4. Auf M. Theodor Lebrecht Pitschel

[46] Zu lange fast, o Pitschel, wirkt mein Schmerzen,

Und bringt dir noch verjährte Thränen dar,

Kein Dichterleid, mit unbetrübtem Herzen,

Nein, treu und stark, wie unsre Freundschaft war;

Nicht wie der Sturm erregter Sinnen wüthet,

Der bald sich legt, wenn man vernünftig denkt,

Nein, ein Affect, den die Vernunft gebietet,

Weil dein Verlust, erkannt, nur stärker kränkt.


Ja, Pitschel, ja! dein Werth erpreßte Zähren,

Erpreßte sie gleich keiner Freundschaft Pflicht:

Da wo den Schmerz Verlust und Sehnsucht nähren,

Da lindert ihn der Zeiten Länge nicht.

Ach wollt' ich doch als Freund dich gerne missen,

Verlör' ich nichts, als einen Freund in dir!

Dein redlich Herz, dein viel und nützlich Wissen

Entgeht mir auch, doch nicht allein nur mir.


Gott, dessen Macht, nach uns zu hohen Gründen,

Mit weiser Huld die beste Welt regiert,[46]

Verzeihst du wohl ein kühnes Unterwinden

Der Menschlichkeit, die herber Schmerz verführt?

Ach dürfte dich gekränkte Neugier fragen:

Warum du stets das Gute zeitig nimmst,

Und oft den Lauf von allzuwenig Tagen

Dem besten Theil der Sterblichen bestimmst?


Wie reizet uns des Geistes muntre Jugend,

Der viel gewährt, und mehr dadurch verspricht!

Er brennt allein für Wahrheit und für Tugend,

Stärkt den Verstand, und übet seine Pflicht.

Wie wird er einst, o Herr, dein Reich zu mehren,

Sich voll von Kraft, von Eifer voll, bemühn!

Zu eitler Wahn! da wir ihn hoffend ehren,

Zeigt er sich uns, und muß von uns entfliehn.


Giebst du uns denn nicht darum edle Seelen,

Die deine Huld mit höh'rer Einsicht ziert,

Daß ihre Zahl, die wir zu bald durchzählen,

Das große Heer gemeiner Geister führt?

Stark an Vernunft, im Glauben fest gegründet,

Für beyder Werth, und beyder Eintracht kämpft,

Durch sichern Schluß den leichten Zweifler bindet,

Des Irrgeists Wahn durch deine Worte dämpft?


Doch wer, o Herr, darf deine Wege meistern?

Dein Rathschluß liegt für unsern Blick zu tief;

Gehorchen nur, gebührt erschaffnen Geistern,

Auf dessen Wink, der sie zum Daseyn rief:

Wie spät, wie früh sie für den Himmel reifen,

Wie lang' ihr Dienst der Körperwelt gehört,

Das will umsonst ein Sterblicher begreifen,

So lang' er hier nur glaubt und nicht erfährt.


Du lebst, mein Freund, wo Menschenwitz verschwindet,

Wo außer Gott die Seele nichts mehr denkt,

Und kaum auf das, was hier ihr Fleiß ergründet,

Noch einen Blick, als auf ihr Spielzeug senkt.[47]

Was besser werth, als Sterbliche zu lehren,

Nahm dich die Zahl beglückter Geister ein:

Doch bis ich darf mit dir den Schöpfer ehren,

Soll mir dein Tod stets lehrreich rührend seyn.


Allan Ramsay on Addison's Death:


He was o'er good for us, the Gods ha'e ta'en

Their ain but back - he was a borrow'd len.

Let us be good, gin virtue be our drift,

Then may we yet forgether boon the lift.


Zu gut für uns, die Welt zu schlecht für ihn,

Nahm Gott ihn uns, den Gott uns nur geliehn:

Doch sind wir fromm, wird uns die Tugend leiten,

So sehn wir ihn in frohen Ewigkeiten.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 46-48.
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