mit matter Hand ein grobes Werkzeug führt,

Wirkt hier der Geist, der dort die leichten Schwingen

Mit freyer Kraft im weiten Aether rührt.
[64]

Wo unsichtbar für uns Kometen gehen,

Ward noch sein Blick durchs Sonnenreich gesandt,

Als übersäh', von's Bructers kalten Höhen,

Er noch einmal Georgens glücklich Land4.


Schon ist er hin, wo Wesen höh'rer Stufen

Der Mensch nicht fühlt, und nur der Geist erkennt,

Wo Seelen sehn, wozu sie Gott berufen,

Und Vorsicht ist, was man hier Schicksal nennt.


Dort ist vor ihm die Körperwelt vergangen,

Groß zeigt sich ihm Gott in der wahren Welt,

Von ihr wird uns, die wir mit Einsicht prangen,

Ein Theil, wie Nichts, umnebelt vorgestellt.


Der muß für uns, weil wir nichts Bessers kennen,

Der Allmacht Reich, der Weisheit Schauplatz seyn;

So wagt ein Hirt5, den Kayser groß zu nennen,

Und dachte, Rom wär, wie sein Flecken, klein.


Doch würdig kann kein Engel Gott erheben,

Er hört, wenn Ihn ein frommes Lallen preist,

Und wird dereinst Dem Vieles übergeben,

Der eifrig hier sich im Geringen weist.

Fußnoten

1 Er starb in der Nacht zwischen dem 6. und 7. März 1754 an einer Peripneumonie zu London, von da er auf Kosten einer Gesellschaft von Liebhabern der Wissenschaft nach Amerika gehen und physikalische Beobachtungen und Sammlungen daselbst machen sollte. Ich habe ausführlichere Nachrichten von seinen Lebensumständen im 23. St. der physikalischen Belustigungen ertheilt. Gegenwärtige Verse ließ ich besonders mit einer Lebensbeschreibung des Verstorbenen drucken. Die letztere ohne die Verse befindet sich in der Sammlung der Leipziger Gesellschaft der freyen Künste, II. Th. (1755) 496. S. Hr. Lessing hat Mylius vermischte Schriften herausgegeben, mit vorgesetzten Briefen, welche desselben Charakter betreffen.


2 Dieser Ausdruck bezieht sich auf den Anfang seines Abschieds aus Europa, den man im 20. St. der phys. Bel. liest: Hier bin ich, Herr, wohin du mich gerufen etc.


3 Die verschiedentlichen Erscheinungen des Ringes. Ich begreife wohl, daß dieses und viele andere Stellen für gewisse Leser eine weitläuftigere Erklärung erfodere; aber ich kann mich doch nicht überwinden, eine kleine Astronomie hier in Anmerkungen zu bringen, und ich tröste mich damit, daß ein Frauenzimmer, dem ich diese Verse vorgelesen habe (die, an welche zwey der vorhergehenden Gedichte gerichtet sind), Alles verstanden hat, ob sich gleich ein Paar Gelehrte über derselben Dunkelheit beschwert haben.


4 Er war auf dem Blocksberge gewesen.


5 Beym Virgil. Das war die einzige Stelle, die das Frauenzimmer nicht vollkommen verstand, und hoffentlich haben die Gelehrten doch diese verstanden.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 63-65.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Elegieen
Elegieen

Buchempfehlung

Hume, David

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Hume hielt diesen Text für die einzig adäquate Darstellung seiner theoretischen Philosophie.

122 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon