2. Gedanken über die Verbindlichkeit der Dichter, allen Lesern deutlich zu seyn

[76] Dich, Freund, reizt muntrer Witz, so wie erhabnes Wissen,

Du denkst bey Haller's Vers, und bei Bernoulli's Schlüssen,[76]

Sprich, Oechlitz1, ob ein Geist, von edlem Feuer voll,

Gemeiner Leser Schwarm sich nie entziehen soll?

Sprich, ob es strafbar ist, nicht Allen deutlich bleiben,

Manch Lied den Schönen weyhn, und Manches Weisen schreiben?


Den Reimer schütz' ich nicht, der, was er dunkel denkt,

Zu seiner Leser Qual in dunklern Ausdruck senkt.

Mir wird er deutlich seyn, wählt er sich auch zum Muster

Den Ruhm Lusatiens, den theosoph'schen Schuster;

Mir sagt ein jeder Ort, der Manchem Mühe macht,

Dies war des Autors Sinn; er hatte nichts gedacht.

Ein Andrer kennt vielleicht der Weisheit äußre Schalen,

Und gleichwohl soll sein Vers mit hohem Wissen prahlen;

Drum führt er, was er sagt, in Dampf und Nebel ein.

Drückt es nur deutlich aus, so wird nichts Schlechters seyn;

So wie uns manchen Satz, den jedes Kind erkennet,

Der Thelematolog in dunkeln Wörtern nennet.


Mich reizet nur ein Lied von tiefem Denken voll,

Gemacht, daß man es mehr als einmal lesen soll:

Nicht, das durch Dunkelheit des Einfalls Armuth decket,

Nicht, das mit Fleiße nur, was man schon weiß, verstecket.

O nein, ein solches Lied, das hohe Wahrheit singt,

Die stärker in den Sinn durch kühnen Ausdruck dringt,

Das man von neuem liest, und neue Schönheit findet,

Und den zu reichen Schatz stets gräbet, nie ergründet2.


Wie, wenn durch unrein Pech das Feuer lodernd dringt,

Der Flamme schwaches Licht in dicken Dampf versinkt:[77]

Wird Der, den Stolz und Wahn für gründlich Wissen füllen,

Oft den gemeinsten Satz in dunkle Pracht verhüllen.

Doch wie wenn heitre Gluth aus weißem Wachse strahlt,

Sich deutlich und belebt das Bild im Auge malt:

Wird des Gelehrten Werk mit Deutlichkeit ergötzen;

Nur Augen blöder Art kann selbst sein Glanz verletzen.


Ein Schüler, der bereits das Octaedrum kennt,

Des Zirkels Umfang mißt, die Logarithmen nennt,

Erblickt des Briten Werk, das alle Weisen ehren,

Er liest, versteht es nicht, schmäht Newton's dunkle Lehren;

Ein Mädchen, die den Werth der Hochzeitlieder schätzt,

Die, (so gelehrt ist sie!) selbst Günther's Vers ergötzt,

Will Haller's Doris so, wie **'s Lieder lesen,

Sie liest, versteht es nicht, schmäht Haller's dunkles Wesen:

Mit Rechte schmähte sie, brächt', um ihr Herz bemüht,

Der Stutzer, den sie liebt, ihr ein so schweres Lied:

Was schilt sie Hallern denn, daß er ein Kind besungen,

Das, stärker an Vernunft, des Liedes Reiz durchdrungen?


Der Leser, dem man schreibt, bestimmt des Autors Pflicht:

Wenn Newton Lehrer lehrt, les' ihn kein Schüler nicht.

Sagt, was den Dichter zwingt, nur Lesern ohne Denken,

Ein Lied, das höher strebt, beständig zuzusenken?

Unglücklich, wenn ihn nur die Dichtergluth entflammt,

Daß ihn ein harter Spruch zum Pöbel hin verdammt!


Ja, spricht man: denn es soll der Dichtkunst weise Lehren,

Zu seiner Besserung der Ungelehrte hören:

So hat, da Orpheus sang, da Linus einst gespielt,

Der Menschheit ersten Trieb der rohe Mensch gefühlt;

So hat den Deutschen einst des Barden Lied erhitzet,

Wenn auf der Freyheit Feind sein siegreich Schwerdt geblitzet.


Doch wie? verstand ein Geist, im Denken unbemüht,

In allem Wissen fremd, der ersten Dichter Lied?

Den Bau der großen Welt, das göttliche Geschlechte,

Die Wunder alter Zeit, der Menschen Amt und Rechte,[78]

Dies hat die erste Welt von ihnen angehört.

Wer lernt jetzt halb so viel, und dünkt sich nicht gelehrt?


Doch, Dichter, prahlet nur mit eurer Ahnen Thaten,

Laßt Wahn und Eitelkeit erfinden, nicht errathen;

Sagt, was ihr Lied vollbracht, und was es nie vollbracht,

Und was Vernunft nur kann, das sucht in seiner Macht.

Es sey, daß Orpheus mehr, als Sokrates gebessert:

Ward denn durch jedes Lied der Tugend Reich vergrößert?

Erregte Bacchus nicht so oft der Dichter Gluth?

Empfand nicht mancher Thor oft ihren Witz und Muth?

Und konnt', eh' Orpheus kam, die rohe Welt zu zähmen,

Kein Lied der Schäferinn die Sprödigkeit benehmen?

Vor Zeiten gab Homer der Jugend Unterricht,

Doch ein Anakreon und eine Sappho nicht.

Gleich neben dem Virgil hat auch Ovid geschrieben:

Der lehrt den Ackerbau, und der die Kunst zu lieben.

Wenn aber ja dein Werk so Manche lehren soll:

So sey es auch zugleich vom Reiz für Weise voll,

So wie ein Altarblatt, mit kunsterfüllten Zügen,

Des Volkes Andacht mehrt, und Kenner kann vergnügen,

Kein bunt Marienbild, vom Holzschnitt abgedrückt,

Das Kinder nur ergötzt, und Bauerstuben schmückt.

Es folgt nicht, daß kein Lied mit Nutzen Lust verbindet,

Wo der gemeinste Geist nicht jeden Satz empfindet;

Genug, trifft er für sich da gute Lehren an,

Wo Manches ihm zu hoch, Gelehrte rühren kann.


Doch Niemand zieht vielleicht den Dichter ganz zur Erden:

Er soll kein Lehrer nicht des schlechten Pöbels werden;

Man will nicht, daß sein Lied ein Weib zum Weinen zwingt,

Wenn es am Petersthor ein deutscher Thespis singt.

Genug, bemüht er sich, für einen Sinn zu spielen,

Der richtig denken kann, und zärtlich weiß zu fühlen.

Gut, doch wofern ihr nur für solche Seelen schreibt,

Sagt, wo der Dichtkunst Zweck, das Unterrichten, bleibt?

Was braucht's, daß sie von euch die Lebensregeln hören,

Die ihnen eigner Witz, Fleiß und Erziehung lehren?[79]

Als nur, damit ein Satz, den eure Kunst geschmückt,

Zwar den Verstand nicht lehrt, doch in das Herz sich drückt.


Auch das geb' ich euch zu, doch selbst aus diesen Seelen,

Die ihr vom Pöbel trennt, werd' ich von neuem wählen.

Dürft ihr nicht euren Vers gleich jedem Bürger weyhn:

So darf auch meiner nicht für jeden Leser seyn.

Ihr irrt, wofern ihr glaubt, frey von gelehrten Sätzen

Werd' eure Deutlichkeit auch Alle gleich ergötzen.

Für Leser mancher Art sind Günther's Lieder schön;

Für Leonoren das, und das für den Eugen.

Ihr straft es, wenn man singt, nur Weise zu vergnügen:

So straft auch, wenn man singt, nur Schönen zu besiegen.

Euch mißfällt, wenn mein Vers von Newton's Lehren spricht:

So braucht im Trauerspiel Geschicht' und Fabel nicht.

Soll ein Gelehrter nur vor euren Schauplatz gehen:

So sey auch Der gelehrt, der will mein Lied verstehen.

Den Leser wähl' ich mir; sagt, ob ich strafbar bin?

Hat jeder eurer Zunft doch gleichen Eigensinn.

Der, der die Schäferinn mit Lied und Einfalt zieret,

Was fragt er, ob ihr Bild den Philosophen rühret?

Ein Andrer singt entzückt von seiner Chloris Kuß:

Ich bin nicht so entzückt, und les ihn mit Verdruß.

Wie, soll der Dichter stets sich Stutzern ähnlich zeigen?

Bey Mädchen witzig seyn, bey Klugen aber schweigen?


Doch geh' ich nicht zu weit? Wer ist es, der es schilt,

Wenn Kunst und Wissenschaft erhabne Lieder füllt?

Nur das verbietet man, daß tiefer Sätze Menge,

Zu dunkel ausgedrückt, im schweren Vers sich dränge.

Gut, theilt den Einfall gleich in zwanzig Zeilen ein;

Nur merkt, ihr werdet matt, und doch nicht deutlich seyn.

Vergebens, daß man Dem, dem alle Kenntniß fehlet,

So, wie ein Lehrer thut, Satz und Beweis erzählet.

Nicht Alles faßt der Vers; und wenn er Alles faßt,

So wird die Deutlichkeit dem Leser selbst zur Last.

Mit ekelem Geschwätz wird uns der Dichter plagen,

Der uns nichts denken läßt, und Alles strebt zu sagen;[80]

Doch ist ein Mittel hier: auch Der gefällt uns nicht,

Der nicht genug uns sagt, und wie Orakel spricht.

Die freche Buhlerinn, die mehr giebt, als vergönnet,

Die Spröde, die uns kaum mit halbem Blicke kennet,

Sind beyde reizungsleer3: da wird ein Herz besiegt,

Wo muntre Sittsamkeit bemüht und auch vergnügt.

Doch heißt die Schöne nicht durch eitlen Stolz verblendet,

Die Jedem unverdient nicht ihre Gunst verschwendet:

So wißt auch, daß ihr oft ein Lied als dunkel schmäht,

Und denket nicht daran, daß ihr nur blöde seht.


Ihr sprecht, das sey nicht Lust, was uns mit Denken quälet,

So hört zu guter letzt noch was mein Vers erzählet.


Sonst, als den Deutschen noch kein seiner Witz vergnügt,

Und nur sein redlich Herz mit tapfrer Faust gesiegt,

Gebraucht' er sich, die Zeit ergötzend zu verlieren,

Der bunten Heere schon, von streitenden Papieren.

Vier gleiche Haufen sinds. Des Schicksals Eigensinn

Giebt einem Mächtigern der Andern Leben hin.

Vor seiner Sieben muß zu oft ein Taus erbleichen,

Doch wird ihr bald darauf nicht eine Sieben weichen.

Die Stunden kürzten sich mit Spielen mancher Art;

Da hoffte man ein Glück, das Fürst und Ober paart4.

Auch ging man Wetten ein, wo stets die Hand verspielte,

Die Blätter eines Rangs in mindrer Anzahl hielte,

Bot einem Spieler Trotz, der zu verwegen war,

Und setzte sich ihm gleich in Hoffnung und Gefahr.

Drauf, als die Rohigkeit von Deutschland sich entfernte,

Und man der Fremden Kunst und fremde Thorheit lernte,[81]

Ward auch der Zeitvertreib, den Spanien erdacht,

Und Frankreich ausgeputzt, bey uns bekannt gemacht.

Dem Tutti wich der Martsch, der Sequens Matadoren;

Vom Spieler ward a Tout, kein Trumpf vom Glück erkoren.

Voll Ordnung war das Spiel, nur war sie mehr versteckt,

Voll Regeln, deren Zahl gemeine Seelen schreckt:

Und wem zum Denken sonst Geduld und Stärke fehlte,

Der ward ein Archimed, wenn er beym Solo zählte.

Wie hörte man dabey die schwächern Geister schreyn:

Was so viel Mühe macht, kann kein Vergnügen seyn!

Umsonst, die Schönen selbst gewöhnten sich zu denken,

Der Wenzel und das Taus flohn endlich in die Schenken.


Fußnoten

1 Ein Leipziger, der die Mathematik mit wichtigen Erfindungen würde bereichert haben, wenn er nicht frühzeitig gestorben wäre. Man hat, so viel ich weiß, nichts Gedrucktes von ihm, als in den Leipziger Actis Eruditorum eine vortreffliche Auflösung einer daselbst 1745 von Hrn. Euler vorgelegten ziemlich schweren Aufgabe: Die krummen Linien zu finden, die alles Licht, das aus einem Punkte auf sie fällt, nach zwo Reflexionen, wieder in einem Punkt zusammen bringen. Außer Hrn. E. selbst, der seine Auflösung zuletzt herausgab, haben in der erwähnten Monatsschrift nur drey Leipziger sich an diese Aufgabe gewagt; Oechlitz, Bärmann und ich. Hr. Klingenstierna hat sie auch aufgelöst. Abh. d.k. Schwed. Ak. d. Wiss. 1749.


2 Haller.


3 Nec bis cincta Diana placet, nec nuda Cythere.

Martial.


4 Ich mache dieses Spiel zu einem deutschen, weil es bey uns meistens in deutscher Karte gespielt wird. Außerdem habe ich so viel Recht dieses zu thun, als wenn Voltaire im achten Gesange der Henriade in einer Schlacht Bajonette lange vor ihrer Erfindung gebrauchen läßt. Doch wem eine solche historische Unrichtigkeit zuwider ist, der setze statt dieses Verses folgenden: Das Künstlichste davon war wohl die Höllenfahrt.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 76-82.
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